Zum 95. Geburtstag Joseph Ratzingers
Als Joseph Ratzinger 1927 am 16. April geboren wurde, war dies der Karsamstag. Noch Jahrzehnte, bevor die Karwochenreform von 1955 in diesem Mittelpunkt des liturgischen Jahres bereits eine rituell tiefgreifend veränderte, gerade nicht gewordene, Liturgie mit sich brachte. Doch das nur als Randbemerkung. Bedeutungsvoller war es sicherlich, dass der kleine Joseph Alois mit dem österlichen Taufwasser getauft wurde. Die Glückwünsche zum 95. Geburtstag erhalten eine schöne Note dadurch, dass der 16. April 2022 wiederum ein Karsamstag ist. Ein Leben als Christ, im Zeichen der österlichen Hoffnung und Dynamik.
In der gegenwärtigen Aktualität Europas ist es gewiss aufschlussreich, wie der emeritierte Papst Benedikt seine Begegnung mit Putin schildert und einschätzt: „Wir haben deutsch miteinander gesprochen, er spricht perfekt Deutsch. Wir sind nicht sehr tief gegangen, aber ich glaube schon, dass er – ein Mensch der Macht natürlich – irgendwie von der Notwendigkeit des Glaubens berührt ist. Er ist ein Realist. Er sieht, wie Russland unter der Zerstörung der Moral leidet. Auch als Patriot, als jemand, der Russland wieder zur Großmacht machen will, sieht er, dass die Zerstörung des Christentums Russland zu zerstören droht. Der Mensch braucht Gott, das sieht er ganz evident, und davon ist er sicherlich auch innerlich berührt. Er hat auch jetzt, wie er dem Papst [Papst Franziskus] die Ikone überreicht hat, zuerst das Kreuz gemacht und sie geküsst“ (Seewald, P., Benedikt XVI. Letzte Gespräche, München 2016, S. 240f.).
Das unmittelbare Nebeneinander von zutreffender Beobachtung und gewissermaßen naiver Wahrnehmung, die im angeführten Zitat wie unlöslich miteinander verwoben sind, ist vielleicht das deutlichste Charakteristikum dessen, was Ratzinger an anderer Stelle sein „Charisma und Nichtcharisma“ (a. a. O., S. 212) nennt. Dieser ambivalente Zugang zu Intuition und Menschenkenntnis ist womöglich die Schwäche, die Achillesverse, die in Leben und Pontifikat Ratzingers und Benedikts – allen Vorzügen und Begabungen zum Trotz – immer wieder Angriffsfläche und Schwachpunkt geboten haben und bilden. Ad multos annos!
Foto: Papst Benedikt XVI. – Bildquelle: David Bohrer, White House