„Macht hoch die Tür“ – 21. Türchen
Österlicher Auferstehungsglaube kurz vor Weihnachten. Damit ließe sich das heutige Fest des heiligen Apostels Thomas überschreiben, dem man den an sich wenig schmeichelhaften Beinamen der Ungläubige gibt. Das Evangelium, Joh 20, 24-29, sagt zu Beginn wertfreier nur qui dicitur Didymus – der Zwilling genannt wird. Es folgt die Szene, wo Thomas der Erscheinung des Auferstandenen, die ihm seine Mitapostel bezeugen, bei der er aber nicht in ihrem Kreise gewesen ist, mit Skepsis begegnet und verlangt, selbst die Wundmale der Hände zu sehen und seine Hand in die Seitenwunde Christi zu legen, um zu glauben. Acht Tage später erscheint der Auferstandene abermals, und Thomas ist zugegen. Christus gibt ihm Gelegenheit, ja, er fordert Thomas auf, genau das zu tun, wovon er zuvor seinen Glauben abhängig gemacht. Nun sieht auch er die Wundmale, und seine Hand betastet die dem Herzen Jesu von der Lanze zugefügte Wunde. Es folgt sein kurzes, aber kräftiges Glaubensbekenntnis: Dominus meus et Deus meus – mein Herr und mein Gott (Joh 20, 28).
Weihnachts- und Osterglaube gehören zusammen, denn der Auferstandene hat und behält den Leib, den er in der Inkarnation aus der Jungfrau Maria angenommen hat, und er behält ihn so, wie er von seinem Heilswerk gezeichnet ist. Mit den Malen der Nägel und mit der geöffneten Seite – dann verklärt nicht mehr Leidens-, sondern Erlösungszeichen. Zeichen der Erlösung, die leibhaftig ist und mit der Menschwerdung und mit der Geburt in Bethlehem ihren Anfang nimmt. Und Thomas bekennt, dieser Menschgewordene, dieser Auferstandene ist sein Herr als wahrer Mensch. Er ist zugleich wahrer Gott, sein Gott. Und an dieser Stelle sehen wir einen Zusammenhang des Thomas mit den Adventsheiligen, die wir ziemlich zu Beginn des Dezembers gefeiert haben, etwa mit dem heiligen Nikolaus, der als historische Gestalt gegen Arius für die wahre Gottheit und die wahre Menschheit Christi eingestanden ist.
Die O-Antiphon ist heute O oriens – „O Aufgang, Glanz der Ewigkeit, * O Sonne der Gerechtigkeit! * Komm und erleucht mit deiner Pracht * Die Finsternis und Todesnacht.“[1] Die Versicherung, die die anderen Apostel dem Thomas geben: Vidimus Dominum – wir haben den Herrn gesehen (Joh 20, 25), schlägt heute aber den Bogen auch schon voraus zum Weihnachtsfest der Ostkirche am Fest der Erscheinung des Herrn; an Epiphanie, wenn es im Evangelium heißen wird: Vidimus enim stellam eius in oriente – Wir haben nämlich seinen Stern gesehen im Osten und sind gekommen, ihn anzubeten (Matth 2, 2).
Wieder sind Oster- und Weihnachtsglaube aufeinander bezogen, wieder steht das Bekenntnis zum Menschensohn, der wahrer Gottmensch ist, vor uns.
Und an der Oration des heiligen Thomas ist besonders interessant, dass die Kirche uns bitten lässt, seinem Glauben  fidem [eius] congrua devotione sectemur – mit übereinstimmender, deckungsgleicher Hingabe zu folgen, uns diesem Glauben anzuschließen. Wir bitten also um einen Glauben, der im objektiven Inhalt und in der subjektiven Glaubenshaltung, im Engagement, demjenigen des heiligen Thomas entspricht. Er ist nicht der Ungläubige, sondern Vorbild im Glauben. Werden wir zu Zwillingen des heiligen Apostels Thomas Didymus in diesem, in der Menschwerdung verwurzelten, an ihr anhaftenden, österlichen Glauben!
Dem Vierten Advent wird an zweiter Stelle gedacht.
[1] Schott, A., Vesperbuch (Vesperale Romanum), lateinisch und deutsch, enthaltend die Vespern des Kirchenjahres, Freiburg im Breisgau u. a. 41913, S. 100.
Foto: Weihnachtsgeschenke – Bildquelle: Sigismund von Dobschütz