Der Römische Messritus in Entstehung und Ausbreitung bis zum Status von 1570 – Teil I

Pater Uwe Michael Lang CO, Priester des London Oratory, vermittelt in einem neuen Buch entscheidende Einsichten und Klärungen. Eine Rezension von Clemens Victor Oldendorf.
Erstellt von Clemens Victor Oldendorf am 6. Februar 2023 um 17:47 Uhr

Der aus Nürnberg gebürtige, ursprünglich lutherische Konvertit zum Katholizismus, Uwe Michael Lang (*1972), der als Priester dem Brompton Oratory in London angehört, wo er lebt und wirkt, hat Ende September vergangenen Jahres ein beachtliches neues Buch vorgelegt. Dargestellt wird die Entwicklung der römischen Liturgie der Messe bis zum Missale Romanum und bis zu dessen erstmaligem Erscheinen unter dieser Bezeichnung als Editio typica von 1570. Die eingenommene historische Perspektive auf die betrachtete Zeitspanne und die Selbstbescheidung des Autors in der zu bearbeitenden Fülle seines Materials und Themas bewirken, dass die Formung der römisch-gregorianischen Messe bis zu dem Stadium nachgezeichnet wird, in dem sie erstmals zentral kodifiziert und so normiert wurde, um das Ergebnis berechtigterweise tridentinische Messe nennen zu können.

Von vornherein tritt Lang damit also formal nicht in aktuelle Diskussionen ein, die die letzte, sich auf den Reformauftrag des Konzils von Trient (1545-1563) beziehende Editio typica betreffen, das MR1962, oder in Kontroversen, welche die Frage erörtern, ob seit Inkrafttreten der Liturgiereform Pauls VI. nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) weiterhin Messfeiern nach dem MR1962 möglich sein sollen oder doch endgültig überholt sind. Noch weniger beteiligt er sich an Diskussionen, die die allgemeine Verfassung der Liturgie und ihren konkreten Zustand nach der Reform von 1970 problematisieren. Wenn auch überwiegend vor Traditionis Custodes entstanden – erste Vorarbeiten und Grundlagen des Buchmanuskripts reichen auf Vorlesungen zurück, die Uwe Michael Lang vor zehn Jahren in Birmingham gehalten hat[1] – ist The Roman Mass dennoch erst deutlich nach dem Dies horribilis des 16. Juli 2021 erschienen.

I.) Die Wahl des Buchtitels ist da trotz seiner vom Verlag, der Cambridge University Press, gewünschten Knappheit durchaus Statement und trifft eine Aussage, worin man nach der Lektüre von Langs Monographie eigentlich in erster Linie und mit Überlegenheit, auf jeden Fall aber auch einen vollwertigen Ausdruck des Römischen Ritus zu erblicken hat. Das wird zusätzlich deutlich in einem Nachruf, den Uwe Michael Lang aus Anlass des Ablebens Papst Benedikts XVI. speziell dem liturgischen Erbe, das dessen Pontifikat hinterlässt, gewidmet und den er publiziert hat, noch während sein Buch von mir gelesen und an dieser Buchbesprechung gearbeitet wurde. In seinem Nachruf schreibt er unter anderem: „Ratzingers Analyse der Sichtweise [auf die Liturgie, Anm. C. V. O.] stellte die Ambivalenz eines liturgischen Purismus heraus, der zwischen der Wiederbelebung eines vermeintlich Goldenen Zeitalters (sei es nun vorkarolingisch oder vornizäisch angenommen) und einem [zwanghaften, Anm. C. V. O.] Drang zur Neuerung oszillierte. Was dabei an den Rand gedrängt wurde und wegfiel, waren das geschichtliche Wachstum und die Entwicklung, die die Liturgie während des Mittelalters und in der Barockzeit erlebt und so eine Tiefe und Reife gewonnen hatte, von denen man nicht leichtfertig absehen kann. Es ist die organische und bisweilen verschlungene Geschichte der katholischen Liturgie, welche viele Generationen von Christen genährt hat, einschließlich ihrer größten Heiligen.“[2]

Mit dieser Bemerkung spielt Lang auf das Narrativ an, das vor allem Josef Andreas Jungmann in seinem verdientermaßen einflussreichen, zweibändigen Standardwerk Missarum Sollemnia begonnen und grundgelegt hat und das besagt, eine ursprüngliche und reine Vorstellung und Gestalt der Eucharistie und ihrer Feier, wie die Spätantike sie besessen habe, habe sich seitdem in fortgesetztem Verfall und Niedergang befunden.[3]

Uwe Michael Langs Ansatz und Zielsetzung in Abgrenzung von jenen anderer Autoren

Langs Anspruch ist es mit The Roman Mass weder, mit Jungmanns detailreicher Gelehrsamkeit noch mit der Fülle an Primärquellen, die sein Werk nach wie vor unverzichtbar macht, in Wettstreit zu treten. Was er allerdings ganz gewiss anstrebt, ist es, dem genannten Narrativ vom kontinuierlichen Zerfallsprozess liturgischer Gestalt ein Korrektiv entgegenzustellen, das im Werden liturgischen Ausdrucks und stilisierter Sprache wie hieratischer Geste (Kultsprache und Ritus) nicht bloß negativ ein fortgesetztes Vergehen und den Verlust eines ursprünglichen Idealzustandes wahrnehmen kann, sondern mindestens gleichberechtigt ebenso ein Werden und Entstehen hin zu einem Stadium der Reife und Hochblüte, welches einen Standard setzen konnte, der dann nach dem Konzil von Trient erstmals von seinem Ursprungsort und Zentrum aus als Römischer Ritus festgeschrieben wurde.[4]

Dabei unterscheiden sich Langs Ansatz und Zielsetzung nicht etwa nur von denen Jungmanns, sondern etwa auch von denen Michael Fiedrowiczs in dessen Buch Die überlieferte Messe. Geschichte, Gestalt und Theologie des klassischen römischen Ritus[5]. Lang hat das Erscheinen einer englischen Ausgabe unter dem Titel The Traditional Mass. History, Form and Theology of the Classical Roman Rite[6] ausdrücklich begrüßt: „Dieses historisch stringente und theologisch wohlinformierte Buch ist unerlässlich für jeden, der sich um die liturgische Vision Benedikts XVI. bemüht. Ich bin erfreut, dass diese herausragende Einführung in die traditionelle Form des Römischen Ritus nun auch für englischsprachige Leser verfügbar ist.“[7]

Die Differenz liegt in diesem Falle indes wohl schon in den jeweiligen Anliegen der Autoren Fiedrowicz und Lang. Lang widmet der geschichtlichen Entwicklung bis zum Jahre 1570 sein gesamtes Buch mit 392 Seiten reinem Text zuzüglich Bibliographie und Stichwortverzeichnis. Zieht man Fiedrowiczs Werk zum Vergleich heran, so ist der geschichtliche Werdegang bis zum genannten Stichjahr nur ein einzelner Aspekt im Aufbau der gesamten Darstellung und umfasst bei insgesamt 307 Seiten Text (wiederum zuzüglich Bibliographie und Indices) lediglich 34[8] Seiten der englischen Ausgabe. Freilich ist der essentiellere Unterschied, wie sich im weiteren Verlauf dieser Rezension zeigen wird, ein anderer und vermutlich der Grund, weshalb sich Lang in seinem gesamten Buch nicht ein einziges Mal auf Fiedrowicz bezieht und man dessen Buch folglich auch in Langs Bibliographie vergeblich sucht.

Eine erste Übersicht über Aufbau und Struktur der Neuerscheinung

The Roman Mass gliedert sich in neun Kapitel, die jeweils in einer Schlussfolgerung[9] zusammengefasst werden. Den Kapiteln geht eine Einleitung[10] voraus, aus der man als Rezensent einen guten Eindruck vom Aufbau des Buches, von der Motivation des Autors und seinen Schwerpunkten bekommt, aus der aber auch jeder Leser gleich schon einen gedanklichen Überblick, über das, was ihn erwartet, gewinnen kann und erfährt, worin Uwe Michael Lang gegenüber vorausgegangenen ähnlichen Abhandlungen das Charakteristikum seiner eigenen Studie sieht und wo er selbst deren größtes Potential vermutet, weiterführende, neue Einsichten zu eröffnen und die Diskussion voranbringen zu können. Eine Besonderheit, die zugleich als spezifischer Vorzug von Langs Annäherung an sein Thema hervortritt, ist der Stellenwert, den er neueren und direkt aktuellen Strömungen und Erkenntnissen der neutestamentlichen Exegese und Bibelwissenschaft etwa vor systematisch-dogmatischen Konsensen (oder Dissensen) sowie ebenso vor oft etabliert geglaubten liturgiewissenschaftlichen Gewissheiten einräumt: „In der römischen Tradition ist die Messe fest verwurzelt in den Worten und Handlungen Jesu ‚am Tage, bevor er verraten wurde‘ (pridie quam pateretur), wie der Kanon der Messe die Wandlungsworte einleitet. Daher habe ich es als notwendig erachtet, dieses Buch mit einer kritischen Erörterung der Abendmahlstradition in ihrer Beziehung zu frühchristlicher Eucharistiepraxis zu beginnen. Diese ersten beiden Kapitel zu Beginn waren beim Schreiben die mich am meisten herausfordernden und werden sich wahrscheinlich als die ertragreichsten erweisen. Die jüngste Forschung hat ein hochdiverses Bild der frühen Christenheit gezeichnet, und die Ursprünge der Eucharistie sind einer bis an ihre Wurzeln reichenden Infragestellung ausgesetzt worden. Auf der anderen Seite wird das erste Kapitel sichtbar machen, dass die Vertreter der neutestamentlichen Exegese inzwischen zur zentralen Wichtigkeit der Abendmahlstradition für die Gestaltfindung der frühchristlichen Eucharistie größeres Zutrauen als Liturgiehistoriker aufbringen. Im Lichte dieser bibelwissenschaftlichen Einsicht finde ich Theorien unhaltbar, die die Einsetzungsworte innerhalb der Eucharistiegebete als gar erst im vierten Jahrhundert vorgenommene, spätere Interpolationen betrachten.“[11]

Bereits diese knappen Zitate lassen erkennen, wie Lang sich ohne Scheu der schwierigen Komplexität der Forschungslage stellt, ohne sie aus Rücksicht auf Erwartungshaltungen einer bestimmten Klientel von Lesern vorsorglich zu harmonisieren oder ihre Existenz überhaupt auszublenden und zu verschweigen. Entsprechend fährt Lang fort: „Das zweite Kapitel ventiliert notwendigerweise unvollständig die Eucharistie in den ersten drei Jahrhunderten der Kirche. Die vorhandenen Quellen sind wenige, sie liegen weit auseinander, und während sie einige Antworten bieten, lassen sie uns dennoch mit weit mehr Fragen zurück.“[12] Die Offenheit, mit der Lang mit einem solch vielschichtigen und dabei lückenhaften Befund für die ersten drei Jahrhunderte umgeht, ist wohltuend und entspannend, gleichermaßen aber in ihrer Ehrlichkeit ungewöhnlich und überraschend für das behandelte Thema und sicherlich erst recht für Teile des angesprochenen Adressatenkreises. Denn er macht deutlich, dass die in altrituellen Kreisen volkstümlich gern verbreiteten Vorstellungen von einer Messe aller Zeiten in der Tat etwas zu optimistisch und vereinfachend sind, dass aber auch, über dieses konkrete, liturgische Thema hinaus, intellektuell stärker reflektierte Ansätze, beispielsweise Ratzingers Kontinuitätsbegriff, in ihrer ungebrochenen geschichtlichen Rückführbarkeit vor Problemen stehen, die keineswegs bis zum allerersten Glied der angenommenen Kette zurückverfolgt und gelöst werden können. Letztlich tritt so selbst der axiomatische Charakter der dogmatisch verbindlichen Annahme[13] der apostolischen Sukzession zutage, die in einem chronologisch-empirischen Sinne geschichtlich nicht bis an ihren Anfang greifbar wird und folglich in diesem frühen Stadium nüchtern als nachträgliche Projektion eingestuft werden muss.

Ein gegensätzlicher Umgang mit diesen Schwierigkeiten kennzeichnet die vorhin zur Sprache gebrachte Differenz der Zugänge, die Fiedrowicz und Lang wählen. Gewiss sind die Probleme in der Quellenlage Fiedrowicz genauso bewusst wie Lang, doch anders als dieser gibt Fiedrowicz sie beinahe nur versteckt zu und scheint überspielen zu wollen, was sich nicht bis ins Letzte überbrücken lässt. Bei einem Blick in die englische Ausgabe seines Buches findet man nämlich, dass die Anfänge der liturgischen Entwicklungsphasen in Parenthese zwar im 2. und 3. Jahrhundert angesiedelt werden[14], in der Schilderung jedoch trotzdem recht stromlinienförmig mit dem Letzten Abendmahl beginnen. Vor allem aber postuliert Fiedrowicz leichthin eine Einheit im Typus der eucharistischen Liturgie der ersten drei Jahrhunderte, die sich mangels Quellen weder be- noch widerlegen lässt: „Die Einheit der Liturgie der ersten drei Jahrhunderte war eine [Einheit des, Anm. C. V. O.] Typus“[15], behauptet Fiedrowicz lakonisch. Ähnlich apodiktisch geht er davon aus, dass das Letzte Abendmahl „der Abfolge des Ritus des jüdischen Paschamahles“[16] folgte.

Abendmahlstradition und anfängliche eucharistische Gestaltsuche

Beiden Aspekten, der Abendmahlstradition in ihrer Bedeutung für die Ausbildung der Eucharistie sowie ihrer liturgischen Gestalt in der frühen Kirche, widmet Lang die ersten beiden Kapitel von The Roman Mass. Er selbst sah darin bei der Abfassung des Buches, wie bereits zitiert, seine größte Herausforderung. In einem gewissen Vorgriff sei an dieser Stelle als Beleg für Langs unzweifelhaft immer wieder angestrengtes Ringen um ein sachgerechtes, differenziertes Urteil ein Zitat angeführt, das in Zusammenhang mit der Frage steht, ob das Letzte Abendmahl ein Paschamahl gewesen ist: „Während ich es als wahrscheinlicher erachte, dass das Letzte Abendmahl kein Paschamahl im eigentlichen Sinne gewesen ist, ist das Naheverhältnis [oder die zeitliche beziehungsweise motivische Umgebung, in der sich Jesu Abendmahl zum Pascha verhält, Anm. C. V. O.] signifikant und stellt den theologischen Kontext zur Verfügung, um die neue, von Jesus gestiftete Wirklichkeit zu verstehen.“[17] In dieser Haltung, die nichts einfach als konventionelle Gegebenheit voraussetzt oder vermeintlich bequem und fraglos auf in Wirklichkeit im Unklaren liegende, vage Anfänge projiziert, besteht der deutlichste Eigenwert und Vorteil von Langs The Roman Mass gegenüber bisherigen Studien zur Thematik des überlieferten Römischen Ritus der Messe in der Gestalt, wie er sie bis zum Konzil von Trient gewonnen und infolge des Reformmandates dieses Konzils im MR1570 angenommen hat.

Einsetzungsberichte der Synoptiker, im Ersten Korintherbrief und die Sonderstellung des Johannesevangeliums

Deswegen soll diesen beiden Aspekten und Kapiteln im folgenden unsere größte Aufmerksamkeit zugewandt sein: Die Annäherung gilt im ersten Kapitel der Abendmahlstradition, bei den Synoptikern (vgl. Mt 26, 26-29; Mk 14, 22-25, Lk 22, 14-20) und innerhalb des paulinischen Briefkorpus (vgl. 1 Kor 11 23-26) den Einsetzungsberichten[18], respektive im Evangelium des Johannes der Brotrede Jesu in Joh 6, 22-59[19], die im vierten Evangelium gewissermaßen[20] einen Einsetzungsbericht vertritt oder mehr oder minder dessen Funktion übernimmt: „Die Abwesenheit eines Einsetzungsberichtes im Johannesevangelium bedeutet freilich nicht, dass die Eucharistie den johanneischen Gemeinden unbekannt gewesen wäre. Ein starker Hinweis ist im Gegenteil das Lehrgespräch über das Brot des Lebens (Joh 6, 22-59), die Brotrede, die Jesus in der Synagoge von Kafarnaum kurz vor dem Paschafest und nachdem er die Fünftausend gespeist hat und auf dem See Genezareth gewandelt ist, gehalten hat.“[21] Ganz so erstaunlich wie es zuerst anmutet, ist es allerdings nicht, sich vorzustellen, dass die Eucharistie anfänglich kein Gemeingut aller Gemeinden der entstehenden Christenheit gewesen sein könnte. „In der jüngsten Forschung gibt es eine starke Tendenz, die Diversität der sich bildenden Christenheit zu unterstreichen und überkommene Positionen zu den Ursprüngen der Eucharistie infrage zu stellen.“[22] Vor allem artikulieren sich Überlegungen, in denen jedenfalls die Abendmahlstradition nicht monokausal für die Entstehung der Eucharistie angesehen wird, von der man vielmehr annimmt, die Stränge zweier Mahlpraktiken Jesu seien darin miteinander  verflochten worden, nämlich zusätzlich zum Abendmahl und diesem sogar vorgelagert das Brotbrechen (Apg 2, 46) in Jerusalem, das als „nachösterliche Fortsetzung der von Jesus während seines öffentlichen Wirkens unter seinen Jüngern begonnenen Tischgemeinschaft verstanden wird, die nun in freudiger Erwartung auf seine Wiederkunft ausgerichtet ist.“[23]

Kanonische Evangelien als zuverlässige Zugänge zur historischen Gestalt Jesu; rabbinische Muster als traditions- und liturgiebildend

Dieser Vielschichtigkeit stellt Lang gleichwohl ein ausgleichendes Argument zur Seite, nämlich das von der Skandinavischen Schule der Bibelexegese um Harald Riesenfeld und Birger Gerhardsson vorgebrachte einer grundsätzlichen Zuverlässigkeit der kanonischen Evangelien als Quellen zu Jesus als historischer Gestalt. Was in diesem Zusammenhang die Ausbildung der liturgischen Tradition insgesamt und für das von Lang behandelte Gebiet besonders die eucharistischen Texte und Riten und deren Bezeugung angeht, ist der Hinweis beachtlich, den Lang im Anschluss an Riesenfeld für die entstehenden christlichen Gemeinden macht: „Indem man rabbinischen Vorbildern folgte, wurde die Übermittlung religiöser Lehren von wohlverankerten Methoden und Techniken gelenkt, allem voran solchen [von Wiederholung und Auswendiglernen, Anm. C. V. O.] zur Gedächtniseinprägung. Riesenfeld zufolge war einer der privilegierten loci, die der Weitergabe der Christustradition dienten, deren Rezitation und Verkündigung im Gottesdienst.“[24] Damit verringert sich etwas der Hiatus, der zwischen den Anfängen und der Verschriftlichung und Überlieferung liturgischer Texte zusammen mit dem, was man später als Rubriken bezeichnet, besteht und der nicht völlig zu überbrücken ist. Dieser Abstand reduziert sich weiter, wenn man mit Lang bedenkt: „Die Herrenworte zur Einsetzung [der Eucharistie, Anm. C. V. O.] sind somit beispielhafte Belege, die eines der Hauptkriterien erfüllen, um Worte und Taten, die dem historischen Jesus zuzuschreiben sind, zu bestimmen […], nämlich das Kriterium ‚mehrfacher Bezeugung‘. Es ist beachtenswert, dass dieses Kriterium für gewöhnlich auf ,allgemeine Motive und Prägungen‘ angewandt wird, wie etwa auf Reich Gottes; hier aber stehen wir ‚präzisen Aussprüchen und Handlungen‘ gegengenüber, ,wo man normalerweise keine solch große Bandbreite an Bezeugungen erwarten kann‘“[25], führt Lang weiter aus, sich diesmal auf John P. Meier stützend.

Entspannung und Korrektur in der Frage nach der Bedeutung des pro multis

Zur in lehrmäßig und liturgisch dezidiert traditionsorientierten Kreisen viel und bisweilen hitzig diskutierten Frage, welche Aussage mit der Prägung pro multis im Kelchwort getroffen wird, erinnert Lang mit Rudolf Pesch daran, dass „das Letzte Abendmahl im dezidierten Unterschied zu andren Mählern Jesu speziell im Zwölferkreis der Apostel gehalten wird, welche die Zwölf Stämme Israels repräsentieren (von welchen die meisten seit der assyrischen Invasion und dem Verlust des Nordreichs im 8. vorchristlichen Jahrhundert verschwunden waren). Von diesem Hintergrund her ist es ein Bund, der zur eschatologischen Wiederherstellung Israels von Jesus eingesetzt wird, indem er den Zwölf den Kelch reicht. Indes werden, wie Helmut Hoping bemerkt, ;indirekt ebenfalls die Heidenvölker einbezogen, insofern Israels Erwählung präzise in der Berufung besteht, ein Zeichen für die Nationen zu sein (vgl. Is 56, 7; Mk 11, 17), so dass wir sagen können, dass Jesus nicht nur für Israel stirbt, sondern (auch) für die Heiden‘. Aus diesem Kontext erklärt sich, dass Jesus hier nicht über die Frage sprach, ob viele oder alle gerettet werden. Jesu Beschreibung des eschatologischen Festmahls im Reiche Gottes ,mit Abraham, Isaak und Jakob‘ (Mt 8, 11 und entsprechend Lk 13, 28) stellt klar, dass nicht alle daran teilnehmen werden. Solche und andere biblische Hinweise speisen die in der Systematischen Theologie zu führende Diskussion über das universale Heilsangebot und seine konkrete Verwirklichung, sie haben allerdings keine unmittelbare Auswirkung auf das Verständnis (und die [sachlich angemessene, Anm. C. V. O.] Übersetzung) der Einsetzungsworte.“[26] Diese Stellungnahme Langs wird eventuell traditionalistischen Widerspruch oder Unwillen hervorrufen, ganz ähnlich wie die Feststellung Stefan Heids, dass die (geographisch tatsächliche oder rein ideell-liturgische) Ausrichtung gen Osten bei der Zelebration der Eucharistie isoliert für sich genommen noch nichts für oder wider den Opfercharakter ihrer Darbringung aussagt.[27]

Letztes Abendmahl im Kontext und in der Atmosphäre des Paschamahles

Kommen wir an diesem Punkt angelangt zurück auf den Paschacharakter oder zumindest auf die Paschaatmosphäre des Letzten Abendmahles und der sich daraus bildenden Eucharistie, lässt sich mit Lang festhalten: „Das neue Pascha ist Jesu Opfertod, welcher die Bedeutung des alten Pascha erfüllt und überschreitet. Dies befindet sich auch in Übereinstimmung mit 1 Kor 5, 7: ,Christus, unser Paschalamm, ist geopfert worden.‘ Der Gehalt des neuen Pascha wird bezeichnet, wenn Jesus mit seinen Jüngern Brot und Wein teilt und diese [Elemente des Mahls, Anm. C. V. O.] als seinen Leib und sein Blut identifiziert.“[28] Und: „Der sakrifizielle Charakter der Einsetzungsworte bot den frühen Christen den Deutungsschlüssel, um das kultische Mahl zu verstehen, das im Begriff war, zum Herzstück ihres Gottesdienstes zu werden.“[29] Diese Aussage dient als Ausgangspunkt der weiteren Schilderung Langs und kann bestehen, wenn man sich bewusst wird, „dass jede Lesart des Letzten Abendmahls als Paschamahl anerkennen muss, dass unser Wissen über die jüdische Mahlpraxis zur Zeit Jesu wesentlich begrenzter ist, als häufig vorausgesetzt wird. Jüdische Quellen, die Einzelheiten des Paschamahles oder anderer ritueller Feiern beschreiben, sind erheblich später als das neutestamentliche Material und können als solche nicht einfach benutzt werden, um Licht auf das Letzte Abendmahl oder, soweit diese betroffen ist, auf die früheste, christliche Eucharistie zu werfen.“[30] Hinzu kommt: „Aus Sicht des Historikers sind vielleicht die Schwierigkeiten[31] die stärksten Argumente gegen den Paschacharakter des Letzten Abendmahles, die dadurch für die zeitliche Chronologie und Handlungsabfolge in den Ereignissen der Passion Christi geschaffen würden.“[32]

Den zunächst rein mündlichen Charakter liturgischer Überlieferung und Praxis konsequent ernstnehmen

Um sich gedanklich in die Nähe der Eucharistiefeiern der frühen Christengemeinden zu versetzen, muss man sich vor Augen führen, dass die Eucharistie „durch die apostolische Tradition gestaltet wurde, welche anfänglich nicht unter Bezugnahme auf schriftliche Texte (diejenigen des erst im Entstehen begriffenen biblischen Kanons einmal ausgenommen) weitervermittelt wurde, sondern in Treue zu mündlicher Belehrung, wofür eine gemeinschaftliche Erinnerung eine spezifische Rolle gespielt hat.“[33] Man erinnert sich bei dieser Bemerkung alsbald zurück an die von Lang schon vorher hervorgehobene Bedeutung der Anknüpfung, die die ersten Christen an die Techniken einer dezidiert jüdisch-rabbinischen Kultur beibehielten und so , wie der Hintergrund, aus dem sie herauswuchsen oder vor dem sie entstanden, als soziales Gebilde auch selbst charakteristisch zu einer Gedächtnisgemeinschaft wurden.[34] Dabei ist es angesichts beliebter Denkmuster der überlieferten Messe verbundener Personen für viele von diesen sicherlich ernüchternd, wenn Lang feststellt: „Die Natur der mündlichen Überlieferung selbst lässt die Anstrengungen des Historikers um Rekonstruktion [ursprünglichster, originärer liturgischer Texte und Riten] scheitern; unser Wissen hinsichtlich der liturgischen Praxis der frühesten Zeit ist sehr begrenzt, und ein großer Teil der wissenschaftlichen Forschung auf diesem Gebiet bleibt rein hypothetisch.“[35] Um dennoch die unterschiedlichen Quellgründe der Eucharistie und ihrer liturgischen Gestalt in deren Embryonalstadium wenigstens nährungsweise anzugeben und aufzuspüren, wendet sich Uwe Michael Lang im weiteren Fortgang seiner Abhandlung dem Tempelkonnex zu, in dem allgemein Jesus selbst steht und sich versteht (vgl. Joh 2, 19), der sich aber insbesondere zum Geschehen des Letzten Abendmahles sehen lässt und dieses wiederum einbettet in den größeren Kontext jüdischer Tempelfrömmigkeit und –spiritualität, die sich bereits in der Spätzeit des Herodianischen Tempels deutlich artikuliert und ausprägt und der im Jahre 70 n. Chr. zerstört wird.[36]

Jüdische Tempelspiritualität, Hebräerbrief und Apokalypse des Johannes als eucharistische Referenzpunkte

Etwas verwunderlich ist es, wenn Lang an dieser Stelle ganz darauf verzichtet, sich auf die ergiebige Publikation Margaret Barkers zum Themenkreis der Tempelmotivik für den anfänglichen christlichen Gottesdienst zu beziehen.[37] Unser Autor nimmt kultische Anspielungen im Hebräerbrief und in der Apokalypse des Johannes näher in den Blick und konstatiert dazu: „In beiden Fällen ist die Bestimmung von solch liturgischem Material [das in beiden neutestamentlichen Schriften verarbeitet oder vorausgesetzt wird, Anm. C. V. O.] weit davon entfernt, eindeutig zu sein und somit in der zeitgenössischen Exegese umstritten. Nichtsdestoweniger bestätigen diese biblischen Bücher den Tempel als Bezugsgröße für eucharistische Feiern in den Ortskirchen des 1. Jahrhunderts.“[38]

Was den Hebräerbrief betrifft, hätte Lang zweifelsohne auch Valentin Thalhofer einbeziehen können, der im 19. Jahrhundert auf den Hebräerbrief gestützt eine ganz eigenständige Theorie des Messopfers entwickelte.[39] Deren Besonderheit liegt darin, das himmlische Opfer, das Hebr 8, 1-6 beschreibt, ebenfalls substantiell mit dem Opfer von Golgota zu identifizieren und es als Ermöglichungsgrund für jedes einzelne auf Erden dargebrachte Messopfer sozusagen als Bindeglied zum Kreuzesopfer zwischenzuschalten[40]: „In der Consecration tritt nun der himmlische Hohepriester und mit ihm sein himmlisches Opfer in die irdische Zeiträumlichkeit und dadurch in das irdische Nach- und Nebeneinander ein; während er beim Aussprechen der Wandlungsworte in Form der Trennung, in forma sacrificii sich auf dem Altare gegenwärtig setzt, vollzieht er auf dem Altare, also zeiträumlich, dem Wesen nach ganz denselben Opferact, welchen er einst am Kreuze vollzog und welchen er jenseits im himmlischen Opfer vollzieht.“[41] Niemand muss sich unbedingt oder in jeder Einzelheit und Schlussfolgerung dieser an sich sehr reizvollen Theorie anschließen, um nicht doch aus Thalhofers damaliger Untersuchung zahlreiche Anregungen und Denkimpulse schöpfen zu können. Jedenfalls finden wir in Thalhofer einen Autor, der vom liturgischen Charakter des Hebräerbriefes und von dessen Verankerung im jüdischen Tempelkult völlig überzeugt ist.

Lang seinerseits stellt fest: „Der Autor des Briefes [nämlich des Hebräerbriefes, Anm. C. V. O.] identifiziert das priesterliche Opfer Jesu Christi mit seiner Selbsthingabe am Kreuz“, dann macht Lang sofort aber aufmerksam: „Das lässt die Schwierigkeit entstehen, dass der Tod Jesu im Kontext des Opferkultes des Zweiten Tempels nicht als ein Opfer verstanden werden konnte. Jesus wurde von den römischen Autoritäten als gewöhnlicher Krimineller außerhalb der heiligen Stadt hingerichtet, und sein Tod schloss keinerlei priesterlichen Ritus ein. Daher schlägt Albert Vanhoye vor, dass die Quelle für ein Verständnis des Todes Jesu als Opfer in den Einsetzungsworten beim Letzten Abendmahle zu finden ist, namentlich im Zitat der mosaischen Prägung Blut des Bundes aus Ex 24, 8.“[42]

Es folgt die ebenso deutliche wie nüchterne Bestandsaufnahme: „Es besteht unter Neutestamentlern kein Konsens“, dass „im Hebräerbrief eucharistische Bezüge hergestellt werden“[43]. Doch auch hier hätte Uwe Michael Lang durchaus mit Nutzen auf Thalhofer als auf einen Autor zumindest hinweisen oder sogar selbst auf ihn zurückgreifen können, der diese Bezüge mit voller Entschiedenheit verteidigt, auch wenn der 1891 verstorbene Theologe und Liturgiker, dessen Geburtstag sich in zwei Jahren, am 21. Januar 2025, zum 200. Mal jährt, kein zeitgenössischer Exeget ist und infolgedessen Details seiner Argumentation und Auslegung nicht mehr bedingungslos überzeugen mögen. Das war aber auch schon beim Erscheinen seines Buches vor mehr als hundertfünfzig Jahren und beim Nachwirken von Thalhofers These nicht anders.

Zur Datierungsfrage des Hebräerbriefes äußert sich Lang nicht definitiv, scheint aber eine relativ frühe Datierung jedenfalls vor der Zerstörung des Zweiten Jerusalemer Tempels eher zu favorisieren[44], vermutlich ausschlaggebend deswegen, weil damit logischerweise die noch bestehende Präsenz und Konkurrenz des mosaischen Opferkultes im Tempel einhergegangen wäre, was dessen unterlegene Effizienz gegenüber der ein für allemal bestehenden Wirksamkeit des Opfers Christi (vgl. Hebr 9, 12) schärfer akzentuiert, als wenn die immerwiederkehrenden Opfer im Tempel zu Jerusalem infolge von dessen Zerstörung bereits als erloschen und sogar undurchführbar vorauszusetzen wären. In dieser voneinander zutiefst verschiedenen Wirksamkeit besteht die entscheidende Differenz des neuen zum alten Bunde, nicht etwa im Verzicht auf alle äußeren und materiell verkörperten Opferriten, wie aus dem gesamten 6. Kapitel des Hebräerbriefes erhellt.[45]

Mit der Geheimen Offenbarung nimmt Lang die Visionen des Johannes auf Patmos hinzu, schickt allerdings wieder sehr vorsichtig voraus: „Es ist offenkundig, dass das Buch der Offenbarung liturgische Sprache in sich schließt, aber der tatsächliche Gebrauch dieser eingestreuten Texte im Gottesdienst kann schwerlich nachgewiesen werden“[46], bestätigt aber eucharistische Anklänge in Offb 2, 17 und Offb 3, 19.[47] Diese Zurückhaltung sollte von der Leserschaft meines Erachtens positiv bewertet werden – als Indiz dafür, dass Lang grundsätzlich aufrichtig bemüht ist, nicht vorgefasste Interessen oder Absichten seiner Argumentation, etwa bestimmte konfessionelle Vorentscheidungen, in die biblischen Grundlagen hineinzulesen, also generell als Beleg seines wissenschaftlich redlichen Umgangs mit Quellen insgesamt, seien es biblische Zeugnisse oder solche anderer Art.

Reich entfaltet Lang indes die aus dem Tempel und seinem Kult bezogene Bildsprache des finalen neutestamentlichen Buches, „die sich prominent in den Visionen des Sehers zeigt, beispielsweise in Offb 7, 15; Offb 11, 1 und Offb 14, 15. In der letzten Vision des himmlischen Jerusalem in Offb 21, 15-21 ist die Vermessung der heiligen Stadt eine Reminiszenz an die Maßangaben zum Tempel bei Ezechiel in den Kapiteln 40 bis 42. Diese heilige Stadt bedarf keines Tempelgebäudes, denn ihr Tempel ist Gott der Allmächtige und das Lamm (Offb 21, 22). Das Lamm ist ein christologisches Bild: Die Tatsache, dass es geschlachtet wurde (neben anderen Stellen vgl. Offb 5, 12 und Offb 13, 8), dass sein Blut erlösende Kraft besitzt (vgl. Offb 7, 14), bezieht sich auf den Tod Jesu am Kreuz und führt Anspielungen auf das geopferte Paschalamm mit sich. Zur gleichen Zeit steht das Lamm (vgl. Offb 5, 6) und ist inmitten von Gottes Thron, wodurch die Auferstehung und Verherrlichung Christi angezeigt werden.“[48] „Die Wichtigkeit der Vorstellungswelt des Tempels und des Opfers für die frühe Christenheit“[49] erschließt sich für Lang im Kontext der schon beschriebenen Tempelfrömmigkeit in der Spätphase des Zweiten Tempels, „was jedoch nicht bedeutet, eine ungebrochene Kontinuität zwischen der Kultur des jüdischen Tempels und frühchristlicher Liturgie zu suggerieren.[50] […] Jesu eigene Beziehung zum Jerusalemer Tempel war komplex und verband Ehrfurcht für seine Rituale mit einer Kritik an deren gegenwärtiger Verfassung.“[51]

Mal 1, 11 als weiterer Verständnishorizont

Als Schlüsseltext für das Eucharistieverständnis der frühen Christen identifiziert Lang beim Propheten Maleachi die exponierte Stelle in Kapitel 1 Vers 11, wo vom reinen Opfer die Rede ist, das allerorten, vom Sonnenaufgang bis zum Untergang, dargebracht wird[52] und entwickelt seine Beobachtungen dazu recht ausführlich[53], um als Resultat zu bündeln: „Eine der am meisten entscheidenden religiösen Transformationen des späten Altertums war die Verinnerlichung und Vergeistigung des Opfers, welche im frühen Christentum durch das ein für allemal vollbrachte Kreuzesopfer Christi erreicht wurden und die im rabbinischen Judentum als eine Folge der Zerstörung des Jerusalemer Tempels [erzwungenermaßen, Anm. C. V. O.] eintraten. Immer noch wird dabei als selbstverständlich angenommen, dass gewisse Arten von Darbringungen gemacht werden müssen und dass dieses Opfer in einer äußeren, rituellen Form des Gottesdienstes ausgeführt werden muss.“[54] Durch die Loslösung von Jerusalem und vom Tempel überwindet die Eucharistiefeier der frühen Christen, die prinzipiell an jedem Ort möglich ist (vgl. Mal 1, 11), nicht einfach jüdische Opferkonzeptionen, sondern überschreitet und überformt diese.[55]

Nach Sichtung der zwei genannten neutestamentlichen Bücher und der relevanten Kernstelle aus dem Propheten Maleachi hat Lang mit den Versen 7 und 12 noch die Umgebung von Mal 1, 11 einbezogen und mit Verweis auf die Eucharistiepraxis der Gemeinde von Korinth einen Bogen zum schon vorher erörterten vierten, paulinischen Einsetzungsbericht in 1 Kor 11, 23-26 gespannt, um in der Ähnlichkeit der Terminologie im Begriffsfeld Altar zum einen ein Opferverständnis des beim Letzten Abendmahl Gestifteten, zum anderen dessen scharfe Abgrenzung von paganen Kultmählern und schließlich nochmals die Erfüllung der Prophetie des Maleachi zu finden.[56]

Ausbildung normativer Rechtgläubigkeit

Die Diversität des frühen Christentums wurde schon angesprochen. Lang zeigt auf, wie damit eine Rivalität um die authentische Deutung des Christusglaubens einherging und sich insbesondere in der Auseinandersetzung mit Strömungen, die als Gnosis zusammengefasst werden, Bewusstsein und Anspruch von Rechtgläubigkeit herausstellten und die Abweichung davon als Häresie zurückgewiesen wurde.[57] Dieses normativ werdende Christentum ruht auf drei wesentlichen Säulen: Die Leitung der Ortskirche durch einen einzigen Bischof im Bewusstsein und Anspruch apostolischer Sukzession, das bei der Taufe angenommene Credo als Glaubensregel und der Kanon der Heiligen Schrift.[58] Für Lang schafft die regulierende Kraft der Abendmahlstradition in der Vielfalt liturgischer Formen Gemeinsamkeit und bildet für ihn des weiteren eine Art vierter Säule des geschilderten normativen Deutungsanspruchs.[59]

Frühes Christentum kein Mysterienkult und auch nicht in Analogie zu Mysterienkulten zu sehen

Wenn man bedenkt, welch wichtige Stellung die Vorstellung einer Arkandisziplin für die Mysterientheologie Odo Casels besaß, die letztlich die frühen Christen und ihre Eucharistie in größere Nähe zu heidnischen Mysterienkulten versetzt (auch wenn er das in der Umkehrung zur Prägung eines christlichen Kultmysteriums[60] offenbar abstreiten wollte) als zu ihren jüdischen Wurzeln, ist es von nicht zu unterschätzender Bedeutung, dass diese Voraussetzung, das Prinzip strikter Geheimhaltung gerade auch der Gestalt der eucharistischen Liturgie vor Außenstehenden, von der aktuellen Forschung nicht mehr angenommen wird, was nicht bedeutet, dass es nicht in der Verfolgungssituation einer feindlichen Umgebung bisweilen zu gewissen Formen der Verschwiegenheit kommen konnte. Damit werden nicht alle Anregungen, die Casel gegeben hat, entwertet, aber es relativiert sich eine seiner zentralen Grundannahmen. Von der Teilnahme an der Eucharistiefeier blieben Nichtchristen und Taufbewerber freilich sehr wohl ausgeschlossen.[61]

Väterzeugnisse: Ignatius von Antiochien und Justin der Martyrer

Vor dem Horizont einer Skizze zur Didache, der ältesten bekannten Sammlung christlicher Katechesen und liturgischer Unterweisungen[62], geht Lang, selbst Patrologe vom Fach, dazu über, die beiden Kirchenväter Ignatius von Antiochien und Justin den Martyrer einzuführen und die Aussagekraft von deren Schriften für ein ursprungsnahes Verständnis der Eucharistie als Opfer zu analysieren.[63] Was Ignatius von Antiochien angeht, so kam er in der während der Regierungszeit des Kaisers Trajan um das Jahr 110 als Gefangener nach Rom und erlitt das Martyrium. Auf dem Weg dorthin verfasste er sieben Briefe, die allgemein als echt betrachtet werden und eine wichtige Quelle für die Entstehung des schon erwähnten Prinzips der Ortskirche unter der Leitung eines einzelnen und einzigen Bischofs darstellen, der ersten Säule, auf der das Konzept proto-orthodoxer Normativität aufruht.[64] Hochinteressant zeigt Lang auf, wie diese Briefe außerdem einen starken Glauben an die wirkliche Gegenwart Christi in der Eucharistie bezeugen, welcher bei Ignatius zutiefst in einer spezifisch johanneischen Christologie verwurzelt und sich im Anschluss daran der eigenständig akzentuierten Terminologie, die die stark realistische Rede vom Fleisch anstelle von Leib übernimmt und sich so als dezidiert inkarnatorisch[65] geprägt erweist.[66]

Dass Justin der Martyrer als besonderer Zeuge für die frühe Eucharistiefeier zu gelten hat, begründet sich darin, dass die erste Beschreibung einer solchen Feier einen Teil seiner Ersten Apologie bildet.[67] „Justin ist auch die älteste verfügbare Quelle, die bestätigt, dass Lesungen aus der Heiligen Schrift – Erinnerungen der Apostel und die Schriften der Propheten – Bestandteil der eucharistischen Liturgie waren.“[68] Jedoch kann darin nicht stringent die Übernahme und Fortsetzung eines Elements des Synagogengottesdienstes gesehen werden, weil dessen spätere Vereinheitlichung nicht notwendigerweise bereits die Praxis des 1. Jahrhunderts widerspiegelt.[69] Bemerkenswert ist weiterhin, dass Justin wie zuvor Ignatius an die spezifische Sarx-Terminologie des Evangelisten Johannes anschließt, um die Wirklichkeit der Gegenwart Christi in den, so wörtlich, eucharistizierten Opfergaben zu bekräftigen. Erheblich erscheint mir als Rezensenten dies deshalb, weil Realpräsenz und Opfercharakter in diesen frühesten Zeugnissen damit ausgerechnet in Abhängigkeit von johanneischer Theologie und Ausdrucksweise stehen und somit von dem Evangelium, dem ein ausdrücklicher Einsetzungsbericht fehlt und dem in dieser Hinsicht eine Eigenstellung zukommt, aber auch eine Außenseiterrolle zu attestieren ist. In seinem Dialog mit Tryphon bestätigt Justin die Eucharistie ebenso als priesterliche Opferhandlung, wobei er bezeichnenderweise auf Mal 1, 10-12 zurückgreift.[70]

Der christliche Altar der Frühzeit

Den Ausklang des zweiten Kapitels von The Roman Mass gestaltet der Autor, indem er die in der Christlichen Archäologie als Teilgebiet der Alten Kirchengeschichte hinsichtlich Kirchengebäuden und Altären greifbaren oder zu rekonstruierenden Befunde einordnet, weitgehend gestützt auf die entsprechende „beeindruckende und durchgehend gut recherchierte Studie von Stefan Heid Altar und Kirche. Prinzipien christlicher Liturgie[71], allerdings einer Haupthypothese Heids widersprechend, nämlich der strengen Einzigkeit des Eucharistieorts an jedem Bischofssitz, selbst in den allergrößten Metropolen und bis weit ins 4. Jahrhundert hinein, Heid überspanne hier in seinen daraus gezogenen Folgerungen sozusagen das hierarchische Prinzip eines Bischofs.[72] Zur Altarfrage lässt sich Langs Ergebnis wie folgt zusammenfassen: „Während die Apologeten des zweiten und dritten Jahrhunderts fortwährend wiederholen, dass Christen keine Tempel, Altäre und Bildnisse von Gottheiten besitzen, wenden dieselben Autoren gleichzeitig ein Vokabular kultischer Begrifflichkeiten auf den christlichen Gottesdienst an“[73]: „Die hölzernen Tische, die für die christliche Eucharistie der Frühzeit als Altäre dienten, unterschieden sich in ihrem Erscheinungsbild ganz erheblich von den steinernen Altären, wie sie mit der Schlachtung heidnischer Tieropfer verbunden waren. Gleichwohl hing die Sakralität eines Altars, wie Heid zeigt, nicht von seiner Gestalt oder von dem Material, aus dem er gefertigt war, ab, vielmehr von seiner Funktion. […] Darüberhinaus machte der Umstand, dass ein Ding nicht feststehend, sondern beweglich war, es nicht [automatisch, Anm. C. V. O.] zu einer profanen Sache. Vor diesem Hintergrund konnte ein Holztisch, der für die Eucharistie an eine christliche Versammlungsstätte gebracht wurde, als Altar erachtet werden und in der Sphäre der Heiligkeit stehen.“[74] An dieser Stelle unterstreicht Lang zugleich mehrfach, deutlich und ausführlich die Bedeutung und Verbindlichkeit der Gebetsausrichtung nach Osten.[75] Als Basis der weiteren Kapitel wird festgehalten: „Wurzelnd im Letzten Abendmahl und gestaltet kraft der Tempelfrömmigkeit, wurde das heilige Mahl, das als Herz des christlichen Gottesdienstes hervortrat, als Gedächtnis gefeiert, in dem das Opfer Christi gegenwärtig wird und dessen erlösende Wirkungen denjenigen mitgeteilt werden, die daran teilnehmen.“[76]

Bis hierher wurde bei der Besprechung von Langs Monographie zur Entwicklung der genuin römischen Gestalt der Messe der Aufbau und Argumentationsgang der Studie recht linear und minutiös durchleuchtet und nachgezeichnet, weil der Verfasser nach eigenem Bekunden auf die ersten beiden Kapitel die meiste Mühe verwandt hat und sich davon den größten Ertrag an neuen Erkenntnissen für die Leser erhofft.[77] Gleichsam hat Lang damit das Fundament gelegt, auf dem die kommenden sieben Kapitel aufbauen. Ab jetzt werden wir bei der Durchsicht etwas kursorischer vorgehen und, ohne unsere Sorgfalt und Aufmerksamkeit zu verringern, das Augenmerk stärker auf einzelne, besonders hervortretende oder hervorzuhebende Etappenziele und Einsichten richten.

Freie Konformität in der Liturgie der ersten drei Jahrhunderte und erste schriftliche Zeugnisse

Mit dem 3. und 4. Jahrhundert erst beginnen sich Eucharistiegebete zu entwickeln: „Aufgrund des mündlichen Charakters frühen liturgischen Betens ist unsere Kenntnis über die Entstehung der Eucharistiegebete sehr begrenzt.[…] Historiker, die sich mit dem Frühchristentum befassen, stimmen im allgemeinen darin überein, dass es in den ersten drei Jahrhunderten keine Form schriftlich fixierter liturgischer Gebetstexte gegeben hat, sondern der Improvisation Raum gegeben war. Dies vollzog sich nichtsdestoweniger innerhalb eines Rahmengefüges von unerlässlichen Elementen und feststehenden Übereinkünften, die nicht nur den Inhalt bestimmten, sondern auch in einer Weise Aufbau und Stil vorgaben, die weitgehend einem biblischen Vokabular verpflichtet waren.“[78] Aus diesem Zitat erkennen wir, dass für uns die liturgische Tradition des überlieferten römischen Ritus der Messe oder überhaupt irgendeines Ritus nicht in einer Kontinuität zurückzuverfolgen ist, in der wir Petrus als ersten Papst das Stufengebet verrichten sehen, nachdem Jesus ihm das römische Messbuch in die Hand gedrückt hat, oder den Evangelisten Johannes, wie er sein Schlussevangelium liest. Ein erster Text, den Lang vorstellen kann, ist die dem Hippolyt von Rom zugeschriebene sogenannte Traditio Apostolica: „Ein Text, der in der liturgischen Forschung und Reform des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle gespielt hat, ist das Eucharistiegebet in der als Apostolische Tradition bekannten Kirchenordnung. Als das Dokument in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erstmals Aufmerksamkeit auf sich zog, wurde es zunächst als Ägyptische Kirchenordnung bezeichnet und in weiterer Folge dem Hippolytus die Urheberschaft attribuiert, einer schillernden Gestalt in der römischen Kirche, der Bischof Callixtus (gestorben 222) der Laxheit bei der Rekonziliation der Sünder bezichtigte, sich selbst zum Gegenpapst aufschwang, der aber schließlich selber wieder mit der Kirche ausgesöhnt wurde und 235 als Martyrer gestorben ist.“[79]

Man muss wissen, dass dieses Hochgebet im neuen Messbuch Pauls VI. euphemistisch gesprochen als Vorlage für das Zweite Hochgebet gedient hat, es wegen seiner Kürze äußerst verbreitet ist, in seiner theologischen Aussage von den Kritikern dieser Liturgiereform jedoch völlig nachvollziehbar als besonders schwach und unzureichend wahrgenommen wird. Bezeichnenderweise war „sein Einfluss auf die Entwicklung der Westliturgie bis zu den liturgischen Reformen des 20. Jahrhunderts minimal.“[80] Und: „Wegen der Unsicherheiten in der Datierung und hinsichtlich des Entstehungsortes kann die lateinische Version der Apostolischen Tradition kaum als [ernstzunehmende, belastbare, Anm. C. V. O.] Quelle für die römische Liturgie im frühen dritten Jahrhundert herangezogen werden.“[81] Niemand außer Traditionalisten oder höchstens noch sehr konservativen Katholiken stört sich daran, dass das Zweite Hochgebet trotzdem die landläufige nachkonziliare Eucharistiefeier der repräsentativen Durchschittspfarrei absolut beherrscht, sofern man nicht schon längst zu völliger Kreativität übergegangen ist, die dem vorhin geschilderten Raum geordneter Improvisation und verbindlicher Konvention diametral widerspricht, wie er für die Phase reiner Mündlichkeit der Liturgie in den ersten drei Jahrhunderte charakterisierend war, wohingegen heutzutage bestehende Texte willkürlich abgeändert oder von vornherein selbstherrlich zugunsten eigener Spontanformulierungen beiseite gelassen werden.

Die Anaphora des Addai und Mari

Wer sich schon länger für liturgische Fragen interessiert, sich mit ihren dogmatischen Implikationen[82] befasst und wer dabei insbesondere auch die Argumentationsmuster und Diskussionen innerhalb betont traditionsorientierter Gruppierungen in der römisch-katholischen Kirche mitverfolgt hat, wird beim Stichwort der Anaphora des Addai und Mari, das jetzt fällt, hellhörig werden. Dabei handelt es sich um das älteste Eucharistiegebet ostsyrischer Tradition, welches noch heute mit gewissen Modifizierungen in zwei Zweigen der Ostkirche, in der chaldäisch-katholischen Kirche und bei den Syro-Malabaren, in liturgischem Gebrauch steht, wobei das älteste greifbare Manuskript nur bis auf das 10. Jahrhundert zurückreicht.[83] Langs Ansatz ist in erster Linie der einer positiven Würdigung der dogmatischen Entwicklungsstufe und Aussagekraft der gegenständlichen Anaphora: „Allem voran muss die reiche Eucharistietheologie des Textes anerkannt werden. Die beiden wesentlichen Elemente jeder vollentwickelten Anaphora sind in jener des Addai und Mari in die Interzessionen eingeflochten: das Gedächtnis an Christi erlösendes Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung und die Darbringung oder Oblation des Opfers von Christi Leib und Blut durch die Kirche.“[84] Eine Auffälligkeit, die schon im ältesten verfügbaren Manuskript besteht, ist das gänzliche Fehlen eines direkten liturgischen Einsetzungsberichtes, und während in der Forschung des 20. Jahrhunderts (das genannte Manuskript war 1966 entdeckt und publiziert worden) verschiedene Rekonstruktionen versucht worden waren, um zu bestimmen, wo eine Lücke vorliegt, die in einer hypothetischen, integralen Textversion vom Einsetzungsbericht ausgefüllt gewesen sei, ist diese Annahme heute eine Minderheitsposition. Es wird also überwiegend davon ausgegangen, dass der Text, so wie er vorliegt und grundsätzlich liturgisch bis heute verwendet wird, von Anfang an nicht bruchstückhaft war und auch nicht im Laufe der Zeit Textverluste erlitten hat, folglich immer ohne Einsetzungsbericht vollständig war und (geblieben) ist.[85]

Wenn man wollte könnte man es mit einer gewissen Süffisanz vermerken, aber jedenfalls muss man feststellen, dass unbestreitbar Langs Darstellung an dieser Stelle eine Lücke aufweist: Am 17. Januar 2001 kam die damalige Kongregation für die Glaubenslehre unter ihrem Kardinalpräfekten Joseph Ratzinger und von Johannes Paul II. bestätigt zu dem Schluss, dass ein eucharistischer Gottesdienst unter Verwendung des Anaphora des Addai und Mari auch ohne direkte Einsetzungsworte von der römisch-katholischen Kirche als gültig anerkannt werden kann und mit Rom in voller Kirchengemeinschaft stehende Gläubige prinzipiell an solchen Feiern der Assyrischen Kirche des Ostens teilnehmen und dabei auch kommunizieren dürfen. In Richtlinien, die anschließend am 20. Juli 2001 vom seinerzeitigen Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen ergingen, wurden die Priester der von Rom getrennten Kirche zwar wärmstens eingeladen, wenn chaldäische Katholiken teilnehmen, die Einsetzungsworte in die Anaphora einzufügen. Davon wurde die Erlaubnis zur Teilnahme für Katholiken indes nicht abhängig gemacht.[86] Wem bewusst ist, dass Langs eigene erste, intensivere Beschäftigung mit der Thematik durch die Problematik dieser Entscheidung und Richtlinien ausgelöst worden war, was im Fußnotenapparat[87] in The Roman Mass für Eingeweihte auch erkennbar bleibt, ist es einigermaßen verwunderlich, wenn Lang in seinem Buch die damalige Entscheidung Ratzingers und die Richtlinien des Einheitsrates selbst mit völligen Schweigen übergeht, erst recht, wo er doch eindeutig bekundet: „Meines Erachtens nach ist der Fall von Addai und Mari weit davon entfernt, abschließend gelöst zu sein.“[88]

Ein Urahn Pauls VI. im 7. Jahrhundert?

Es lässt sich sogar eine Parallele zur Messreform Pauls VI. und insbesondere zum Zweiten Hochgebet in dessen Messbuch ziehen, die mir bei der Lektüre von Langs Buch sehr frappierend vorgekommen ist: „Jede Diskussion über die Anaphora des Addai und Mari muss sich der weitreichenden Reform der ostsyrischen Liturgie im 7. Jahrhundert durch den Katholikos Patriarchen Ishoﹸyabh III. (um 650-659) ausgeführt worden ist. Ein Autor des 11. Jahrhunderts, Ibn at-Tayyih (gestorben 1043), verzeichnet, dass im Verlauf dieser Revision die Anaphora des Addai und Mari verkürzt[89] worden ist, mutmaßlich mit dem Ansinnen, sie zur Hauptanaphora der Kirche des Ostens zu machen.“[90] Ein Eindruck, der sich noch verstärkt, wenn Lang sich das Urteil Anton Baumstarks zu eigen macht, das er wörtlich zitiert und das davon spricht, es gäbe keinen anderen liturgischen Bereich, der derart hermetisch versiegelt sei wie derjenige der nestorianischen Kirche, deren Ritus durch die Revision, welcher er durch Katholikos Ishoﹸyabh unterworfen worden war, solch eine [massive, Anm. C. V. O.], mit einer Einzelperson verknüpfte Wendung genommen habe.[91] Spätestens seit der nachkonziliaren Liturgiereform Pauls VI. lässt sich diese Aussage so singulär und exklusiv kaum noch aufrechterhalten, sondern man erkennt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – bei Unvoreingenommenheit und genauer Betrachtung – in zwei Schüben: 1955 und 1969, einen analogen Vorgang im Geltungsbereich des Römischen Ritus.

Die Kirche im Imperium Romanum und vier große Konzilien in der Zeit von 325 bis 451

Bei der Lektüre des hier vorgestellten Werkes ist es immer wichtig, sich bewusst zu sein, in welcher historischen Periode man sich gerade bewegt und welche Einflüsse für die jeweilige Phase bestimmend waren. Das Jahr 313 mit dem Toleranzedikt Kaiser Konstantins markiert den Anfang eines solchen, vielschichtigen Prozesses in den politischen und sozio-kulturellen Bedingungen, unter denen sich das Christentum doktrinell, in seiner Glaubenspraxis und sozusagen infrastrukturell entwickelt, verbreiten kann und festigt.[92] Unter Kaiser Theodosius wird das katholische Christentum zur offiziellen Staatsreligion im Imperium Romanum.[93] Beide Daten bilden entscheidende Stadien in der Christianisierung des Reiches, obschon diese damit bei weitem noch nicht vollständig abgeschlossen und internalisiert ist.[94] Ein zusätzliches Merkmal, das das 4. und 5. Jahrhundert kennzeichnet, sind die erbitterten kontroversiellen Auseinandersetzungen über Kernlehren des Christentums wie die Trinität und die Glaubensaussagen der Kirche über Jesus Christus, Lehrpunkte, die auf den Ökumenischen Konzilien von Nicäa (325), Konstantinopel (381), Ephesus (431) und Chalcedon (451) angesprochen werden.[95] Die großen Kirchengebäude und deren Ausstattung, die schon beginnend mit Kaiser Konstantin zur Verfügung standen, das zunehmende zahlenmäßige Wachstum der Kirche in Verbindung mit den dogmatischen Klärungen der genannten Konzilien hatten konsequenten Einfluss auf die Gestaltung von Liturgie und Gottesdienstpraxis: „Daher treten in dieser Epoche die ersten schriftlichen Quellen liturgischer Texte auf, die für gewöhnlich die Approbation eines Bischofs oder einer Bischofssynode tragen. Es wurde weithin als notwendig erachtet, Standards im Lehrinhalt [also die Übereinstimmung mit den großen, trinitätstheologischen und (mariologisch-) christologischen Konzilsaussagen, die erzielt worden waren, Anm. C. V. O.] zu wahren“[96] sowie deren Ausdruck und Bekenntnis in den Formulierungen der liturgischen Gebetssprache zu gewährleisten.[97] In diesem Kontext entstehen Zentren, in denen sich eigenständige Riten zu bilden beginnen: Rom, Alexandria, Antiochien und Konstantinopel sowie Jerusalem; die späteren Patriarchate.[98] Entsprechend schließt sich eine Passage an, in der Lang seine Leser mit den beiden prägenden Hochgebetstraditionen vertraut macht, dem auf Antiochien zurückzuverfolgenden[99] und dem alexandrinischen Typus[100], dessen Struktur sich später im Canon Romanus finden wird.[101]

Die ersten drei Kapitel haben vor dem geistigen Auge des Lesers als Horizont eine Art Panoramablick entstehen lassen, an welchem Horizont nun die liturgische Tradition der Lateinischen Kirche und insbesondere der Römische Ritus aufsteigen. Ein erster Aspekt davon ist der Übergang zum Lateinischen als sakrale Sprache der Liturgie[102] beginnend mit dem 4. Jahrhundert.[103]

Latein: der Beginn seiner Formung zu einem liturgischen Idiom

Die Impulskraft der doktrinellen Klärungen, die die schon aufgelisteten Konzilsversammlungen im Zeitraum von 325-451 erbracht hatten oder zu ergeben im Begriff waren, war ein erster Faktor, „der wie ein Sauerteig wirkte, um insbesondere während der arianischen Krise des 4. Jahrhunderts eine sorgsam formulierte Lehrsprache auszubilden, die das Ferment beitrug, um eine offizielle Ausprägung lateinischer Gebetssprache zu schaffen. Allen Bouleys These, die Notwendigkeit einer rechtgläubigen Sprache habe die Entwicklung lateinischer Euchologie (Gebetssprache) erleichtert, wird sicherlich von den Bemühungen des Ambrosius unterstützt, den Glauben von Nicäa in liturgische Hymnen einzubinden, um so die Präsenz der Arianer in Mailand zurückzudrängen.“[104]

Ein anderer Gesichtspunkt muss mit den unter Kaiser Konstantin günstiger zu werden beginnenden Umständen und Rahmenbedingungen benannt werden, worauf Lang aufmerksam macht, indem er auf Christine Mohrmann verweist, „die argumentiert, die Formung eines liturgischen Lateins sei nur möglich geworden, nachdem Kaiser Konstantin der Kirche Frieden und Anerkennung gewährt habe und somit für christliche Gemeinschaften nicht mehr länger ein solch starker Bedarf bestand, sich selbst in Opposition zur Kultur des paganen Umfelds zu verstehen.“[105]

Erheiternde Parallelen zu gendergerechter Sprache und zur damit beabsichtigten, weltanschaulichen Einflussnahme auf die Gesellschaft

In Zeiten, in denen Genderdiskussionen geführt werden und mittels Veränderungen von Sprache und Grammatik eindeutig ideologische Ziele verfolgt, kulturelle Transformationen angestoßen und vollzogen werden sollen, lässt die sich unmittelbar anschließende Aussage Langs in ihrem ersten Teil sicher nicht nur mich, sondern viele Leser schmunzeln, worin er selbst weitgehend einen Sprachwissenschaftler zitiert, weil sie in deutlicher Entsprechung zu den Motiven der Genderideologie bei deren Ambitionen zur Umgestaltung unserer Sprache und Redeweise steht: „Aus dem Blickwinkel der Soziolinguistik beobachtet Peter Burke, dass ‚Sprache eine aktive Kraft ist, ein Mittel für Einzelne und Gruppen, andere zu kontrollieren oder sich solcher Kontrolle zu widersetzen; um die Gesellschaft zu verändern oder Veränderung zu blockieren; um kulturelle Identitäten zu bekräftigen oder zu unterdrücken‘. Sohin kann die Ausbildung einer lateinischen Liturgiesprache als Teil eines weitreichenden Einsatzes führender Bischöfe Italiens bei der Christianisierung der römischen Kultur aufgefasst werden, vor allem des Damasus in Rom und des Ambrosius in Mailand.“[106] Ersterer beauftragte damals auch den heiligen Hieronymus mit der Erstellung einer neuen lateinischen Bibelübersetzung, der späteren Vulgata.[107] Eine letzte, wichtige Feststellung Langs, die von grundsätzlicher Bedeutung ist und hier angeführt werden soll, ist die, dass das im Gottesdienst der Kirche verwendete Latein zu keinem Zeitpunkt der Volkssprache entsprochen hat: „Das Latein des Kanons, der Tagesgebete und der Präfationen der Messe ging weit über das umgangssprachliche Kommunikationsmittel gewöhnlicher Leute hinaus. Diese hochstilisierte Form der Rede, dazu gestaltet, komplexe theologische Gedankengänge auszudrücken, wäre für den durchschnittlichen römischen Christen der Spätantike nicht leicht mitzuverfolgen gewesen.“[108]

Grunddaten zum weiteren Überblick

Da die Lektüre einer Rezension nicht als Alternative dazu gedacht ist, das vorgestellte Buch selbst zu lesen, sondern ganz im Gegenteil darauf intellektuellen Appetit machen soll, referiere ich nun nicht die kenntnisreichen Beobachtungen des Autors zur spezifischen Latinität[109] jeweils des Canon Missae[110], der Tagesorationen[111] und der Präfationen[112], die das vierte Kapitel anschaulich detailliert vor Augen führt. Weil der Messkanon wiederum das Zentrum der feststehenden Teile der römischen Messe bildet, um die es in dem Buch geht, sollen stattdessen jedoch einzelne Details, die als von auffallendem Erkenntniswert scheinen, quasi wie ein Vorgeschmack auf das von Lang entworfene Gesamtbild skizziert werden. Einige Eckdaten seien dem vorausgeschickt: Bekanntlich ist der aus Trier gebürtige heilige Ambrosius von Mailand mit seiner katechetischen Schrift De sacramentis, in der er umfangreiche Passagen daraus zitiert, der erste Zeuge für einen Mailänder Paralleltext zum in Rom um das Jahr 390 gebrauchten Eucharistiegebet, wobei es für dieses Textzeugnis darauf ankommt, dass Ambrosius anderswo in derselben Schrift bekundet, dem Muster und der Form der römischen Kirche in allem zu folgen.[113]

Damit taucht bereits um die Wende zum 4. Jahrhundert eine reife Stufe des Textes des römischen Kanons auf, ohne dass es Quellen von Texten gäbe, die sich als Vorstufen identifizieren lassen. Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass ein Hochgebet damals plötzlich und von Grund auf neu zusammengestellt worden wäre.[114]Soweit historisch zugänglich, muss jedenfalls die Mailänder Version als Beginn einer schriftlich erfassten Formungsphase angesehen werden, die mit dem Ende des Pontifikats Gregors des Großen[115], der 604 stirbt, abgeschlossen ist.[116]

Als Argument für eine doch erheblich frühere Datierung hat man versucht, das kurze Pontifikat des Papstes Cornelius heranzuziehen, der in den Jahren 251 bis 253 regierte, da er der letzte Martyrerpapst ist, dessen Name im Communicantes erscheint und gleichzeitig der erste Petrusnachfolger, an dessen Grabmal die Inschrift in lateinischer Sprache verfasst ist, womit man wohl insinuieren will, schon damals habe sich in Rom ein (vollständiger?) Übergang vom Griechischen zum Latein als Liturgiesprache vollzogen.[117] Lang dazu wörtlich: „Während es keine Evidenz dafür gibt, dass zu einem so frühen Zeitpunkt wie der Mitte des 3. Jahrhunderts in Rom ein lateinisches Eucharistiegebet gebraucht worden wäre, [ist es zumindest gesichert, Anm. C. V. O.], dass der Kanon Textmaterial birgt, das zeitlich wenigstens ebenso früh einzuordnen ist.“[118]

Zum besseren Verständnis der weiteren Rezension und des Aufbaus, den der Autor selbst seinem Buch gegeben hat, merke ich hier an, dass sich dem vierten Kapitel in The Roman Mass ein erster[119] von zwei Anhängen, die dem Buch beigegeben sind, anschließt. Der erste Appendix besteht zunächst in einer spaltenweisen Gegenüberstellung der lateinischen Paraphrase des Ambrosius, die eine knappe Inhaltsangabe darstellt für den Teil, der in der Messliturgie von Einleitungsdialog und Präfation mit Sanctus bis zu dem Punkt reicht, der im Canon Romanus dem Hanc igitur entsprechen würde, und der ältesten Fassung des gregorianischen Canon Missae[120] Ab dem Fac nobis hanc oblationem, dem ambrosianischen Äquivalent zum Quam oblationem, bietet die Synopse das wörtliche Zitat des dem Ambrosius geläufigen Eucharistiegebets in Zusammenschau mit dem gregorianischen Kanon – wie schon zuvor weiterhin in dessen ältester Bezeugung[121], wobei diese mit dem Per ipsum abgeschlossen wird, Ambrosius das ihm bekannte Eucharistiegebet jedoch nur bis zum Et petimus [122]zitiert, das dem Supra quae entspricht, wobei der heilige Bischof von Mailand danach auch die knappe Paraphrase des Ablaufs nicht wieder aufnimmt.

Anschließend stellt der Anhang die genannten Texte jeweils nochmals in englischer Übersetzung einander zur Seite.[123] Dabei ist diejenige des Ambrosiustextes[124] aus De sacramentis von speziellem Interesse, da es sich dabei um eine eigene Übersetzung Langs handelt, bei der unser Autor „bestrebt war, dem lateinischen Satzbau des Ambrosius so nahe als möglich zu folgen“[125].

Der zweite Appendix, dem wir ausführlicher uns später zuwenden, folgt nach dem neunten, dem Schlusskapitel des Buches, am Ende des gesamten Werkes.[126] Schon rein äußerlich ergibt sich somit durch den Einschub des ersten Anhangs, der wie gesagt dem vierten Kapitel angeschlossen wird, eine Art Zäsur, die The Roman Mass deutlich in zwei Teile gliedert: Der erste reicht bis zum vierten Kapitel einschließlich seines Appendix; der zweite Teil umfasst das fünfte bis zum neunten Kapitel und schließt wiederum den Anhang des letzteren ein.

Zwei wichtige Ergebnisse aus Langs Kanoninterpretation, Ergänzungen und Korrekturvorschläge dazu

Ein erster, aus dem vierten Kapitel seines Buches besonders hervorzuhebender Gesichtspunkt wird in Uwe Michael Langs Darlegungen zum Paralleltext zum römisch-gregorianischen Quam oblationem bei Ambrosius thematisiert. Das Gebet Fac nobis hanc oblationem lautet vollständig: „Fac nobis hanc oblationem scriptam, rationabilem, acceptabilem, quod est figura[127] corporis et sanguinis Domini nostri Iesu Christi.“ Lang hält dazu fest: „Das epikletische Gebet Quam oblationem hat bei Ambrosius eine frühere Parallele, mit welcher er die Bitte zitiert, dass die Oblation (von Brot und Wein) zur ‚figura corporis et sanguinis Domini nostri Iesu Christi‘ gemacht werde. […] Die Verwendung von figura sollte nicht als  die Wirklichkeit der eucharistischen Gegenwart Christi verneinend interpretiert werden. Sie [die Verwendung von figura an dieser Stelle, Anm. C. V. O.] ist eher ein Schlüsselbegriff der typologischen Exegese, welche im Alten Testament Vorwegnahmen (Antizipationen) oder Vorausbilder (Präfigurationen [teilweise Kursivsetzung innerhalb des Wortes zur Hervorhebung hinzugefügt, Anm. C.V.O.]) des Neuen Testamentes sieht und im Neuen Testament selbst Präfigurationen eschatologischer Realitäten. Ambrosius führt die Prägung als überliefert an, benutzt sie jedoch nicht, um die Gegenwart Christi im Sakrament zu erklären, sondern wenn er die eucharistische Konsekration kommentiert, besteht er darauf, dass die Elemente von Brot und Wein verändert, sie nämlich zu Leib und Blut des Herrn geworden sind, indem er sich Verben wie transfigurare und mutare bedient. Des Ambrosius Theologie scheint einen Einfluss auf die Revision des römischen Kanons gehabt zu haben, welcher eine implizite Epiklese einschließt, die darum bittet, dass ‚die Opfergaben für uns zum Leib und Blut deines vielgeliebten Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus werden mögen‘.“[128]

Hinsichtlich der Bemerkungen zur typologischen Exegese des Alten Testamentes auf das Neue hin und einer entsprechenden Auslegung des Neuen Testamentes im Hinblick auf eine eschatologische Vollendung ist die Aussage Langs in diesem Zitat zutreffend. Dass er aber einen Bedarf sieht, darauf hinzuweisen, man solle Ambrosius nicht so verstehen, als ob er das Eucharistiegeschehen lediglich bildlich oder figürlich auffassen würde, scheint mir auf einer zu wenig genauen Textanalyse Langs zu beruhen, die präzisiert und in ihrer Schlussfolgerung korrigiert werden müsste.

Wahrscheinlich hat diese Ungenauigkeit ihren Ansatzpunkt in dem Wunsch Langs, das Quam oblationem als epikletisch ausweisen zu können, mit dem offenkundigen Ziel, damit die Struktur der alexandrinischen Anaphora[129] im Aufbau des Canon Romanus als durchgehend stringent gewahrt nachzuweisen. Ich selbst habe demgegenüber dafür plädiert, das Quam oblationem weder im strikten Sinne als an den Heiligen Geist gerichtete (Wandlungs-)Epiklese noch im weiteren Sinne als epikletisch aufzufassen, sondern als eine der für den Canon Romanus (sowie für römische Religiosität, sogar schon vorchristliches römisches Kultverständnis und spezifisch römischrechtliches Rechtsdenken) so charakteristischen Annahmebitten zu deuten[130], wie sie im Messkanon gehäuft vorkommen. Meines Erachtens gibt es im Canon Romanus mit dem Supplices te rogamus lediglich eine Entsprechung zur zweiten, postanamnetischen Epiklese in der Tradition einer Anaphora alexandrinischen Typs.

Begründung der Kritik

Diesen Einwand gegen Langs Gedankengang an dieser Stelle möchte ich nicht einfach als unbelegte Behauptung und Kritik in den Raum stellen, sondern mittels einer genaueren Sichtung des Textbefundes bei Ambrosius gebührend begründen: Wenn man sieht, dass Lang das Fac nobis hanc oblationem bis auf die eventuell etwas zu freie Übersetzung von scriptam mit approved völlig korrekt und textgetreu ins Englische überträgt[131], ist nicht nachzuvollziehen, wie er gleichzeitig argumentieren kann, es liege hierin eine Bitte vor, die Oblation (von Brot und Wein) zur figura von Leib und Blut Christi zu machen oder dass sie dazu werde, wo doch der lateinische Text bei Ambrosius, der weiter oben gerade vollständig angeführt wurde, und ebenso Langs Übersetzung davon eindeutig besagt, dass die Darbringung von Brot und Wein als solche bereits eine figura von Leib und Blut Jesu Christi ist. In einer deutschen Übersetzung aus dem Lateinischen möchte ich versuchen, noch deutlicher zu machen, warum ich Lang hier widerspreche: „Mach uns diese Darbringung zu einer [bei dir, Anm. C. V. O.] verzeichneten, vernunftgemäßen, annehmbaren, welche eine figura, ein Vorausbild, des Leibes und Blutes unseres Herrn Jesus Christus ist.“ Genau betrachtet und strenggenommen liegt bei Ambrosius überhaupt keine Bitte vor, sondern eine imparativische Aufforderung an Gott, und diese ist nicht diejenige, Brot und Wein zu einer figura von Christi Leib und Blut zu machen, sondern die Darbringung von Brot und Wein, die eine figura von Christi Leib und Blut ist (unter Umständen auch: weil sie es ist), anzunehmen. Diese Annahme wird in einer dreischrittigen Steigung umschrieben.

Es ist also völlig ausgeschlossen, in dieser Formulierung eine Wandlungsepiklese zu sehen oder zu behaupten, ihr Wortlaut sei in einem weiteren Sinne epikletisch. Grammatikalisch und im Vokabular unmissverständlich, ist es eine an Gott gerichtete Annahmeaufforderung, die im von Ambrosius bezeugten Text vorliegt. Das schließt im übrigen keineswegs aus, dass sich im Verständnis dessen, was das Eucharistiegeschehen bewirkt, in der Theologie des Ambrosius die von Lang angeführte typologische Exegese auf dem Feld der Liturgiedeutung zeigt: Die figura von Leib und Blut des Herrn wird kraft ihrer Annahme, aus der eine Transfiguration resultiert, in die Wirklichkeit von Leib und Blut des Herrn überführt. Wenn an der genannten Stelle bei Ambrosius bloß vom Typus die Rede ist und noch nicht von seiner Erfüllung, dann nicht, um die Gegenwart Christi in der Eucharistie zu schmälern, sondern weil zum Zeitpunkt, zu dem in dem Ambrosius vertrauten Eucharistiegebet diese Redeweise gebraucht wird, die Transfiguration[132], welche die Oblation eucharistiziert[133], noch nicht vollzogen oder richtiger: noch nicht abgeschlossen und vollendet ist.

Schon wiederholt habe ich auf eine eigene Beschäftigung mit dem Canon Romanus verwiesen, aus der ich jetzt ein wörtliches Zitat einbringen möchte. Im Abschnitt Römisches Rechtsdenken und Kultverständnis fortwirkend im christlichen Gottesdienst habe ich dort auf den Hintergrund für die im Kanon gehäuft vorkommenden Annahmebitten aufmerksam gemacht und festgehalten: „Eine Epiklese, die den Heiligen Geist herabruft, fehlt im Kanon zwar, aber ihm mangelt deswegen nichts. An ihre Stelle treten, so können wir überzeugt sein, diese Annahmebitten und sind das spezifisch römische Charakteristikum, gleichsam das Eigengut des Kanons, nicht Lücke, an der Wesentliches fehlt.“[134] Es gibt im römischen Messkanon mit dem Supplices eine Epiklese[135] des zweiten alexandrinischen Typs sehr wohl, und darin wird die dargebrachte Oblation im frühesten gregorianischen ebenso wie im tridentinischen Kanon erstmals direkt als Leib und Blut Christi angesprochen. Leider, aber doch auch interessanterweise, brechen gerade vor dieser Kanonstrophe das wörtliche Zitat und die alternative kurze Inhaltsangabe für den ihm bekannten Text bei Ambrosius ab.

Auftreten und Wegfall von figura

Wenn in der frühesten Bezeugung des Quam oblationem[136] bereits Verschiebungen hin zur Gestalt einer implizit epikletischen Bitte bestehen, dann möglicherweise deswegen, weil ein typologisches Verständnis verglichen mit der Zeit des Ambrosius schon stärker verblasst war und mittlerweile eine Revision für erforderlich erachtet worden war, um das Missverständnis, vor dem ja auch Lang meint, seine Leser bei Ambrosius warnen zu müssen, zu vermeiden.

Sobald man hingegen, so gebe ich Lang und seinen Lesern zu bedenken, die im Fac nobis hanc oblationem bei Ambrosius vorliegende Formulierung von der figura corporis et sanguinis Domini nostri Iesu Christi unmittelbar vor dem Einsetzungsbericht des Kanons mit der unmittelbar danach anzutreffenden, erstmaligen direkten Bezeichnung als corpus et sanguinem schon im römisch-gregorianischen und auch im tridentinisch kodifizierten Kanon kombiniert, ist zunächst das Auftreten und dann der Wegfall von figura womöglich gerade ein signifikantes Indiz für einen, dem liturgischen Zitat der Worte Christi im Einsetzungsbericht schon früh zugeschriebenen Effekt, was sich lediglich mangels eines Äquivalents zum Supplices in der bei Ambrosius belegten Textbezeugung heute nicht mehr direkt nachweisen lässt.

Besonderheiten am Einsetzungsbericht im gregorianischen Canon Missae

Zurückblickend auf den Stellenwert, den Lang im ersten und zweiten Kapitel seines Buches dem Einsetzungsbericht zugemessen hat, eine wichtige Beobachtung, die er dazu innerhalb des vierten Kapitels macht, soll diesen ersten, sehr ausführlichen Teil der Buchbesprechung zum Abschluss bringend, noch speziell ins Auge gefasst werden: Verglichen mit Eucharistiegebeten orientalischer Provenienz und auch mit dem von Ambrosius in De sacramentis gebotenen Text ist die Fassung des römisch-gregorianischen Einsetzungsbericht sehr schlicht und unausgeschmückt, und wir finden einen im wesentlichen auf Mt 26, 26-28 gestützten Einsetzungsbericht vor, der mit dem Ziel der Verlebendigung um unverwechselbare Elemente aus 1 Kor 11, 23-26 sowie im Kelchwort um das ebenfalls paulinische mysterium fidei aus 1 Tim 3, 9 erweitert ist.[137] Dabei ist es bemerkenswert, dass Matthäus nicht in der vertrauten Fassung der Vulgata zitiert wird, sondern in einer der Vetus Latina zuzuordnenden, also älteren Version, bevor Papst Damasus Hieronymus mit der Erstellung der Vulgata betraut hatte[138], womit diese Textpassage des römisch-gregorianischen Kanons zeitlich ziemlich nahe an das Mailänder Eucharistiegebet herangerückt wird, das Ambrosius beschreibt und zitiert. „Das legt nahe, dass dieser Teil des Gebets nicht der gleichen Revision gemäß den Regeln der Rhetorik wie die anderen Abschnitte des Kanons unterworfen worden ist. Als einzige derartige Überarbeitung würde dann die Ersetzung des parataktischen respexit in caelum bei Ambrosius durch den Ablativus absolutus elevatis oculis in caelum […] erscheinen“[139], kommentiert Lang. Diese konservative Attitüde könnte, so ist zu schlussfolgern, die Absicht offenbaren, die Einsetzungsworte in ihrem möglichst exakten Wortlaut beizubehalten, so nämlich, wie diese Wortfolge aus der Tradition genau empfangen worden war, was wiederum darauf hindeutet, dass diese ipsissima verba in Rom weniger als die Erinnerung an ein vergangenes, historisches Ereignis wachrufend verstanden wurden, vielmehr so, dass ihnen die Funktion zugeschrieben wurde, das entscheidende historische Ereignis selbst im Hier und Jetzt fortgesetzt präsent und wirksam werden zu lassen.[140]

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Bibliographische Angaben und Bestellmöglichkeit: https://www.amazon.de/Roman-Mass-Christian-Origins-Tridentine-ebook/dp/B0B4F1B8LP

[1] Vgl. Lang, U. M., The Roman Mass. From Early Christian Origins to Tridentine Reform, Cambridge 12022, S. ix; fortan zitiert als Lang, The Roman Mass.

[2] Ders., https://adoremus.org/2023/01/the-liturgical-legacy-of-pope-benedict-xvi/, aufgerufen am 14. 01. 2023.

[3] Vgl. ders., The Roman Mass, S. 1.

[4] Vgl. ders., ebd., S. 2.

[5] Siehe die Liste von Fiedrowiczs Veröffentlichungen: Prof. Dr. Fiedrowicz (theologie-trier.de),aufgerufen am 14. 01. 2023, dort lfd. Nr. 13 seiner Monographien, Quellensammlungen und –übersetzungen. In traditionalistischen Kreisen entwickelte sich dieses Buch, zuerst 2011 erschienen, in relativ kurzer Zeit zu einem Kassenschlager, so dass es 2019 bereits in 5., aktualisierter Auflage vorliegt, von der ausgehend 2020 eine Übersetzung ins Englische und 2021 eine spanische erschienen ist.

[6] Brooklyn 12021, fortan zitiert als Fiedrowicz, The Traditional Mass.

[7] In der englischen Ausgabe zu Beginn zusammen mit Stimmen anderer Rezensenten auf zwei unpaginierten Seiten abgedruckt.

[8] Vgl. Fiedrowicz, The Traditional Mass (wie Anm. 6), S. 3-37.

[9] Vgl. Lang, The Traditional Mass, Conclusions, S. 36, 76f, 103, 143f, 212f, 254f, 305f, 341f, 364-366.

[10] Vgl. ebd., Introduction, S. 1-6.

[11] Ebd., S. 3f.

[12] Ebd., S.4.

[13] Gleichermaßen im Sinne von Präsumption und von Akzeptanz verstanden.

[14] Vgl. Fiedrowicz, The Traditional Mass (wie Anm. 6), Überschriften: „Phases of Development“ „The Beginnings (Second and Third Centuries)“, S. 3.

[15] Fiedrowicz, The Traditional Mass (wie Anm. 6), S.3.

[16] Ebd., „[T]he Last Supper, which followed the sequence of the rite of the Jewish Passover meal […].“, S. 4.

[17] Lang, The Roman Mass, S. 19.

[18] Vgl. ebd., S. 12.

[19] Vgl. ebd., S. 33-36.

[20] Einschränkend vgl. die Position Brant Pitres, ebd., S. 35f, bekräftigend allerdings die typisch johanneische Terminologie vom Fleisch des Menschensohnes gegenüber Leib, vgl. ebd., S. 34f.

[21] Ebd., S. 33.

[22] Ebd., S. 7.

[23] Ebd., S. 9

[24] Ebd., S. 10.

[25] Ebd., S. 21.

[26] Ebd., S. 28.

[27] Vgl. Heid, St., Altar und Kirche. Prinzipien christlicher Liturgie, Regensburg 12019, S. 449.

[28] Lang, The Roman Mass, S. 20.

[29] Ebd., S. 36.

[30] Ebd., S. 14.

[31] Vgl. dazu ausführlich ebd., S. 12-14.

[32] Ebd., S.15.

[33] Ebd., S. 37f.

[34] Vgl. das Anm. 24 dieser Rezension zugehörige Zitat.

[35] Lang, The Roman Mass, S. 38.

[36] Vgl. ebd., S. 38-44.

[37] Vgl. Barker, M., Temple Themes in Christian Worship, London 12008.

[38] Lang, The Roman Mass, S. 39.

[39] Thalhofer, V., Das Opfer des alten und des neuen Bundes mit besonderer Rücksicht auf den Hebräerbrief und die katholische Meßopferlehre exegetisch-dogmatisch gewürdiget, Regensburg 11870, fortan zitiert als Thalhofer, Das Opfer. Dieses Buch hat überhaupt nur eine einzige Auflage erlebt, aber sie muss ziemlich hoch gewesen sein, denn noch heute wird das Werk antiquarisch häufig angeboten.

[40] Vgl. ebd., S. 200-219.

[41] Ebd., S. 261, die originale Orthographie Thalhofers wird bewusst beibehalten.

[42] Lang, The Roman Mass, S. 40.

[43] Ebd., S. 41.

[44] Vgl. ebd., 39f.

[45] Vgl. ebd., S. 41, Lang folgt hier der Begründung Scott Hahns.

[46] Ebd., a. a. O.

[47] Vgl. ebd., a. a. O.

[48] Ebd., S. 42.

[49] Ebd., S. 43.

[50] Möglicherweise nimmt Lang die Untersuchung Margaret Barkers (vgl. Anm. 37) in dieser Hinsicht als zu harmonisierend wahr und hat deswegen darauf verzichtet, sie für seine eigene Arbeit zu berücksichtigen.

[51] Lang, The Roman Mass, S. 43f.

[52] Vgl. ebd., S. 44.

[53] Vgl. ebd., S. 44-47.

[54] Ebd., S. 47.

[55] Vgl. ebd., a. a. O.

[56] Vgl. ebd., S. 46f.

[57] Vgl. ebd., S. 49-52.

[58] Vgl. ebd., S. 49.

[59] Vgl. ebd., S. 51.

[60] Vgl. Casel, O., Das christliche Kultmysterium, Regensburg 41960.

[61] Vgl. Lang, The Roman Mass, S. 51f.

[62] Vgl. ebd., S. 53-58.

[63] Vgl. ebd., S. 58-67.

[64] Vgl. ebd., S. 58.

[65] Dieser eigentümliche Sprachgebrauch des Johannesevageliums wurde von Lang schon bei der Beschäftigung mit Joh 6 untersucht und basiert bereits auf der Theologie vom fleischgewordenen Wort im Johannesprolog, genauer in Joh 1, 14, vgl. ebd., S. 35.

[66] Vgl. ebd., S. 59.

[67] Vgl. ebd., S. 60.

[68] Ebd., S.61.

[69] Vgl. ebd., a. a. O.

[70] Vgl. ebd., S. 66.

[71] Vgl. ebd., S. 71 sowie Anm. 27 der vorliegenden Rezension.

[72] Vgl. ebd., S. 72.

[73] Ebd., S.70.

[74] Ebd., S. 71.Diesem Thema hat Lang ja schon längst ein eigenes, zuerst 2003 mit einem Geleitwort Kardinal Joseph Ratzingers veröffentlichtes Buch gewidmet, das bereits im Jahr 2005 in 5. (!) Auflage vorgelegen hatte, vgl. ders., Conversi ad Dominum. Zu Geschichte und Theologie der christlichen Gebetsrichtung, Einsiedeln 52010.

[75] Vgl. Lang, The Roman Mass, S. 74-76.

[76] Ebd., S. 77.

[77] Vgl. ebd., S. 4.

[78] Ebd., S. 78.

[79] Ebd., S. 80f.

[80] Ebd., S. 81f.

[81] Ebd., S. 82.

[82] Eine ursprünglich in anderem, aber im weiteren Sinne durchaus verwandten, Zusammenhang von Gerhard L. Müller noch als Bischof von Regensburg aufgebrachte Formulierung und Kategorie.

[83] Vgl. Lang, The Roman Mass, S. 86.

[84] Ebd., S. 88.

[85] Vgl. ebd., S. 88f.

[86] Das Dokument ist inzwischen online nur noch einigermaßen entlegen und versteckt greifbar, vgl. https://cnewa.org/eastern-christian-churches/ecumenical-relations/relations-between-the-catholic-church-and-the-assyrian-church-of-the-east/2001-guidelines/, aufgerufen am 28.01.2023.

[87] Vgl. Lang, The Roman Mass, S. 89, Anm. 34.

[88] Ebd., S. 89.

[89] Wobei, wie offenbar nahegelegt werden soll, selbst ein ursprünglich vorhandener, direkter Einsetzungsbericht ausgeschieden worden sein könnte.

[90] Lang, The Roman Mass, S. 90.

[91] Vgl. ebd., S. 90f.

[92] Vgl. ebd., S. 94.

[93] Vgl. ebd., S. 94f.

[94] Vgl. ebd., S. 95.

[95] Vgl. ebd., a. a. O.

[96] Ebd., a. a. O.

[97] Vgl. ebd., a. a. O.

[98] Vgl. ebd., a. a. O.

[99] Vgl. ebd., S. 96-99.

[100] Vgl. ebd., S. 99f.

[101] Vgl. ebd., S. 127f.

[102] Dem Thema Liturgiesprache hat Lang bereits ein eigenes Buch gewidmet, vgl. Lang, U. M., Die Stimme der Kirche. Überlegungen zur Sprache der Liturgie, Einsiedeln 12012. Diese deutsche Ausgabe erschien damals noch im gleichen Jahr wie das englische Original, vgl. Lang, U. M., The Voice of the Church at Prayer. Reflections on Liturgy and Language, San Francisco 12012.

[103] Vgl. Lang, The Roman Mass, S. 104.

[104] Vgl. ebd., S. 107.

[105] Vgl. ebd., a. a. O.

[106] Ebd., S. 107f.

[107] Vgl. ebd., S. 108.

[108] Ebd., S. 109.

[109] Vgl. dazu auch Oldendorf, C. V., „Sacrificium laudis“ und „oblatio“ als Schlüssel zur Struktur und Aussage des Canon Missae – Das Problem der Kanonhermeneutik und der deutschen Übersetzung des Messkanons – Teil 2 « kathnews, aufgerufen am 30. 01. 2023, fortan zitiert als Oldendorf, Sacrificium laudis.

[110] Vgl. Lang, The Roman Mass, S. 110-129.

[111] Vgl. ebd., S. 131-138.

[112] Vgl. ebd., S. 112 und S. 138-143.

[113] Vgl. ebd., S. 110.

[114] Vgl. ebd., S. 127.

[115] Vgl. ebd., S. 122.

[116] Vgl. ebd., S. 126.

[117] Vgl. ebd., S. 128.

[118] Ebd., a. a. O.

[119] Vgl. ebd., S. 145-153.

[120] Vgl. ebd., S. 145f.

[121] Vgl. ebd., S. 146-148.

[122] Vgl. ebd., S. 147, linke Spalte.

[123] Vgl. ebd., S. 148-152.

[124] Vgl. ebd., S. 149-151, jeweils linke Spalte.

[125] Vgl. ebd., c)S. 153.

[126] Vgl. ebd., S. 367-390.

[127] Ebd. S. 146, linke Spalte.

[128] Ebd. S. 118f.

[129] Vgl. ebd., Merkkästchen mit den Strukturelementen der alexandrinischen Anaphora, mit Epiklese I vor dem Einsetzungsbericht (Geistepiklese) und Epiklese II, die eine Kommunionepiklese darstellt, S. 100.

[130] Vgl. Oldendorf, Sacrificium laudis (wie Anm. 109) aufgerufen am 02. 02. 2023.

[131] „Make for us this offering approved, reasonable, acceptable, which is the figure of the body and the blood of our Lord Jesus Christ.” Lang, The Roman Mass, S. 150, linke Spalte, Fettsatz zur Verdeutlichung durch den Rezensenten hinzugefügt.

[132] Diese Begrifflichkeit bei Ambrosius ist übrigens keine Abschwächung, erst recht keine Leugnung der Transsubstantiation, versetzt uns vielmehr dogmengeschichtlich zurück ins auslaufende 3. Jahrhundert mit der Bemühung und Suche nach einer am besten adäquaten Umschreibung für die Gegenwartsweise Christi in der Eucharistie.

[133] Man erinnere sich an diese, weiter oben erwähnte Ausdrucksweise bei Justin dem Martyrer.

[134] Oldendorf, Sacrificium laudis (wie Anm. 109), aufgerufen am 02. 02. 2023.

[135] Obwohl doch die Nennung eines himmlischen Altares in diesem Gebet der von ihm energisch verfochtenen Existenz eines himmlischen Opfers als Bindeglied zwischen Kreuzes- und eucharistischem Opfer immens entgegenkommen müsste, streitet Thalhofer das in seiner schon erwähnten Messopfertheorie von 1870 (wie Anm. 39) doch überraschend entschieden ab: „Den geistreichen Versuch, in dem Supplices te rogamus die Epiklese der römischen Kirche nachzuweisen (Hoppe, in modifizirter Form Scheeben) kann ich nicht als geglückt erachten; eingehendere Studien haben mich von seiner Unhaltbarkeit vollüberzeugt; leider kann ich hier auf diesen interessanten Gegenstand nicht näher eingehen.“ A. a. O., S. 243, Anm. 1, und bedauerlicherweise hat Thalhofer das auch später publizistisch nicht mehr nachgeholt. Auffallend ist es außerdem, dass Thalhofer den im fraglichen Gebet erwähnten Engel nicht, wie etwa prominent Thomas von Aquin, mit Christus identifiziert, sondern mit dem Erzengel Michael als „Schutzengel der Kirche“, wie in deren ersten Teil ebenfalls aus der gerade zitierten Fußnote hervorgeht. – Hier bietet sich auch die kurze Gelegenheit, auf das dem Quam oblationem vorausgehende Hanc igitur im gregorianischen (und tridentinischen) Kanon einzugehen: Bei Ambrosius fehlt das Zitat eines entsprechenden Textes, vgl. Lang, The Roman Mass, S. 146, linke Spalte. Lang bemerkt zum Hanc igitur später in seinem in seinem Buch, dass in den Rubriken eine Ausstreckung der Hände über die Opfergaben an dieser Stelle erst im 14. Jahrhundert auftaucht und meint dazu: „Anders als bei einer modernen Lesart wurde der Gestus nicht als epikletisch interpretiert, sondern eher als eine Art und Weise, Aufmerksamkeit auf die gegenwärtig dargebrachte Oblation (man beachte das hinweisende hanc) zu lenken.“ A. a. O., S. 286. Es ist fraglich, auch wenn es Lang entgegenkommt, ob ein solch epikletisches Verständnis der Handausstreckung überhaupt zutreffend und sie nicht richtiger als eine Handauflegung zu begreifen ist. Diese Deutung legt nämlich Thalhofer unter Rückgriff auf den Jom Kippur nahe: „Wo immer uns im alten Testamente Handauflegung begegnet, erscheint sie als Mittel der Übertragung von etwas, das Einem irgendwie eigen geworden ist, auf einen Anderen. […] [Es] steht a priori zu erwarten, daß auch die Hand- oder Hände-Auflegung im mosaischen Opferculte Sinnbild einer Übertragung sein werde; und da auf diese Handauflegung sofort Tödtung und Blutvergießen folgt, die nicht etwa anderweitig, sondern lediglich durch die vorausgegangene Handauflegung motivirt erscheint, so kann nur an Übertragung von Sünde und Schuld gedacht werden.“ Thalhofer, Das Opfer (wie Anm. 39), S. 46f. Betonend, dass der in die Wüste geschickte Asaselbock, an dem die Handauflegung durch den Hohepriester erfolgt war und der zweite, am Sühnefest vom Hohepriester geschlachtete, andere Bock eine innere Einheit bilden, führt Thalhofer weiter aus: „Warum sollte nun die Handauflegung über den Asasel-Bock nicht die gleiche Bedeutung haben, welche sie überhaupt bei den Sündopfern hat? […] Handauflegen und Schlachten sind immer Sache ein und derselben Person, und so gewiß das Schlachten des einen Bockes durch den Hohepriester sacrifizieller Natur war, so gewiß auch die Handauflegung über den andern Bock. […] Mir scheint, es seien kaum bei einem andern der verschiedenen Opfer-Riten so viele und sichere Haltpunkte zu einer objectiven Deutung schon in der heiligen Schrift selber gegeben, wie für die Deutung der Handauflegung als symbolischer Übertragung von Sünde und Schuld auf das Opferthier.“ Ebd., S. 48.

[136] Vgl. Lang, The Roman Mass, S. 146, rechte Spalte sowie die englische Übersetzung davon ebd., S. 150, rechte Spalte, wobei er übrigens den Zusatz Dei zu Domini unübersetzt lässt. Vermutlich ein Versehen Langs, der hier darauf vergessen haben dürfte, dass der Textus receptus des  Kanons, wie er im MR1570 vorliegt, an dieser Stelle Dei nicht hat, vgl. ebd., S. 181, linke Spalte. Auch im Unde et memores ist in einer anlogen Wendung der Zusatz Dei ausgeschieden, vgl. ebd., S. 147, rechte Spalte und S. 382, linke Spalte. Wiederum vergisst Lang  bei der Übersetzung der ältesten, bekannten römisch-gregorianischen Textfassung Dei zu übersetzen beziehungsweise die von ihm zugrundegelegte Übersetzung entsprechend zu ergänzen, vgl. ebd., S. 151, rechte Spalte. Es ist zu hoffen, dass wegen dieser spätestens tridentinisch vorgenommenen redaktionellen Auslassung im Kanontext (oder wegen der Übersetzungsversäumnisse bei der englischen Wiedergabe von dessen ältester Textbezeugung) niemand darauf verfällt, Pius V. oder Uwe Michael Lang arianisierende Tendenzen zu unterstellen.

[137] Vgl. Lang, The Roman Mass, S. 119.

[138] Vgl. ebd., S. 108.

[139] Ebd., S. 119f.

[140] Vgl. ebd., S. 120; Lang beruft sich hier auf Peter Burton.

Foto: The Roman Mass – Cover – Bildquelle: Uwe Michael Lang

 

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