Was meint der Gesetzgeber mit „schwerer Notlage“?

Eine kirchenrechtliche Erwiderung auf eine Erklärung von Prof. Heribert Hallermann.
Erstellt von Gero P. Weishaupt am 20. April 2018 um 14:54 Uhr
Monstranz

Von Dr. iur. can. Gero P. Weishaupt:

In einem Gastbeitrag des Internetportals „katholisch.de“ vom 10. April 2018 unternahm der Kirchenrechtler Prof. Heribert Hallermann den Versuch zu erklären, „welcher Punkt“ in dem „Kommunionstreit der Bischöfe“ „strittig ist und wie eine Lösung aussehen könnte“. Bei dem „Kommunionstreit“ geht es bekanntlich um die Frage, ob der evangelische Partner einer bekenntnisverschiedenen Ehe (sogenannte „Mischehe“ zwischen einem katholischen und einem nichtkatholischen Christen) zur Kommunion zugelassen werden kann. Näherhin geht es um die Frage, ob eine bekenntnisverschiedene Ehe den Tatbestand der „schweren Notlage“ in can. 844 § 4 des Kirchlichen Gesetzbuches von 1983 erfüllt. Eine „schwere Notlage“ ist nach dem Willen des Gesetzgebers die Grundbedingung für die Spendung der heiligen Kommunion (wie auch der Beichte und der Krankensalbung) an Christen, die „nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen“, sofern sie „einen Spender der eigenen Gemeinschaft nicht aufsuchen können und von sich aus darum bitten“ und „bezüglich dieser Sakramente den katholischen Glauben bekunden und in der rechten Weise disponiert sind“.

Unbestimmt und offen

Aber was meint der Gesetzgeber mit „schwerer Notlage“? Prof. Hallermann ist zuzustimmen, wenn er feststellt, dass dieser Begriff „gesetzlich unbestimmt und somit auf viele Situationen hin offen ist“. Richtig ist auch, dass nach Hallermann diese „Notwendigkeit … schwerwiegend sein“ muss und „nicht in derselben Weise zwingend und ausweglos sein muss wie die Todesgefahr“, von der in can. 844 § 4 ebenfalls die Rede ist. Die Mehrzahl der Bischofskonferenz will den Begriff der „schweren Notlage“ bereits bei einem „geistliches Bedürfnis“ des evangelischen Ehepartners in einer konfessionverschiedenen Ehe verwirklicht sehen. Ein „geistliches Bedürfnis“ des evangelischen Partners würde somit schon ausreichen, im Einzelfall auch ihm die heilige Kommunion zu spenden.

Diese Auffassung der Mehrzahl der Bischöfe interpretiert Professor Hallermann allerdings in seiner Erklärung in den Gesetzestext hinein. Denn er behauptet: „Und sie (die Notwendigkeit) muss anders sein, nämlich nicht von außen verursacht, sondern von einem wirklichen geistlichen Bedürfnis. Weil der Gesetzestext diesbezüglich nicht differenziert, könne die Notwendigkeit und ihre Schwere subjektiv, das heißt von den einzelnen Gläubigen so empfunden werden.“ Doch wird durch das Hineininterpretieren eines schon vorgefaßten, von außen in einen Text hineingelegten Sinnes keine Gesetzesauslegung geleistet. Diese ist vielmehr das Erfassen der intrinsischen Bedeutung, des Sinnes eines Gesetzes. Und dazu gibt der Gesetzgeber selber dem Kirchenrechtler das Instrumentarium an die Hand.

Der Gesetzgeber fordert objektive Kriterien

Hat der Gesetzgeber tatsächlich auch eine nicht von außen verursachte, subjektiv empfundene Notwendigkeit gemeint? Tatsächlich hilft der relativ offene Begriff „schwere Notlage“ (so die amtliche Ãœbersetzung von gravis necessitas in  can. 844 § 4 durch die DBK) nicht weiter. Es ist ein Grundprinzip der Gesetzesinterpretation, dass bei einem zweifelhaften und dunklen Gesetzestext der Kirchenrechtler, dem die Aufgabe gestellt ist, das Gesetz zu interpretieren, auf Parallelstellen, den Zweck und die Redaktionsgeschichte des Gesetzestextes zurückzugreifen hat (vgl. can. 17).

Ein Blick in das Gesetzbuch zeigt: Der Begriff der „schweren Notwendigkeit/Notlage“ (gravis necessitas) kommt dort insgesamt viermal vor. Die für den can. 844 § 4 direkte Parallele findet sich in der Norm über die Bedingung für die Erteilung einer Generalabsolution. Das ist can. 961 § 1, 2°. Dort benennt der Gesetzgeber klipp und klar, wann eine „schwere Notlage“ die Generalabsolution rechtfertigt, nämlich nur dann, „wenn unter Berücksichtigung der Zahl der Pönitenten nicht genügend Beichtväter vorhanden sind, um die Bekenntnisse der Einzelnen innerhalb einer angemessenen Zeit ordnungsgemäß zu hören, sodass die Pönitenten ohne eigene Schuld gezwungen wären, die sakramentale Gnade oder die heilige Kommunion längere Zeit zu entbehren.“ Für den Gesetzgeber rechtfertigt nur Mangel an Priestern in einem bestimmten Gebiet die Erteilung der Generalabsolution. Ein solcher Mangel kann es in der Diasporasituationen etwa in Missionsgebieten oder in Ländern, in denen die Katholiken in der Minderheit leben, auftreten. Zugleich muss der Pönitent durch eine physische oder moralische Unmöglichkeit von einem persönlichen Bekenntis („Ohrenbeichte“) entschuldigt sein , wie sich aus can. 960 ergibt.

Dieser Paralleltext zu can. 844 § 4 zeigt, dass der Gesetzgeber bei einer „schweren Notwendigkeit“ objektive Umstände im Blick hat. Das wird nochmal bestätigt, wenn man sich die Quellentexte des can. 844 § 4 anschaut. Hier sind das Ökumenische Direktorium vom 17. Oktober 1967 und die Instruktion „In quibus rerum circumstantiis“ vom 1. Mai 1972 zu nennen. Beide Rechtstexte (zwar keine Gesetze, aber gleichsam Ausführungsbestimmungen für Gesetze) wurden vom damaligen Sekretariat für die Einheit der Christen erlassen. Gemäß dem Direktorium können evangelische Christen in Einzelfällen die heilige Kommunion empfangen in Zeiten von Christenverfolgungen (in persecutionibus) und bei Gefangenschaft (in carceribus). Die Instruktion nennt als Beispiel Diasporagebiete (diaspora), in die Christen gerade in Zeiten von Migrationen gelangen können.

Es geht um das Seelenheil

Fragt man nach dem Zweck der Norm des can. 844 § 4 (und auch des can. 961 § 1, 2° = Generalabsolution), dann ist deutlich, dass der Gesetzgeber getreu der Grundnorm des Seelenheiles, „das in der Kirche immer das oberste Gesetz sein muss“ (can. 1752), bei der Spendung der heiligen Kommunion auch an evangelische Christen das Seelenheil im Auge hat. Das ergibt sich bereits aus dem Ökumenismusdekret des Zweiten Vatikanischen Konzils, das umsetzen der Gesetzgeber bemüht war. Da heißt es:

„Man darf … die Gemeinschaft beim Gottesdienst (communicatio in sacris) nicht als ein allgemein und ohne Unterscheidung gültiges Mittel zur Wiederherstellung der Einheit der Christen ansehen. Hier sind hauptsächlich zwei Prinzipien maßgebend: die Bezeugung der Einheit der Kirche und die Teilnahme an den Mitteln der Gnade. Die Bezeugung der Einheit verbietet in den meisten Fällen die Gottesdienstgemeinschaft, die Sorge um die Gnade empfiehlt sie indessen in manchen Fällen. …“ (UR 8).

Es besteht im Hinblick auf das Seelenheil als das oberste Gesetz der Kirche kein Zweifel daran, dass evangelische Christen im Falle einer „schweren Notlage“ die heilige Kommunion als Gnadenmittel empfangen dürfen, wenn sie bezüglich der heiligen Eucharistie „den katholischen Glauben bekunden und in rechter Weise disponiert sind“ (can. 844 § 4).

Keine „schwere Notlage“

Als Ergebnis kann festgehalten werden: Sowohl die Parallel- und Quellentexte des can. 844 § 4 als auch der Zweck, den der Gesetzgeber mit dieser Norm vor Augen hatte, sehen nicht vor, dass einem evangelischen Partner in einer konfessionsverschiedenen Ehe die heilige Kommunion auch dann gespendet wird, wenn er ein „geistiges Bedürfnis“ empfindet. Ein rein subjektives Verständnis von „schwerer Notlage“ ist in can. 844 § 4 nicht gemeint. Es ist nicht einsichtig, wie eine konfessions- bzw. bekenntnisverschiedene Ehe potentiell eine „schwere Notlage“ bedeuten könnte, wenn sie doch nach den Worten von Papst Johannes Paul II. in „Familiaris Consortio“ „zahlreiche Elemente“ aufweist, „die es zu schätzen und zu entfalten gilt, sei es wegen ihres inneren Wertes, sei es wegen des Beitrages, den sie (die Ehepartner) in die ökumenische Bewegung einbringen können. Dies trifft insbesondere zu, wenn beide Ehepartner ihren religiösen Verpflichtungen nachkommen“ (FC, Nr. 78). Außerdem wird ein Ordinarius (oder in Deutschland ein Pfarrer) schwerlich in Verantwortung vor Gott und seinem Gewissen die Erlaubnis zu einer konfessionsverschiedenen Ehe nach can. 1125 des Gesetzbuches geben können, wenn er auch damit rechnen muss, dass eine solche eheliche Verbindung eine „schwere Notlage“ ist bzw. mit sich bringen könnte.

Konversion

Wenn ein evangelischer Christ ein „geistliches Bedürfnis“ nach der Eucharistie verspürt, sollte in einem Gespräch mit dem Seelsorger eine Konversion zur katholischen Kirche zur Sprache kommen. Das wäre die einzig richtige pastorale Lösung in einem solchen Fall. Denn durch die Konversion zur Katholischen Kirche wäre nicht nur die volle Einheit im Glauben der Ehepartner Realität, sondern der evangelische Partner wäre auch endlich voll eingegliedert in den Leib Christi, der in der Römisch Katholischen Kirche verwirklicht ist (subsistit) (vgl. UR Nr. 3  i.V.m. LG Nr. 8). Und die volle Eingliederung der getrennten Christen in den sichtbaren Leib Christi (Katholische Kirche) ist Ziel der Ökumene – einer Ökumene im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils (vgl. UR, Nr. 3). (Dazu mehr in meinem Beitrag: Ziel der Ökumene ist die „volle Eingliederung“)

Foto: Monstranz – Bildquelle: © Franziska Strecker, NIGHTFEVER Kassel

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