Minderstufe oder Vollform? „Geistliche“ Kommunion bei Thomas von Aquin nach Josef Pieper

Ein Beitrag von Clemens Victor Oldendorf.
Erstellt von Clemens Victor Oldendorf am 26. April 2020 um 08:30 Uhr
Priester mit Kelch

Gemeinhin gilt im landläufigen Verständnis die geistliche Kommunion als eine gegenreformatorische Frömmigkeitsübung, von der in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil bis vor kurzem nicht mehr viel und oft die Rede war. In traditionsorientierten Kreisen war sie sicherlich nicht hinterfragt, wurde aber ebenso eher selten ausdrücklich zum Thema gemacht.

Mit den Auswirkungen der Corona-Krise war eine Art Revival der geistlichen Kommunion zu beobachten. Dies nicht nur unter konservativen oder direkt traditionalistischen Theologen und Gläubigen, sondern auch Bischöfe, die in der Mitte stehend wahrgenommen werden oder diese Position für sich in Anspruch nehmen, wiesen auf die Praxis der geistlichen Kommunion auf einmal wieder hin.

Die virtus sacramenti in einer Situation virtualisierter Glaubenspraxis

Dabei fällt auf, dass auch solche Personen, die für sich eine ausgewogene oder ausgeglichene theologische Position reklamieren, also von sich sagen, weder provokant konservativ zu sein noch extrem weit links zu stehen, eine Definition von geistlicher Kommunion voraussetzen, in der sie eine Art Ersatz ist, wenn der tatsächliche, im wahrsten Sinne des Wortes leibhaftige, Empfang aus diversen Gründen nicht möglich sei. So ähnlich wie behauptet wird, wenn man nicht persönlich bei der heiligen Messe zugegen sein könne, sei die mediale Übertragung eine gute, sogar empfehlenswerte Vermittlung.

Wenigstens geistlich versus bloß sakramental

Die Gebetssprache und die Formen, die gebräuchlich sind, um die geistliche Kommunion zu erwecken, enthalten stets eine Formulierung, die, an den eucharistisch gegenwärtigen Heiland gewandt, besagt: „Da ich Dich nun nicht unter der sakramentalen Gestalt empfangen kann, so komme wenigstens geistlich in mein Herz!“

Wer an diese Sichtweise gewöhnt ist, der wird bestimmt überrascht sein, von Josef Pieper (1904-1997) die Auskunft zu erfahren, dass der heilige Thomas von Aquin eine richtiggehend umgekehrte Perspektive eingenommen habe: „Die manducatio spiritualis bedeutet für Thomas etwas völlig anderes als das, was wir unter ‚geistlicher Kommunion‘ verstehen. Für unseren Sprachgebrauch besagt ‚geistliche Kommunion‘ negativ so viel wie ‚nicht-leibhaftige‘ Kommunion; positiv bedeutet sie das ‚innige Verlangen‘ nach dem eigentlich und leibhaftig sakramentlichen Empfang des Herrenmahles.

Wie aber versteht Thomas diese Unterscheidung? ‚Im Empfang dieses Sakramentes ist ein Zweifaches zu bedenken: das Sakrament und seine Frucht. Die vollkommene Weise, dieses Sakrament zu empfangen, ist die: daß einer es so empfange, daß er seine Frucht in sich aufnimmt.

Es geschieht aber zuweilen, daß einer gehindert (nicht bereitet) ist, die Frucht des Sakramentes in sich aufzunehmen; und solcher Empfang dieses Sakramentes ist unvollkommen. Wie also das Vollkommene vom Unvollkommenen unterschieden wird, so auch wird der sakramentliche Genuß, in welchem einzig das Sakrament ohne seine Frucht empfangen wird, unterschieden von dem geisthaften Genuß, in welchem einer auch die Frucht dieses Sakramentes in sich aufnimmt und durch sie im Glauben und in der Liebe mit Christus vereinigt wird‘.“[1]

Anschließend an diese längere, ins Deutsche übertragene Aussage des Aquinaten erläutert Pieper sie: „Was Thomas unter sakramentlicher Kommunion versteht, das ist nicht der leibhaftige Empfang im Gegensatz zu einem ‚nur‘ geistigen oder geistlichen Empfang. Sondern er versteht darunter die minder vollkommene Weise des Empfanges, in welcher nur das Sakramentliche des Sakramentes, nicht aber sein Wirklichkeitskern (res sacramenti) genossen wird: ‚quidam suscipiunt tantum sacramentum, quidam vero sacramentum et rem sacramenti.‘“[2] Pieper arbeitet also heraus, dass für Thomas der leibhaftige Empfang der heiligen Kommunion nicht zwangsläufig höher steht oder überlegen ist, er kann auch der bloß fleischliche Genuss sein, sozusagen in zweifacher Hinsicht geistlos.

Wenn Pieper technischer davon spricht, es werde dabei nur das Sakramentliche des Sakraments in sich aufgenommen, könnte er noch deutlicher sich enger an die theologische Fachterminologie der Scholastik anschließen und geradezu sagen, in einem solchem Kommunionempfang verzehre einer bloß die Akzidentien der heiligen Hostie. Und tatsächlich führt Pieper sodann näher aus: „Die ‚manducatio sacramentalis‘ meint in dieser Unterscheidung den ‚nur‘ sakramentlichen Empfang des Herrenmahles; sie ist ‚das Unvollkommene, das die wesenseigene Vollendung nicht erreicht‘. Ja, sie ist geradezu die Weise, wie der Sünder das Sakrament empfängt: ‚Der Sünder genießt den Leib Christi auf sakramentliche, nicht aber auf geisthafte Weise‘ […], so daß der Begriff der ‚sakramentlichen Kommunion‘, wie er in der genannten Unterscheidung verstanden wird, in die Nähe des Begriffs ‚unwürdige Kommunion‘ gerückt ist.“[3]

Vollform und Vollendung

Der Perspektivenwechsel, den Pieper uns zumutet, besteht also darin, dass die geistliche Kommunion nach Thomas von Aquin nicht eine Art Ersatz ist, gar eine Vertröstung, wenn der sakramentale Kommunionempfang aus äußeren Gründen, wie jetzt in der Corona-Krise, oder aus Gründen persönlicher, fehlender Disposition, etwa der fehlenden eucharistischen Nüchternheit, die heute kaum noch erwähnt wird, mehr noch und essentiell aber aufgrund mangelnder geistlicher Bereitung im Moment gerade nicht möglich ist.

Ganz im Gegenteil: Wer in diesem Sinne geistlich nicht bereit ist, die heilige Eucharistie im Altarsakrament zu empfangen, der ist genauso unfähig zur geistlichen Kommunion, denn diese ist nicht etwas, das gewissermaßen als Reduktion bloß oder nur unterhalb des leiblichen Eucharistieempfanges steht, sondern sie ist dessen Vollform und Vollendung, wenn er nämlich gleichsam nicht bloß körperlich, sondern zugleich geistlich fruchtbar geschieht.

Pieper schließt deswegen im Anschluss an Thomas nun keineswegs aus, dass geistliche Kommunion auch da möglich ist, wo jemand wohl disponiert wäre, zur heiligen Kommunion hinzuzutreten, dazu aber im Augenblick oder auch längere Zeit hindurch, wie es die meisten jetzt gerade erleben, keine Gelegenheit hat: „Doch muß notwendig dazu gesagt werden, daß Thomas dies fruchtbringende ‚Verlangen‘ nicht so versteht, als sei es wie eine nicht weiter beim Wort zu nehmende Stimmung beliebig ‚erweckbar‘, sondern sehr realistisch so, daß nur der dies Verlangen und seine Frucht haben kann, der auch tatsächlich verhindert ist, das Herrenmahl […] leibhaftig zu empfangen: […] ‚sine voto percipiendi hoc sacramentum non potest homini esse salus; frustra autem esset votum, nisi impleretur quando opportunitas adesset.‘“[4] Das Thomaszitat, dessen etwas zu frei erscheinende Übersetzung durch Pieper hier absichtlich ausgelassen wurde, lautet zu deutsch: „Ohne die Absicht, dieses Sakrament zu empfangen, kann dem Menschen das Heil nicht sein, vergeblich indes ist die Absicht, wenn sie nicht erfüllt wird, sobald die Gelegenheit dazu da ist.“

Geistliche Kommunion recht verstehen und in ihrem ursprünglichen Verständnishorizont vollziehen

Wenn es also infolge der Corona-Krise zu einer Wiederentdeckung der geistlichen Kommunion kommt und es gut ist, die Gläubigen auf sie hinzuweisen, so soll sie doch recht und voll verstanden revitalisiert werden. Sie ist nicht Alternative zur sakramentalen Kommunion, auch nicht deren Verringerung oder eine subjektivistische und damit sehr neuzeitlich-moderne Frömmigkeitsübung, sondern steht vollkommen in der Objektivität des Sakramentes.

Eine ähnliche Verschiebung ins subjektiv Individuelle hatte sich bekanntlich in der Zuweisung der Begrifflichkeiten von Corpus Christi Mysticum und Corpus Christi Eucharisticum abgespielt. Ursprünglich bezeichnete das Corpus Christi Mysticum das eucharistische Mysterium, das Corpus Christi Eucharisticum war die Kirche als Eucharistiegemeinschaft. Neuer und auch heute noch weithin im Vordergrund stehend ist das ausgetauschte Verständnis: Kirche als mystischer Leib, die Realpräsenz in der heiligen Hostie als der eucharistische Leib Christi. Dies wohl, weil man mystisch fälschlich als Gegensatz zu real aufzufassen begann, statt in der Verbindung beider Eigenschaften die intensivere und vollere Wirklichkeitstufe zu erkennen. Genau das liegt dem neuzeitlich entstandenen, verflachten Verstehen von geistlicher Kommunion zugrunde, welches dieser Beitrag bewusstmachen wollte.

Der leibhaftige Kommunionempfang ist nur dann gut, würdig und fruchtbringend, wenn leibhaftig nicht bloß körperlich, ja: fleischlich, bedeutet, sondern der Empfang zugleich geistlich geschieht und damit gnadenhaft ist und gnadenwirksam wird.

Vom leibhaftigen Empfang losgelöst kann die geistliche Kommunion nur geschenkt werden, wenn der sakramentale Empfang tatsächlich im Augenblick nicht möglich ist, dann aber setzt sie voraus, auch wirklich wieder zum Tisch des Herrn hinzutreten und Jesus Christus unter der Brotsgestalt als sakramentale Speise zu empfangen, sobald sich dafür konkret die nächste Gelegenheit bietet.

Wer der Möglichkeit der sakramentalen Kommunion von sich aus ein ernstes Hindernis in den Weg stellt, der kann nicht die Ausweiche über die geistliche Kommunion suchen. Wer jedoch, eines solchen Hindernisses ungeachtet, dennoch das Sakrament empfängt, der empfängt es nur äußerlich, fleischlich, unwürdig und vor allem, ohne Gnade zu erlangen.

[1] Pieper, J., Randbemerkungen zum Herrenmahl-Traktat der Summa theologica (1937) in: Berthold Wald (Hrsg.), Josef Pieper – Werke in acht Bänden, Band 7, (Felix Meiner) Hamburg 2000, S. 369-374, hier: S. 372f, kursiv im Original.

[2] Ebd., S. 373, kursiv beim erstmaligen Vorkommen innerhalb dieses Zitates zur Hervorhebung durch Verf., ansonsten im Original. Der von Pieper lateinisch angeführte Satz des heiligen Thomas lautet in unserer eigenen Übersetzung: „Gewisse empfangen bloß das Sakrament [allein], gewisse aber das Sakrament und [mit ihm zugleich auch] seinen [wirkmächtigen, gnadenvermittelnden] Wesenskern.“

[3] Ebd., S. 373, kursiv zur Hervorhebung durch Verf.

[4] Ebd., S. 374, kursiv zur Hervorhebung durch Verf.

Foto: Priester mit Kelch – Bildquelle: Patnac, Creative Commons

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