Marsch durch Institutionen und Definitionen

Eine Buchbesprechung von Martin BĂŒrger.
Erstellt von Martin BĂŒrger am 12. Dezember 2018 um 10:40 Uhr

Das Jahr neigt sich dem Ende entgegen, und damit auch das 50. „JubilĂ€um“ der „Revolution“ von 1968. Grund genug, sich ein Buch vorzunehmen, dessen Autor jener Generation von 1968 und ihren VerĂ€nderungen kritisch gegenĂŒbersteht. Unter dem Titel „50 Jahre Umerziehung“, erschienen bei „Manuscriptum“, erlĂ€utert Josef Kraus kurz und knapp, wieso das Erbe von 1968 so problematisch ist. Als langjĂ€hriger PrĂ€sident des Deutschen Lehrerverbandes liegt sein Schwerpunkt dabei naturgemĂ€ĂŸ auf der Bildung bzw. der Schulpolitik.

Als ideologische Basis fĂŒr 1968 sieht Kraus einen „Marxismus, der Erlösung von der Gesellschaft durch die Gesellschaft versprach“. Trotz einer solchen eindeutigen Basis stehe die Jahreszahl 1968 allerdings fĂŒr eine ganze Reihe von PhĂ€nomenen: „APO (‚Außerparlamentarische Opposition‘), Studentenbewegung, Jugendrebellion, Generationenrevolte, Sozialprotest, Lebensstilreform, Kulturrevolution.“

Ein Paradox, oder besser, eine Ironie besteht darin, dass sich die 68er-Generation besonders lautstark gegen die Vereinigten Staaten von Amerika gerichtet hatte, gleichzeitig aber von dort inspiriert wurde. Man dĂŒrfe Annehmen, so Kraus, „dass die aus den USA kommende Strategie der ‚Reeducation‘ gerade bei den 68ern Erfolg hatte“. Ein derartiges Nachahmen von US-amerikanischen Ideen und Vorbildern findet sich bis heute. „Denn das linke Gesinnungsdiktat der Political, Historical und Educational Correctness treibt vor allem in den USA sein Unwesen und
findet im deutschen 68er-Spross willige Nachahmer [
].“

Insgesamt ist durch 1968 die politische Landschaft in Deutschland nach links gerĂŒckt, zeigt sich Kraus ĂŒberzeugt. So sei es „kein Beleg fĂŒr einen angeblichen Rechtsruck Deutschlands, sondern zum grĂ¶ĂŸten Teil die Reaktion auf eine vorangegangene Verschiebung des politischen Koordinatensystems nach links“, dass es seit einigen Jahren rechts neben der CDU eine etablierte Partei gebe. Hier handelt es sich um den „Marsch durch die Institutionen“, dem Kraus einen „Marsch durch die Definitionen“ zugesellt, womit die bereits erwĂ€hnte politische Korrektheit und andere mehr oder minder offizielle Sprachregelungen gemeint sind.

FĂŒr uns sind noch einige Äußerungen zur kirchlichen Situation um 1968 und in der Folge interessant (das neunte Kapitel beschĂ€ftigt sich ausschließlich mit den „Kirchen“). Vom Zweiten Vatikanischen Konzil sagt, es sei zu einer Aktualisierung dogmatischer SĂ€tze gekommen. Die neue Liturgie, die zwar ihre AnsĂ€tze schon, etwas ambivalent, im Konzil hat, ist indes erst in den Jahren danach entstanden. Die flache, inhaltsleere Sprache der Kirche in den deutschsprachigen LĂ€ndern wird mit dem schönen Begriff „Kirchentagsdeutsch“ lĂ€cherlich gemacht: „Zudem hat das Kirchentagsdeutsch ins PĂ€dagogendeutsch Einzug gehalten. Angesagt sind: aufeinander zugehen, aufarbeiten, rĂŒberbringen, sich einlassen, sich einbringen, mal dazwischengehen, einen anderen Ansatz haben, mit etwas ein Problem haben, ein StĂŒck weit betroffen, entrĂŒstet, empört sein 
 Und dann die endlosen Selbstreflexionen: Was macht das mit mir? Wie geht es mir damit?“

Nach der Wiedervereinigung ist Deutschland weniger christlich geworden, trotz einer CDU-gefĂŒhrten Regierung seit der deutschen Einheit, mit nur sieben Jahren Unterbrechung. „Die Kirchen haben darauf reagiert, indem sie sich anpassten und nach links rĂŒckten, besonders mit manchen ihrer Untergliederungen. Gewiss sind die Zeiten vorbei, als ein Pfarrer in einer Predigt zur Wahl einer C-Partei auffordern konnte. Aber heute unterscheiden sich die Kirchen auf ihren Kirchentagen, in ihren Predigten, in ihren politischen Stellungnahmen oft nicht mehr von der SPD, den ‚GrĂŒnen‘ und der Links-Partei. Man ist sich einig im Universalismus, im Multikulturalismus und im Humanitarismus.“ Allein dazu könnte man ganze BĂŒcher schreiben, womöglich gar Dissertationen.

Die Kirchentage beider „Kirchen“ seien in weiten Teilen zu Surrogaten fĂŒr Parteitage geworden, geben sich Politiker dort doch laufend die Klinke in die Hand, und programmatische Unterschiede werden immer seltener. „Man könnte sie im erweiterten Sinn beinahe Staatskirchentage nennen.“ Kurzum: „Gottes Bodenpersonal jedoch betreibt einerseits seine eigene SĂ€kularisierung und andererseits eine Sakralisierung von Politik.“

Bibliografische Informationen:

Josef Kraus
50 Jahre Umerziehung
Die 68er und ihre Hinterlassenschaften
Manuscriptum Verlagsbuchhandlung
Klappenbroschur
190 Seiten
ISBN: 978-3-944872-81-0
19,90 Euro

Foto: 50 Jahre Umerziehung – Bildquelle: Manuscriptum Verlagsbuchhandlung

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