„Wenn wir heute Karl den Großen feiern, dann verneigen wir uns vor den geistlichen Wurzeln EuroÂpas“
Aachen/Prag (kathnews). „Wenn wir heute Karl den Großen feiern, dann verneigen wir uns vor den geistlichen Wurzeln EuroÂpas, wir verneigen uns vor dem christliÂchen GlauÂben und den europäischen Werten, die daraus erwachsen sind – und nicht vor der fundamentaÂlistischen Laizität und ihren neomarxistiÂschen HelÂfern.“ So Dominik Kardinal Duka, Erzbischof von Prag, in seiner Predigt am Karlsfest im Aachener Dom. Kathnews dokumentiert die Predigt in ihrem Wortlaut:
Liebe Freunde, liebe Schwestern und Brüder in Christus!
Dies ist mein dritter Besuch in dieser alten und berühmten Stadt Aachen. Die Bedeutung dieser Stadt ist eng mit der Gestalt Karls des Großen verbunden, den man den Vater EuroÂpas nennt.
Ich komme aus einem Land und aus einem Milieu, wo alles, was mit Karl dem Großen und mit seinem Werk zusammenhängt, verschwiegen oder bestritten worden ist, und zwar aufgrund des Nationalismus und später aufgrund der marxistischen-kommunistischen Ideologie.
Bekanntermaßen wird über die Gläubigkeit und die Heiligkeit dieses Herrschers ausgiebig diskutiert. Manche Episoden aus seinem Leben würden von der heutigen Kongregation für die Selig- und HeiligspreÂchungsprozesse sicher nicht gutgeheißen. Auch wenn ich diese einzelnen Momente seines Lebens nicht eigens erwähne: Es ist wie mit einem histoÂrischen Film: Wenn ein solcher Film das Leben Karls des Großen treu nachzeichnen würde, würden viele ZuÂschauer verleÂgen wegÂschauen. Vielleicht wäre es ein guter Thriller, aber es wäre sehr fraglich, ob er die Gestalt Karls wirklich verstehen hilft. Wenn es ein Film wäre, der das Leben und Werk Karls begreifen lassen will, ein Film, der aus der Tiefe den Glauben dieses Menschen zeigen möchte, der ja ein Kind seiner Zeit war, der zeigt, wie in Karl ein neues Europa zur Welt kam, dieser Film würde zu der Diskussion führen, was historische Tatsächlichkeit und was die WahrÂheit dieÂses Menschen und Herrschers ist.
Ein Skeptiker wird vielleicht fragen: Was ist also die Wahrheit? Ich möchte mit einem bekannten Spruch antworten: „Vox populi, vox Dei.“ – „Die Stimme des Volkes ist die StimÂme GotÂtes.“ Ãœber die Heiligen der ersten Jahrhunderte hat die Tradition, das Gedächtnis des Volkes entschieden. Dieses Gedächtnis des Volkes wurde später zum Bewahrer des Werkes, das aus der Herrschaft und den Taten Karls des GroÂßen entstanden ist. Im Evangelium haben wir über das Licht gehört, das auf einen Leuchter gestellt wird, damit alle, die einÂtreten, es leuchten sehen. Auch wir treten in einen Raum unseres Kontinents Europa ein, wenn Karl der Große denjenigen auf den Leuchter stellt, in dessen Licht er herrschen will. Dieses Licht ist niemand anders als Christus, der Pantokrator, der Weltenherrscher, im himmlischen JeruÂsalem, zu dem der gekrönte Herrscher von seinem aus den Steinen des Heiligen Grabes in Jerusalem gebauten Thron aufsieht. Karl der Große lehrt uns den Blick auf das Licht Christi, das die Welt hell machen möchte, so wie die Lichter auf dem Barbarossaleuchter das Oktogon dieses Domes beleuchten.
Bei dieser Aufgabe ist Karl nicht allein. Neben ihm steht ein außerordentlicher und gelehrter Mann, der aus EngÂland stammÂt, der Diakon Alkuin. Die Bedeutung dieses Mannes ist unschätzbar. Ich sehe hier eine ÄhnlichÂkeit mit Karl IV. und dem ersten Prager Erzbischof Ernst von ParduÂbitz.
Es ist kein Zufall, dass wir als erste Lesung einen Abschnitt aus dem Buch Jesus Sirach gehört haben. Es ist eine Ode an die Weisheit und an die BilÂdung. Aus ihnen erwächst eine Freude, wie sie das Kind auf Armen seiner Mutter erlebt und der Mann in den ArÂmen seiÂner Frau. Das gemeinsame Werk dieÂser beiden MänÂner – das Oktogon des Aachener Doms, wo wir die heutige LiturÂgie feiern, und die von Alkuin geführÂte Akademie, deutet den zuÂkünftiÂgen Grund der christliÂchen Zivilisation an, die wir die westliÂche ZiviÂlisation nennen.
Diese ZivilisatiÂon ist dann später, im 13. JahrÂhundert, in dem Jahrhundert der Kathedralen und UniversitäÂten, entÂstanden.  Aber das war nur desÂhalb möglich, weil die Bibel (Vulgata) fest erfasst wurde und die antike BilÂdung respektiert wurde. Das Europa der Klöster ist ein Werk des heiliÂgen BeÂnedikt und der Iroschotten, wie eben des Abtes AlÂkuin aus der Benediktinerabtei St. Martin zu Tours.
Ich finde die Worte von Jacques Le Goff genial. Sie sollten zur Legenda aurea unserer Tage werden, und zu einer GrundÂlage für die nötige Reform der EuroÂpäischen Union. Nach seinen Worten hat die Taufe des neuen Europa ihre Vorläuferin in der TauÂfe des FrankenÂköÂnigs ChlodÂwig. Und dieses Europa wurde durch das Werk Karls des GroÂßen bestätigt, wir können auch sagen: geÂfirmt.
Diese Firmung müsÂsen wir in der theoloÂgischen Vision des Alkuin verstehen: Der Firmpate legte als ZeiÂchen seiner UnterstütÂzung seine Hand auf die rechte SchulÂter des FirmÂlings – und zwar in dem Moment, als der Bischof dem Firmling einen angedeuÂteten BaÂckenstÂreich gab als SymÂbol der StärÂkung. Ein weniger bekannÂter Brauch im Rahmen der FirmzeremoÂnie war ein Fußtritt durch den Paten, der wohl als Mittel zur `GedächtnisÂstärkung´ zu deuten ist, damit im Fall eines größeren BaÂckenstÂreichs der Firmling nicht zu Fall käme.
Den christlichen Kampf im FränkiÂschen Reich, im neuen Europa, sieht Alkuin auf dem Hintergrund des AnnehÂmens eines KämpÂfers zu den Männern als Beschützer des Stammes.Von daher fällt auch ein neues Licht auf die auch im heutigen Europa wichtige Frage der GleichÂberechÂtiÂgung zwiÂschen FrauÂen und MänÂnern. Denn Taufe und FirÂmung demonstrieren seit Anfang an diese GleichbeÂrechtiÂgung.
Das zeigt auch eine DiskusÂsion auf eiÂnem regioÂnalen KonÂzil im Süden GalÂliens, das sich gegen einige MänÂner geÂwandt hat, die behaupteten, die Seele sei leÂdiglich dem Mann eingehaucht worden. Es waren MönÂche und die kirchliche HierarÂchie, die die gleiche Würde von Mann und Frau verteidiÂgt haben. Schon auf den ersten SeiÂten der Bibel lesen wir, dass Gott den MenÂschen als Mann und Frau geÂschafÂfen hat.
Heute ist es üblich, dass für die Frauen der Staatsmänner bei offiziellen Besuchen ein caritativ-kulÂturelles Programm vorbereiÂtet wird. Heißt es, dass die PoliÂtik nichts GemeinÂsames mit Kultur und Caritas hat?
VerÂsteÂhen wir so wirklich die BedeuÂtung des Nachlasses Karls als Vater Europas? So, wie der FirmÂling sein geistÂliches und moraliÂsches PotentiÂal entfalten muss, richteten sich auch die SchritÂte Karls des Großen in die nächsÂten Jahrhunderte. An sie knüpÂften nach dem ZweiÂten WeltÂkrieg auch die beÂrühmten drei Väter der EuroÂpäiÂschen GemeinÂsÂchaft an: Konrad Adenauer, CharÂles de Gaulle und AlciÂde de GaspeÂri.
Wenn wir den LeÂbenslauf Karls des Großen lesen, erfahren wir, dass es große innere Kämpfe in dem nicht konsolidierten EuroÂpa gab, das nach und nach verÂwandelt und christianiÂsiert wurde. Das römische Reich war zerfalÂlen aufgrund der UmsiedÂlung der EthÂnien von HunÂnen, KelÂten, GerÂmaÂnen und Slawen.
Die KaroliÂngische Renaissance hat eigentÂlich die Worte des heiliÂgen AuÂgustiÂnus vollÂendet. Als die anderen Bischöfe gerufen haben: „Augustinus, das ist das Ende der Welt“, hat er in der von den Vandalen eingekesÂselten Stadt Hippo geantwortet: „Brüder, dort, unter dem Wall, wird eine neue Welt geboren.“
Die soldatiÂschen Züge Karls des Großen sind im KonÂtext der Zeit beÂgreifÂlich und man sollte auf alle AnachroÂnismen verÂzichten, mit denen IdeoloÂgen opeÂrieÂren, manchmal auch in GeÂstalt von HistoÂrikern.
Für diesen Herrscher gelten die Worte des Apostel Paulus, die wir in der Zweiten Lesung gehört haÂben: „Der Gnade Gottes entsprechend, die mir geschenkt wurde, habe ich wie ein guter Baumeister den Grund gelegt: ein anderer baut darauf weiter. Aber jeder soll darauf achten, wie er weiterbaut.  Denn einen andeÂren Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus.“ (1 Kor 3,10-11).
Die Bedeutung Karls des Großen für die Geschichte unseres Kontinentes zeigt sich auch in der EtymoloÂgie. Er wurde zum Prototyp des HerrÂschers; sein Name bezeichnet die Königswürde: auf TscheÂchisch král, auf Polnisch król, auf Ungarisch király, auf turkisch kral.
Wenn wir sagen, dass der Grund Europas die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl war, dann werden die Mittel mit dem Ziel verwechselt. Der Streit um diese zwei strategisch wichtigen Stoffe war oft ein Grund für den Krieg, aber das Ziel EuroÂpas muss der FrieÂden sein.
Wenn wir heute Karl den Großen feiern, dann verneigen wir uns vor den geistlichen Wurzeln EuroÂpas, wir verneigen uns vor dem christliÂchen GlauÂben und den europäischen Werten, die daraus erwachsen sind – und nicht vor der fundamentaÂlistischen Laizität und ihren neomarxistiÂschen HelÂfern.
Zum Schluss erÂwähÂne ich die Worte CharÂles de Gaulles: „Die GeÂschichte FrankÂreichs beginnt mit ChlodÂwig, der zum König der Franken geÂwählt wurde. EntÂscheidend ist, dass Chlodwig der erste König war, der sich taufen ließ. Meine Erde ist eine christliche Erde und ich rechne die Geschichte der Franken seit dem Moment, als auf den Thron ein christÂlicher KöÂnig stieg.“
Ich schließe mit den Worten, die wir aus dem Zweiten Korintherbrief gehört haben: „Ob aber jemand auf dem Grund mit Gold, Silber, kostbaren Steinen, mit Holz, Heu oder Stroh weiterbaut: das Werk eines jeden wird offenbar werden; … Hält das, was er aufgebaut hat, stand, so empfängt er Lohn.“ (1 Kor 3,12 -14)
+Dominik kardinal Duka
(Quelle: http://www.dominikduka.cz/de)
Foto: Karls- und Reichsthron im Aachener Dom – Bildquelle: German Wikipedia user Holger Weinandt