Standardisierte Fürbitten – um Entgleisungen zu vermeiden

(aus: Gero P. Weishaupt, Päpstliche Weichenstellungen. Das Motu Proprio Summorum Pontificum Papst Benedikts XVI. und der Begleitbrief an die Bischöfe. Ein kirchenrechtlicher Kommentar und Überlegungen zu einer „Reform der Reform“, Bonn 2010, 181 – 184)
Wortgottesdienst
Der Wortgottesdienst des reformierten Messordos Pauls VI. mit Lesung(en) und Evangelium kann, abgesehen von möglichen Vorbehalten gegenüber der Lektionsordnung, als gelungen angesehen werden. Klaus Gamber kritisiert an der neuen Lektionsordnung vor allem, dass bei ihrer Einstellung einseitig exegetische, belehrende und erbauende Geschichtspunkte maßgebend gewesen sind und dabei
„zu wenig die liturgischen Gesetze berücksichtigt worden sind, nach denen man bisher in der Kirche Leseabschnitte ausgewählt hat. … Wie bei den übrigen liturgischen Reformen in der Zeit nach dem Konzil, so hat man auch bei der Aufstellung der neuen Perikopenordnung eine uralte, z. T. 1500jährige Tradtion unterbrochen, ohne etwas Besseres an die Stelle zu setzen. Es wäre sicher klüger gewesen, nicht zuletzt auch in pastoraler Hinsicht, die alte Ordnung des Missale Romanum zu belassen und im Zuge einer Reform weitere Lesungen ‚ad libitum‘ (zur Auswahl) zu gestatten“ (K. Gamber, Fragen an die Zeit, 84).
Die Verwendung der jeweiligen Landessprache und die Vielfalt an Schriftlesungen entspricht hingegen konziliarem Auftrag (vgl. SC, Art. 35 f.) und der Tradition.
„Der Gebrauch der Landessprache bei den Lesungen war der römischen Liturgie ursprünglich fremd. So konnten im 9. Jahrhundert die Slavenlehrer Cyrill und Method bei der Missionstätigkeit in Mähren eine von ihnen veranstalte slavische Übersetzung der lateinsichen Evangelien benutzen. In Rom selber wurden die lateinischen Lektionen, zum mindesten an bestimmten Tagen, für den Griechisch sprechenden Teil der Bevölkerung bis ins Mittelalter hinein zusätzlich auch in griechischer Sprache vorgetragen“ (K. Gamber, Fragen in die Zeit, 85).
Reformbedarf: Fürbitten
Bedenken rufen dagegen die möglichen freien Formulierungen des Allgemeinen Gebetes der Gläubigen, die auch „Fürbitten“ genannt werden, hervor, die in der ordentlichen Form des Römischen Ritus in den Messen mit Volk (in den Messen ohne Volk [„Stillmessen“] fallen sie weg) nach dem Evangelium bzw nach der Homilie und gegebenenfalls dem Glaubensbekenntnis (Credo) vorgetragen werden (Institutio Generalis, Nr. 138). Die Fürbitten, an die in der sogenannten außerordentlichen Form des Römischen Ritus das „Oremus“ vor der Opferbereitung noch erinnert und die in den Liturgien des Ostens und im gallikanischen Ritus des Westen immer gebetet wurden, während sie im römischen Ritus in der Karliturgie zum Vortrag kamen (vgl. J. Pasch, Eucharistie, Gestalt und Vollzug, Freiburg, 19953, zweite Auflage, 81), schließen den Wortgottesdienst ab und leiten zum eucharistischen Opfer, dem Kern der Eucharistiefeier, über (vgl. J. Hermans, Die Feier der Eucharistie, 205).
Der Messordo Pauls VI. sieht nach wie vor für die regulären Messen feste Gebetsintentionen vor (für die Nöte der Kirche, für die Regierungsleiter und das Heil der Welt, für die unter Schwierigkeiten Leidenden und für die lokale Gemeinschaft) (Art. 54 von SC nennt Anliegen „für die heilige Kirche, für die Regierenden, für jene, die von mancherlei Not bedrückt sind, und für alle Menschen und das Heil der ganzen Welt“). Doch eröffnet der reformierte Messordo auch die Möglichkeit, für besondere Feiern (Firmung, Eheschließung, Requiem) eigene Intentionen vorzutragen, die dem Anlass entsprechen (Institutio Generalis, Nr. 69 f.).
Gefahr der frei formulierten Fürbitten
Entgegen der liturgischen Tradition können die Fürbitten nach dem Messordo Pauls VI. dabei auch frei formuliert und gestaltet werden (M. Kunzler, Die Liturgie der Kirche, 337). Mit dieser Möglichkeit weicht die heutige Praxis des römischen Ritus in seiner sogenannten ordentlichen Form von denen der Ostkirche und vom ambrosianischen und gallikanischen Ritus ab (so K. Gamber, Fragen in die Zeit, 86). Dort gibt es festgelegte Anliegen bzw Gebetsformulare, die standardmäßig in der Liturgie angewandt werden. Klaus Gamber gibt in Bezug auf die freien Formulierungen der Fürbitten in ordentlichen Form des Römischen Ritus zu bedenken, dass man
„heute in der freien Gestaltung dieser Gebete schlimme Entgleisungen
„Auch was an Formularen in eigenen Sammlungen angeboten wird, ist meist wenig brauchbar“ (K. Gamber, Fragen in die Zeit, 86).
Michael Kunzler warnt darum zurecht:
„Die Fürbitten müssen echte Bitten und wahre Anliegen sein, keine leeren Worthülsen, vor allem aber dürfen sie weder ideologisch überlagert sein noch moralisierende Zurechtweisungen beinhalten“ (M. Kunzler, Die Liturgie der Kirche, 337).
Ideologisch gefärbte Fürbitten können eine Gemeinde spalten, moralisierende Fürbitten stellen einen liturgischen Missbrauch dar.
Standardisierte Fürbitten
Eine „Reform der Reform“ sollte in Treue zur Tradition und zur Ostkirche die Möglichkeit freier Gestaltung der Fürbitten nicht mehr vorsehen und für besondere Anlässe stanrdisierte Formulare bieten, die der Willkür und der freien Formulierung entzogen sind. Das Messbuch Pauls VI. bietet für die regulären Messfeiern bereits eine ausreichende Auswahl von standardisierten Gebetsformularen für die Sonn- und Werktage im Kirchenjahr und für die liturgisch geprägten Zeiten. Diese festen Formulare könnten mit weiteren standardisierten Formularen erweitert werden.
Inhaltlich entsprechen die vorgegebenen standardisierten Fürbitten des reformierten Messbuches den Richtlinien, die der Rat für die Ausführung der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium 1966 herausgegeben hat (vgl. Enchiridion Documentorum Instaurationis Liturgicae I, 238-241, Rdnr. 648-661). Danach sind die Fürbitten stets ein Flehgebet (supplicatio), das sich an Gott richtet. Die Fürbitte ist darum keine Anbetung und Danksagung. In ihnen bittet die gläubige Gemeinde für die ganze Kirche (für Papst und Bischöfe, für Priester und Ordensleute, für die Einheit der Christen), für die Welt (für Frieden, für die Regierenden, für Wetter und gute Ernte), für die verscheidenen Nöte (für Heimatlose, Verfolgte etc.).
Fürbitten richten sich an Gott, nicht an das Volk
Neben dem Ausschluss freier Formulierungen sollte eine im Licht der Tradition durchgeführte Reform des Missale Romanum Pauls VI. auch die äußere Vortragsform berücksichtigen. Beim fürbittenden Gebet stehen alle – Priester und Volk – vor Gott in Antwort und im Vertrauen auf sein in den Lesungen und in der Homilie gehörtes Wort. Das Allgemeine Gebet ist ein Gebet des Volkes, das als „Gemeinschaft der Getauften“ in ihm „seine priesterliche Funktion“ ausübt, „und zwar zum Nutzen der ganzen Kirche und der Welt“ (J. Hermans, Die Feier der Eucharistie, 204).
Auch der Priester gehört zum Volk Gottes, und in der Person Christi fasst er das Allgemeine Gebet des Volkes am Ende zusammen. Weil Volk und Priester auf je eigene Weise die Fürbitte Gott vortragen, sollen diese grundsätzlich immer Gott zugewandt ausgesprochen werden. Der Priester, der Diakon oder ein Lektor richten sich gemeinsam mit dem betenden Volk zum Altar bzw. zur Apsis (geostete Gebetsrichtung), wobei der Diakon und der Lektor alledings nicht direkt vor dem Altar wie der Priester stehen, sondern auf Abstand mit Blick zum Altar bzw. zur Apsis. Diese (geostete) Gebetsrichtung entspricht der Tradition. Nach Klaus Gamber ist es ein
„Widerspruch, die Fürbitten nicht zum Altar, sondern vom Ambo zu sprechen. Zu den längeren Gebeten, so etwa zu den ‚Orationes sollemnes‘ am Karfreitag, ist in früheren Zeiten der Zelebrant regelmäßig vor den Altar getreten, damit er zusammen mit den Gläubigen beim Beten nach Osten ausgerichtet war“ (K. Gamber, Fragen in die Zeit, 86).
Gebetseinladung zum Volk hin gewandt
Nur die Introduktion, d. h. die kurze Einführung oder Einladung der Gläubigen zum Gebet durch den Priester, die zur Vermeidung von „Entgleisungen“ (siehe oben), etwa dadurch, dass sie zu lang formuiliert werden, ebenfalls vorgegeben sein sollten, geschieht zum Volk hin gewandt, da sie sich ja an das Volk und nicht an Gott richtet.
Das abschließende Präsidialgebet richtet sich an Gott
Sobald diese Introduktion gesprochen ist, wendet der Priester sich zum Osten, wohin die Fürbitten vorgetragen werden. Das abschließende Gebet, das ein Präsidialgebet ist (vgl. J. Hermans, Die Feier der Eucharistie, 207) und darum immer von zelebrierenden Priester rezitiert werden muss, richtet er selbstverständlich nicht zum Volk, sondern zu Gott, also in Richtung Apsis bzw. Osten.
aus: Gero P. Weishaupt, Päpstliche Weichenstellungen. Das Motu Proprio Summorum Pontificum Papst Benedikts XVI. und der Begleitbrief an die Bischöfe. Ein kirchenrechtlicher Kommentar und Überlegungen zu einer „Reform der Reform“, Bonn 2010, 181 – 184)
Vorausblick
In der nächsten Folge lesen Sie im Rahmen dieser Reihe über die Reform der Reform der nachkonziliaren Liturgie bzw. der Bereicherung der ordentlichen Form durch die klassische Form des Römischen Ritus meine Änderungsvorschläge bezüglich des Friedensgrußes (Pax).
Bisherige Beiträge in dieser Reihe
Reform der Reform – Änderung der Eingangsriten
Musica Sacra – Neue Chancen durch das Motu Proprio “Summorum Pontificum”
Vatikanum II wünscht den Erhalt des Gregorianischen Chorals und der Polyphonie
Vatikanum II: Der Gebauch der lateinischen Sprache soll erhalten bleiben
Das Problem der Übersetzungen ist ein ernstes Problem
Was die ordentliche Form von der klassischen Form des Römischen Ritus lernen kann
Foto: Evangeliar – Bildquelle: Kathnews