Keine Schlupflöcher mehr aus „Traditionis Custodes“
Als 2013 Papst Benedikt XVI. (1927-2022) seine Absicht ankündigte, Amtsverzicht zu leisten, war Rosenmontag, und viele hielten die Meldung in den Nachrichten zuerst für einen geschmacklosen oder verunglückten Fastnachtsscherz. Zehn Jahre später ist es wieder ein Rosenmontag, auf den ein Dokument datiert ist, das gestern, am Fastnachtsdienstag, im Bolletino Vaticano erschienen ist und das man nur für einen schlechten Witz halten kann, das aber offensichtlich ernstgemeint ist.
Es handelt sich um ein RESCRIPTUM EX AUDIENTIA SS.MI (vatican.va), das von Arthur Kardinal Roche, dem Präfekten des Dikasteriums für den Gottdienst und die Sakramentenordnung, unterfertigt ist. Darin wird die Möglichkeit, von den Bestimmungen, die Traditionis Custodes enthält, zu dispensieren, den Diözesanbischöfen entzogen und ausdrücklich dem Heiligen Stuhl reserviert, wobei diese Dispensgewalt von der schon erwähnten römischen Zentralbehörde für Liturgie ausgeübt wird.
Namentlich erwähnt wird der grundsätzliche Ausschluss von Pfarrkirchen als Orten, wo das Römische Messbuch von 1962 zur Messfeier benutzt werden kann, die potentielle Errichtung von Personalpfarreien, wobei die Formulierung nahelegt, dass künftig selbst in solchen nur noch die Messe mit dem Messbuch von 1962 gefeiert werden soll, während offenbar alle anderen liturgischen Handlungen nach den nachvatikanischen liturgischen Büchern  zu begehen wären.
Schließlich wird eingeschärft, dass der Bischof Priestern, die nach Erscheinen und Inkrafttreten von Traditionis Custodes am 16. Juli 2021 die Priesterweihe empfangen haben, nur noch mit Zustimmung Roms die Erlaubnis geben kann, innerhalb des Territoriums der Diözese Messen nach dem überlieferten Ritus zu feiern.
Außerdem hält das Reskript fest, dass der Heilige Vater die Responsa ad dubia konfirmiert, also ihre Geltung bestätigt und bekräftigt hat, mit denen Seine Eminenz 2021 am 18. Dezember traditionsverbundenen Priestern und Gläubigen rechtzeitig vor Weihnachten die Festfreude vergällt hat. Daran ändern auch die kirchenrechtlich evidenten Mängel dieser Antworten auf angeblich vorgelegte, vermutlich jedoch von Kardinal Roche selbst ausgeheckte, fiktive Zweifel nichts.
Was motiviert den Papst und Roche zu ihrer Enge und Härte?
Diesmal scheint die charakterliche Gehässigkeit Roches darauf abzuzielen, dem Bußcharakter der Fastenzeit eine besonders düstere Note hinzuzufügen und diesen Priestern und Gläubigen schon in der heute beginnenden Vorbereitungszeit darauf die Osterfreude zu verderben.
Gemessen an 1,36 Milliarden Katholiken und etwas mehr als 410.000 katholischen Priestern weltweit ist die betroffene Gruppierung in absoluten Zahlen zugegebenermaßen sehr klein, um nicht sagen: verschwindend gering. Dass Rom sich derart darauf kapriziert, dieses Teilsegment der Kirche auszuhungern, kann nur daran liegen, dass es sich dabei, vor allem, was Europa und Nordamerika angeht, relativ gesehen um einen der noch vitalsten und aktivsten Bereiche der Kirche handelt, der zudem immerhin ein gewisses, stetiges Wachstum verzeichnet. Schmerzlich stellt man fest, dass Rom und der Papst offenkundig immer noch nicht in der Lage sind, zu erkennen, wann systemisch jedenfalls geistlicher Missbrauch vorliegt und man ihn sogar selbst begeht.
Synodalität und was man sich davon zu erwarten hat
Jüngst hat der Luxemburger Erzbischof Kardinal Jean-Claude Hollerich, der mit der Organisation der bevorstehenden Weltsynode über Synodalität betraut ist, in einem Interview die vollkommen richtige Feststellung getroffen: „Wir müssen […] lernen, mit vielfältigen Ausdrucksformen des Glaubens zurechtzukommen. Man kann heute nicht mehr eine einzige Praxis vorschreiben. Das können wir auch als Bischöfe nicht. Wenn wir das wollen, werden wir immer mehr Leute an den Rand drängen oder über den Rand hinaus. Der Bischof muss das Prinzip der Einheit der Kirche sein und die Leute zusammenbinden.“[1]
Sollte sich Bischof Georg Bätzing im eigenen Interesse zum Fürsprecher der Alten Liturgie machen?
Es mag Nuancen und unterschiedliche Akzentsetzungen in römischen und deutschen Vorstellungen von Synodalität geben, aber darauf kommt es doch gar nicht mehr an. Wenn der Papst, und sei es nur in einem scheinbar unbedeutenden Bereich, die Diözesanbischöfe derart zu reinen Befehlsempfängern Roms oder zu seinen eigenen Oberministranten degradiert, wie es im vorliegenden Reskript geschieht, tritt im Gegenteil wohl im Pontifikat von Franziskus schlussendlich das Szenario ein, das Bismarck unter Pius IX. nach der Dogmatisierung des Jurisdiktionsprimates befürchtet hatte (vgl. DH 3112a). Damals konnten die deutschen Bischöfe die Bedenken zerstreuen, sie könnten in ihren Diözesen fortan überhaupt keine eigenen Entscheidungen mehr fällen (vgl. DH 3113) und wurde anschließend diese Klärung von Pio Nono ausdrücklich bestätigt.
Vorgestern hätte der Bischof von Rom besser daran getan, die zitierte Antwort Kardinal Hollerichs statt der Responsa von Kardinal Roche zu konfirmieren. Denn der unerbittliche Zentralismus des gestern veröffentlichten Reskripts macht all das Gerede und Geschwätz über Synodalität in der Kirche unglaubwürdig und prinzipiell alle Hoffnungen darauf zunichte, ganz egal, was genau man nun unter dieser Synodalität versteht oder sich davon erwartet. Deshalb sollten selbst Bischöfe, die dem Thema der alten Liturgie eigentlich gleichgültig oder sogar ablehnend gegenüberstehen, diese ungeheuerliche Beschneidung ihrer Kompetenzen und Autorität hinsichtlich des Gottesdienstes in ihren Bistümern grundsätzlich nicht unwidersprochen hinnehmen.
[1] Hollerich, J.-C., Kardinal Hollerich: „Ein Schisma soll man nicht herbeireden“ – katholisch.de, hier: Antwort auf die 3. Interviewfrage, aufgerufen am 22. 02. 2023.
Foto: Petersdom – Bildquelle: M. Bürger, kathnews