Valentin Thalhofer (1825-1891): Ein großer Sohn von Unterroth

Zum 175. Jubiläum von Priesterweihe und Heimatprimiz. Ein Beitrag von Clemens Victor Oldendorf.
Erstellt von Clemens Victor Oldendorf am 17. August 2023 um 08:51 Uhr

Unterroth (kathnews). An der Südseite der Pfarrkirche St. Gordian und Epimachus von Unterroth, wenige Kilometer von Illertissen bei Ulm entfernt, sind in die Außenwand verschiedene Grab- oder Gedenksteine eingelassen. Drei zentrale davon erinnern, von links nach rechts verlaufend, an Valentin Thalhofer (1825-1891) sowie an die Ortspfarrer Franz X. Tochtermann (1800-1875) und Franz Keller (1824-1897). Valentin Thalhofer war ein gebürtiger Unterrother. Sein Geburts—und Elternhaus steht noch heute in der Mühlbachstraße, und circa bis Mitte der 1950er Jahre, als das Gebäude modernisiert wurde, befand sich am Giebel eine steinerne Tafel mit entsprechender Inschrift, die damals wahrscheinlich leider zerstört wurde, jedenfalls seitdem verschollen ist.

Zwei unmittelbar bevorstehende Jubiläen von Bedeutung für Unterroth

Zwei 175jährige Jubiläen, die sich auf Thalhofer beziehen, stehen mehr oder weniger unmittelbar bevor. Am Dienstag, den 22. August 1848 empfing er vom Augsburger Bischof Petrus von Richarz (1783-1855) in der Hauskapelle des Münchner Georgianums, dem er später selbst als Direktor vorstand, das Sakrament der Priesterweihe; am Sonntag, den 17. September 1848 zelebrierte Thalhofer in der Pfarrkirche, wie ein Eintrag Pfarrer Tochtermanns in den Büchern der Pfarrei festhält, anschließend seine erste feierliche heilige Messe. Nach der damaligen liturgischen Ordnung wurden verschiedene Heiligen- und Marienfeste dauerhaft an bestimmten Sonntagen gefeiert. Der 17. September war 1848 der 3. Sonntag im September und somit das Fest der Sieben Schmerzen Mariens. Für Unterroth und den Neupriester war der Termin auf diese Weise sehr schön mit dem Patrozinium der Wallfahrtskirche Matzenhofen verknüpft, deren Gnadenbild Thalhofer zeit seines Lebens in frommer Verehrung zugetan blieb.

Vor Thalhofers erster heiliger Messe hatte es Primizen in Unterroth zuletzt 1777 und 1794 gegeben. Die beiden Jahrestage, die uns ins Revolutionsjahr 1848 zurückversetzen, fallen 175 Jahre später sogar auf die identischen Wochentage Dienstag und Sonntag. Bemerkenswert ist ferner, wie der 17. September, also der Primiztag, 1891 zugleich der Todestag Thalhofers sein wird. Er stirbt infolge einer Lungenentzündung, während er sich eigentlich zur Erholung in Unterroth auf Heimaturlaub befindet und bei seinem Studienfreund und priesterlichen Mitbruder Franz Keller, der selbst vor allem als schwäbischer Mundartdichter Bekanntheit erlangt hat, im Pfarrhaus wohnt. Übrigens hatte Thalhofer am 15. August 1849 in Untergünzburg  bei Kellers Primiz gepredigt. Nachdem Keller sich lange vergeblich um eine Pfarrstelle bemüht hatte, war ihm wohl mehr zufällig 1876 die Pfarrei Unterroth übertragen worden, aus der sein enger Freund Valentin Thalhofer ursprünglich stammte.

Ein drittes Jubiläum 2025

Ein drittes Thalhoferjubiläum, das in seinem Heimatort nicht unbemerkt verstreichen sollte, wird am 21. Januar 2025 sein 200. Geburtstag sein. Weshalb man sich in Unterroth seiner anlässlich dieser drei Gedenkanlässe wieder mehr erinnern sollte, ist nicht bloß seiner Herkunft und damit einer reinen Lokalbedeutung geschuldet. Thalhofer war vielmehr eine interessante Persönlichkeit und ein sehr eigenständiger Theologe zudem. Sein Spezialgebiet und Schwerpunkt war die Liturgik, ein Fach, das wir heute eher als Liturgiewissenschaft bezeichnen.

Ihm ging es dabei als letztem Ziel- und Höhepunkt nicht um eine überwiegend formale, sogenannte Rubrizistik, die vordergründig hauptsächlich den künftigen Priestern eine äußerlich korrekte Ausführung der komplizierten Riten und Zeremonien des katholischen Gottesdienstes ermöglicht (was natürlich auch gelehrt und erlernt werden muss), sondern um eine theologische Deutung, um die Bedeutung und dogmatisch-geistliche Begründung der Liturgie.

Darum waren Thalhofers Interesse und sozusagen seine pädagogische Absicht weder einfach auf dasjenige gerichtet, was aktuell liturgisch Vorschrift war, noch blieb er bei einer quasi archäologischen Erforschung stehen, wie sich der Gottesdienst der Kirche seit der Frühzeit geschichtlich entwickelt hatte.

Jüdischer Opfergottesdienst des Jerusalemer Tempels und katholische Liturgie

Was stattdessen Thalhofers originären Zugang bildete, war seit seiner frühesten Beschäftigung mit Theologie das Opfer und Opferverständnis, wobei er ganz bewusst vom jüdischen Tempelkult in Jerusalem zur Zeit Jesu ausging. Damit wurde für ihn im Alten Testament das Buch Levitikus und gesteigert im Neuen Testament der traditionell dem paulinischen Briefkorpus zugeordnete Hebräerbrief grundlegend für die katholische Lehre vom Opfercharakter der heiligen Messe.

Seit dem Konzil von Trient (1545-1563), das gegen Martin Luther (1483-1546) und andere Reformatoren dogmatisch betont und neu bekräftigt hatte, dass die Messe „ein wahres und eigentliches“ Opfer ist, welches mit dem Kreuzesopfer wesentlich identisch ist und doch nicht in Konkurrenz zu diesem tritt, hatten sich katholische Dogmatiker bemüht, aufzuzeigen, auf welche Weise dies möglich und tatsächlich der Fall ist. Thalhofers Zugangsweg, den er schon 1848 in seiner Doktorarbeit zu beschreiten begann, 1855 weiter ausarbeitete und grundsätzlich ausgereift 1870 in seinem Buch: Das Opfer des alten und des neuen Bundes mit besonderer Rücksicht auf den Hebräerbrief und die katholische Meßopferlehre exegetisch-dogmatisch gewürdiget endgültig ausführte, hätte, wenn nicht die Lösung, so doch einen soliden Lösungsansatz für die einander widerstreitenden Theorien, die seit dem 16. Jahrhundert aufgekommen waren und im 19. Jahrhundert unverändert im Wettstreit miteinander lagen, bieten können.

Ein genialer Kopf steht in vielseitigem Austausch

Da zu Thalhofers Zeit auch die Protestanten begannen, sich wieder zu fragen, inwiefern man – in ihrer Ausdrucksweise – dem „Abendmahl“ einen Opfercharakter zusprechen könne oder müsse, suchte Thalhofer ein biblisches und auf die Väter der frühen christlichen Jahrhunderte, die ersten maßgeblichen Theologen der Kirche, zurückreichendes Fundament für die katholische Auffassung. Dabei setzte er sich kritisch, aber grundsätzlich wohlwollend-aufgeschlossen mit den evangelischen Autoren und ihren Veröffentlichungen auseinander, die seinerzeit gerade im Schwange waren.

Wenn öfter behauptet wird, im 19. Jahrhundert habe ein theologischer Antijudaismus den späteren Antisemitismus der Nazizeit gesät, so war Thalhofer ganz bestimmt kein Vertreter dieser Strömung. Vielmehr gibt es Anzeichen, die allerdings weiter zu erforschen und abzusichern wären, dass er bei seiner Beschäftigung mit dem Jerusalemer Tempelkult auch mit Rabbinern freundschaftlich in persönlichem, wissenschaftlichen Austausch stand.

Biblische Argumentation in geistreicher Gedankenführung

Was ist nun ganz kurzgefasst der Ansatzpunkt, in dem Thalhofer die Identität von Kreuzes- und Messopfer vermittelt sieht? Es ist das himmlische Opfer, von dem der Hebräerbrief spricht, das Christus als der Ewige Hohepriester seit seiner Himmelfahrt fortwährend vollzieht, wobei Thalhofer sich dafür insbesondere auf Heb 8, 1-4 beruft. Vollbracht wurde das Opfer durch Tod und Blutvergießen am Kreuz, wie die Opferlämmer der Juden am Versöhnungstag im Vorhof des Tempels geschlachtet wurden. Wie der Hohepriester deren Blut dort auffing und damit dann in das Allerheiligste des Tempels eintrat, um es zu sprengen, so trat Jesus Christus nach seiner Auferstehung mit der Himmelfahrt als Hoherpriester in das Allerheiligste des Himmels ein und mit ihm sein Erlösungsopfer, das er auf Erden vollbracht und damit immerwährende Sühne bewirkt hatte.

Im himmlischen Allerheiligsten bleibt es ewig präsent und tritt so auf Erden in jeder heiligen Messe, wie Thalhofer sich immer wieder gern ausdrückt, „in die irdische Zeiträumlichkeit oder das irdische Nach- und Nebeneinander ein.“ Auf Einwände, die seinem Vorschlag die Überzeugungskraft absprachen, ist Thalhofer vor allem im ersten Band seines monumentalen, zweibändigen Handbuchs der katholischen Liturgik, der 1883 erschien, zusätzlich unter Verweis auf die Zeugnisse der Liturgie und frühen Theologen nachdrücklich eingegangen. Spätestens seit dieser Zeit litt er unter fortwährender Schlaflosigkeit und Depressionen, so dass der zweite Band fragmentarisch blieb und sich die Publikation faktisch bis 1893 hinauszögerte, wenn sie merkwürdigerweise trotzdem das Erscheinungsjahr 1890 trägt.

Blick auf Thalhofers Lebensstationen und Ausklang

Nach dem Studium und der Priesterweihe in München war Thalhofer von 1848 bis 1863 in Dillingen an der Donau in der Priesterausbildung tätig, seit 1863 bis 1876 Professor in München und zugleich Direktor des dortigen Herzoglichen Georgianums, wo sich noch heute sein Nachlass befindet, namentlich über 1600 Bände seiner privaten Bibliothek und hinterlassene handschriftliche Aufzeichnungen. 1876 verzog er nach Eichstätt, wo er zunächst Domdekan, ab 1889 Dompropst war. Ab 1877 nahm er dort ebenfalls wieder eine Lehrtätigkeit als Professor für Liturgik auf. Wie schon erwähnt, verstarb er mehr zufällig während eines längeren Aufenthaltes in Unterroth. Im Zusammentreffen von Thalhofers Tod mit dem Jahrestag seiner Heimatprimiz kann eine vom Glauben getragene Betrachtungsweise eine Fügung erkennen, ebenso damit die Vorstellung seines Eintritts in die himmlische Liturgie verbinden, von deren Opfercharakter er als Gelehrter stets voll überzeugt und als Priester, Prediger und Seelsorger zuinnerst ergriffen war.

Foto: PrimizaltarThalhofer Unterroth – Bildquelle: Clemens Victor Oldendorf (Privatarchiv)

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