Neues Licht auf Pius XII. – oder doch mehr Schatten?
Nachdem Papst Franziskus die um einige Jahre vorgezogene Öffnung sämtlicher Archive zu Pius XII. (Eugenio Pacelli, 1876-1958) und seinem Pontifikat (1939-1958) für die Geschichtswissenschaft angeordnet hatte und diese mit dem 2. März 2020 auch erfolgt war, ist nunmehr der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf mit ersten Ergebnissen an die Öffentlichkeit getreten. Üblicherweise wären die Archive erst nach dem 9. Oktober 2028, siebzig Jahre nach dem Tod des Papstes, unbeschränkt für die Forschung zugänglich geworden.
Laut Wolfs Darstellungen ist er bei seinen Recherchen auf bisher unbekannte Aktenstücke gestoßen, die belegen sollen, dass Pius früher und umfassender zur nationalsozialistischen Judenverfolgung und zum Holocaust informiert gewesen sei, als bisher angenommen und dargestellt. Kritiker sehen darin eine Kampagne Wolfs, um eine mögliche Seligsprechung des Pacelli-Papstes zu hintertreiben.
Wolf hat kein Monopol auf Interpretation
Sei es, wie es sei, Wolf, der fachlich gründlich und sorgfältig arbeitet, hat keine Deutungshoheit über die Quellen. Nachgewiesenen Fakten wird sich niemand verschließen, auch andere Wissenschaftler werten die Archive aus und prüfen die Erkenntnisse ihrer Kollegen auf Zuverlässigkeit und Zutreffen. Was deutlich wird, ist dies: Solange nicht sämtliche Archive zu Person und Amtszeit eines Papstes ausgewertet werden können, sollte grundsätzlich keiner von ihnen selig- und erst recht nicht heiliggesprochen werden.
Nicht die Euphorie des Augenblicks
Ein Abstand von siebzig Jahren würde garantieren, einen Subito-Effekt vorübergehender Euphorie auszuschließen. Außerdem kann man nach siebzig Jahren nüchterner beurteilen, ob es für einen Pontifex in der Kirche überhaupt eine dauerhafte und nennenswerte Verehrung gibt. Das Problem zu rascher Abfolge der Seligsprechung und Kanonisation hat in der jüngeren Vergangenheit leider ausgerechnet mit der Causa Papst Pius‘ X. (Seligsprechung: 1951, Heiligsprechung: 1954) begonnen.
Nicht auf Päpste beschränkt ist das Phänomen, mit der Selig- oder Heiligsprechung einer Person dialektisch gegensätzliche kirchenpolitische Strömungen und Parteiungen in der Kirche zufriedenstellen zu wollen. Auch eine solche Instrumentalisierung ist grundsätzlich, wo sie geschehen ist, kritisch zu hinterfragen und für die Zukunft zu vermeiden.
Warum schwieg Pius XII. nach 1945?
Was den bisher letzten Piuspapst betrifft, ist von der Auswertung der Archive hoffentlich mehr Aufschluss in der Frage zu erwarten, weshalb er nach dem Ende des Dritten Reichs, es vergingen immerhin noch dreizehn Jahre bis zu seinem Tod, zu Antisemitismus, zur Rassenlehre, zur Ideologie des Nationalsozialismus insgesamt und zur systematischen Judenvernichtung geschwiegen hat.
Foto: Papst Pius XII., Krönung – Bildquelle: Entheta/Wikipedia