Vorlesen – Eine neu zu entdeckende Tugend

Eine Buchbesprechung von Martin Bürger.
Erstellt von Martin Bürger am 15. April 2020 um 14:43 Uhr

Ein Buch über das Lesen, genauer über das „Vorlesen“, wie es im Titel des vorliegenden heißt, klingt zunächst nicht besonders interessant. Irgendwie weiß jeder, dass es gut und richtig ist, sogar schon kleinen Kindern regelmäßig vorzulesen. Damit aber ist es nicht getan. Denn was soll man überhaupt vorlesen? Immerhin wurden laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels im Jahr 2018 fast 9 000 Kinder- und Jugendbücher allein in Deutschland neu auf den Buchmarkt gebracht.

Ellen Kositza und Caroline Sommerfeld haben sich jedenfalls mit dieser Frage beschäftigt und präsentieren als Ergebnis eine Art Sammlung von kurzen Rezensionen zahlreicher neuerer sowie bewährter Bücher, altersgerecht gruppiert in vier Kapitel. Was man in „Vorlesen“ nicht findet sind Kinder- und Jugendbücher, die dem Zeitgeist entsprechen. Die vom Deutschlandfunk ausgezeichneten „besten Bücher für die Kleinen“ sind da ein gutes (weil schlechtes) Beispiel: „Transgender ist grundsätzlich dabei, Multikulturelles, Rechtsextremismus und psychisch kranke Eltern fast immer.“

Neuere „Klassiker“ wie die Harry Potter-Reihe werden von Kositza und Sommerfeld nicht ausgespart. Sicherlich kann der Leser über die Einschätzung des einen oder anderen aufgelisteten Werks anderer Meinung sein. Zu loben ist allerdings der Versuch, einen Kanon von Kinder- und Jugendbüchern zu bilden, die tatsächlich auch empfehlenswert sind. Immer wieder betonen die beiden Autorinnen speziell bei Büchern für ganz junge Leser die Wichtigkeit schöner Illustrationen. Außerdem wird hin und wieder die Problematik deutscher Übersetzungen fremdsprachiger Bücher ins Spiel gebracht. Da zeigen sich doch große Unterschiede, sodass man darauf achten sollte, wenn schon ein Buch zu kaufen, dann auch in ansprechender deutscher Übertragung.

Empfehlungen für Märchenbücher finden sich im ganzen Buch verstreut. Zu Ludwig Bechstein etwa fragt Kositza, ob der junge Leser nicht ohnehin schnell aussteigt. Sie antwortet: „Wer sich als Kind nicht darin einüben konnte, auch längeren, beschreibenden Passagen zu folgen und von Anfang an nur rasche Pointen und leicht verdauliche Sprache konsumierte, wird sich mit anspruchsvoller Literatur stets schwertun.“ Gleichzeitig muss es natürlich trotzdem einigermaßen altersgerecht zugehen.

Über das Lesen von Büchern hinaus, ob es nun das Vorlesen oder das eigene stille Lesen ist, empfehlen die Autorinnen die Kommunikation zwischen Kindern und Eltern. „[…] wir hinterfragen und sind ‚stets ansprechbar‘“, so heißt es im Nachwort. Dem Plädoyer am Ende kann man sich nur anschließen: „Lest! Lest vor und laßt (vor)lesen! Nehmt Bücher als Grundstücke, die beackert und gepflegt werden wollen. Sät sorgsam, sät reichlich! Und freut euch an der Ernte!“

Martin Bürger

Bibliografische Informationen:
Ellen Kositza / Caroline Sommerfeld
Vorlesen
ISBN 978-3-944422-76-3
Verlag Antaios
18,- Euro

Foto: Vorlesen (Buchcover) – Bildquelle: Verlag Antaios

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