Kardinal Sarah: Die nachkonziliare Kirche hat ihre christlichen Wurzeln aufgegeben

Kardinal Sarah in Herzogenrath bei Aachen: "Manche Bischofskonferenzen lehnen es sogar ab, den lateinischen Originaltext des römischen Messbuches getreu zu ĂŒbersetzen."
Erstellt von Gero P. Weishaupt am 8. April 2017 um 10:19 Uhr

Herzogenrath/Rom (kathnews). Das katholische Internetportal Kathnews dokumentiert heute den vierten Auszug aus dem Vortrag des PrĂ€fekten der römischen Gottesdienstkongregation, Robert Kardinal Sarah. Der Vortrag wurde auf der 18. Internationalen Liturgischen Tagung, die vom 29. MĂ€rz bis 1. April in Herzogenrath bei Aachen stattgefunden hat, verlesen. Der Auszug folgt einer fĂŒr „Die Tagespost“ von Frau Katrin Krips-Schmidt aus dem Französischen angefertigten Übersetzung. Die Überschriften sind von Gero P. Weishaupt eingefĂŒgt worden.

Auszug aus dem Vortrag von Robert Kardinal Sarah. 4. Teil

Ungehorsam: Einige Bischöfe gehen eigene Weg

Viele Menschen glauben und bejahen aus voller Kehle, dass das Zweite Vatikanische Konzil einen wahren FrĂŒhling in der Kirche ausgelöst habe. Eine wachsende Anzahl an Geistlichen betrachtet diesen „FrĂŒhling“ freilich als eine Ablehnung ihres jahrhundertealten Erbes oder sogar als eine radikale Infragestellung ihrer Vergangenheit und ihrer Tradition. Man wirft dem politischen Europa vor, seine christlichen Wurzeln aufzugeben oder zu verleugnen. Doch wer zuerst seine christlichen Wurzeln und seine christliche Vergangenheit aufgegeben hat – das ist mit Sicherheit die nachkonziliare katholische Kirche. Manche Bischofskonferenzen lehnen es sogar ab, den lateinischen Originaltext des römischen Messbuches getreu zu ĂŒbersetzen. Manche von ihnen nehmen fĂŒr sich in Anspruch, dass jede Ortskirche das römische Messbuch nicht gemĂ€ĂŸ dem heiligen Erbe der Kirche und nach dem Verfahren und den durch Liturgiam authenticam angegebenen Richtlinien ĂŒbersetze, sondern nach den Launen, den Weltanschauungen sowie den geeigneten kulturellen Ausdrucksformen, so heißt es, um vom Volk verstanden und akzeptiert zu werden. Doch das Volk möchte an die heilige Sprache Gottes herangefĂŒhrt werden.

Das Evangelium und die Offenbarung selbst werden „neu interpretiert“, „kontextualisiert“ und der dekadenten westlichen Kultur angepasst. 1968 schrieb der Bischof von Metz in Frankreich in dem Mitteilungsblatt des Bistums einen entsetzlichen Unsinn, was wie der Wille und der Ausdruck eines totalen Bruchs mit der Vergangenheit der Kirche war. Diesem Bischof zufolge mĂŒssen wir heute selbst die Auffassung ĂŒber das von Christus der Welt gebrachte Heil ĂŒberdenken, denn die Kirche der Apostel und die christlichen Gemeinschaften der ersten Jahrhunderte des Christentums hĂ€tten vom Evangelium nichts begriffen. Erst seit Beginn unseres Zeitalters habe man den Heilsplan Christi ĂŒberhaupt verstanden. Und hier ist die wagemutige und erstaunliche Behauptung des Bischofs von Metz:

„Die Verwandlung der Welt (der Wandel der Zivilisation) lehrt und zwingt zu einer VerĂ€nderung der Auffassung selbst ĂŒber das von Christus der Welt gebrachte Heil; diese Verwandlung offenbart uns, dass das Denken der Kirche ĂŒber den Plan Gottes vor dem gegenwĂ€rtigen Wandel unzureichend dem Evangelium gemĂ€ĂŸ war
 Keine Zeit wie die unsere war in der Lage, das evangelische Ideal vom brĂŒderlichen Leben zu verstehen“[3].

VerwĂŒstung und Zerstörung in der nachkonziliaren Kirche

Bei einer derartigen Sichtweise braucht man sich nicht ĂŒber die VerwĂŒstungen, die Zerstörungen und die KĂ€mpfe auf liturgischer, doktrineller und moralischer Ebene zu wundern, die darauf folgten und die bis heute fortdauern, denn man behauptet, dass keine Epoche vor unserer in der Lage gewesen war, das „evangelische Ideal“ zu verstehen. Viele Menschen weigern sich, dem Werk der Selbstzerstörung der Kirche durch sie selbst durch den geplanten Abriss ihrer dogmatischen, liturgischen, moralischen und pastoralen Fundamente ins Angesicht zu schauen. Obwohl sich die Stimmen der hochrangigen Kleriker hĂ€ufen, die hartnĂ€ckig offensichtliche dogmatische, moralische und liturgische, doch schon hundertmal verurteilte IrrtĂŒmer behaupten, und damit an der Zerstörung des wenigen Glaubens, der noch im Volk Gottes verblieben ist, mitwirken – und obwohl das Boot der Kirche das stĂŒrmische Meer dieser dekadenten Welt durchpflĂŒgt und die Wellen so sehr auf das Boot einpeitschen, dass es bereits mit Wasser gefĂŒllt ist -, schreit eine wachsende Anzahl von Geistlichen und GlĂ€ubigen: „Alles klar (auf dem sinkenden Schiff)
“ Doch die RealitĂ€t sieht anders aus: TatsĂ€chlich war das, was die PĂ€pste und die KonzilsvĂ€ter erwarteten, wie Kardinal Ratzinger sagte, „eine neue katholische Einheit; statt dessen ist man auf eine Uneinigkeit zugesteuert, die – um die Worte von Paul VI. zu gebrauchen – von der Selbstkritik zur Selbstzerstörung ĂŒberzugehen schien. Man hat sich eine neue Begeisterung erhofft, und man landete dagegen zu oft im Überdruss und in der Entmutigung. Man hatte sich einen Schritt nach vorn erwartet, und man fand sich einem fortschreitenden Prozess des Verfalls gegenĂŒber, der sich weitgehend im Zeichen der Berufung auf einen angeblichen Geist des Konzils abgespielt und dieses damit immer mehr diskreditiert hat“[4] „Niemand wagt heute mehr aufrichtig und ernsthaft, die Erscheinungen der liturgischen Krisen und KĂ€mpfe, zu denen das Zweite Vatikanische Konzil gefĂŒhrt hat, infrage zu stellen“[5]. Heute nimmt man sich die Fragmentierung und die Zerstörung des heiligen Missale Romanum vor, indem man es der kulturellen Vielfalt und den Produzenten von liturgischen Texten aussetzt. Ich freue mich, an dieser Stelle der gewaltigen und wunderbaren durch Vox Clara, durch die Bischofskonferenzen in englischer Sprache und die Bischofskonferenzen in spanischer und koreanischer Sprache et cetera geleistete Arbeit zu gratulieren, die das Missale Romanum getreu und unter genauer Beachtung der Hinweise und GrundsĂ€tze von Liturgiam authenticam ĂŒbersetzt haben. Die Kongregation fĂŒr den Gottesdienst und die Sakramentenordnung hat ihnen die Recognitio bewilligt.

Die GlĂ€ubigen haben ein Recht auf eine wĂŒrdige Liturgie

Nach der Veröffentlichung meines Werkes Gott oder nichts hat man mich ĂŒber diesen „liturgischen Kampf“ befragt, der die Katholiken seit Jahrzehnten allzu oft spaltet. Ich habe bestĂ€tigt, dass es sich dabei um eine Verwirrung handelt, denn die Liturgie ist der Bereich schlechthin, in dem die Katholiken die Erfahrung der Einheit in der Wahrheit, im Glauben und in der Liebe machen sollten, und dass es infolgedessen unfassbar sei, die Liturgie zu zelebrieren, wenn man im Herzen brudermörderische GefĂŒhle und Groll empfindet. Hat denn Jesus nicht Ă€ußerst anspruchsvolle Worte ĂŒber die Notwendigkeit gesagt, sich mit seinem Bruder zu versöhnen, bevor man sein eigenes Opfer auf dem Altar darbringe? (vgl. Mt 5,23-24). Denn „die Liturgie [treibt] die GlĂ€ubigen an, dass sie, mit den ‚österlichen Geheimnissen‘ gesĂ€ttigt, ‚in Liebe eines Herzens sind‘[6]; sie betet, dass sie ‚im Leben festhalten, was sie im Glauben empfangen haben‘; wenn der Bund Gottes mit den Menschen in der Feier der Eucharistie neu bekrĂ€ftigt wird, werden die GlĂ€ubigen von der drĂ€ngenden Liebe Christi angezogen und entzĂŒndet. Aus der Liturgie, besonders aus der Eucharistie, fließt uns wie aus einer Quelle die Gnade zu; in höchstem Maß werden in Christus die Heiligung der Menschen und die Verherrlichung Gottes verwirklicht, auf die alles Tun der Kirche als auf sein Ziel hinstrebt.“ (Sacrosanctum Concilium, Nr. 10). Bei diesem „Vor dem Angesicht Gottes-Sein“, das die Liturgie ist, muss unser Herz rein von jeder Feindschaft sein, was voraussetzt, dass jeder in seinem eigenen Empfinden geachtet wird. Konkret bedeutet das: Wenn deutlich gesagt werden muss, dass das Zweite Vatikanische Konzil niemals gefordert hat, Tabula rasa mit der Vergangenheit zu machen und demzufolge auch nicht das sogenannte Missale des heiligen Pius V abzuschaffen, das so viele Heilige hervorgebracht hat, um nur einmal diese drei so bewunderungswĂŒrdigen Priester wie den heiligen Jean-Marie Vianney, den Pfarrer von Ars, den heiligen Pater Pio und den heiligen Josemaria Escriva de Balaguer zu nennen, ist es zugleich unerlĂ€sslich, die von demselben Konzil gewollte liturgische Erneuerung zu fördern und damit die infolge der Konstitution Sacrosanctum Concilium aktualisierten liturgischen BĂŒcher, insbesondere das sogenannte Missale des seligen Papstes Paul VI. Und ich fĂŒge hinzu, dass es vor allem darauf ankommt – ob man nun in der ordentlichen oder in der außerordentlichen Form zelebriert –, dass man den GlĂ€ubigen das gibt, worauf sie ein Recht haben: die Schönheit der Liturgie, ihre Heiligkeit, die Stille, die Andacht, die mystische Dimension und die Anbetung. Die Liturgie muss uns vor das Angesicht Gottes in eine persönliche Beziehung und intensive Vertrautheit bringen. Sie muss uns in die Vertrautheit der Allerheiligsten Dreifaltigkeit hinabsenken. Als Papst Benedikt XVI. in seinem Begleitbrief von Summorum Pontificum vom usus antiquior sprach, sagte er:

„Hatte man unmittelbar nach dem Ende des II. Vaticanums annehmen können, das Verlangen nach dem Usus von 1962 beschrĂ€nke sich auf die Ă€ltere Generation, die damit aufgewachsen war, so hat sich inzwischen gezeigt, dass junge Menschen diese liturgische Form entdecken, sich von ihr angezogen fĂŒhlen und hier eine ihnen besonders gemĂ€ĂŸe Form der Begegnung mit dem Mysterium der heiligen Eucharistie finden.“

Foto: Robert Kardinal Sarah – Bildquelle: Wikipedia – François-RĂ©gis Salefran / CC-BY-SA 4.0

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