Marsch durch Institutionen und Definitionen
Das Jahr neigt sich dem Ende entgegen, und damit auch das 50. âJubilĂ€umâ der âRevolutionâ von 1968. Grund genug, sich ein Buch vorzunehmen, dessen Autor jener Generation von 1968 und ihren VerĂ€nderungen kritisch gegenĂŒbersteht. Unter dem Titel â50 Jahre Umerziehungâ, erschienen bei âManuscriptumâ, erlĂ€utert Josef Kraus kurz und knapp, wieso das Erbe von 1968 so problematisch ist. Als langjĂ€hriger PrĂ€sident des Deutschen Lehrerverbandes liegt sein Schwerpunkt dabei naturgemÀà auf der Bildung bzw. der Schulpolitik.
Als ideologische Basis fĂŒr 1968 sieht Kraus einen âMarxismus, der Erlösung von der Gesellschaft durch die Gesellschaft versprachâ. Trotz einer solchen eindeutigen Basis stehe die Jahreszahl 1968 allerdings fĂŒr eine ganze Reihe von PhĂ€nomenen: âAPO (âAuĂerparlamentarische Oppositionâ), Studentenbewegung, Jugendrebellion, Generationenrevolte, Sozialprotest, Lebensstilreform, Kulturrevolution.â
Ein Paradox, oder besser, eine Ironie besteht darin, dass sich die 68er-Generation besonders lautstark gegen die Vereinigten Staaten von Amerika gerichtet hatte, gleichzeitig aber von dort inspiriert wurde. Man dĂŒrfe Annehmen, so Kraus, âdass die aus den USA kommende Strategie der âReeducationâ gerade bei den 68ern Erfolg hatteâ. Ein derartiges Nachahmen von US-amerikanischen Ideen und Vorbildern findet sich bis heute. âDenn das linke Gesinnungsdiktat der Political, Historical und Educational Correctness treibt vor allem in den USA sein Unwesen und
findet im deutschen 68er-Spross willige Nachahmer [âŠ].â
Insgesamt ist durch 1968 die politische Landschaft in Deutschland nach links gerĂŒckt, zeigt sich Kraus ĂŒberzeugt. So sei es âkein Beleg fĂŒr einen angeblichen Rechtsruck Deutschlands, sondern zum gröĂten Teil die Reaktion auf eine vorangegangene Verschiebung des politischen Koordinatensystems nach linksâ, dass es seit einigen Jahren rechts neben der CDU eine etablierte Partei gebe. Hier handelt es sich um den âMarsch durch die Institutionenâ, dem Kraus einen âMarsch durch die Definitionenâ zugesellt, womit die bereits erwĂ€hnte politische Korrektheit und andere mehr oder minder offizielle Sprachregelungen gemeint sind.
FĂŒr uns sind noch einige ĂuĂerungen zur kirchlichen Situation um 1968 und in der Folge interessant (das neunte Kapitel beschĂ€ftigt sich ausschlieĂlich mit den âKirchenâ). Vom Zweiten Vatikanischen Konzil sagt, es sei zu einer Aktualisierung dogmatischer SĂ€tze gekommen. Die neue Liturgie, die zwar ihre AnsĂ€tze schon, etwas ambivalent, im Konzil hat, ist indes erst in den Jahren danach entstanden. Die flache, inhaltsleere Sprache der Kirche in den deutschsprachigen LĂ€ndern wird mit dem schönen Begriff âKirchentagsdeutschâ lĂ€cherlich gemacht: âZudem hat das Kirchentagsdeutsch ins PĂ€dagogendeutsch Einzug gehalten. Angesagt sind: aufeinander zugehen, aufarbeiten, rĂŒberbringen, sich einlassen, sich einbringen, mal dazwischengehen, einen anderen Ansatz haben, mit etwas ein Problem haben, ein StĂŒck weit betroffen, entrĂŒstet, empört sein ⊠Und dann die endlosen Selbstreflexionen: Was macht das mit mir? Wie geht es mir damit?â
Nach der Wiedervereinigung ist Deutschland weniger christlich geworden, trotz einer CDU-gefĂŒhrten Regierung seit der deutschen Einheit, mit nur sieben Jahren Unterbrechung. âDie Kirchen haben darauf reagiert, indem sie sich anpassten und nach links rĂŒckten, besonders mit manchen ihrer Untergliederungen. Gewiss sind die Zeiten vorbei, als ein Pfarrer in einer Predigt zur Wahl einer C-Partei auffordern konnte. Aber heute unterscheiden sich die Kirchen auf ihren Kirchentagen, in ihren Predigten, in ihren politischen Stellungnahmen oft nicht mehr von der SPD, den âGrĂŒnenâ und der Links-Partei. Man ist sich einig im Universalismus, im Multikulturalismus und im Humanitarismus.â Allein dazu könnte man ganze BĂŒcher schreiben, womöglich gar Dissertationen.
Die Kirchentage beider âKirchenâ seien in weiten Teilen zu Surrogaten fĂŒr Parteitage geworden, geben sich Politiker dort doch laufend die Klinke in die Hand, und programmatische Unterschiede werden immer seltener. âMan könnte sie im erweiterten Sinn beinahe Staatskirchentage nennen.â Kurzum: âGottes Bodenpersonal jedoch betreibt einerseits seine eigene SĂ€kularisierung und andererseits eine Sakralisierung von Politik.â
Bibliografische Informationen:
Josef Kraus
50 Jahre Umerziehung
Die 68er und ihre Hinterlassenschaften
Manuscriptum Verlagsbuchhandlung
Klappenbroschur
190 Seiten
ISBN: 978-3-944872-81-0
19,90 Euro
Foto: 50 Jahre Umerziehung – Bildquelle: Manuscriptum Verlagsbuchhandlung