Kernthemen des heiligen Augustinus zusammengestellt

Im Zeitraum zwischen dem 7. MĂ€rz 2007 und dem 27. Februar 2008 widmete sich Papst Benedikt XVI. in seinen wöchentlichen Mittwochsaudienzen Leben, Werk und Denken der KirchenvĂ€ter. WĂ€hrend er die meisten KirchenvĂ€ter in einer, ausnahmsweise auch in zwei Katechesen wĂŒrdigte, schenkte er dem heiligen Augustinus in fĂŒnf Katechesen (am 9., 16. und 30. Januar und am 20. und 27. Februar 2008) seine Aufmerksamkeit. Das erklĂ€rt sich sicherlich nicht nur dadurch, dass fĂŒr Papst Benedikt XVI. der Bischof von Hippo der Favorit unter den KirchenvĂ€tern ist, dessen 22 BĂŒcher umfassende Schrift De Civitate Dei Joseph Ratzinger  ausweislich seiner Autobiographie schon in seiner Jugend   auf Latein gelesen hat; auch nicht dadurch dass der junge Theologe Joseph Ratzinger seine Doktorarbeit ĂŒber die Ekklesiologie Augustins mit dem Titel âVolk Gottes in Augustinus Lehre von der Kircheâ geschrieben hat. Es hat auf jeden Fall auch damit zu tun, dass Augustinus wie kein anderer theologischer Denker und Schriftsteller das christliche Abendland geprĂ€gt hat, ja nicht nur das Abendland, sondern darĂŒber hinaus, wie Papst Benedikt XVI. es in seiner einfĂŒhrenden Katechese ĂŒber den Heiligen am 9. Januar 2008 sagte, âeine sehr tiefe Spur im kulturellen Leben ⊠der ganzen Welt hinterlassen hatâ.
Augustinus auch in den Texten des Vatikanum II
Thomas von Aquin zitiert den lateinischen Kirchenvater 2500 Mal. Auch die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils kommen nicht an dem Bischof von Hippo vorbei. Bekannt ist z. B. die Rezeption seiner EhegĂŒterlehre in der Pastoralkonstitution ĂŒber die Kirche in der Welt von heute: Gaudium et spes.  In den Nummern 48 und 50 ist die Rede von den mit dem Wesen der Ehe intrinsisch verbundenen Zielen des Gattenwohles und der Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft. Es sind die GĂŒter (bona) bzw. die Ziele (fines), auf die die Ehe wesentlich hingeordnet ist. Zusammen mit den Eigenschaften der Einheit/Treue und der Unauflöslichkeit, die Augustinus sacramentum nennt, unterscheidet sich darum die Ehe wesentlich von jeder anderen Gemeinschaft und zwischenmenschlichen Beziehung. Unter Berufung auf Augustins Schrift De bono coniugali lehren die KonzilsvĂ€ter: âGott selber ist Urheber der Ehe, die mit verschiedenen GĂŒtern und Zielen ausgestattet ist (Ipse vero Deus est auctor matrimonii, variis bonis ac finibus praediti). Der Konzilstext hat seinen kirchenrechtlichen Niederschlag gefunden in der Wesensumschreibung der Ehe im ersten Canon des Eherechtes (can. 1055 § 1, CIC/1983). Sie ist die BegrĂŒndung fĂŒr andere eherechtliche Normen.
Augustinus-Zitatenschatz
Es ist kaum möglich, auch nur einen Bruchteil des gewaltigen literarischen Werkes des heiligen Augustinus zu lesen. Eine Auswahl seiner Gedanken hat Prof. Cornelius Mayer OSA mit seiner bereits 2018 in 7. Auflage erschienen Sammlung von theologischen, philosophischen und spirituellen Sentenzen des nordafrikanischen Kirchenvaters vorgelegt. Sie trĂ€gt den passenden Titel âAugustinus-Zitatenschatz. Kernthemen seines Denkensâ und ist im Baseler Schwabe Verlag erschienen. TatsĂ€chlich stellt das  Denken des Bischofs von Hippo einen kostbaren Schatz dar, und es ist Pater Mayer OSA gelungen, gleichsam wie in einem Brennglas das Gedankengut des heiligen Augustinus zusammenzufassen.
Lehren, bewegen, erfreuen
Der Zitatenschatz ist eine Art Sammlung von Sentenzen des Kirchenvaters und will die âLeser sowohl ĂŒber ihren Inhalt wie auch ĂŒber ihre Diktion zum Nachdenken einladen und anredenâ, heiĂt es im Vorwort. Dabei haben die Sentenzen den Vorteil, dass sie â(n)icht selten ⊠schwierige Fragen und komplexe Sachverhalte erhellend auf den Punkt (bringen)â, erklĂ€rt der emeritierter Ordinarius fĂŒr Dogmatik und Dogmengeschichte an der UniversitĂ€t GieĂen und ehemaliger Leiter des Zentrums fĂŒr Augustinus-Forschung an der UniversitĂ€t WĂŒrzburg sowie Mitherausgeber des Augustinus-Lexikons und des Corpus Augustianum Giessense.  âKein Wunder, denn Augustinus war ein ebenso scharfsinniger Dialektiker wie auch ein glĂ€nzender Rhetoriker. Eine gute Rede, so lehrte er im Anschluss an Cicero, mĂŒsse den Hörern bzw. den Lesern zuallererst das Wahre vermitteln (âdocereâ), sie sodann zum Tun des Guten bewegen (âmovereâ) und schlieĂlich durch womöglich formvollendete Sprache auch erfreuen (âdelectareâ)â (Mayer, Vorwort). Man kann Prof. Pater Mayer OSA nur von Herzen zustimmen, wenn er sodann fortfĂŒhrt: âMit der inhaltlichen Tiefe seiner Texte und deren brillantem Stil faszinierte der Kirchenvater nicht nur seine Zeitgenossen, mit ihnen prĂ€gte er wie kein Zweiter auch das christliche Abendlandâ, und mit Papst Benedikt XVI. wĂ€re zu ergĂ€nzen: die ganze Welt.
Des Kirchenvaters rhetorische Brillanz
Es ist daher zu begrĂŒĂen, dass Prof. Mayer OSA in der 7. Auflage eine zweisprachige Ausgabe zur VerfĂŒgung gestellt hat.  Gerade diese den lateinischen Text mit berĂŒcksichtigenden Version macht in Bezug auf andere Ausgaben mit Augustinus-Texten den besonderen Reiz von Mayers Sammlung mit Zitaten des Kirchenvaters aus. So ist es dem des Lateinischen kundigen Leser tatsĂ€chlich möglich, sich an der lateinischen Sprachform des brillanten spĂ€tlateinischen Schriftstellers, der in Karthago als angesehener Lehrer der Rhetorik wirkte, zu erfreuen und sie zu genieĂen (delectare) und sich so âvon der Sprache Augustins berĂŒhrenâ zu lassen (Mayer, Vorwort).
In dem Zusammenhang ist es auch erfreulich, dass Prof. Mayer OSA bei einigen zentralen Themen wie Kirche und Eucharistie lĂ€ngere Textpassagen aus einem Werk des Bischofs von Hippo prĂ€sentiert. Denn nur im Lesen lĂ€ngerer Texte erschlieĂt sich dem Leser auch die Schönheit der lateinischen Sprache, wie sie der rhetorisch geschulte und klassisch gebildete Augustinus pflegte und beherrschte.
Sentenzen und Kommentar
In Mayers Sammlung werden so gut wie aus allen bekannten Werken des groĂen lateinischen Kirchenvaters bzw. Sentenzen und lĂ€ngere Texte im lateinischen Original zitiert und auf Deutsch wiedergegeben. Diese bilinguale Konzeption ermöglicht es auch Nichtlateinern, sich dem Denken des heiligen Augustinus anzunĂ€hern. SĂ€mtliche Zitate und Textpassagen sind âthematisch Stichworten in alphabetischer Reihung zugeordnet, von Almosen, Amt, Askese bis Zeit, Zeiten und Zeitlichkeit. Dazwischen finden sich Themen wie Christus und Christologie, ErbsĂŒnde, Erlösung, Eucharistie, Gnade und Freiheit, Heilige Schrift, Himmel und Hoffnung, Kirche, Kreuz und Krieg, Kunst, KĂŒnstler und Kunstgenuss, sodann Liebe, Menschwerdung, Philosophie, Rechtfertigung und Wahrheit. Auf diese Weise wird ein weites Spektrum des reichen theologischen, philosophischen und spirituellen Denkens des nordafrikanischen Kirchenvaters abgedeckt. Doch lĂ€sst Prof. Mayer OSA den Leser mit den Zitaten nicht allein. Vielmehr kommentiert er jeden Text des Kirchenvaters und erschlieĂt so dessen VerstĂ€ndnis.
Defizit
So sehr es zu begrĂŒĂen ist, dass Prof. Cornelius Mayer OSA zum Thema Eucharistie und Kirche vollstĂ€ndige Textpassagen aufgenommen hat, so sehr muss man jedoch bedauern, das Thema âEheâ, das bei Augustinus eine wichtige Rolle spielt und dem er eine eigene Schrift gewidmet hat, unter den Stichworten vergeblich zu suchen. Gerade in einer Zeit, in der durch das erneute Aufkommen des rechtspositivistischen Denkens ideologisch verblendete parlamentarische Mehrheiten unter Missachtung der Wesensnatur des Menschen bestimmen wollen, was unter dem Begriff âEheâ zu verstehen ist (Stichwort: âHomoeheâ), wĂ€re es doch sehr wĂŒnschenswert gewesen, auch die eine oder andere Aussage des nordafrikanischen Kirchenvaters ĂŒber die Ehe zu zitieren. Die oben erwĂ€hnte und durch das Zweite Vatikanische Konzil rezipierte  augustinische EhegĂŒterlehre macht deutlich, dass die Ehe von ihrem Wesen her eine heterosexuelle Gemeinschaft des ganzen Lebens ist, die als solche sowohl auf das Gattenwohl als auch auf die Zeugung von Nachkommenschaft wesentlich hingeordnet ist. Dieses Wesen der Ehe ist nicht nur eine Vorgabe der göttlichen Offenbarung (positives göttliches Recht), sondern schon in der Wesensnatur des Menschen angelegt und damit eine Vorgabe des prĂ€positiven, jeder staatlichen Gesetzgebung vor- und ĂŒbergeordneten Naturrechts, das mit der menschlichen Vernunft erkannt wird. Wo ein Staat dieses Naturrecht auĂen vorlĂ€Ăt, gleicht er, um ein Wort des heiligen Augustinus zu zitieren, einer âRĂ€uberbandeâ (latrocinia). Denn â(n)immt man das Recht weg â was ist dann ein Staat noch anderes als eine groĂe RĂ€uberbandeâ (Remota iustitia quid sunt regna nisi magna latrocinia?, in: De Civitate Dei IV, 3).
Eben diesen Satz des Kirchenvaters zitierte Papst Benedikt XVI. am 22. September 2009 vor den Parlamentariern und Gesetzgebern im Deutschen Bundestag, als er vor der Gefahr der âVerfĂ€lschung des Rechtsâ und der âZerstörung der Gerechtigkeitâ warnte. Eine die Wesensnatur des Menschen missachtende Gesetzgebung schafft zwar (positives) Recht, weil im Zuge eines Gesetzgebungsprozesses formal korrekt entstanden, ist aber mitnichten inhaltlich gerecht. Ein dem Naturrecht widersprechendes Gesetz schafft Unrecht und verletzt die WĂŒrde des Menschen. Das wuĂte Augustinus und schon lange vor ihm kein Geringerer als Cicero, dessen staats- und rechtsphilosophische Schriften De re publica und De legibus er allzu gut kannte.
Den Augustinus-Zitatenschatz widmet Prof. Mayer OSA dem emeritierten Papst Benedikt XVI. in WĂŒrdigung seiner unermĂŒdlichen Augustinusforschung und seiner Augustinusinterpretation. Die Widmung ist auf Lateinisch verfaĂt. Der Leser findet sie direkt zu Beginn des Zitatenschatzes:
Summo Ecclesiae Romanae Pontifici
Reverendissimo Domino
Benedicto XVI PP Emerito
Augustini Divi Patris Investigatori illustrissimo
Interpretique Dilucidissimo
Augustinianae Doctrinae omnifariae
ac scientiae assiduo sectatori nobilissimo
FĂŒr den Heiligen Vater Papst em. Benedikt XVI,
den angesehensten Augustinusforscher und
brillantesten Augustinusinterpreten,
den eifrigen und edelsten Vertreter
der allseitigen augustinischen Lehre und Wissenschaft
(Ăbersetzung: GPW)
Cornelius Mayer, Augustinus-Zitatenschatz. Kernthemen seines Denkens.
Lateinisch-Deutsch. Mit Kurzkommentaren, 2018 Schwabe Verlag.
339 Seiten, ISBN 978-3-7965-3902-2, 38,00 Euro.
Foto: Buchcover – Bildquelle: Schwabe Verlag