Kirchliche Dokumente: Es geht um die Stellung des Altares, nicht um die Zelebration zum Volk hin

Einleitung von Gero P. Weishaupt:
Die Aufregung war groĂ vor einigen Wochen, als Kardinal Sarah, der PrĂ€fekt der Gottesdienstkongregation, anlĂ€sslich einer liturgischen Tagung in London den Priestern empfahl, unter BerĂŒcksichtigung der pastoralen Klugheit ab dem kommenden 1. Adventssonntag dieses Jahres die heilige Messe âzum Herrn hinâ (zum Osten, ad Deum/versus orientem) zu zelebrieren. Man wundert sich darĂŒber, denn der Kardinal bezog sich auf geltende Rechtsnormen. Auch Papst Franziskus wies in seiner erlĂ€uternden ErklĂ€rung zu der Empfehlung von Kardinal Sarah auf diese geltenden Normen hin und erinnerte daran, dass es dabei nicht um die Zelebration der klassischen Form geht, sondern um die sogenannte ordentliche Form des Römischen Ritus. FĂŒr die klassische Form sind die Rechtsnormen des von Papst Benedikt XVI. am 7. Juli 2007 erlassenen Motu Proprio âSummorum Pontificumâ maĂgebend. In Rom wollte man offensichtlich dem MissvestĂ€ndnis entgegentreten, als ob Kardinal Sarah die Priester zur klassischen Form der Zelebration ermutigte. Doch dies war keineswegs die Absicht des PrĂ€fekten. Ihm ging es um eine Umsetzung des Zweiten Vatikanischen Konzils und geltender liturgischer Rechtsnormen. Eine Analyse dieser aktuellen Rechtsnormen habe ich in meinem Buch âPĂ€pstliche Weichenstellungenâ vorgenommen. Darin komme ich zu dem Ergebnis: Die Zelebration âzum Herrnâ (ad orientem) ist geltendes Recht. Darum kann kein Bischof – aus rechtlichen GrĂŒnden â einem Priester diese Zelebration nach dem Missale von Papst Paul VI. verbieten. Es kommt dem Amtspfarrer vor Ort zu, unter AbwĂ€gung pastoraler Kriterien die Empfehlung von Kardinal Sarah umzusetzen.
Meine Analyse der einschlĂ€gigen Texte (in: âPĂ€pstliche Weichenstellungenâ 161-166)
Joseph Ratzinger macht darauf aufmerksam, dass die Wendung der AltĂ€re zum Volk hin und die Zelebration der Messe, bei der der Priester zum Volk hin steht, neben der Volkssprache âfĂŒr den normalen Kirchenbesucher als die greifbarsten Ergebnisse der Liturgiereform des II. Vatikanischen Konzilsâ wahrgenommen werden, und er fĂŒgt hinzu:
âWer die Texte des Konzils selber liest, wird im Erstaunen feststellen, daĂ weder das eine noch das andere in dieser Form in den KonzilsbeschlĂŒssen zu finden istâ (in: U. M. Lang, Conversi ad Dominum, 7.).
Was fĂŒr den Erhalt der lateinischen Sprache gilt, trifft auch auf die Zelebration zum Osten (versus Orientem) zu: Die KonzilsvĂ€ter wollten von dieser Praxis nicht abweichen. Darum sagt und verfĂŒgt die Liturgiekonstitution hierĂŒber nichts.
Es geht um die Trennung von der Altarwand, nicht um die Zelebration zum Volk hin
Das erste nichtkonziliare Dokument, das die Zelebration zum Volk hin indirekt â gleichsam nebenbei in einem Nebensatz â erwĂ€hnt, ist die Instruktion Inter Oecumenici vom 26. September 1964. Eine nĂ€her Textanalyse des betreffenden Statzes in der Instruktion zeigt allerdings, dass diese Zelebrationsweise nicht als eine Verpflichtung verstanden werden sollte und durfte und primĂ€r auch nicht als eine Möglichkeit, sondern zu allererst als eine Folge der Möglichkeit zur erwĂ€genden Trennung des Altares von der RĂŒckwand. Es geht der römischen Instruktion um die Möglichkeit der Trennung des Altares von der RĂŒckwand, nicht um die Zelebrationsrichtung. Indirekt ergĂ€be sich aus der Trennung des Altares von der Altarwand zusĂ€tzlich die Möglichkeit der Zelebration zum Volk hin. Der maĂgebliche Satz der Instruktion lautet in seinem lateinischen Original wie folgt:
âPraestat ut altare maius extruatur a pariete seiunctum, ut facile circumiri et in eo celebratio versus populum peragi possit; âŠâ (Inter Oecumenici, Instructio, âad executionem Constitutionis de sacra Liturgia recte ordinandamâ in: Enchiridion Documentorum Instaurationis I, 50-78.).
âEs ist besser, dass der Hauptaltar von der RĂŒckwand getrennt errichtet wird, so dass man ihn leichter umschreiten und auf ihm die Feier zum Volk hin erfolgen kann; âŠâ .
ZunĂ€chst darf bei der Interpretation dieses Satzes der Kontext im ganzen des Textes der Instruktion nicht ĂŒbersehen weden. Inter Oecumenici ist das erste Dokument zur praktischen AusfĂŒhrung der Liturgiekonstiuttion Sacrosanctum Concilium des Zweiten Vatikansichen Konzils. Die Instruktion ist in fĂŒnf Kapitel eingeteilt, denen ein lĂ€ngeres Vorwort (Proömium) ĂŒber grundsĂ€tzliche Fragen, die die Natur und die Anwendung der Instruktion betreffen. FĂŒr die Eucharistiefeier ist das zweite Kapteil âDe sacrosancto eucharitiae mysterioâ einschlĂ€gig. Dort werden einige Ănderungen im Ordo Missae des lateinischen Ritus nĂ€her ausgefĂŒhrt, wie sie die Liturgiekonstiution Sacrosanctum Concilium bestimmt hat.
Es fĂ€llt nun auf, dass der Wunsch (!!!), den Altar von der RĂŒckwand zu trennen, sich nicht in diesem Kapitel befindert, sondern im fĂŒnften Kapitel ĂŒber den Bau von Kirchen und die Errichtung von AltĂ€ren im Hinblick auf die vom Zweiten Vatikanischen Konzil gewĂŒnschte aktive Teilnahme der GlĂ€ubigen an den liturgischen Feiern. Der lateinische Titel dieses Kapitels lautet: âDe ecclesiis et altaribus debite extruendis ad fidelium actuosam participationem facilius obtinendamâ (Ăber die angemessene Errichtung von Kirchen[gebĂ€uden] und AltĂ€ren zur leichteren Verwirklichung der aktiven Teilnahme der GlĂ€ubigen). Der besagte Nebensatz ĂŒber die durch die Trennung des Altares von der RĂŒckwand mögliche Zelebration zum Volk hin hĂ€tte redaktionell in das zweite Kapitel ĂŒber die Weise der Feier des Ordo Missae platziert werden mĂŒssen, wenn der Heilige Stuhl mit der Instruktion auf eine Zelebration zum Volk hin abzielen wollte, und nicht im Kontext von Bestimmungen ĂŒber den kirchlichen Raum und die Architektur. Die Stellung des Satzes im Kontext kirchenbaulicher MaĂnahmen ist nicht unerheblich fĂŒr die Interpretation des Willens des Gesetzgebers. Eine Verpflichtung zur Zelebration zum Volk hin wird in Inter Oecumenici keineswegs ausgesagt.
Eine Relativierung der Aussage von der Zelebration zum Volk hin ergibt sich aber vor allem aus dem Inhalt des Satzes selber. Die Hauptaussage ist nĂ€mlich der Vorzug der Trennung des Altares von der RĂŒckwand (a pariete seiunctum). Der folgende Nebensatz: âso dass (ut) man ihn leichter umschreiten und auf ihm die Feier zum Volk hin erfolgen kannâ ist eine Folgesatz â vgl. das âut-consecutivumâ im lateinischen Original. An dem Satz fĂ€llt zweierlei auf:
a)   Es wird primĂ€r eine Empfehlung ausgedrĂŒckt in Bezug auf die Trennung des Altares von der RĂŒckwand (vgl. im lateinischen Original âpraestatâ = es ist besser; es ist wĂŒnschenswert).
b)   Es wird nur sekundĂ€r von einer Möglichkeit der Zelebration zum Volk hin als Folge der Trennung des Altares von der RĂŒckwand gesprochen (vgl. im lateinischen Original âut ⊠possitâ = so daà ⊠kann).
Somit ist deutlich, dass die Instruktion Inter Oecumenici die Zelebration zum Volk hin nicht verpflichtend einfĂŒhren wollte und die Zelebration zum Osten hin abgeschafft hat. Letztere sollte vielmehr weiterhin die Form der Zelebration sein. Joseph A. Jungmann warnt infolgedessen vor einer flaschen Interpreation der Instruktion:
âEs wird die Möglichkeit betont: Uns selbst dafĂŒr wird, wenn man den lateinischen Text der Bestimmung nachsieht, nicht einmal eine Vorschrift sondern nur eine Empfehlung gegeben ⊠. Durch die neue Ordnung wird nur gegenĂŒber etwaigen Hemmungen oder lokaler EinschrĂ€nkungen die allgemeine Erlaubtheit einer solchen Altaranlage betontâ (J. A. Jungman, Der neue Altar, in: Der Seelsorger 37 [1967] 375.).
Was sieht das (nachkonziliare) Missale Pauls VI. vor?
So ist es nur konsequent, dass die Rubriken des Missale Romanum Pauls VI. nicht von der Zelebration zum Volk hin, sondern von der Zelebration versus Orientem (zum Herrn hin) ausgehen, wenn es da heiĂt, dass der Priester beim Orate, Fratres, bei der Pax Domini, beim Ecce, Agnus Die und beim Ritus conclusionis sich dem Volk zuwendet. Vor der Priesterkommunion heiĂt es sogar ausdrĂŒcklicht âad altare versusâ (zum Altar gewandt). Diese Hinweise wĂ€ren ĂŒberflĂŒssig, wenn die Rubriken des Missale Romanum Pauls VI. die Zelebration versus populum vorsehen wĂŒrden. Demnach geht auch das nachkonziliare Missale davon aus, dass der Priester die Messe zum Altar hin gewendet und nicht zum Volk hin zelebriert. Die dritte Editio typica des erneuerten Missale Romanum behĂ€lt diese Rubriken bei.
Was sagen die aktuellen Normen?
SchlieĂlich ist noch in diesem Zusammenhang die Institutio Generalis von 2000 zur dritten Eidio typica des erneuerten Missale Romanum einschlĂ€gig. Dort heiĂt es unter Nr. 299 (auf die auch Papst Franziskus in seiner jĂŒngsten ErklĂ€rung wegen möglicher MissverstĂ€ndnisse aufgrund der Londoner Rede von Kardinal Sarah hingeweisen hat):
âAltare extruatur a pariete seiunctum, ut facile circumiri et in eo celebratio versus populum peragi possit, quod expedit ubicumque possbile est.â
âDer Altar soll von der RĂŒckwand getrennt errichtet werden, so dass man ihn leichter umschreiten und auf ihm die Feier zum Volk hin erfolgen kann, was nĂŒtzlich ist, wo immer es möglich ist.â
In ErgĂ€nzung zur Instruktion Inter Oecumenici von 1964 verdeutlich die Institutio Generalis von 2000, dass die von der RĂŒckwand getrennte Stellung des Altares nĂŒtzlich und förderlich (expedit) ist. Der Relativsatz âquod expedit ubicumque possibile estâ erlaubt grammatisch-syntaktisch sowohl eine Bezug auf den unmittelbar vorausgehednen konsekutivischen Gliedsatz âut facile circumiri et in eo celebratio versus populum peragi possitâ als auch auf den Hauptsatz âAltare extruatur a pariete seiunctumâ.
Antwort der Kongregation fĂŒr den Gottesdienst und die Disziplin der Sakramente
In einer Antwort der Kongregation fĂŒr den Gottesdienst und die Disziplin der Sakramente vom 25. September 2000 (Congregatio pro Cultu Divino et Disciplina Sacramentorum, âResponsum Congregtionis die 25 septembris 2000â, Prot. No. 2036/00L, in: Comunicationes 2000, 171.) wird der Relativsatz jedoch nur auf die Aussage im Hauptsatz bezogen. Das heiĂt folglich: Der Nutzen (expedit) bezieht sich auf die Stellung des Altares (Aussage des Hauptsatzes), nicht auf die Zelebationsrichtung (Aussage des Gliedsatzes). Von der wird lediglich gesagt, dass sie durch die Trennung des Altares von der RĂŒckwand möglich wird (peragi possit). Auch hier ist also keine Foderung der Zelebration zum Volk hin ausgedrĂŒckt.
Das aber heiĂt auch: Es gibt sogar keine Verpflichung, den Altar von der RĂŒckwand zu trennen, geschweige denn eine Zelebration versus populum. Das wird in der Antwort der Kongregation fĂŒr den Gotesdienst und die Sakramente vom 25. September 2000 noch einmal unterstrichen:
âZunĂ€chst muss berĂŒcksichtigt werden, dass das Wort expedit keine Verpflichtung darstellt, sondern einen Vorschlag bezĂŒglich der Anlage einer freistehenden (a pariete seiunctum) Altars und der Zelebration zum Volk hin (versus populum).â
Danach erlÀuter die Kongregation weiter:
âDer Satz ubi(cumque) possibile sit bezieht sich auf verschiedene Aspekte, z. B. die rĂ€umliche Anlage, den verfĂŒgbaren Platz, den kĂŒnsterlischen Wert des besonderen Altares, dass Empfindungsvermögen der Gemeinde, die an den liturgischen Feiern in der betreffenden Kirche teilnimmt etc.â
Die kirchlichen Dokumente sprechen eine eindeutige Sprache: Rechtlich betrachtet ist die Zelebration versus Orientem die normale und gĂŒltige Form der Zelebration, die Zelebration zum Volk hin wird lediglich als Möglichkeit gewertet, die eine Ausnahme bleiben soll. Aus rĂ€umlichen oder architektonischen GrĂŒnden ist es möglich, den Altar getrennt von der RĂŒckand zu platzieren, was seine Zelebration zum Volk hin ermöglicht. Schon 1993 hatte die Kongregation fĂŒr den Gottesdienst und die Disziplin der Sakramente erlĂ€utert, dass der Ausdruck âzum Volk gerichtetâ keine theologische Bedeutung habe, sondern topographisch zu verstehen ist. âIn der Form der Zelebration muss darauf geachtet werden, dass Theologie und Topographie nicht verwechsel twerden, vor allem wenn der Priester am Altar steht. Nur in den Dialogen vom Altar aus spricht der Priester zum Volk. Alles andere ist Gebet zum Vater durch Christus im Heiligen Geistâ (vgl. Congregatio de Cultu Divino et Disciplina Sacramentorum, âPregare âAd orientem versusâ, in: Notitiae 29 [1993] 249 [Ăbersetzung: GPW).
Die Entwicklung nach Vatikanum II
Eine Vorschrift zu dieser Zelebrationsweise (zum Volk) wird in den kirchlichen Dokumenten nirgendwo konstituiert, weder in der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium noch in den auĂerkonzliaren Dokumenten des Apostolischen Stuhles, die aus der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil stammen. Die Entwicklung in der liturgischen Praxis nach dem Konzil ging hingegen andere Wege: Vielerots wurden die AltĂ€re von der Wand getrennt oder ein âVolksaltarâ in den Altarraum gesetzt â oft ohne RĂŒcksicht auf die archtektonischen Gegebenheiten und das Empfinden der GlĂ€ubigen. Was aber noch eingeifender war: Die Zelebration versus populum wurde â entgegen den Normen â in der Praxis die Regel, die Zelebration versus Deum eine Ausnahme, so dass die Zelebration zum Volk âfĂŒr den normalen Kirchenbesucherâ â irrtĂŒmlicherweise â âals das greifbarste Ergebnis der Liturgiereform des II. Vatikanischen Konzilsâ (J. Ratzinger) wahrgenommen wurde. Doch wahr ist: Diese Entwicklung war weder vom Zweiten Vatikanischen Konzil vorgesehen noch konnte sie mit Berufung auf nachkonziliare Dokumente rechtfertigt werden.
(aus: Gero P. Weishaupt, PĂ€pstliche Weichenstellungen. Das Motu Proprio Summorum Pontificum Papst Benedikts XVI. und der Begleitbrief an die Bischöfe. Ein kirchenrechtlicher Kommentar und Ăberlegungen zu einer âReform der Reformâ, Bonn 2010, 159-161.).
Vorausblick
In der nĂ€chsten Folge (immer samstags) wird der theologische und spirituelle Hintergerund der Zelebration âversus orientemâ  in der Liturgie gemÀà den Vorgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils im Rahmen einer âBereicherung der sogenannten ordentlichen Form des Römischen Ritus durch die klassische Form des Römischen Ritusâ (âReform der Reformâ) beleuchtet. Bei der Zelebration âversus orientemâ steht der Priester gemeinsam mit dem Volk âzum Herrn gewandtâ (conversi ad Dominum).
Vatikanum II: Der Gebauch der lateinischen Sprache soll erhalten bleiben
Das Problem der Ăbersetzungen ist ein ernstes Problem
Was die ordentliche Form von der klassischen Form des Römischen Ritus lernen kann.
Foto: Heilige Messe – Bildquelle: Doris Bayer