Nuntii Latini aus Rom bestehen zehn Jahre

Interview mit Hw. Dr. Gero P. Weishaupt ĂĽber die Lateinseite von Radio Vatikan.
Erstellt von kathnews-Redaktion am 13. April 2014 um 14:58 Uhr
Dr. Gero P. Weishaupt

 „Latein ist tot. Es lebe Latein.“ So heißt ein Erfolgsbuch des emeritierten Münchener Altphilologen Wilfried Stroh. Dass Latein lebt, zeigen die Nuntii Latini von Radio Vatikan, die wöchentlichen Lateinnachrichten, die der Sender seit nunmehr 10 Jahren auf seiner Homepage veröffentlicht. Unser Mitarbeiter Hw. Dr. Gero P. Weishaupt ist der Latinist der deutschsprachigen Redaktion. Andreas Gehrmann, Chefredakteur von Kathnews, sprach anlässlich des 10jährigen Bestehens der Lateinnachrichten aus Rom mit dem aus Aachen stammenden und in den Niederlanden sowie im Erzbistum Köln als Diözesanrichter wirkenden Priester und Kirchenrechtler.

Seit wann sind Sie für den lateinischen Nachrichtenservice „Nuntii Latini“ von Radio Vatikan tätig?

Seit April 2004, also seit genau 10 Jahren.

Wie ist die Idee enstanden den Lesern die aktuellen Nachrichten auf Latein zu bieten?

Ich absolvierte damals ein Promotionsstudium in Kirchenrecht an der Päpstlichen Universität Gregoriana und arbeite an der Römischen Kurie im Vatikan. Über den damaligen Sekretär des Päpstlichen Rates von Cor Unum kam ich in Kontakt mit Radio Vatikan, wo ich dann regelmäßig die lateinischen Rundfunkmessen morgens um 7.30 Uhr zelebrierte. In diesem Zusammenhang machte ich Bekanntschaft mit der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan, die mich fragte, ob ich bereit sei, wöchentlich ausgewählte Nachrichten der Redaktion ins Lateinische zu übersetzen. Von der Idee begeistert, machte ich mich schon in derselben Woche an die Arbeit. Seitdem erscheinen die Nuntii Latini wöchentlich auf der entsprechenden Seite der Homepage der deutschsprachigen Redaktion.

Viele bezeichnen Latein in der heutigen Zeit als eine tote Sprache. Wie sehen Sie dies?

NatĂĽrlich, Latein ist insofern tot, als es von niemandem gesprochen wird. Latein hat mit dem Ende des Römischen Reiches aufgehört, Muttersprache zu sein. Dennoch lebt Latein fort in seinen „Töchtern“. In den romanischen Sprachen, also im Italienischen, Spanischen, Portugiesischen, Rumänischen und Französischen, die aus dem späteren Vulgärlatein entstanden sind, lebt Latein fort in Grammatik und Wortschatz. Aber auch germanische Sprachen sind vom Lateinischen beeinfluĂźt. Im Niederländischen z.B. gibt es grammatische Konstruktionen, die aus dem Latein herkommen. Der lateinische Ablativus absolutus lebt in absoluten Partizipialkonstruktionen im Niederländischen weiter: „Zittende de vergadering werd een besluit genomen“ – Während der Sitzung wurde ein Entschluss gefasst. Im Italienischen sind absolute Partizipialkonstruktionen noch geläufiger: „Detto questo il professore continuava la lezione.“ – Nachdem der Professor das gesagt hatte, setzte er die  Vorlesung fort. FĂĽr einen Latinisten sind das vertraute Wendungen, und ich könnte noch mehr Beispiele anfĂĽhren, um zu zeigen, wie Latein in unseren Sprachen weiterlebt.

AuĂźerdem lebt Latein als Schriftsprache weiter. Die amtlichen Texte des Papstes und der Römischen Kurie, die fĂĽr die Weltkirche bestimmt sind, werden nach wie vor auf Lateinisch verfaĂźt. In den Schulen wird Latein noch gelernt, weil wir nur ĂĽber diese Sprache – man muss hier auch unbedingt das Altgriechisch erwähnen – Zugang zu den Fundamenten unserer Kultur und Zivilisation erhalten, die auch auf die nichteuropäischen Kontinente direkt oder indirekt eingewirkt hat. Nicht vergessen dĂĽrfen wir die zahllosen Lateinseiten im Internet. AuĂźer den Nuntii Latini von Radio Vatikan bieten die Finnen und der Sender Radio Bremen Lateinnachrichten an. Dann möchte ich auf eine wohl in Polen betriebene sehr lesenswerte und stets aktuelle lateinische Internetzeitung hinweisen, die nach meinem DafĂĽrhalten eine der besten Lateinseiten im Internet ist: http://ephemeris.alcuinus.net/. Nicht zuletzt weise ich auf die vielen lateinischen Sprachzirkel auf der ganzen Welt hin, die in Wochenkursen – meistens im Sommer – oder gar mehrmals im Jahr zusammenkommen, um das gesprochene Latein weiterhin zu pflegen.

Wie gehen Sie bei der Ăśbersetzung von neusprachlichen Vokabeln vor, wie z.B. den Wörtern „Hubschrauber“ oder „Homepage“?

Das ist ganz unterschiedlich, je nachdem um was für eine Vokabel es sich handelt. Ausgangspunkt bleibt natürlich die klassische Latinität, also jenes Latein, das zurzeit Ciceros, Cäsars, aber auch späterer Autoren wie Seneca oder Livius Schriftsprache gewesen ist und an den Gymnasien gelehrt wird. Was Grammatik und Syntax angeht, geben diese Autoren die Norm an. Bei den Vokabeln ist das begrenzt möglich. Moderne Ausdrücke finden sich in den herkömmlichen Wörterbüchern, die an den Gymnasien Verwendung finden (ich denke an den Stowasser, mit dem Generationen von Gymnasiasten gearbeitet haben und der immer noch in den Schulen konsultiert wird, oder an Langescheidt). Wenn ein neusprachliches Wort auftritt, und das ist natürlich bei den aktuellen Lateinnachrichten die Regel, dann schaue ich in Wörterbücher des Neulateins hinein. Das bekannteste ist wohl das Lexicon Recentis Latinitatis (Wörterbuch des heutigen Latein) das nach gewissen Jahren immer wieder neu herausgegeben wird, um den je neuen Sprachschatz der gesprochenen Sprachen aufzunehmen. So findet man dort zirka 15.000 Stichwörter zu fast allen Bereichen der Wissenschaft, Technik, Religion, Medizin und des Sports.

Unter Hubschrauber lese ist dort helicopterum. Die Homepage heiĂźt auf Lateinisch pagina domestica. Nicht wenige Begriffe, wie helicopterum, sind eigentlich griechischen Ursprungs. Bei anderen orientiert man sich auch gerne an modernen Sprache, vor allem an den romanischen Sprachen, den – wie schon gesagt –  „Töchtern“ der lateinischen Sprache. Daneben nutze ich auch ein vom SaarbrĂĽcker Institut fĂĽr Neolatein herausgegebenes „Wörterbuch der heutigen Rechts- und Politiksprache“ oder Lateinisch: Lexicon terminorum iuridicorum et politicorum nostrae aetatis. Dort finde ich nicht nur Vokablen, sondern viele Beispielsätze, an denen man sich fĂĽr die eigene Ăśbersetzung orientieren kann. Jedenfalls wird hier deutlich, dass die unsterbliche Sprache Ciceros oder des Kirchenvaters Augustinus durchaus in der Lage ist, ganz moderne Phänomene auszudrĂĽcken. FĂĽr den Fall aber, dass ich in den einschlägigen WörterbĂĽchern nicht fĂĽndig werde, suche ich entweder nach Synonymen oder versuche, einen Begriff zu umschreiben. Ziel muss freilich die Verständlichkeit sein. Der Leser muss – zumindest aus dem Kontext – erschlieĂźen können, was im konkreten Textzusammenhang gemeint ist.

Radio Vatikan bietet die lateinischen Nachrichten auch im Audio-Format. Welche Form der Aussprache wird hier angewendet? Wird in der Kirche nicht eher die italienische Aussprache bevorzugt?

Das hängt vom Sprecher ab. Im Augenblick hat Radio Vatikan eine Sprecherin und einen Sprecher zur Verfügung: eine in Rom lebende Lateinlehrerin und einen Student aus Nürnberg. Für die Aussprache gibt keine Norm, weil es keine Standardaussprache des Latein gibt. Die einen sprechen ciceronisch-klassisch, die anderen bevorzugen die italienische Aussprache, wie sie in der Katholischen Kirche üblich ist. An den Gymnasien ist die klassische Aussprache Konvention.

Ăśbrigens wird im Vatikan selber kein Latein gesprochen. Das war einmal. Die Umgangs- und Schriftsprache der Römischen Kurie ist Italienisch. Nur amtliche Texte werden, wenn sie – wie gesagt – fĂĽr die Universalkirche bestimmt sind, Lateinisch geschrieben. DafĂĽr gibt es im Staatssekretariat ein eigenes BĂĽro mit fĂĽnf Latinisten.

Wie sehen Sie die Zukunft der „Nuntii latini“ von Radio Vatikan?

Was mich angeht, so kann es weitergehen. Die Redaktion sieht auch keinen Grund, die Lateinseite einzustellen. Im Gegenteil. Das Interesse bei den Lesern scheint nach wie vor groß zu sein. 5.000 bis 10.000 Zugriffe jede Woche würde der lateinische Nachrichtenservice „Nuntii Latini“ verzeichnen, ließ die deutschsprachige Redaktion von Radio Vatikan neulich wissen. Die Unterseite sei damit eine der meistgeklickten auf der Homepage des päpstlichen Senders. Das ist erfreulich und ermutigt alle, die für die Lateinseite verantwortlich sind. Die Nuntii Latini von Radio Vatikan haben Zukunft.

Erfreulich ist auch, dass die vatikanische Montatszeitschrift „Vatikan Magazin“ eine Lateinnachricht vom monatlichen Lateinangebot von Radio Vatikan ĂĽbernimmt. Geplant ist auĂźerdem – im Rahmen des 10jährigen Jubiläums – ein Schulprojekt. Aus dem Lateinarchiv von Radio Vatikan sollen Nachrichten der vergangenen Jahre ausgewählt und fĂĽr die Schulen didaktisch aufgearbeitet, d.h. mit Kommentaren zum Wortschatz, zur Grammatik und zur Syntax versehen werden. So mĂĽsste den SchĂĽlern, die klassisches Latein lernen, erklärt werden, dass oratio im Kirchenlatein nicht „Rede“, sondern „Gebet“ heiĂźt. Bei den klassischen Autoren Cicero oder Livius ist das „Gebet“ die precatio. Mit diesem Lateinprojekt wollen wird die Möglichkeit bieten, die Nuntii Latini auch im schulischen Lateinunterricht nach Bedarf verwenden zu können. Freilich nicht als Ersatz fĂĽr die klassischen Autoren, sondern als „Bonbon“ fĂĽr die SchĂĽler und zur Entspannung des Lateinlehrers.

Vielen Dank fĂĽr dieses Interview.

Hier gelangen Sie zur Lateinseite von Radio Vatikan: Nuntii Latini

Foto: Dr. iur. can. Gero P. Weishaupt – Bildquelle: privat

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