Karl V. wollte unbedingt in Aachen gekrönt werden

Aachen war seit Otto dem Großen die Krönungsstätte der deutschen Könige. Am 23.  Oktober 2020 jährt sich zum 500. Mal die Krönung Karls V. in der Stadt Karls des Großen. Von Gero P. Weishaupt
Erstellt von Gero P. Weishaupt am 21. Oktober 2020 um 15:43 Uhr
Kaiserthron im Aachener Dom

Aachen feiert. Anlass ist der 500. Jahrestag der Krönung Karls V. Er wurde am 23. Oktober 1520 in der Stadt Karls des Großen zum König des Heiligen Römischen Reiches gekrönt. Die Stadt am Dreiländereck von Deutschland, Belgien und den Niederlande veranstaltet unter anderem drei Sonderausstellungen zu diesem Jubiläum (siehe: Aachen ehrt Karl V.) . Damit rückt Aachen dieses Jahr auch als Krönungsstadt der deutschen Könige in den Fokus.

Der „richtige“ Ort

Als am 28. Juni 1519 die Kurfürsten in der Frankfurter Bartholomäuskirche Karl I, Herzog von Burgund, seit 1517 auch König von Spanien, als Karl V. zum König des Heiligen Römischen Reiches gewählt hatten, stand fest, wo der Gewählte gekrönt werden sollte: in Aachen. So war es schon seit 600 Jahren Tradition und seit beinahe 200 Jahren in der Goldenen Bulle von 1356 reichsrechtlich vorgeschrieben. Aachen war der einzig „richtige“, rechtmäßige Krönungsort des Reiches, die Stadt Karls des Großen war so gut wie konstitutiv für die gültige Königskrönung. So gut wie. Denn es gab auch begründete Ausnahmen, die Krönung an einem anderen Ort stattfinden zu lassen. So fanden ausnahmsweise Krönungen in Mainz, Bonn oder Goslaer statt. Im damaligen „Grundgesetz“, der Goldenen Bulle Karls IV., war jedoch Aachen als Krönungsort festgelegt. Mit der Krönung am „richtigen“ Ort war der Gekrönte mit dem Titel „Erwählter Römischer Kaiser“ zugleich Anwärter für die Krönung zum Kaiser durch den Papst in Rom, wenngleich Karl V. der erste König sein sollte, der nicht in Rom gekrönt wurde. Er wurde 1530  in Bologna zum Kaiser gekrönt.

Konnte eine Krönung wegen politischer Konstellationen oder anderer Umstände nicht in Aachen stattfinden, so wurde sie so bald wie möglich in Aachen nachgeholt. „Phillip von Schwaben (1198) und Friedrich II. (1212) wurden zuerst in Mainz gekrönt, legten aber beide großen Wert auf eine Wiederholung in Aachen, dem ‚echten‘ und richtigen Krönungsort. Auch Karl IV. ließ sich 1349 in Aachen noch einmal krönen, nachdem er als Gegenkönig zu Ludwig dem Bayern 1346 mit Bonn – so wie Friedrich  der Schöne 1314 – Vorlieb nehmen musste“( Jörg Rogge, Die deutschen Könige im Mittelalter. Wahl und Krönung, 2. Auflage, Darmstadt 2011, 94).

Nicht Köln, sondern Aachen

Die Krönung Karls V. war für den Herbst 1520 vorgesehen. Doch in Aachen herrschte zu diesem Zeitpunkt die Pest. Jetzt stellte sich die Frage, ob man unter solchen Umständen die Krönung in Aachen verantworten konnte, zumal eine große Menschenmasse erwartet wurde. War es da nicht besser, die Krönung an einem anderen Ort vorzunehmen? Karl V. wurde vorgeschlagen, die Krönungszeremonie nach Köln zu verlegen. Hatte sich doch schon Ruprecht von der Pfalz  1401 in Köln krönen lassen, weil die Stadt Aachen zu König Wenzel hielt. Köln schien zudem als Krönungsort geeignet und würdig, weil in der Stadt am Rhein jene Gebeine lagen, die man als die Gebeine der sogenannten heiligen drei Könige verehrte. Doch lehnte Karl V. eine Krönung in Köln ab.  „Am Morgen des 8. Oktober 1520 erklärt Karl, die Achtung vor der Überlieferung gebiete ihm, in dem durch Karls IV. Goldene Bulle festgelegten Krönungsort Aachen auch eine Krönung vollziehen  zu lassen. Auch der Einspruch verschiedener Kurfürsten, die für Köln sprechen, kann den König nicht von seinem Entschluss abbringen. Die Feier wird für den 23. Oktober anberaumt“ (Viktor Gielen, Im Banne des Kaiserdomes, Aachen 1978, 114). Aachen war dem designierten König aus Burgund und Anwärter auf das Kaisertum so wichtig, dass er die Wartezeit bis zum Ende der Pest in Kauf nahm. „Im Herbst war es endlich soweit. Karl konnte nach Aachen weiterreisen. Sein Einzug in die Krönungsstadt am 22. Oktober überbot alle Pracht und allen Glanz der burgundischen Joyeuse-Entreé-Feste wie der Inauguralfeierlichkeiten Spaniens“ (Hans Schilling, Karl V. – Der Kaiser, dem die Welt zerbrach, München 2020, 99).

„Erzstuhl des ganzen Reiches“

Aachen war der einzig „richtige“ Krönungsort, weil hier der Gründer des abendländischen Kaisertums seine Hauptpfalz errichtet und seine letzte Ruhestätte gefunden hatte. Der Bedeutung Aachens als Krönungsort des Reiches war sich Karl V. bewußt. „Aachen lebte in der Tradition, der Hauptort von Karl dem Großen gewesen zu sein. Das Zentrum der karolingischen Pfalz war die Kirche, ein oktogonaler Zentralbau, den Karl zwischen 786/94 und 800 errichten ließ. Noch an seinem Todestag, dem 28. Januar 814, wurde Karl in der Kirche beigesetzt. In die Tradition des Königtums des großen Karls stellte sich Otto I. mit seiner Krönung zum rex Romanorum im Jahr 936. Seitdem strebten die Nachfolger Ottos danach, ebenfalls in diese Tradition einzutreten und sich als Nachfolger des ersten nachrömischen, die Völker Europas vereinenden Herrschers zu stellen. Otto III. ließ im Jahr 1000 das Grab Karls öffnen und bestimmte für sich eine Grablege in der Kirche der Karolinger“ (Jörg Rogge, 94). In Aachen stand außerdem der Reichsthron, der sog. Karlsthron, den der Chronist Wipo um die Mitte des 11. Jahrhunderts totius regis achisolium,  „Erzstuhl des ganzen Reiches“, nannte.

Die Bedeutung Aachens als Krönungsort des Heiligen Römischen Reiches wuchs in der Zeit der Dynastie der Staufer. Am 29. Dezember 1165 veranlaßte Friedrich I. Barbarossa die Heiligsprechung Karls des Großen. Kirchenrechtlich nie anerkannt, weil Friedrich I. Barbarossa sie im Auftrag des Gegenpapstes Paschalis III. in Aachen durchführen ließ,  führte der Kanonisationakt dennoch dazu, dass die Bedeutung Aachens für das Königtum und das Reich wuchs. In der sogenannten „Barbarossa-Urkunde“, die im Zusammenhang mit der Heiligsprechung Karls des Großen am 8. Januar 1166 feierlich verkündet worden ist und mit der der Staufer Aachen mit besonderen Privilegien ausstattete,  bezeichnete Friedrich I. die Stadt Karls des Großen als ‚Haupt und Sitz des Reiches‘ (caput et sedes regni).

Von Gottes Gnaden

Von 936 (Otto I.) bis 1531 (Ferdinand I.) wurden in Aachen dreißig Könige und zwölf Königinnen gekrönt. Da Aachen bis 1804 zum Bistum Lüttich gehörte, das Teil der Kölner Kirchenprovinz war, wurde die Krönung durch den Erzbischof von Köln vorgenommen, in einzelnen Fällen auch vom Mainzer Erzbischof. „Der  ‚Ordo‘ der kirchlichen Weihe und Krönung war seit etwa 1300 in einem Pontifikale, also dem Zeremonienbuch für die Hand des amtierenden Erzbischofs, festgelegt. Danach fanden die feierlichen Handlungen im Rahmen einer Messe der Heiligen Drei Könige statt. Wie auch sonst bei kirchlichen Weihen ist die Weihehandlung zwischen der Lesung und dem Evangelium eingeschaltet“ (Walter Kaemmerer, Aachener Quellentexte, Bd. 1, Aachen 1980, 99 f.).

Die Krönungsfeier begann am Vortag mit dem festlichen Einzug des designierten Königs in die Karlsstadt. Kanoniker trugen ihm die Büste Karls des Großen entgegen, die ein Schädelreliquiar des Frankenherrschers birgt. Sie wird heute in der Domschatzkammer aufbewahrt. Karl der Große war bei der Krönung seines Nachfolgers gegenwärtig (Caroli praesentia), er legitimierte sie gleichsam. Der Nachfolger Karls des Großen verehrte bei seiner Ankunft das kostbare Reliquiar mit einem Kuss.  Danach besuchte der zum König Erwählte die Marienkirche, die ehemalige Pfalzkapelle Karls des Großen, die Krönungskirche des Reiches, den heutigen Aachener Dom.

Am folgenden Tag fand die Krönungsmesse mit eigenem Proprium statt. In ihr erfolgte die feierliche Salbung, Insignienübergabe und die Thronbesetzung. „An der Reichskrone (2. Hälfte 10. Jh.), die zu den Reichskleinodien (Herrschaftszeichen) zählt, findet sich auf der Emailplatte mit Darstellung des thronenden Christus der Spruch aus dem Alten Testament: ‚Per me reges regnant‘ – ‚Durch mich regieren die Könige‘ (Spr. 8, 15). Grundlegend ist die Verbindung zwischen dem alttestamentarischen israelitischen und dem christlich überhöhten Königtum des Mittelalters (‚conregnator Christi‘), die beide ihren transzendenten Ursprung in Gott haben (Ps 21). Der König ist Herrscher durch Gottes Gnade. Er weiß sich dieser höheren und letzten Instanz verantwortlich“ (Michael Tunger, A Deo coronatus. Mittelalterliche liturgische Gesänge der Aachener Krönungs- und Wallfahrtskirche, Aachen 2016).

Ein Krönungsmahl im Aachener Rathaus, Teil der ehemaligen Pfalz Karls des Große, beendete die Krönungsfeierlichkeiten.

Von Aachen nach Frankfurt

Die Krönung Karls V. war die vorletzte, die in Aachen stattfand. Sie war aber die glanzvollste, die Aachen je erlebt hat. Sein Bruder Ferdinand I. war der letzte, der den Thron Karls des Großen bestiegen hat. Mit der Krönung Maximilians II. 1562 beginnt die Frankfurter Krönungstradition. Sie sollte nur knapp 300 Jahre bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches 1806 dauern. Dass die Krönungen von nun an nicht mehr in der Stadt Karls des Großen, sondern in Frankfurt stattfanden, hat seinen Grund in einem Zufall. Logistische Überlegungen, aber auch konfessionelle Gründe kamen hinzu. Die näheren Hintergründe erfahren Sie in einem folgenden Beitrag des Autors hier bei Kathnews.

Foto: Karlsthron im Aachener Dom („Erzstuhl des Reiches“) – Bildquelle: German Wikipedia user Holger Weinandt

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