Unterwegs nach Emmaus und zurück – Nachruf zum Tode von Papst Franziskus (1936-2025)

Von Clemens Victor Oldendorf.
Erstellt von Clemens Victor Oldendorf am 27. April 2025 um 23:55 Uhr
Wappen von Papst Franziskus

Am vergangenen Ostersonntag erteilte der Heilige Vater Franziskus sichtlich geschwächt noch einmal den österlichen Segen Urbi et Orbi. Am Ostermontag ist er in den Morgenstunden infolge eines Schlaganfalls verstorben. Dieser Ostermontag ist traditionell mit dem Evangelium verbunden, das die Erzählung von dem Weg enthält, den zwei Jünger, noch ganz unter dem Eindruck, Schatten und vermeintlichem Scheitern des Karfreitags stehend, von Jerusalem nach Emmaus zurücklegen (vgl. Lk 24, 13-35).

Dabei begegnen sie einem Auswärtigen, mit dem sie ins Gespräch kommen. Dieser Fremde ist der Auferstandene, den sie jedoch nicht als Jesus von Nazareth erkennen. Vielmehr vermittelt sich ihnen der Eindruck, dieser fremde Reisende selbst, der mit ihnen ein Stück des Weges geht, sei es, der noch nie etwas von Jesus gehört habe und vor allem als einziger nicht wisse, was sich in den Tagen zuvor mit ihm ereignet hatte: gekreuzigt, gestorben und begraben. In den Tod verloren.

Emmausweg und Synodalitätsidee des verstorbenen Papstes

Die Weggemeinschaft, die die Jünger, ohne es zu wissen, mit Jesus haben, scheint ein treffliches Bild für die Vision zu sein, die Papst Franziskus unter dem Begriff der Synodalität – wie er sie verstand – für die Kirche hatte. Er wollte sie auf den Weg bringen, in Bewegung setzen und missionarisch mobilisieren. Dass er das ehrlich und gut gemeint hat, sollte man ihm erst einmal abnehmen. Dass besonders die Kirche in Deutschland ihn allerdings gründlich missverstanden hat und nach wie vor vermutlich ganz gezielt missversteht, konnte man den ersten Reaktionen auch in der Medienberichterstattung über den Tod des Papstes deutlich anmerken.

Franziskus‘ unkonventioneller Stil, das Unwägbare an seiner Agenda und seinem zwölfjährigen Pontifikat soll auch noch nachträglich für die eigenen Reformvorstellungen vereinnahmt und sich zunutze gemacht, ein Nachfolger jetzt plötzlich auf Kontinuität mit dem argentinischen Papst eingeschworen und festgelegt werden, nachdem man gefühlt gerade noch so froh und erleichtert war, den persönlichen Kontinuitätstick Ratzingers, der einem so lästig war, endlich los zu sein.

Nach dem Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland im Jahre 2019 wusste man wohl ganz genau, musste man zumindest spätestens wissen, dass man sich in wesentlichen Punkten mit den eigenen Vorhaben für die Zukunft der Kirche nicht auf Franziskus berufen kann. Zwar spricht man öfters von den Regierungszeiten Johannes Pauls II. (1978-2005) und Benedikts XVI. (2005-2013) als von einem Doppelpontifikat, doch durch den Amtsverzicht des Ratzingerpapstes, paradoxerweise die radikale Diskontinuität schlechthin, die Bergoglio überhaupt erst den Weg geebnet hatte, Papst werden zu können, ist als eigentliches Doppelpontifikat dasjenige von Benedikt XVI. und Franziskus (2013-2025) anzusehen.

Das Simultan-Papsttum der Jahre 2013 bis 2022

Nachdem Benedikt nach seinem Rückzug aus dem Papstamt, der freilich inkonsequent blieb, da er nicht auf den Namen und das Gewand eines Papstes verzichten wollte, noch fast zehn Jahre lang lebte und sich sogar wieder ziemlich gut erholt hatte, entstand bis Ende 2022, als Joseph Ratzinger schließlich starb, in der Außenwirkung sogar eine Art Simultanpontifikat, einschließlich eines skurrilen Neosedisvakantismus, demzufolge er nicht wirklich zurückgetreten und weiterhin der eigentliche, der wahre, Papst gewesen sei. Als nach dem Rücktritt und Konklave Papst Franziskus gewählt war, meinte einer, der auch jetzt wieder als Vatikanexperte herangezogen wird, Benedikt XVI. sei ein so großer Papst gewesen, dass Franziskus die Leistungen und das Erbe seines Vorgängers gar nicht auslöschen könne. Da hat sich der vermeintliche Experte (Andreas Englisch) aber sehr getäuscht, wovon durchaus nicht nur Liebhaber der Alten Messe ein Klagelied singen können.

Nun soll das dem soeben verstorbenen argentinischen Papst nicht zum Vorwurf gemacht werden. Gloria von Thurn und Taxis hat weit scharfsinniger erkannt, dass der Papst aus Bayern der eigentliche Dekonstrukteur seines eigenen Pontifikates gewesen ist. Auch wenn Franziskus sich sehr bemüht hat, die von ihm vorgenommenen päpstlichen Weichenstellungen unumkehrbar zu machen, ähnlich wie er sich seine zur Schau gestellte Bescheidenheit einiges hat kosten lassen, so wird auch der künftige Pontifex in diesen Inszenierungen nicht an den Vorgänger gebunden sein. Inhaltlich kann sich bald schon selbst eine noch so wohlwollende Interpretation von Franziskus‘ Synodalität als ebenso kurzlebig wie Ratzingers Kontinuität herausstellen.

Sich von den fragwürdigen Markenzeichen Bergoglios abzugrenzen, wird seinem Nachfolger Statur und Rückgrat abverlangen, denn die Zustimmung, die Franziskus genoss, wurde ihm ja gerade seitens weltlicher Medien und vorwiegend der außerkirchlichen, unkirchlichen oder sogar kirchenfeindlichen Öffentlichkeit zuteil. Natürlich auch von innerkirchlichen Linken, doch dazu wurde schon vermerkt, dass deren Vertreter in Deutschland selbst noch das Zerrbild verfehlen und entstellen, das Franziskus als Vision oder – wie er gerne sagte: als Traum – von der Zukunft der Kirche vorgeschwebt sein mag.

Dass Jorge Mario Bergoglio eine solche Sichtweise entwickeln konnte, ist sicher eine Generationenfrage. Er war Opfer seiner Ausbildung und Formung im Jesuitenorden während der turbulentesten Phase der unmittelbaren Nachkonzilszeit, und zwar auch noch unter den besonderen Umständen und Erschwernissen der südamerikanischen Kirche und Theologie jener Jahre. Eine neue und andere Generationenfrage ergibt sich freilich jetzt. Eine autobiographische Erfahrung oder gar Prägung durch eine Kirche vor dem Zweiten Vaticanum (1962-1965) hat die Mehrheit der Kardinäle erstmals im bevorstehenden Konklave nicht mehr.

Es ist fraglich, wie sich das kommende Pontifikat entwickeln kann und soll. Die den neuen Papst wählenden Kardinäle sind mit überwältigender, erdrückender Majorität von Franziskus kreiert worden. Da er viele von ihnen lediglich in das Heilige Kollegium aufgenommen hat, weil sie von geographischen Rändern stammen oder sonst unbekannt sind, um damit seine angebliche Originalität zu zelebrieren, die längst niemanden mehr überrascht hatte, gibt es jetzt mit einiger Wahrscheinlichkeit wirklich katholische Überraschungskandidaten im Kardinalskollegium. Gewiss, auch die Kardinäle untereinander kennen sich kaum, und man muss sagen, dass Franziskus seinen autoritär-autokratischen Regierungsstil speziell darin betätigt hat, gezielt zu vermeiden, dass seine Kardinäle eine Chance haben, sich kennenlernen. Zusätzlich ignorierte der Papst die herkömmlich mit der Kardinalswürde verbundenen erzbischöflichen Sitze ganz absichtlich in seiner Ernennungspraxis.

Franziskus: Ein ultramontan-modernistischer Jesuit war Papst

Das ausgeprägte Bewusstsein von der Machtfülle des Papstes durchdrang Franziskus ungemein. Dies muss man sicherlich als ein klassisch jesuitisches Element bei ihm erkennen und daran erinnern, dass es maßgeblich römische Jesuiten waren, die vor und auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869/70) die theologische Vorarbeit erbrachten. Darin gingen sie teils noch weit über die dann getroffenen Dogmatisierungen hinaus, blieben aber auch anschließend von großem Einfluss darauf, wie die Dogmen der Unfehlbarkeit und des Jurisdiktionsprimates des Papstes in Theologie und Predigt sodann aufgenommen wurden.

Die machtbewusste Amtsführung des Franziskus, die bis ins Einzelne hinein zumeist im faktischen Alleingang sich vollzog und im krassen Gegensatz zu dem Image war, das Franziskus der Zugewandte von sich in der Öffentlichkeit zu erzeugen verstand, legt einen Vergleich mit Pius IX. (1846-1878) nahe, dem Franziskus in Amtsverständnis und Charakter gar nicht unähnlich war, ihn womöglich noch übertroffen hat. Eine ultramontan-jesuitische Überzeichnung des Papstes, die ursprünglich als konservative Absicherung und Festigung seiner Autorität gedacht gewesen sein mochte, ist in Franziskus eine tragische Liaison mit der vorherrschenden modernistisch-jesuitischen Auffassung vom Zweiten Vatikanischen Konzil und von dessen Absichten und Perspektiven eingegangen.

Benedikt XVI. hinterließ die schwere Hypothek der kirchenrechtlich inkonsequent-unklaren Figur eines Papa emeritus. Dieses Problem hat Franziskus nicht bewältigt, stattdessen die Kirche mit einer Flut eigener Unklarheiten und Probleme belastet.

Der jesuitische Papst: Ein naheliegender Konflikt trat bei Franziskus voll ein

Das Experiment eines Jesuitenpapstes hat uns dessen Grenzen aufgezeigt. Mit einigem Abstand werden diese Grenzen sogar das Scheitern erkennen lassen, das sich geradezu zwangsläufig einstellt, wenn ein Ordensmann, der ein viertes Gelübde des besonderen Gehorsams und einer speziellen Treue zum Papst abgelegt hat, selbst das Papstamt bekleidet. Da nützt es auch nichts, wenn er sich, wie Papa Bergoglio, mit dem Namen des kleinen Armen aus Assisi schmückt, der übrigens ebenso ein besonderes Nahe- und Treueverhältnis zum Herrn Papst in Rom anstrebte, dabei aber ausdrücklich wollte, dass seine Brüder keine Ehrenstellen in der Kirche einnehmen sollten.

Freilich hat es später auch Bischöfe, Kardinäle und Päpste aus dem Franziskanerorden gegeben. Sixtus V. (1585-1590) trug die grobe und auch nicht leichte Kutte der Minderen Brüder weiterhin unter dem päpstlichen Gewand, darüber noch gegebenenfalls die reichen und schweren liturgischen Paramente. Dies wurde erst nach seinem Tode entdeckt. So verbarg er seine persönliche, demütige Bescheidenheit und Liebe zur Armut gleichsam unter der Würde des Petrusamtes, ohne dessen äußere Prachtentfaltung und Strahlkraft zu schmälern. Dazu erscheint die strategische Vorgehensweise des Jesuiten Franziskus doch als scharfer Kontrast.

In der Basilika Santa Maria Maggiore, die Franziskus sich als letzte Ruhestätte gewünscht hat, ruhen neben Sixtus V. auch Honorius III. (1216-1227), engstens verbunden mit den Anfängen und der ersten Belobigung der franziskanischen Bewegung; Nikolaus IV. (1288-1292), der erste zum Papst gewählte Franziskaner; Pius V. (1566-1572), welcher in traditionsorientierten Kreisen hinreichend bekannt ist; außerdem seit der Wende zum 17. Jahrhundert die Päpste Clemens VIII. (1592-1605), Paul V. (1605-1621) und Clemens IX. (1667-1669). Es wäre vielleicht für die Kirche und auch für ihn selbst heilsamer gewesen, Franziskus hätte sich zu Lebzeiten um Gemeinsamkeiten mit diesen Nachfolgern Petri bemüht.

Emmaus als Bild für Franziskus‘ letzte Reise und für den Auftrag an die Kirche nach seinem außergewöhnlichen Pontifikat

Zurück zum Wegmotiv der Emmauserzählung: Wir wissen, dass der vermeintliche Fremdling den enttäuschten und niedergeschlagenen Jüngern, die aufgrund der Berichte der Frauen allein sich noch nicht zum Osterglauben durchgerungen haben, anhand der Thora und aller Propheten die tiefe Sinnhaftigkeit des Leidens und Sterbens Jesu als Weg zum Heil erschließt. Als die drei Weggefährten Emmaus erreichen, stellt er sich, als wolle er weitergehen. Da es Abend wird, drängen die beiden Jünger den fremden Weggenossen, doch bei ihnen zu bleiben. So geschieht es, doch erst beim gemeinsamen Mahl erkennen sie Jesus am Brotbrechen, woraufhin dieser ihren Blicken entschwindet.

Die beiden Jünger denken nun ergriffen bei sich: Brannte ihnen nicht das Herz, als er ihnen unterwegs die Schrift erschloss? Und sie kehren ohne Zögern nach Jerusalem zurück, wo sie im Kreis der elf Apostel und ihrer Genossen erfahren, dass der Herr auferstanden und dem Simon erschienen ist. So erhalten sie das apostolisch-petrinische Auferstehungszeugnis und berichten ihrerseits, was ihnen auf dem Weg nach Emmaus widerfahren.

So ist nun dem verstorbenen Papst Franziskus zu wünschen, dass er wirklich heimkehren und Jesus, den auferstandenen Herrn, wahrhaft erkennen kann. Der Emmausweg der Jünger beinhaltet eine konsequente Umkehr. Diese ist nach Papst Franziskus dem vor uns liegenden Pontifikat und dem Weg der ganzen Kirche in die Zukunft aufgetragen.

Foto: Wappen von Papst Franziskus – Bildquelle: Archiv: C. V. Oldendorf

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