Nach „Amoris laetitia“ ist vor „Amoris laetitia“
Kommentar von Dr. iur. can. Gero P. Weishaupt:
Rom (kathnews). Radio Vatikan berichtet heute über ein von Kardinal Francesco Coccopalmerio veröffentlichtes Buch, in dem der Präsident des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte sich dem achten Kapitel des nachsynodalen Schreibens „Amoris laetitia“ annimmt.
Besondere Autorität
Auch wenn es sich bei dem nun veröffentlichen Buch des Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte nicht um eine authentische Interpretation des nachsynodalen Schreibens „Amoris laetitia“ handelt, so muss ihm aufgrund seines Autor besondere Autorität zugemessen werden. Wie schon Kardinal Müller, der Präfekt der Glaubenskongregation, verschiedentlich festgestellt hatte, dass „Amoris laetitia“ im Einklag mit der kirchlichen Lehre und Tradition steht, so hebt auch der vatikanische „Jusitzminister“, wie Radio Vatikan den Präsidenten des Päpstlichen Rates tituliert, laut Meldung von Radio Vatikan hervor, dass „Amoris laetitia“ „mit absoluter Klarheit alle Elemente“ der kirchlichen Ehelehre“, „in voller Kohärenz und Treue zur traditionellen Kirchenlehre“ wiedergebe. „Ich glaube, wir können mit sicherem und ruhigen Gewissen sagen, dass die Lehre in diesem Fall respektiert wird“, sagte Coccopalmerio bei der Buchpräsentation laut Radio Vatikan. In dem Buch greife er „Passagen aus „Amoris laetitia“ auf und analysiere sie, so Radio Vatikan weiter. Der Kardinal beziehe sich hier auf einen Angelpunkt der Argumentation im postsynodalen Schreiben: auf die ehrliche Reue und den Vorsatz zur Änderung der eigenen ‚irregulären‘ Lebenssituation auf Seiten jener Gläubiger, die sich um eine Zulassung zu den Sakramenten bemühen“, heißt es bei Radio Vatikan.
Objektiv schwere Sünde
Ferner heißt es bei Radio Vatikan, Kardinal Coccopalmerio betont, dass „(d)ie Doktrin von der Unauflöslichkeit der Ehe … respektiert (wird), denn die Gläubigen (…) befinden sich in nicht-legitimen Verbindungen, genauer: sie können ohne Frage versichern, dass ihre Lage objektiv schwere Sünde bedeutet.“ Gleichwohl seien aber eben auch die „‘Doktrin der ehrlichen Reue‘ gegeben, also die ‚notwendige Voraussetzung‘, um das Sakrament der Beichte empfangen zu können.“, so zitiert Radio Vatikan den Kardinal weiter. Damit wäre der Weg frei für eine Zulassung des genannten Paares zu Buße und später eventuell zur Kommunion. Doch müsse ihr Fall vorher geprüft werden, so Radio Vatikan in der Wiedergabe der Aussagen von Kardinal Coccopalmerio.
Wie diese Prüfung in der Praxis geschehen soll, wird nicht gesagt, zumindest findet sich hierüber nichts in der Meldung von Radio Vatikan. Diesbezüglich wäre das Buch selber zu konsultieren.
Zulassung zur heiligen Kommunion nach „Familiaris Consortio“
Jedenfalls ist eine Zulassung zur Kommunion nach erfolgter Beichte und dem Vorsatz enthaltsam zu leben (auch wenn dies menschlich gesprochen mit Fallen und Aufstehen einhergeht) auch nach „Amoris laetitia“ nur möglich auf dem von Papst Johannes Paul II. in „Familiaris Consortio“ vorgegebenen Weg. In Nr. 84 von „Familiaris Consortio“ heißt es:
„Die Kirche bekräftigt … ihre auf die Heilige Schrift gestützte Praxis, wiederverheiratete Geschiedene nicht zum eucharistischen Mahl zuzulassen. Sie können nicht zugelassen werden; denn ihr Lebensstand und ihre Lebensverhältnisse stehen in objektivem Widerspruch zu jenem Bund der Liebe zwischen Christus und der Kirche, den die Eucharistie sichtbar und gegenwärtig macht. Darüber hinaus gibt es noch einen besonderen Grund pastoraler Natur: Ließe man solche Menschen zur Eucharistie zu, bewirkte dies bei den Gläubigen hinsichtlich der Lehre der Kirche über die Unauflöslichkeit der Ehe Irrtum und Verwirrung.
Die Wiederversöhnung im Sakrament der Buße, das den Weg zum Sakrament der Eucharistie öffnet, kann nur denen gewährt werden, welche die Verletzung des Zeichens des Bundes mit Christus und der Treue zu ihm bereut und die aufrichtige Bereitschaft zu einem Leben haben, das nicht mehr im Widerspruch zur Unauflöslichkeit der Ehe steht. Das heißt konkret, daß, wenn die beiden Partner aus ernsthaften Gründen – zum Beispiel wegen der Erziehung der Kinder – der Verpflichtung zur Trennung nicht nachkommen können, „sie sich verpflichten, völlig enthaltsam zu leben, das heißt, sich der Akte zu enthalten, welche Eheleuten vorbehalten sind“ (Johannes Paul II., Homilie zum Abschluß der VI. Bischofssynode (25.10.1980), 7: AAS 72 (1980) 1082).
Die erforderliche Achtung vor dem Sakrament der Ehe, vor den Eheleuten selbst und deren Angehörigen wie auch gegenüber der Gemeinschaft der Gläubigen verbietet es jedem Geistlichen, aus welchem Grund oder Vorwand auch immer, sei er auch pastoraler Natur, für Geschiedene, die sich wiederverheiraten, irgendwelche liturgischen Handlungen vorzunehmen. Sie würden ja den Eindruck einer neuen sakramental gültigen Eheschließung erwecken und daher zu Irrtümern hinsichtlich der Unauflöslichkeit der gültig geschlossenen Ehe führen.
Durch diese Haltung bekennt die Kirche ihre eigene Treue zu Christus und seiner Wahrheit; zugleich wendet sie sich mit mütterlichem Herzen diesen ihren Söhnen und Töchtern zu, vor allem denen, die ohne ihre Schuld von ihrem rechtmäßigen Gatten verlassen wurden.
Die Kirche vertraut fest darauf; daß auch diejenigen, die sich vom Gebot des Herrn entfernt haben und noch in einer solchen Situation leben, von Gott die Gnade der Umkehr und des Heils erhalten können, wenn sie ausdauernd geblieben sind in Gebet, Buße und Liebe. “ (FC, 84).
„Amoris laetitia“ hat geltendes Kirchenrecht nicht geändert
Wo auch nach erfolgter Beichte, Reue und Vorsatz die „objektiv schwere Sünde“ offenkundig ist, ist eine Zulassung zur heiligen Kommunion nicht möglich. „Amoris laetitia“ hat die entsprechende Norm des can. 915 CIC/1983, nach der diejenigen, „die hartnäckig in einer offenkundig schweren Sünde verharren“ nicht zur heiligen Kommunion zugelassen werden können, weder aufgehoben (abrogiert) noch geändert (derogiert), was übrigens auch aus kirchenrechtlicher Sicht ein klarer Hinweis dafür ist, dass „Amoris laetitia“ die bisherige Praxis diesbezüglich keineswegs zu ändern beabsichtigt. Wollte der Papst das, dann hätte er can. 915 in „Amoris laetitia“ oder in einem nachfolgenden Motu proprio ändern müssen, zumindest die wiederverheirateten Geschiednen von dem Zusatz „die hartnäckig in einer offenkundig schweren Sünde verharren“ ausnehmen müssen,  was er aber nicht getan hat. „Amoris laetitia“ hat die subjektive Seite der Sünde im Blick. An die objektive Seite des Ehebruches knüpft die Kirche mit can. 915 nach wie vor Rechtsfolgen.
Pastorale Sorge um die Einheit der Kirche
Offene Zweifel (Dubia) an „Amoris laetitia“ in Bezug auf die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen hatten die vier Kardinäle Walter Brandmüller, Raymond L. Burke, Carlo Caffarra und Joachim Meisner angemeldet. Sie sprachen davon, das nachsynodale Schreiben erzeuge „Ungewissheit, Verwirrung und Verunsicherung“. Tatsächlich sind  Moraltheologen, Kirchenrechtlern, Bischöfen etc.  die undeutlichen Aussagen in „Amoris laetitia“ aufgefallen, die wohl seinem pastoralen Ton und dem pastoralen Inhalt des päpstlichen Schreibens geschuldet sind. Dies hat folglich zu unterschiedlichen Interpretationen und Anwendung von „Amoris laetitia“ durch verschiedene Bischofskonferenzen und Diözesanbischöfe geführt. Sie zeigen, wie sehr die Einheit der Kirche auf dem Spiel steht. Die „Dubia“ der vier Kardinäle sind darum kein Angriff auf Papst Franziskus, sondern vielmehr Ausdruck berechtigter pastoraler Sorge um die Einheit der Kirche, die durch zweideutige Texte immer gefährdet ist, wie die Entwicklung nach dem Zweiten  Vatikanischen Konzil gezeigt hat, das von seinem Selbstveständnis her ein Pastoralkonzil gewesen ist und dessen Texte ebenfalls vornehmlich pastoral, nicht dogmatisch oder kirchenrechtlicher Art sind, soweit sie nicht bisherige Lehren der Kirche referieren. Zweitdeutige Texte des Konzils gaben nach dem Konzil Anlass zu  Fehlinterpretationen seiner Texte, die das Potential einer Spaltung der Kirche in sich tragen.
„Ausführungsbestimmungen“ zu „Familiaris Consortio“
Um so mehr ist es zu begrüßen, dass nun mit Kardinal Coccopalmerio ein zweiter ranghoher Kurienkardinal nach Kardinal Müller klargestellt hat, dass „Amoris laetitia“ nur im Licht der bisherigen Lehre und des Kirchenrechts gelesen und angewendet werden kann. Als Kirchenrechtler sehe ich in „Amoris laetitia“ gleichsam konkrete „Ausführungsbestimmungen“ für das päpstliche Schreiben „Familiaris Consortio“ von Papst Johannes Paul II., wobei Papst Franziskus den Schwerpunkt von der objektiven auf die subjektive Seite der Sünde legt, die es bei der pastoralen Begleitung Betroffener immer zu berücksichtigen gilt, ohne dass der Papst die objektive Seite der schweren Sünde in Frage stellt und die diesbezügliche kirchenrechtliche Norm (can. 915), die die objektive Seite der schweren Sünde (des Ehebruches) im Blick hat, aufzuheben beabsichtigte. Darum gilt: Nach „Amoris laetitia“ ist vor „Amoris laetitia“.
Es ist zu hoffen, dass sich – auch ohne authentische Interpretation – die richtige Interpretation von „Amoris laetitia“ im Sinne einer „Reform in Kontinuität“ durchsetzt und Bischöfe und Bischofskonferenzen die von ihnen bisher erlassenen und von dieser Interpretation abweichenden „Ausführungsbestimmungen“ für die Anwendung von „Amoris laetitia“ korrigieren.
Foto: Dr. Gero P. Weishaupt auf dem Petersplatz in Rom – Bildquelle: privat