Zwei Kurzzitate erhellen Problem und Verständnis von „Traditionis Custodes“

Ein Beitrag von Clemens Victor Oldendorf.
Erstellt von Clemens Victor Oldendorf am 1. August 2021 um 08:00 Uhr

Der heutige 1. August war jahrhundertelang, wurde er nicht wie in diesem Jahr von einem Sonntag verdrängt, das Fest Petrus in Ketten. Im liturgischen Kalender von 1962 allgemein gestrichen, blieb dieses Fest dennoch pro aliquibus locis möglich. Als Eigenfest wird es von der Priesterbruderschaft St. Petrus weiterhin offiziell begangen.

Im Prozess der Bewältigung, das jüngste Motu proprio des Heiligen Vaters Franziskus verarbeiten zu müssen, möchte ich diesen Tag wählen, um einen Blick zu werfen auf zwei Zitate, die im Begleitbrief zu Traditionis Custodes kurz aufeinander folgen.

Zweifel am Konzil und am Heiligen Geist?

Das erste dieser beiden Zitate lautet:„Am [Zweiten Vatikanischen, Anm. CVO] Konzil zu zweifeln, bedeutet, an den Absichten der Väter selbst zu zweifeln, die auf dem Ökumenischen Konzil feierlich ihre kollegiale Vollmacht cum Petro et sub Petro ausgeübt haben, und letztlich auch am Heiligen Geist selbst, der die Kirche leitet.“

Papst Franziskus stellt damit undifferenziert an alle Traditionalisten gerichtet den Vorwurf in den Raum, den ich schon vor beinahe zehn Jahren erwartet und auf Kathnews als Theorie der pneumatischen Unterbrechung bezeichnet habe. Damit wollte ich damals die Haltung radikaler Traditionalisten umschreiben, die mehr oder weniger unausgesprochen, teilweise womöglich auch unterbewusst davon ausgehen, spätestens mit oder seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und jedenfalls in der Zeit danach sei der Beistand des Heiligen Geistes [griech. Pneuma], der der Kirche doch während ihrer gesamten geschichtlichen Dauer verheißen ist, abgebrochen oder bestehe vielmehr lediglich noch dort fort, wo man sich gegenüber diesem Konzil und allen seinen Folgeerscheinungen konsequent abschottet, sozusagen dagegen immunisiert.

Nun muss man allerdings dem Papst entgegenhalten, dass er diesen ungeheuerlichen Vorwurf, aus dem, wie ich ebenfalls schon seinerzeit aufgezeigt hatte, relativ leicht eine Häresie konstruiert werden kann, gerade jenen pauschal unterstellt, die immer Wert darauf gelegt haben, ihre Bindung an die überlieferte Römische Liturgie nicht von der Bindung an Papst und Bischöfe zu entkoppeln und auch nicht aus der Einbindung in die institutionellen Strukturen der Kirche herauszulösen.

Außerdem spricht der Papst vom Zweifeln am Konzil. Wenn er damit jede Konzilskritik unterbinden will oder erst recht kritische Distanz zur nachkonziliaren Durchführung der Reformen und die Forderung, diese auch zu evaluieren und erforderlichenfalls kritisch zu korrigieren, als unstatthaft hinstellt, so ist das weder theologisch akzeptabel noch auf der praktisch-konkreten Ebene dem Zweiten Vatikanischen Konzil angemessen, dessen Verheutigungsansatz („Aggiornamento“) in einer Zeitsituation und –stimmung stand, die nicht die unseren sind und in denen sich viele Erwartungen und Prognosen des Konzils nachweislich nicht eingestellt haben.

Die Fundamentalkritik, die Papst Franziskus unterstellt, kann er gerechterweise nicht einmal der offiziellen Position der Priesterbruderschaft St. Pius‘ X. zuschreiben. In der Schärfe, mit der er die skizzierte traditionalistische Fehlhaltung wahrnimmt, existiert sie – durchdacht und reflektiert und zur festen Überzeugung verdichtet – wenn überhaupt nur unter Sedisvakantisten, die sich ganz bestimmt nicht an einen derzeit in Rom amtierenden Papst wenden, um sich die Erlaubnis geben zu lassen, die tridentinische Messe zu feiern oder sonst etwas zu tun. Diese streben alles andere an, als von Franziskus anerkannt zu sein oder anerkannt zu werden oder mit ihm in Einheit zu stehen.

Doch warum erhebt dann der Papst diese Vorwürfe, deren richtige Adressaten er mit Traditionis Custodes und dem Begleitschreiben gar nicht erreicht, und warum will er der Kirche geradezu als Strafmaßnahme die überlieferte Liturgie unbedingt entziehen, ohne damit diejenigen, die er eigentlich meint und kritisiert, überhaupt treffen zu können?

Bewahrt die nachkonziliare Liturgiereform den Römischen Ritus?

Das zweite Zitat im Begleitbrief zum neuen Motu proprio, das ich heute sichten möchte, sagt folgendes:„Wer mit Andacht in der früheren liturgischen Form zelebrieren möchte, wird es nicht schwer finden, im nach dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils reformierten Römischen Messbuch alle Elemente des Römischen Ritus zu finden, insbesondere den Römischen Kanon, der eines der charakteristischsten Elemente ist.“

Diese Behauptung des Papstes ist in mehrfacher Hinsicht fragwürdig: Erstens geht sie von einer nicht organischen, sondern mehr mechanischen Auffassung von Ritus aus, so als gäbe es eine Art Material, das die Romanitas des Ritus ausmacht, das aber jedenfalls kraft der Autorität des Papstes frei bearbeitet, verfremdet, neu kombiniert und zusammengesetzt werden kann, ohne dadurch seinen römischen Charakter einzubüßen.

Zweitens muss in Erinnerung gerufen werden, dass das sogenannte Erste Hochgebet im Missale Pauls VI. textlich zwar weitgehend mit dem Canon Romanus übereinstimmt, aber nicht identisch ist. Zum einen, weil große Teile der beiden Heiligenlisten und auch vereinzelte andere Passagen fakultativ sind, zum anderen aber vor allem, weil Paul VI. Formulierung und Umfang der engeren konsekratorischen Formel neu gefasst hat. Damit wird nicht die Frage von deren sakramentaler Gültigkeit berührt oder diese gar geleugnet. Immer schon habe ich die Ansicht vertreten, dass Paul VI., hätte er den römischen Charakter des Novus Ordo Missae wenigstens formal beibehalten wollen, zumindest am Wortlaut und Umfang der Konsekrationsworte wie im traditionellen Canon Missae hätte festhalten und diesen auch in die alternativen Hochgebete hätte aufnehmen müssen. Freilich wäre auch das schon höchst reduktionistisch und problematisch gewesen. Jedoch umgekehrt ist er vorgegangen. Er schuf eine neue Formulierung, die in allen Hochgebeten gleich lauten sollte und fügte sie deshalb auch in den bisherigen Römischen Kanon ein. Demnach ist die Liturgie Pauls VI. höchstens in einem anderen Sinne römisch.

Sie ist der Gipfelpunkt einer Entwicklung hin zu einer Einheitsliturgie, die vom Papst in Rom ausgegangen ist. Sachlich schafft sie eher einen päpstlichen Einheitsritus, als dass sie dem Römischen Ritus eine neue, verbindliche Gestalt gegeben hätte. Die Bezeichnung des Prototyps des Novus Ordo Missae, der auf der ersten Bischofssynode 1967 von der überwältigenden Mehrheit der Synodenväter zurückgewiesen und dann 1969 dennoch durchgesetzt wurde, war nicht unpassend Missa normativa.

Sodann übersieht das Argument von Papst Franziskus, dass der Messkanon nicht bloß ein Text ist, nicht bloß ein Wortlaut, auch nicht bloß ein Sprechakt, sondern ein ritueller Wortvollzug, und die Kanonrubriken, sozusagen die nonverbalen Gesten, die diese wortbegleitete Sakrifialhandlung begleiten und deuten, sind im originalen Canon Romanus und im neuen Ersten Hochgebet vollkommen voneinander verschieden und übrigens von Papst Paul VI. fast völlig ausgedünnt worden.

Drittens verschweigt der Papst, dass es keineswegs so leicht ist, das Erste Hochgebet im liturgischen Gebrauch anzutreffen und dass das daran liegt, dass die nachkonziliare liturgische Praxis, aber auch die Liturgiewissenschaft den Canon Romanus und das Erste Hochgebet selbst in seiner sozusagen rituell bereinigten Form als höchst problematisch einstufen und es daher kaum benutzt wird.

Lateinischer Novus Ordo mit Erstem Hochgebet als Kompromiss zur Eingewöhnung?

In seiner gänzlich unerleuchteten, oberflächlichen Betrachtungsweise schwebt dem Papst wahrscheinlich vor, die Traditionalisten zum Novus Ordo Missae mit Erstem Hochgebet hinzuführen, den er ihnen vielleicht übergangsweise auch noch in Latein belassen würde. Da es aber bereits seit einiger Zeit Anzeichen gibt, die neuen liturgischen Bücher nicht mehr länger in lateinischer Sprache verfügbar zu halten und erst kürzlich im Petersdom dazu übergegangen wurde, die verbleibenden Konzelebrationen nur noch in der Volkssprache zu feiern, auch das offensichtlich nur mit einer Gnadenfrist oder mit kurzer Halbwertszeit.

Während Kardinal Ratzinger auch als Papst Benedikt immer meinte, das Traditionalistenproblem rein liturgisch lösen zu können, versteht allem Anschein nach Papst Franziskus nicht einmal mehr dieses liturgische Anliegen.

Eingangs habe ich auf das Fest Petri Kettenfeier hingewiesen. Wir sehen eine Situation, in der nicht Petrus in Ketten liegt, sondern der Nachfolger Petri versucht, den überlieferten Römischen Ritus in Ketten zu legen. Darum ist es sinnvoll, an die Secreta des Messformulars dieses Festes anzuknüpfen, worin es kurz vor dem Eintritt in den Canon Missae heißt: „Das Dir dargebrachte Opfer möge uns, indem Dein seliger Apostel Petrus für uns eintritt, immerdar beleben und schützen.“ Diese Lebenskraft beseelt den überlieferten Römischen Ritus, und sie kann auch von einem Papst nicht legitim unterdrückt werden.

Keine pharisäische Haltung einnehmen oder sie überwinden!

Heute ist auch der 10. Sonntag nach Pfingsten mit dem Evangelium vom Zöllner und Pharisäer, die zur gleichen Zeit in den Tempel kommen, aber nicht zusammen beten (Lk 18, 9-14) Das „Gebet“ des Pharisäers ist uns wohlbekannt. Er bedankt sich bei Gott, nicht zu sein wie die übrigen Menschen oder auch wie dieser Zöllner da. Beide, Zöllner und Phariäer, sind gleichwohl in ein und demselben Tempel gekommen und darin irgendwie durchaus vereint. Und dieser Aspekt trifft sicher doch ein nicht unberechtigtes Anliegen von Papst Franziskus und beinhaltet eine Mahnung an viele traditionsorientierte Katholiken, die zu beherzigen ist. Die Treue zur Überlieferung in Liturgie und Glauben ist eine besondere Gnade, kein Grund, sich als die besseren Katholiken zu fühlen und auf andere in und außerhalb der Kirche selbstgerecht und überheblich herunterzuschauen.

Das indes ist eine Einstellung, die sich nicht nur unter Traditionalisten findet, sondern vielfach auch unter besonders „frommen“ Gläubigen im Umfeld des Novus Ordo, die von Persönlichkeit und Pontifikat Johannes Pauls II. geprägt wurden und sich insbesondere auf moralisches Verhalten anderer konzentrieren, mit spezieller Vorliebe auf das Zueinander der Geschlechter und auf Ideale in diesem Bereich, die andere Leute nicht erreichen oder beachten. Also: Alle Probleme löst auch der Novus Ordo nicht, Heiliger Vater!

Foto: Taube – Ambo, St. Laurentius zu Konnersreuth – Bildquelle: Kathnews

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