Kirche Frankreichs verliert prägende Priestergestalt

Zum Tode von Abbé Paul Aulagnier (1943-2021). Ein Nachruf von Clemens Victor Oldendorf.
Erstellt von Clemens Victor Oldendorf am 7. Mai 2021 um 15:30 Uhr

In den frühen Nachmittagsstunden des gestrigen 6. Mai 2021 verstarb in Frankreich Abbé Paul Aulagnier, der am kommenden 25. Mai 2021 seinen 78. Geburtstag gefeiert hätte. Dass er an einem Priesterdonnerstag seinen Lebensweg beschloss, darf als Fügung der Göttlichen Vorsehung erkannt werden. 1943 als viertes von fünf Kindern in eine katholische Familie hineingeboren, trat er 1964, also während des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965), in das Französische Seminar in Rom ein und hatte so Gelegenheit, aus nächster Nähe Zeuge dieser Kirchenversammlung und ihrer sich abzeichnenden Entwicklungen und Weichenstellungen zu werden.

Entscheidend für ihn persönlich war seine Begegnung mit dem Konzilsvater Erzbischof Marcel Lefebvre (1905-1991). Bei der Gründung eines Theologenkonviktes in Fribourg in der Schweiz gehörte er 1969 unter anderem neben dem späteren Weihbischof Bernard Tissier de Mallerais (*1945) zu den ersten Seminaristen der sich damals gerade mit ausdrücklicher Gutheißung des zuständigen Ortsbischofs formenden Priesterbruderschaft St. Pius‘ X. Insbesondere deren französischer Distrikt wurde von Aulagnier wesentlich mitgestaltet und geprägt. In den Jahren von 1976-1994 diente er selbst als französischer Distriktoberer und baute Frankreich zu einem der vitalsten und ausgedehntesten Wirkungsfelder der Priesterbruderschaft St. Pius‘ X. aus.

Seine theologisch-kirchenpolitische Position zwischen Entwicklung und Beharren

Die heroischen Bischofsweihen, zu denen Erzbischof Lefebvre am 30. Juni 1988 schritt, befürwortete er klar, obwohl sie mit dem ungerechten Makel der Exkommunikation behaftet waren, denn er wusste, wie sehr sich der Erzbischof um die Zustimmung Johannes Pauls II. zu einer Bischofsweihe aus den Reihen der Priesterbruderschaft bemüht hatte. Doch Rom spekulierte damals offensichtlich auf das baldige Ableben des streitbaren Prälaten; Kardinal Ratzinger schob das Datum der möglichen Konsekration eines Bischofs immer weiter hinaus und vertröstete Lefebvre auf einen vagen späteren Zeitpunkt. Die Priesterbruderschaft St. Petrus verfügt bis heute nicht über das im legendären Protokoll vom 5. Mai 1988 zugesicherte Mitglied im Range eines Bischofs. So konnte Ratzinger seinerzeit schwerlich größeres Vertrauen in seine Zusagen wecken und erwarten. Bekanntlich hat Benedikt XVI. 2009 die damalige Exkommunikation der Geweihten zurückgenommen, vor allem auch, weil das 1988 befürchtete Schisma sich zu keinem Zeitpunkt ergeben hat.

Etwa ab dem Jahre 1998 begann sich bei Abbé Aulagnier ein Wandel seiner Einschätzung der Beziehungen zu Rom einzustellen. Unter dem Eindruck der auf diözesaner Ebene im brasilianischen Campos für die dortigen Traditionalisten gefundenen Lösung einer Apostolischen Administratur, der ein eigener Bischof vorsteht und die mit dem Territorium der Diözese räumlich kongruent ist, befürwortete Aulagnier zunehmend eine pragmatisch orientierte Lösung der Spannungen mit dem Heiligen Stuhl auch auf weltweiter Ebene und für die Priesterbruderschaft, der er seit ihrer Gründung und zum damaligen Zeitpunkt immer noch angehörte.

2003 wurde Aulagnier wegen dieser Position zu seinem tiefen Bedauern aus der Bruderschaft ausgeschlossen, deren Wesen und Gesichtszüge ohne ihn andere wären.

Kontinuität und Treue in der Gründung einer neuen Priestergemeinschaft

2006, also noch vor dem Motu Proprio Summorum Pontificum, wurde der jetzt verstorbene Priester zum Mitbegründer des Institut du Bon Pasteur, in dessen Statuten der überlieferte Römische Ritus ausdrücklich als exklusiver Eigenritus dieses Institutes vom Guten Hirten verankert ist, begleitet vom spezifischen Auftrag (!) zur konstruktiven theologischen Kritik an den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Lange Jahre war Paul Aulagnier Regens der institutseigenen Ausbildungsstätte dieser Priestergemeinschaft, die sich namentlich wiederum in Frankreich und in Südamerika staunenswert rasch und gut entwickelte. Bis jetzt hat das Institut leider noch keine Niederlassung im deutschen Sprachraum, allerdings ist auch nicht bekannt, ob für eine solche Gründung schon in ausreichender Zahl deutschsprachige oder der deutschen Sprache mächtige Priester und Priesteramtskandidaten vorhanden wären.

Seine Wurzeln als bleibende Inspiration

Dass der Verstorbene die Wurzeln und Prägungen seiner eigenen Priesterberufung nie bestritt, bezeugen seine Publikationen. Zum Beispiel erschien 2011: L’héritage doctrinal de Mgr. Lefebvre („Das lehrmäßige Erbe von Monsigneur Lefebvre“) und – praktisch noch druckfrisch – erst 2021: La grande histoire de la Messe interdite („Die große Geschichte der Verbotenen Messe“)

Das Wort der Epistel der Votivmesse vom Ewigen Hohenpriester im tridentinischen Missale, die am 1. Donnerstag eines Monats gefeiert werden kann, ist dem Hebräerbrief entnommen (5, 1-11) und sagt gleich eingangs, jeder Hohepriester sei aufgestellt, Gaben und Opfer darzubringen für die Sünden (V. 1).

Dem Gebet der Gläubigen und den dona et sacrificia pro peccatis der Priester am Altar bleibt mit Abbé Aulagnier abschließend die Seelenruhe einer beeindruckenden Persönlichkeit im Bereich der Priesterausbildung und der katholischen Tradition nicht nur in Frankreich herzlich anzuempfehlen. Am 17. Oktober 2021 wäre das Goldenes Priesterjubiläum des Heimgegangenen gewesen. R.I.P.

Foto: Logo – Institut vom Guten Hirten – Bildquelle: Institut vom Guten Hirten

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