Kein Gott für Schleswig – Holstein?

Hamburger Erzbischof Stefan Heße im Interview mit der „Welt".
Erstellt von kathnews-Redaktion am 4. Mai 2015 um 18:02 Uhr
St. Marien-Dom, Hamburg

Von Martin F. Peters:

Im Oktober 2014 diskutierten die Abgeordneten des schleswig – holsteinischen Landesparlamentes über die Verankerung eines Gottesbezuges in ihre Verfassung. Die Mehrheitsentscheidung der Parlamentarier war für viele Bürger im Norden der Republik und darüber hinaus eine große Enttäuschung, denn der Gottesbezug wurde nicht in die Verfassung aufgenommen. Aus diesem Grund schlossen sich Angehörige der verschiedenen Religionsgemeinschaften und  prominente Vertreter des öffentlichen Lebens zu einer landesweiten Volksinitiative zusammen, um eine erneute Abstimmung über den Gottesbezug im Parlament herbeizuführen. Gläubige unterschiedlichster Religionen und Konfessionen arbeiten Seite an Seite, um genügend Unterschriften für die Volksinitiative zu sammeln.

Eine erneute Abstimmung im Parlament benötigt die Volksinitiative insgesamt 20.000 Unterschriften von Bürgern, die das 18. Lebensjahr vollendet und seit mindestens drei Monaten einen gemeldeten Wohnsitz in Schleswig – Holstein haben. An der Unterschriftenaktion beteiligen sich neben den Gemeinden der Religionsgemeinschaften, sondern auch politische, sozial – karitative und ehrenamtliche Gruppen, wie zum Beispiel Misereor. So wurde nicht nur nach dem Lübecker Kreuzweg zahlreiche Unterschriften gesammelt, sondern auch im Zuge des von Misereor initiierten Spendenlaufes in Norderstedt. Die Volksinitiative konnte bereits über 17.000 Unterschriften sammeln und befindet sich somit in ihrer Endphase.

Zwischen den Religionsgemeinschaften herrscht in diesem Thema Einigkeit. Vertreter der verschiedensten Religionen stehen zusammen auf den Straßen und haben ein gemeinsames Ziel, den Gottesbezug für Schleswig – Holstein. Auch Erzbischof Stefan Heße setzt sich für den Gottesbezug ein und sagte der „Welt“ in einem Interview: „Ich unterstütze diese Initiative deswegen, weil ich glaube, dass mit dem Verweis auf Gott zum Ausdruck gebracht wird, dass unser Leben umfassender und größer ist als wir selbst.“ Der Erzbischof fängt mit seinem Kommentar die Meinung vieler Gläubiger in Schleswig – Holstein ein. Aber welche Bedeutung hat der Gottesbezug überhaupt in der Verfassung?

Eine naturrechtliche Frage

Der Gottesbezug verweist in der Verfassung auf Gott. Damit ist der Bezug auf eine letzte sittliche Instanz intendiert, die sich der Einflussnahme des Menschen entzieht. Nicht mehr der Staat und der Mensch sind das Maß aller Dinge, sondern die Parlamentarier werden sich einer höheren Macht bewusst, die ihre weltliche Macht übersteigt. Nicht umsonst wird der Begriff „Minister“ vom lateinischen Wort „ministrare“ abgeleitet, was so viel wie „dienen“ bedeutet. Die Staatsdiener können sich dieser Funktion durch den Gottesbezug noch besser bewusst werden. Durch den Gottesbezug erhält die Verfassung auch einen Verweis auf das Naturrecht, das die Grundlage für die Verfassungsgebung eines jeden Volkes schafft. Das Naturrecht geht davon aus, dass die Normen des menschlichen Gemeinschaftslebens aus der Natur des Menschen begründet werden können. Der Mensch ist ein mit Vernunft ausgestattetes Wesen und kann deshalb bestimmte rechtliche Regelungen erkennen und anerkennen, die für jeden Menschen bindend sind. Natürlich hat diese Naturrechtslehre viele verschiedene philosophische Ausprägungen erfahren und wurde im Laufe der Geschichte von unterschiedlichen Quellen gespeist. Hierbei lohnt sich ein Blick auf die verschiedenen Interpretationen des Naturrechts. Die Implementierung eines Gottesbezuges lässt einen Rückgriff auf Gott als Quelle des Naturrechts in der Verfassung zu.

Thomas von Aquin und sein „Gottesbezug“

Für den bedeutendsten Vertreter der Scholastik, nämlich Thomas von Aquin, ist die Quelle des Naturrechts Gott. Nach seiner Lehre hat der Schöpfergott eine Vernunftordnung eingesetzt, die für jeden Menschen verbindlich ist, um ein tugendhaftes Leben in Gemeinschaft mit seinen Mitmenschen zu führen. Das Naturrecht nimmt in der göttlichen Vernunftordnung einen wichtigen Platz ein. Unter dem lex aeterna, also dem ewigen Gesetz, wird eine das Weltall steuernde und ordnende göttliche Vernunft verstanden. Sie bedingt alle anderen Gesetzestypen, die Gott im Universum eingesetzt hat. Das natürliche Gesetz oder auch lex naturalis stellt den Teil des ewigen Gesetzes dar, der vom Menschen mit seiner Gott gegebenen Vernunft erkannt und somit umgesetzt werden kann. Diese Form des Sittengesetzes wird durch die verschiedenen menschlichen Triebe, wie zum Beispiel den Selbsterhaltungstrieb, konstituiert. Daraus ergibt sich das menschliche Sittengesetz. Schon Aristoteles bekannte mit seinem Ausspruch „anthropos physei politikon zoon“, (zu Deutsch: Der Mensch ist seiner Natur nach ein politisches Wesen) dass der Mensch ein politisches Wesen ist und sich somit von anderen Lebewesen unterscheidet. Thomas von Aquin griff diesen Gedanken von Aristoteles auf und erweiterte seine Gedankengänge. Für den Kirchenlehrer ist der Mensch ein „animal naturaliter sociale et politicum“, also ein von Natur aus soziales und politisches Lebewesen. Aus dieser Position heraus wird ersichtlich, dass sich die Grundlage des Staates immer auf Gott bezieht, der die Voraussetzung für eine Gemeinschaftsbildung geschaffen hat, nämlich die menschliche Vernunft innerhalb der göttlichen Vernunftordnung. Das Naturrecht wird auch als überpositives Recht bezeichnet und somit vom Menschen gemachten positiven Recht abgegrenzt.

Es hat im Laufe der Geschichte nicht nur theistische Naturrechtslehren gegeben, sondern auch solche, die Gott durch andere Quellen ersetzten oder relativierten. Ein bekanntes Beispiel ist der niederländische Rechtsgelehrte Hugo Grotius, der als ein Gründungsvater des Völkerrechts gilt. Grotius ging davon aus, dass bestimmte Rechtsnormen auch ohne einen Gott Gültigkeit besitzen würden. In der Neuzeit wurde die Idee einer Naturrechtslehre ohne göttliche Vernunftordnung bei vielen Autoren populär. Der Mensch hätte demnach von Natur aus die Möglichkeit mit seinem Verstand bestimmte Rechtsnormen zu erkennen, die über dem positiven Recht stehen. Trotz allem bleibt der Gedanke eines von Gott konstituierten Naturrechts immer noch aktuell. Die scholastische Lehre hat die darauf folgenden Ausprägungen des Naturrechts stark geprägt. Im Anbetracht der Tatsache, dass sich das Naturrecht aus einer den Menschen übersteigenden Instanz ableitet und somit als „überpositiv“ charakterisiert wird, ist Gott als Quelle des selbigen auch im Jahr 2015 plausibel und längst nicht überholt. Der Gottesbezug kann also in einer Verfassung nicht nur ein religiöses Bekenntnis sein, sondern auch eine Betonung der naturrechtlichen Grundlage des Gemeinschaftslebens, das von der Verfassung geregelt wird.

Ein Gottesbezug – zwei Möglichkeiten

Gottesbezug ist nicht gleich Gottesbezug. Im Verfassungsrecht wird stets zwischen zwei verschiedenen Ausprägungen unterschieden, nämlich der „invocatio Dei“ (Anrufung Gottes) und der „nominatio Dei“ (Nennung/Erwähnung Gottes). Die Verfassung wird in der Ausprägung einer „invocatio dei“ im Namen eines Gottes erlassen. So hat das irische Parlament die Verfassung im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit ernannt. Im Grundgesetz des Bundesrepublik Deutschland wird Gott jedoch nur erwähnt. Das deutsche Volk hat sich seine Verfassung „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen […]“ gegeben. Es handelt sich also um eine „nominatio dei“. Die Parlamentarier haben durch die Implementierung einer „nominatio dei“ die Möglichkeit, Gott als einen Bezugspunkt für die Menschen in die Verfassung aufzunehmen, ohne sich zu einer konkreten Religion bekennen zu müssen. Der Begriff „Gott“ hat Allgemeingültigkeit, während die irische Variante sich durch die Anrufung der Dreifaltigkeit zum christlichen Gott bekennt. Ein allgemeingültiger Gottesbegriff wie im Grundgesetz würde jedoch dem Engagement der gläubigen Bürgerinnen und Bürgern Tribut zollen und natürlich allen Menschen, die ihr Handeln nicht nur vor dem Menschen, sondern auch vor einer sie übersteigenden Instanz verantworten wollen. Eine Vereinnahmung des Staates durch die Religion, wie sie von Kritikern in der Diskussion befürchtet wird, ist nicht das Ziel und auch nicht der Sinn des Gottesbezuges.

Jeder Mensch kann den Gottesbezug für sich selbst in einem gewissen Rahmen selbst interpretieren. Der eine möchte seine staatlichen Pflichten vor Gott und dem Menschen gewissenhaft ausführen. Ein anderer möchte damit der Begrenztheit des menschlichen Handelns Ausdruck verleihen und sich nicht nur den vom Menschen gemachten Staat und seinen Gesetzen, sondern auch direkt dem von Gott eingesetzten unabänderlichen Sittengesetz verantworten. Ein Gottesbezug in Form einer „nominatio dei“ wäre ein Zugeständnis für die Freiheit der Bürger. Es wäre ein Zeichen dafür, dass der Mensch sich kritisch mit seiner Bedeutung im Staat auseinandersetzt. Sobald der Staat über den Menschen und zur höchsten allumfassenden Instanz erhoben wurde, kam es immer wieder zur Verletzung der Menschenwürde. Schleswig – Holstein ist davon natürlich weit entfernt, aber trotzdem ist es wichtig, sich seinen sittlichen Verpflichtungen offen gegenüberzustellen und diese im staatlichen Kontext kritisch zu verantworten. In einem Radiospot bringen es der CDU – Politiker Peter Harry Carstensen und der ehemalige Bundesvorsitzende der SPD Björn Engholm auf den Punkt: „Weil wir die Politik kennen, wollen wir den Gottesbezug in unserer Verfassung.“

Die erfolgreiche Unterschriftenaktion zeigt, dass der Gottesbezug in Schleswig – Holstein von der Gesellschaft gewollt ist. Somit liegt bald wieder die Entscheidung beim Parlament. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Abgeordneten mit Hinblick auf den Erfolg der Volksintiative entscheiden werden.

Foto: St. Marien-Dom Hamburg – Bildquelle: Kathnews

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