Infragestellung von Lebensrecht und Menschenwürde – Deutsche Ampelkommission spricht sich für Legalisierung von Abtreibungen aus

Ein Gastbeitrag von Christian Funck.
Erstellt von kathnews-Redaktion am 23. Mai 2024 um 23:55 Uhr
Menschlicher Embryo

Die Abtreibungskommission der Ampelregierung hat im vergangenen Monat ihre Ergebnisse vorgestellt. Sie spricht sich für eine Legalisierung von Abtreibungen aus. Diese soll bis zur 22. Schwangerschaftswoche möglich sein. Dem ungeborenen Menschen spricht sie ein gleiches Recht auf Leben ab, seine Menschenwürde stellt sie gänzlich infrage. Damit setzt sie sich in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Karlsruhe hat bereits strengere Regelungen in zwei Grundsatzentscheidungen für verfassungswidrig erklärt. Überzeugende Argumente für eine Rechtsprechungsänderung gibt es nicht.

Die vor einem Jahr von der Ampelregierung eingesetzte und euphemistisch als „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ bezeichnete Kommission hat am 15. April in Berlin ihren Bericht zu Abtreibung (Arbeitsgruppe 1) sowie Eizellspende und Leihmutterschaft (Arbeitsgruppe 2) vorgestellt. Aufgrund der politischen Zielrichtung und ideologisch einseitigen Besetzung der Kommission war es nicht überraschend, dass sie darin eine Neuregelung des Abtreibungsrechts fordert: Abtreibungen müssten in der Frühphase der Schwangerschaft rechtmäßig sein. Der Gesetzgeber könne das bislang verpflichtende Beratungsangebot beibehalten, müsse dies aber nicht. Ab dem Zeitpunkt der extrauterinen Lebensfähigkeit müssten Abtreibungen grundsätzlich rechtswidrig sein. Nach heutigem medizinischem Stand sind Kinder etwa ab der 22. Schwangerschaftswoche außerhalb des Uterus lebensfähig.

Bislang sind Abtreibungen über die gesamte Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich rechtswidrig. Eine Abtreibung ist rechtswidrig, aber straflos, wenn sie auf Verlangen der Schwangeren mindestens drei Tage nach einer Beratung bei einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle und nicht später als zwölf Wochen nach der Empfängnis von einem Arzt vorgenommen wird (§ 218a Abs. 1 StGB). Nicht rechtswidrig ist eine Abtreibung bei Vorliegen einer medizinischen oder kriminologischen Indikation, d.h., wenn Gesundheit oder Leben der Mutter gefährdet sind (§ 218a Abs. 2 StGB) oder die Schwangerschaft auf einer in § 218a Abs. 3 StGB genannten Sexualstraftat beruht.

Karlsruher Rechtsprechung

Die heutige Rechtslage wird von zwei Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 1975 und 1993 bestimmt. In diesen stellte Karlsruhe klar, dass auch dem ungeborenen Menschen aufgrund seines Menschseins Menschenwürde zukommt. Denn: Der Mensch entwickelt sich „nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch“. Und: „Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu“. Nach dem Grundgesetz habe auch der ungeborene Mensch ein Recht auf Leben. Dies ergebe sich schon daraus, dass das Grundgesetz und der ausdrückliche Schutz des Rechts auf Leben eine Gegenreaktion auf das Unrecht des Nationalsozialismus und die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ gewesen sei. Zudem spricht für eine solche Auslegung der Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 S. 1 des Grundgesetzes, nach dem jeder das Recht auf Leben hat. Das Recht auf Leben werde deshalb „jedem gewährleistet, der lebt“. „Leben im Sinne der geschichtlichen Existenz eines menschlichen Individuums“ bestehe „nach gesicherter biologisch-physiologischer Erkenntnis“ jedenfalls ab Nidation. Zwischen „einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben“ könne „kein Unterschied gemacht werden“. „Jeder“ in diesem Sinne sei daher „jedes Leben besitzende menschliche Individuum“.

Das Grundgesetz verpflichte den Staat, menschliches Leben – geborenes wie ungeborenes – zu schützen. Diese Schutzpflicht hat nach dem Bundesverfassungsgericht ihren Grund in der Menschenwürdegarantie, die nach der sogenannten Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes selbst der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht einschränken darf. Die Schutzpflicht gelte auch gegenüber der Mutter.

Bei einem Schwangerschaftskonflikt kollidiert das Recht des Kindes auf Leben mit den Rechten der Mutter (insbesondere mit dem Recht auf körperliche Selbstbestimmung). „Ein Ausgleich, der sowohl den Lebensschutz“ des Kindes gewährleiste „als auch der Schwangeren die Freiheit des Schwangerschaftsabbruchs“ lasse, sei „nicht möglich, da ein Schwangerschaftsabbruch immer Vernichtung des ungeborenen Lebens“ bedeute. Das menschliche Leben stelle „innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar“. Es sei „die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte“. „Nach dem Prinzip des schonendsten Ausgleichs“ und bei einer Orientierung an der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes müsse dem Lebensschutz „grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft“ der Vorrang eingeräumt werden. Dieser dürfe „auch nicht für eine bestimmte Frist in Frage gestellt werden“.

Nur bei außergewöhnlichen Umständen könne die Fortsetzung der Schwangerschaft als unzumutbar angesehen werden. Diese erkennt das Bundesverfassungsgericht nur bei einer medizinischen oder kriminologischen Indikation oder vergleichbaren Fällen an.

Sind die Vorschläge der Ampelkommission mit dem Grundgesetz vereinbar?

Dementsprechend hatten die Karlsruher Richter im Jahr 1975 eine sogenannte (reine) Fristenlösung (zwölf Wochen) für verfassungswidrig erklärt und nach einer Reform des Abtreibungsrechts im Zuge der Wiedervereinigung im Jahr 1993 festgestellt, dass eine nicht indizierte Abtreibung auch nach einer Beratung (Fristenlösung mit verpflichtendem Beratungsangebot, zwölf Wochen) für rechtswidrig erklärt werden müsse. In der Frühphase der Schwangerschaft könne eine Abtreibung aber straflos sein, wenn der Gesetzgeber im Rahmen eines Beratungskonzeptes schwerpunktmäßig mit präventiven Mitteln versuche, das Leben des Kindes mit der Mutter zu schützen.

Der Vorschlag der Ampelkommission, nach dem eine Legalisierung von Abtreibungen sogar bis zur 22. Schwangerschaftswoche zulässig sein soll, ist mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar und wäre daher grundgesetzwidrig. Die nach dem Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtliche „Mindestanforderung“ der rechtlichen Missbilligung der Abtreibung käme dann – da die Einschränkung der Strafbarkeit auch nicht mit anderen Maßnahmen ausgeglichen werden soll – nicht mehr zum Ausdruck. Ganz im Gegenteil: eine indikationslose Abtreibung würde dann als rechtmäßig gebilligt werden. Würde der Vorschlag der Ampelkommission umgesetzt werden, entstünde der Eindruck einer völligen Freigabe – den es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber nicht geben darf. Nach dem Bundesverfassungsgericht fordert das Grundgesetz nämlich „die unbedingte Achtung vor dem Leben jedes einzelnen Menschen“ und schließt es aus „solches Leben ohne rechtfertigenden Grund zu vernichten.“

Argumente für Rechtsprechungsänderung?

Doch könnte Karlsruhe seine Rechtsprechung nicht ändern? Aus juristischer Sicht gibt es hierfür keine überzeugenden Argumente. Weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht haben sich die Verhältnisse in relevanter Weise verändert.

Das Recht auf Leben stellt in der grundgesetzlichen Ordnung unverändert einen Höchstwert dar; es ist nach wie vor die Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte. Und es hat sich nichts daran geändert, dass bei einer Abtreibung ein ungeborener Mensch vernichtet wird und daher ein Ausgleich, der sowohl das Recht des Kindes auf Leben als auch die Freiheit zur Abtreibung gewährleistet, nicht möglich ist. Mit Blick auf den heutigen Zugang zu Verhütungsmitteln, die verbesserten Betreuungsmöglichkeiten sowie das früher noch verbreitete Stigma einer unehelichen Elternschaft ist auch nicht erkennbar, warum das Interesse an einer Abtreibung heute größer als früher sein sollte. Zudem ist bereits nach der jetzigen Regelung – bei Vorlage eines Beratungsscheins – eine straflose Abtreibung möglich. Allein im letzten Jahr ist von dieser Möglichkeit über 100.000-mal Gebrauch gemacht worden. In Fällen wirtschaftlicher Bedürftigkeit werden die Kosten des Abbruchs sogar von der Allgemeinheit übernommen.

Um eine Legalisierung von indikationslosen Abtreibungen durchzuwinken, müssten die Karlsruher Richter dem ungeborenen Leben Menschenwürde absprechen und den Ungeborenen in Bezug auf das Recht auf Leben zum Menschen zweiter Klasse degradieren. Es wäre beispiellos, wenn das Bundesverfassungsgericht einer Gruppe der Menschheit, der sie bereits Menschenwürde und ein gleiches Recht auf Leben zugesprochen hat, solche grundlegenden Garantien wieder „wegnehmen“ würde. Es ist nicht nachvollziehbar, warum ein Mensch ausgerechnet in einer besonders vulnerablen Phase seiner Existenz weniger schutzwürdig sein sollte. Im Grundgesetz hat ein pränatal gestufter Lebensschutz zudem keinen Anknüpfungspunkt. Das Bundesverfassungsgericht hatte dementsprechend im Jahr 1993 festgestellt: „Das Grundgesetz enthält für das ungeborene Leben keine vom Ablauf bestimmter Fristen abhängige, dem Entwicklungsprozess der Schwangerschaft folgende Abstufungen des Lebensrechts und seines Schutzes.“

Fragwürdig ist auch der Versuch der Abtreibungskommission, Menschenwürde und Menschsein sowie Menschenwürde und Lebensrecht voneinander zu entkoppeln. Menschenwürde ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nämlich egalitär und „gründet ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung“. Nach dem Sozialdemokraten Ernst-Wolfgang Böckenförde, von 1983 bis 1996 Richter des Bundesverfassungsgerichts, ist das ungeborene Leben ab dem Augenblick der Zeugung „kraft seiner Menschenwürde Inhaber des Grundrechts auf Leben“. Denn mit der Menschenwürdegarantie hätten die Väter und Mütter des Grundgesetzes „aus der bitteren Erfahrung des massiven Unrechts und der kaum übersteigbaren Verachtung der Menschenwürde“ zur Zeit des Nationalsozialismus mit der Garantie der Menschenwürde als tragendem Fundament der neu errichteten staatlichen Ordnung „einen Damm für alle Zukunft“ errichten wollen. Dieser Damm bröckelt nun.

Was ist mit dem Recht auf Leben des Kindes?

Der Lebensschutz des Kindes bleibt in dem Kommissionsbericht unberücksichtigt. Denn was bleibt noch vom Lebensschutz, wenn die bisherige Beratungslösung abgeschafft werden darf und eine Abtreibung (innerhalb einer bestimmten Frist) auch ohne Indikation und rechtfertigenden Grund rechtmäßig und zudem – wie ebenfalls von der Kommission gefordert – eine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung sein soll (was das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 1993 ebenfalls für verfassungsrechtlich unzulässig erklärt hat)?

Dabei sind die Abtreibungszahlen laut den Angaben des Statistischen Bundesamtes in den vergangenen beiden Jahren deutlich angestiegen: Im Jahr 2022 um 9,9 % und im vergangenen Jahr nochmals um 2,2 %. Zudem gibt es deutliche Hinweise darauf, dass schon das jetzige Schutzkonzept das ungeborene Leben nicht angemessen schützt und daher gegen das sogenannte Untermaßverbot verstößt.

Rahmenbedingungen des Beratungskonzepts und Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wurden und werden nämlich nicht umgesetzt. So wäre der Staat eigentlich dazu verpflichtet, „den rechtlichen Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewusstsein zu erhalten und zu beleben“ und müsste beispielsweise an Schulen „erkennbar für den Schutz des Lebens eintreten.“ Zudem trifft den Gesetzgeber bzgl. der Auswirkungen seines Schutzkonzepts eine Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht. Doch obwohl der Gesetzgeber „sich in angemessenen zeitlichen Abständen“ – beispielsweise durch periodische Regierungsberichte – vergewissern müsste, „ob das Gesetz die erwarteten Schutzwirkungen tatsächlich entfaltet“, ist es bis heute nie zu einer solchen Evaluierung der tatsächlichen Schutzwirkungen und möglichen Mängel des derzeitigen Beratungskonzepts gekommen.

Dabei zeigte beispielsweise eine wissenschaftliche Untersuchung des Mediziners Michael Madeker, dass viele Beraterinnen weder im Sinne der gesetzlichen Vorgaben beraten noch die Grundannahmen des Bundesverfassungsgerichts teilen. So sahen – entgegen der Feststellung der Karlsruher Richter – 87 % der befragten Beraterinnen den Schwangerschaftsabbruch nicht als Unrecht an. Und obwohl die Beratung nach § 219 Abs. 1 StGB „Perspektiven für ein Leben mit dem Kind“ eröffnen soll und „die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen“ hat, gaben mehr als ein Drittel (35,3 %) der Beraterinnen an, allenfalls manchmal Perspektiven für ein Leben mit dem Kind aufzuzeigen und ermutigten fast zwei Drittel (62,9 %) der Beraterinnen lediglich manchmal, selten oder gar nie zur Fortsetzung der Schwangerschaft. 40,2 % der Beraterinnen hielten die Schwangerschaftskonfliktberatung lediglich „für eine formale Voraussetzung“. Die staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen „Pro Familia“ und die AWO fordern gar die Abschaffung von § 218 StGB bzw. eine Legalisierung von Abtreibungen bis zur Geburt. Da diese Beratungsstellen offensichtlich keine Gewähr für eine fachgerechte Schwangerschaftskonfliktberatung bieten, müsste ihre staatliche Anerkennung widerrufen werden.

Frauen unterstützen

Doch nicht nur das Kind, sondern auch die Schwangere droht bei der vorgeschlagenen Neuregelung aus dem Blick zu geraten. Frauen werden in prekären Lebenssituationen oft alleine gelassen. Denn Beziehungsprobleme und mangelnde Unterstützung durch den Vater des Kindes gehören zu den häufigsten Abtreibungsgründen und lassen eine Abtreibung nicht als Akt freier Selbstbestimmung, sondern nicht selten als einzigen Ausweg erscheinen. Daher sollte es vorrangig darum gehen, wie man die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zum Großziehen von Kindern verbessern und eine Willkommens- und Verantwortungskultur in Beziehung, Familie und Gesellschaft stärken kann.

Christian Funck ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Öffentliches Recht an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Foto: Menschlicher Embryo – Bildquelle: Ed Uthman, MD

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

Datenschutzerklärung