Ziel der Menschwerdung: die Herrlichkeit des Menschen durch Kreuz und Auferstehung Christi
Das Tagesgebet (Collecta) des 4. Adventssonntages im Messbuch Pauls VI. ist – wie alle Gebete der Adventssonntages – im Vergleich zur Oration im klassischen Römischen Messbuch von 1962 ganz verändert. Dem gläubigen Beter ist sie als die Schlussoration des „Engel des Herrn“ bekannt. „Die Oration ist ursprĂĽnglich fĂĽr den 25. März, das Fest der VerkĂĽndigung des Herrn, komponiert, und zwar als Schlussgebet. Seit dem 15. Jh. wurde es fĂĽr Votivmessen der Gottesmutter in der Adventszeit verwendet und in der nachkonziliaren Erneuerung fĂĽr den 4. Adventssonntag als Tagesgebet“ (Josef Pascher, Die Orationen des Missale Romanum Papst Pauls VI., 21). Das Tagesgebet schlägt inhaltlich eine BrĂĽcke zwischen Weihnachten und Ostern, zwischen der Menschwerdung (Christi filii tui incarnationem) und dem Ostermysterium von Kreuz und Auferstehung (per passionem eius et crucem ad resurrectionis gloriam).
Damit wird die Zielrichtung des Weihnachtsmysteriums zum Ausdruck gebracht, die der Autor des Briefes an die Hebräer (Lesejahr C) auf den Punkt bringt: „Christus spricht bei seinem Eintritt in die Welt: An Schlacht- und Speisopfern hast du kein Gefallen, doch einen Leib hast du mir bereitet. … Siehe, ich komme … deinen Willen, Gott, zu erfüllen“ (Hebr. 10, 5 u. 7). Im jungfräulichen Schoß Mariens tritt Christus in die Welt ein, um mit seinem Leib den Willen des Vaters – den Freikauf und die Erlösung der Menschen – am Kreuz zu erfüllen. So bringt die Tagesoration in Erinnerung, „dass Empfängnis und Geburt des Herrn jene Selbstentäußerung sind, die nach Phil. 2 Todesgehorsam und Auferstehung Christi und damit die Erlösung des Menschen begründen. Auf dem Hintergrund dieses Hymnus auf das Pascha-Mysterium ist daher auch die Oration zu verstehen“ (Josef Pascher, 21 f.).
Im Advent steht die Freude ĂĽber die Menschwerdung zentral, die die Menschheit durch die Botschaft des Engels (Angelo nuntiante) erfahren hat. Doch ist der Grund fĂĽr diese Freude die Herrlichkeit, die uns durch den gekreuzigten, im MutterschoĂź Mariens empfangenen Leib Christi und dessen Auferstehung zuteil wird.
Alex Stock sieht in der Oration einen Bruch mit den Tagesgebeten der vorausgehenden drei Adventssonntage. Ihr fehle der besondere adventliche Charakter, das „Bewegungsmoment der vorangehenden Sonntage“ (Alex Stock, Orationen. Die Tageszeiten der Festzeiten neue übersetzt und erklärt, 25). Im Gegensatz dazu stehe das Tagesgebet des klassischen Römischen Messbuches von 1962 in Kontinuität mit denen der ersten beiden Adventssonntage. Auch diese begannen mit dem für die Adventsliturgie typischen „Biete auf“ (Excita). Im Mittelpunkt steht dort das „verzeihende Erbarmen“ (indulgentia propitiationis). Sie soll die Sünden wegnehmen, die den Empfang der Gnade des Geburtsfestes des Gottessohnes in uns „hemmen“ (praepediunt). „Auf das Innere also kommt es an, um nicht nur für Weihnachten bereit zu sein, sondern darüber hinaus auch für die große Begegnung mit dem Herrn an dem Tag, an dem er uns von dieser Welt ruft“ (Martin Ramm, Volksmissale. Das vollständige römische Messbuch nach der Ordnung von 1962. Lateinisch/Deutsch, 31 T).
DemĂĽtiges Hören auf das Wort Gottes, Gehorsam im Glauben, vollkommene Befolgung des Willens Gottes – das sind die Voraussetzungen, die Gnade von Weihnachten zu empfangen und zu erfahren. Daher die Bitte im Tagesgebet des Messbuches Pauls VI.: „Allmächtiger Gott, gieĂźe deine Gnade in unsere Herzen ein“ (Gratiam tuam, quaesumus, Domine, mentibus nostris infunde). Das groĂźe Vorbild ist die Jungfrau Maria, in deren reinstem SchoĂź das Wort Gottes durch den Heiligen Geist Fleisch (Mensch) geworden ist.
Es ist derselbe Geist, der in der Kirche wirkt, der die eucharistischen Gaben verwandelt in den Leib und das Blut Christi und die Gläubigen anspornt, wie Maria Christus in die Welt zu bringen.
Tagesgebet (Collecta)
Deutsches Messbuch
Allmächtiger Gott, gieße deine Gnade in unsere Herzen ein. Durch die Botschaft des Engels haben wir die Menschwerdung Christi, deines Sohnes erkannt. Führe uns durch sein Leiden und Kreuz zur Herrlichkeit der Auferstehung.
Lateinischer Originaltext
Gratiam tuam, quaesumus, Domine, mentibus nostris effunde, ut, qui Angelo nuntiante Christi filii tui incarnationem cognovimus, per passionem eius et crucem ad resurrectionis gloriam perducamur.
Römisches Messbuch von 1962 (Übersetzung: Pater Martin Ramm FSSP)
Biete auf, so bitten wir, Herr, Deine Macht und komm; eile uns mit groĂźer Kraft zu Hilfe, steh uns bei mit Deiner Gnade und beschleunige durch Dein verzeihendes Erbarmen, was unsere SĂĽnden hemmen.
Lateinischer Originaltext
Excita, quaesumus, Domine, potentiam tuam et veni et magna nobis virtute succurre, ut per auxilium gratiae tuae, quod nostra peccata praepediunt, indulgentia tuae propitiationis acceleret.
Foto: Coptic Icon in Jerusalem – Bildquelle: „Afanous“ in der Wikipedia auf Englisch