Lumen gentium, Artikel 25

Unterschiedlicher Verpflichtungsgrad kirchlicher Lehren. Die Relevanz dieses Artikels fĂŒr den Dialog mit der Piusbruderschaft.
Erstellt von Gero P. Weishaupt am 25. Oktober 2014 um 18:35 Uhr

Einleitung von Dr. iur. can. Gero P. Weishaupt:

ErmĂ€chtigt durch Christus ĂŒben die Bischöfe zusammen und in Einheit mit dem Bischof von Rom, ihrem Haupt, im Rahmen ihrer Sendung den Dienst des Lehrens und des VerkĂŒndigens (munus docendi) aus. Das Konzil thematisiert dabei sowohl das universale Lehramt des Papstes und des Bischofskollegiums (mit dem Papst als seinem Haupt und niemals ohne ihn!) als auch das partikulare Lehramt der einzelnen Bischöfe. Die LehrautoritĂ€t des universalen Lehramtes beschrĂ€nkt sich dabei – so die KonzilsvĂ€ter – nicht nur auf unfehlbare und defintive Lehraussagen. Die KonzilsvĂ€ter wiederholen zwar die wesentliche Lehre des Ersten Vatikanischen Konzils ĂŒber die Unfehlbarkeit des Papstes alleine, d.h. getrennt vom Bischofskollegium, deren Haupt er ist (vgl. Pastor aeternus), als auch des Bischofskollegium mit seinem Haupt zusammen (vgl. Dei Filius), wodurch die KontinuitĂ€t von Vaticanum II mit Vaticanum I erkennbar ist. Der Unterschied und das Neue (vgl. „Reform in KontinuitĂ€t“, so Benedikt XVI.) zum vorletzten Konzil ist aber die Aussage im gegenstĂ€ndlichen Artikel von Lumen gentium, dass es außer dem unfehlbaren und definitiven Lehramt ein authentisches und grundsĂ€tzlich bindendes Lehramt gibt, dass nicht unfehlbar und definitiv ist und darum auch einen niedrigeren Grad an Zustimmung bei den GlĂ€ubigen erfordert.

Religiöser Gehorsam des Verstandes und des Willens

In Bezug auf diese niedere LehrautoritĂ€t lĂ€sst sich das Zweite Vatikanische Konzil von den entsprechenden Aussagen aus der Enzyklika Humanae generis (1950) von Papst Pius XII. leiten. Darin lehrte der Parcelli-Papst, dass auch dann den Lehren des Papstes zu folgen sei, wenn er nicht seine höchste AutoritĂ€t als Nachfolger Petri einsetzt. Der Gehorsam bzw. die Folgsamkeit (Lat.: ob-sequium) solchen Lehren gegenĂŒber grĂŒnde im Glauben, dass der Papst im Namen und in der AutoritĂ€t Christi selber lehre. Diesen Lehren, so die KonzilsvĂ€ter, forderten von den GlĂ€ubigen zwar keine Glaubenszustimmung (assensus fidei), aber einen „religiösen Gehorsam des Verstandes und des Willens“ (religiosum intellectus et voluntatis obsequium).

Unterschiedliche LehrautoritÀt des universalen Lehramtes

Gegenstand des höchsten kirchlichen Lehramtes ist zum einen der Inhalt der christlichen Offenbarung selbst und alles, was zur VerkĂŒndigung, Reinerhaltung und Verteidigung dieser Offenbarung notwendig und nĂŒtzlich ist. Dabei unterscheidet man in der Theologie drei Stufen des höchsten Lehramtes der Kirche: zum einen den direkten Gegenstand (PrimĂ€robjekt), womit die von Gott selber geoffenbarten Wahrheiten der christlichen Offenbarung (depositum fidei) gemeint sind, zum anderen den indirekten Gegenstand (SekundĂ€robjekt), das heißt Wahrheiten, die zwar nicht in sich geoffenbart sind, aber mit den geoffenbarten Wahrheiten in einem inneren logischen Zusammenhang stehen, sie voraussetzen oder aus ihnen folgen sowie sie interpretieren und sichern. Zur letzteren gehört zum Beispiel die Unmöglichkeit der Priesterweihe von Frauen, eine Glaubenslehre der Kirche, die Papst Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben Ordinatio sacerdotalis von 22. Mai 1994 als unfehlbare und definitive Lehre der Kirche festgestellt hat und die auch Papst Franziskus auf Anfragen von Journalisten, ob Frauen zum Priesteramt zugelassen werden könnten, in Erinnerung gerufen hat: Die Kirche hat darĂŒber keine Vollmacht. Die Lehre ist unfehlbar und definitiv. Sowohl beim direkten als auch beim indirekten Gegestand des unversalen Lehramtes handelt es sich um unfehlbare und defintive Lehraussagen der Kirche.

Neben diesen bisher bekannten Gewissheitsgraden lehrt das Zweite Vatikanische Konzil – darin, wie gesagt, Papst Pius XII. folgend -, dass es auch Wahrheiten gibt, die zwar nicht unfehlbar und defintiv sind, aber dennoch autoritativ, weil sie von TrĂ€gern des Lehramtes vorgetragen werden, die von Christus selber aufgrund ihres Amtes durch besondere Gabe des Heiligen Geistes zum Zeugnis bevollmĂ€chtigt sind: Papst und Bischöfe. Wenn aus dem Wortlaut eines Dokumentes des universalkirchlichen Lehramtes nicht etwas anderes hervorgeht, kann man davon ausgehen, dass die pĂ€pstlichen Lehren in Enzykliken, Apstolischen Schreiben und Ansprachen oder aber Dokumenten der Römischen Kurie, die im Auftrag des Papstes und mit dessen Approbation veröffentlicht werden, solche autoritativen Lehren des authentischen höchsten Lehramtes enthalten. Auch die Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils gehören, sofern sie nicht das depositum fidei wiedergeben, zu dieser dritten Stufe des authentischen universalkirchlichen Lehramtes.

Unterschiedliche Grade der Zustimmung

Entsprechend wird von den GlĂ€ubigen ein anderer – niederer – Grad an Zustimmung gefordert als bei den Lehraussagen, die das PrimĂ€r- und SekundĂ€robjekt des höchsten Lehramtes beinhalten. Die KonzilsvĂ€ter sprechen in Lumen gentium 25, wie oben gesagt, von einem „religiöse Gehorsam des Willens und des Verstandes (religiosum voluntatis et intellectus obsequium). Gemeint ist ein Gehorsam, der in der durch Christus Papst und Bischöfen verliehenen und im Glauben angenommenen AutoritĂ€t beruht. „Die autoritativ vorgelegte nicht-definitive Lehre gilt 
 als mit nicht absoluter, wohl aber moralischer Gewissheit wahr oder als sicher. Leitend ist das Motiv, das Glaubensgut zu schĂŒtzen und den Heilsweg der GlĂ€ubigen zu sichern. 
 (D)ie religiöse Zustimmung (wird) bestimmt als ein Akt des Verstandes unter dem bewegenden Einfluss des Willens. Sieht ein Katholik sich verstandsmĂ€ĂŸig nicht in der Lage, einer Lehre zuzustimmen, hat er diesen Mangel an Einsicht durch den Willen zu ĂŒberbrĂŒcken. 
 Es geht um Zustimmung aus und als Gehorsam“ (Nobert LĂŒdecke).

Die AktualitÀt von Artikel 25 von Lumen gentium

Im Zusammenhang mit der angestrebten vollen Intergration der Piusbruderschaft in die katholische Kirche ist es wichtig, die verschieden Grade der LehrautoritĂ€t der Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils und die damit verbundenen unterschiedlichen Verbindlichkeitsgrade und Formen der Zustimmungen seitens der GlĂ€ubigen (hier der Piusbruderschaft) genau vor Augen zu haben. Denn vieles, was das Zweite Vatikanische Konzil lehrt, fordert keine Glaubenszustimmung, sondern „einen „religiösen Gehorsam des Willens und des Verstandes“, von dem die KonzilsvĂ€ter in Artikel 25 reden. „NatĂŒrlich haben nicht alle in den Konzilsdokumenten enthaltenen Aussagen denselben lehrmĂ€ĂŸigen Wert und verlangen daher nicht alle denselben Grad an Zustimmung. … Jene Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils, die Glaubenswahrheiten in Erinnerung rufen, verlangen natĂŒrlich Zustimmung mit theologalem Glauben – nicht weil sie von diesem Konzil gelehrt wurden, sondern weil sie als solche bereits unfehlbar von der Kirche vorgelegt worden sind, sei es durch feierliches Urteil, sei es durch das ordentliche und allgemeine Lehramt. Ebenso verlangen andere Lehren, die vom Zweiten Vatikanum in Erinnerung gerufen und bereits frĂŒher durch das Lehramt in einer definitiven Äußerung verkĂŒndet wurden, volle und endgĂŒltige Zustimmung.

Die anderen lehrmĂ€ĂŸigen Aussagen des Konzils verlangen von den GlĂ€ubigen einen Grad der Zustimmung, der als ‚religiöser Gehorsam des Willens und des Verstandes‘ bezeichnet wird: eine ‚religiöse‘ Zustimmung also, die nicht auf rein rationalen Motivationen grĂŒndet. Diese Zustimmung ist kein Akt des Glaubens, sondern vielmehr des Gehorsams, der aber nicht bloß disziplinĂ€rer Natur ist, sondern im Vertrauen auf den göttlichen Beistand fĂŒr das Lehramt wurzelt, und sich daher ‚in die Logik des Glaubensgehorsams einfĂŒgen und von ihm bestimmen‘ lĂ€ĂŸt (Kongregation fĂŒr die Glaubenslehre, Instruktion Donum veritatis, 24. Mai 1990, Nr. 23). Dieser Gehorsam gegenĂŒber dem Lehramt der Kirche stellt keine Grenze fĂŒr die Freiheit dar, sondern er ist im Gegenteil Quelle der Freiheit. Die Worte Christi: „Wer euch hört, der hört mich” (Lk 10,16), sind auch an die Nachfolger der Apostel gerichtet; und Christus hören bedeutet, die Wahrheit in sich aufzunehmen, die befreit (vgl. Joh 8,32).

Elemente nicht lehrmĂ€ĂŸiger Natur

In den lehramtlichen Dokumenten kann es auch Elemente geben – und solche finden sich tatsĂ€chlich im Zweiten Vatikanischen Konzil –, die von ihrem Wesen her nicht eigentlich lehrmĂ€ĂŸig, sondern mehr oder weniger von den UmstĂ€nden bestimmt sind (Beschreibungen gesellschaftlicher ZustĂ€nde, VorschlĂ€ge, Ermahnungen, usw.). Solche Elemente mĂŒssen respektvoll und dankbar angenommen werden, aber sie verlangen keine verstandesmĂ€ĂŸige Zustimmung im eigentlichen Sinn (vgl. Instruktion Donum veritatis, Nr. 24-31)“ ( Fernando OcĂĄriz).

Hoffnung auf eine volle kirchenrechtliche Integration der Piusbruderschaft

Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Verbindlichkeitsgrade mĂŒssen wohl die jĂŒngsten Aussagen des SekretĂ€rs der PĂ€pstlichen Kommission Ecclesia Dei, Kurienbischof Guido Pozzo, verstanden werden, wenn er laut Angaben von Radio Vatikan nun verlauten ließ: „Die Vorbehalte der Piusbruderschaft gegenĂŒber einigen Aspekten und Formulierungen des Zweiten Vatikanischen Konzils und gegenĂŒber einigen daraufhin durchgefĂŒhrten Reformen, die nicht unverhandelbare Dogmatik- und Lehrfragen betreffen, könnten gleichzeitig untersucht und vertieft werden.“ Die unterschiedlichen Verbindlichkeitsgrade und ihre entsprechen Zustimmung dĂŒrften wohl auch der „lehrmĂ€ĂŸigen ErklĂ€rung” der Glaubenskongregation zugrunde liegen, die anzuerkennen und zu unterschreiben Voraussetzung fĂŒr die volle rechtliche Integration der Piusbruderschaft, die mit der Aufhebung der Exkommunikation durch Papst Benedikt XVI. im Jahr 2009 noch nicht vollzogen ist.

Die unterschiedlichen Grade im Lehren und Zustimmen, die Lumen gentium 25 in Erinnerung ruft, werden auch die Grundlage sein fĂŒr den Dialog des Apostolischen Stuhles mit der Piusbruderschaft. Sie öffnen einen Weg zur Anerkennung der „lehrmĂ€ĂŸigen ErklĂ€rung“ und damit fĂŒr die volle rechtliche Eingliederung der Piusbruderschaft in die Kirche.

Text von Lumen gentium, Artikel 25

Unter den hauptsĂ€chlichsten Ämtern der Bischöfe hat die VerkĂŒndigung des Evangeliums einen hervorragenden Platz. Denn die Bischöfe sind Glaubensboten, die Christus neue JĂŒnger zufĂŒhren; sie sind authentische, das heißt mit der AutoritĂ€t Christi ausgerĂŒstete Lehrer. Sie verkĂŒndigen dem ihnen anvertrauten Volk die Botschaft zum Glauben und zur Anwendung auf das sittliche Leben und erklĂ€ren sie im Licht des Heiligen Geistes, indem sie aus dem Schatz der Offenbarung Neues und Altes vorbringen (vgl. Mt 13,52). So lassen sie den Glauben fruchtbar werden und halten die ihrer Herde drohenden IrrtĂŒmer wachsam fern (vgl. 2 Tim 4,1-4).

Die Bischöfe, die in Gemeinschaft mit dem römischen Bischof lehren, sind von allen als Zeugen der göttlichen und katholischen Wahrheit zu verehren. Die GlĂ€ubigen aber mĂŒssen mit einem im Namen Christi vorgetragenen Spruch ihres Bischofs in Glaubens- und Sittensachen ĂŒbereinkommen und ihm mit religiös gegrĂŒndetem Gehorsam anhangen.

Dieser religiöse Gehorsam des Willens und Verstandes ist in besonderer Weise dem authentischen Lehramt des Bischofs von Rom, auch wenn er nicht kraft höchster LehrautoritĂ€t spricht, zu leisten; nĂ€mlich so, daß sein oberstes Lehramt ehrfĂŒrchtig anerkannt und den von ihm vorgetragenen Urteilen aufrichtige AnhĂ€nglichkeit gezollt wird, entsprechend der von ihm kundgetanen Auffassung und Absicht. Diese lĂ€ĂŸt sich vornehmlich erkennen aus der Art der Dokumente, der HĂ€ufigkeit der Vorlage ein und derselben Lehre, und der Sprechweise.

Die einzelnen Bischöfe besitzen zwar nicht den Vorzug der Unfehlbarkeit; wenn sie aber, in der Welt rĂ€umlich getrennt, jedoch in Wahrung des Gemeinschaftsbandes untereinander und mit dem Nachfolger Petri, authentisch in Glaubens- und Sittensachen lehren und eine bestimmte Lehre ĂŒbereinstimmend als endgĂŒltig verpflichtend vortragen, so verkĂŒndigen sie auf unfehlbare Weise die Lehre Christi. Dies ist noch offenkundiger der Fall, wenn sie auf einem Ökumenischen Konzil vereint fĂŒr die ganze Kirche Lehrer und Richter des Glaubens und der Sitten sind. Dann ist ihren Definitionen mit Glaubensgehorsam anzuhangen. Diese Unfehlbarkeit, mit welcher der göttliche Erlöser seine Kirche bei der Definierung einer Glaubens- und Sittenlehre ausgestattet sehen wollte, reicht so weit wie die Hinterlage der göttlichen Offenbarung, welche rein bewahrt und getreulich ausgelegt werden muß, es erfordert.

Dieser Unfehlbarkeit erfreut sich der Bischof von Rom, das Haupt des Bischofskollegiums, kraft seines Amtes, wenn er als oberster Hirt und Lehrer aller ChristglĂ€ubigen, der seine BrĂŒder im Glauben stĂ€rkt (vgl. Lk 22,32), eine Glaubens- oder Sittenlehre in einem endgĂŒltigen Akt verkĂŒndet. Daher heißen seine Definitionen mit Recht aus sich und nicht erst aufgrund der Zustimmung der Kirche unanfechtbar, da sie ja unter dem Beistand des Heiligen Geistes vorgebracht sind, der ihm im heiligen Petrus verheißen wurde. Sie bedĂŒrfen daher keiner BestĂ€tigung durch andere und dulden keine Berufung an ein anderes Urteil. In diesem Falle trĂ€gt nĂ€mlich der Bischof von Rom seine Entscheidung nicht als Privatperson vor, sondern legt die katholische Glaubenslehre aus und schĂŒtzt sie in seiner Eigenschaft als oberster Lehrer der Gesamtkirche, in dem als einzelnem das Charisma der Unfehlbarkeit der Kirche selbst gegeben ist.

Die der Kirche verheißene Unfehlbarkeit ist auch in der Körperschaft der Bischöfe gegeben, wenn sie das oberste Lehramt zusammen mit dem Nachfolger Petri ausĂŒbt. Diesen Definitionen kann aber die Beistimmung der Kirche niemals fehlen vermöge der Wirksamkeit desselben Heiligen Geistes, kraft deren die gesamte Herde Christi in der Einheit des Glaubens bewahrt wird und voranschreitet.

Wenn aber der Bischof von Rom oder die Körperschaft der Bischöfe mit ihm einen Satz definieren, legen sie ihn vor gemĂ€ĂŸ der Offenbarung selbst, zu der zu stehen und nach der sich zu richten alle gehalten sind. In Schrift oder Überlieferung wird sie durch die rechtmĂ€ĂŸige Nachfolge der Bischöfe und insbesondere auch durch die Sorge des Bischofs von Rom unversehrt weitergegeben und im Licht des Geistes der Wahrheit in der Kirche rein bewahrt und getreu ausgelegt. Um ihre rechte Erhellung und angemessene Darstellung mĂŒhen sich eifrig mit geeigneten Mitteln der Bischof von Rom und die Bischöfe, entsprechend ihrer Pflicht und dem Gewicht der Sache. Eine neue öffentliche Offenbarung als Teil der göttlichen Glaubenshinterlage empfangen sie jedoch nicht

Foto: Dr. iur. can. Gero P. Weishaupt – Bildquelle: privates Archiv

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