„Hoffnung der Welt“ – Guillaume d’Alançon im Gespräch mit Raymond Leo Kardinal Burke

Eine Buchbesprechung von P. Stefan Würges SJM.
Erstellt von kathnews-Redaktion am 28. Januar 2020 um 18:04 Uhr

Raymond Leo Kardinal Burke – Wer ist dieser Kardinal? Und wie denkt er wirklich? Wem diese Fragen schon einmal durch den Kopf gegangen sind, als er seinen Namen hörte – immerhin einer der vier „Dubia-Kardinäle“ –, der bekommt jetzt eine umfassende und zugleich geistreiche Antwort, und zwar von ihm selbst.

„Hoffnung der Welt“ entstand aus einem Gespräch zwischen dem Kardinal und Guillaume d’Alançon, dem bischöflichen Beauftragten für Familie und Leben in der Diözese Bayonne. Das Interview gliedert sich in sechs Teile, wovon der erste Teil die verschiedenen Lebensstationen des amerikanischen Kardinals irischer Herkunft beschreibt. Indem er aus seinem Leben erzählt, entsteht eine kleine biographische Skizze, anhand derer mehrfach deutlich wird, dass am Wegesrand seiner Kindheit und Jugend verschiedene Vorbilder und eindrucksvolle Priestergestalten standen, die sowohl der Familie als auch dem späteren Kardinal Richtung und Rat gaben.

Diese Formung konkretisierte sich einerseits durch Unterweisung und Katechese, aber auch andererseits durch den gelebten Glauben, Gebet und Liturgie. Die ursprünglich aus protestantischem Haus stammende, aber zum katholischen Glauben konvertierte Mutter war für ihn ein Vorbild im Glauben. Burke beschreibt die Familienfrömmigkeit als die „Verehrung des Heiligsten Herzens Jesu in enger Verbindung mit der eucharistischen Anbetung und der Verehrung der Allerseligsten Jungfrau, insbesondere unter dem Titel Unserer Lieben Frau von Lourdes.“ (24)

Diese konkreten Formen des katholischen Glaubenslebens in Verbindung mit dem Vorbild der Eltern und des Pfarrers ließen den jungen Raymond das Geheimnis des Priestertums mehr und mehr verstehen, so dass er im zarten Alter von acht Jahren begriff, „dass es ohne Priester weder Eucharistie noch Beichte geben kann“. (28-29) Diese Erkenntnis wurde durch eine zutiefst einschneidende Erfahrung bestärkt, dass sein Vater durch eine Krankheit nicht mehr arbeiten konnte und ans Bett gefesselt war. So wurde der kleine Raymond regelmäßig Zeuge, wie ein Priester kam, dem Vater die Beichte abnahm und ihm die Kommunion reichte. (29-30)

In den 60er-Jahren holte ihn im Kleinen Seminar Holy Cross in La Crosse die Veränderung der Liturgie und der Lehrinhalte ein: moderne Musik, liturgische Experimente, Entstellung des sakralen Charakters, Änderung der Disziplin und der kirchlichen Morallehre – diese Entwicklung gipfelte „im Verlust des Glaubens an den eucharistischen Herrn, eines Glaubens, der in meiner Kindheit noch so unerschütterlich gewesen war.“ (35)

Dennoch blieb der spätere Priester (Priesterweihe 1975), Kanonist, Bischof (Bischofsweihe 1995) und Präfekt der Apostolischen Signatur (2008–2014) der kirchlichen Lehre und Disziplin immer treu. Als Bischof verfolgte er die Strategie, sich zuerst um gute Hirten zu kümmern und damit Multiplikatoren seiner eigenen Hirtentätigkeit auszubilden. Deshalb betrachtete der Erzbischof von St. Louis (ab 2004) das Kenrick-Glennon-Seminar als das eigentliche Herz der Erzdiözese. (43, vgl. 47) Als die größte Schwierigkeit in seiner Zeit als Bischof beschreibt Burke die zunehmende Säkularisierung der Kultur, die sich auch auf das Leben der Kirche auswirkte. In diesem Zusammenhang erklärt Burke en passant Aufgabe und Verantwortung des Bischofs, aber auch seine Pflichten als oberster Glaubenslehrer, Liturge und Hirte, ihm „obliegt die Unterweisung im Glauben, die persönliche Darbringung des heiligen Messopfers, und er muss die würdige Zelebration der Liturgie in seiner Diözese gewährleisten.“ (45)

Im zweiten Teil lenkt Guillaume d’Alançon das Gespräch auf die Situation der Kirche in der heutigen Zeit. Insofern die Kirche immer im Konflikt mit der Welt steht, bildet sich diese Spannung im Leben des Gläubigen in gewisser Weise ab. Bei diesem Gedanken fügt der Kardinal die Bedeutung des Martyriums ein, weil sich die Märtyrer bei allen Anfeindungen und Drohungen für die Treue zu Christus entschieden haben, denn „der Glaube ist der Fels, der unverrückbar bleibt, der uns erlaubt, inmitten der stürmischen See der heutigen Welt den richtigen Kurs zu halten.“ (56) Burke erinnert darum auch an die Bedeutung von Kirche, Glaube und Tradition, sowie an die Bedeutung der Konzilsinterpretation im Sinn von Benedikt XVI. und schließlich der Kontinuität der Liturgie. (58)

Der neue Zeitgeist verkündete in Ablehnung an den tradierten Glauben die undifferenzierte Freiheit des Menschen, der so an die Stelle Gottes gestellt wurde: „So wurde der Mensch allmählich zu seinem eigenen Abgott, der seine Subjektivität zum Maßstab von Gut und Böse machte.“ (60) Die Folge davon sei die Unfähigkeit, über die Mysterien des Glaubens staunen zu können, womit wiederum der Verlust an Frömmigkeit und kirchlicher Gesinnung einhergegangen sei.

Der Kardinal fährt mit einer grundsätzlichen Würdigung der sozialen Kommunikationsmittel fort, denn sie könnten eigentlich eine Möglichkeit zur Erlernung des Tugendlebens und zum Wachstum in der Liebe zu Gott und zum Nächsten sein. Tatsächlich aber, und damit schließt Burke diesem Gedanken eine Warnung an, machen sie uns im Gegenteil vielfach zu Sklaven, deren geistliches Leben mehr und mehr verkümmert. (63-64) Mit dieser Kritik an der heutigen „SMS-Generation“ mahnt Burke auch zum unbedingten Vorrang der persönlichen Begegnung vor der digitalen Kommunikation.

Burke geht keineswegs den „heißen Eisen“ aus dem Weg, sondern erläutert vielmehr sachlich und ohne Umschweife die kirchliche Überzeugung hinsichtlich diverser Themen und – wie zu erwarten – auch hinsichtlich der Bedeutung des Zölibats: „Der Zölibat des Priesters zum Beispiel ist gänzlich unverständlich geworden in einer Zivilisation, der der Sinn der menschlichen Sexualität abhandengekommen ist – und damit auch das Verständnis für die Komplementarität von Ehe und Jungfräulichkeit.“ (65)

Als philosophische Gefahr für das Christentum stimmt Burke der Analyse von Benedikt XVI. zu, dass nämlich der Relativismus die größte Gefahr sei, die die Kirche bedrohe: „Der Relativismus, der Verlust einer gesunden Metaphysik und in der Konsequenz der Verlust des Bewusstseins für die objektive Wirklichkeit ist die größte Gefahr unserer Zeit.“ (71)

Wenn bisher der Schwerpunkt der Betrachtung eher auf der Problemanalyse lag, so entwirft Burke im dritten Teil des Interviews Perspektiven der Erneuerung. Ausgangspunkt eines solchen Prozesses sei die Wiederentdeckung der Metaphysik: „Wir müssen zu den Wurzeln zurückkehren, zum Fundament unseres Dasein, mit anderen Worten zur Metaphysik.“ (77) Denn sie sei das Fundament unseres Daseins und nicht der narzisstische Individualismus, dessen man sich vielmehr entledigen müsse. Der Kardinal sieht in der Grundlegung einer realistischen Philosophie, und damit der theozentrischen Perspektive, die einzige Möglichkeit für das Gesunden des modernen Menschen. Unterstützt werde dieser Ansatz durch die würdige Form der Messfeier, weil sie uns die jahrhundertealte Fülle des kirchlichen Lebens zu schenken vermag (77).

Dieser „philosophischen“ Grundlegung müsse aber auch eine konkrete Frömmigkeit in den Familien folgen, denn in den Familien lernen die Kinder den Glauben kennen und leben. (77) Um den erlernten Glauben auch während der Schulzeit zu vertiefen und zu praktizieren, soll man den Kindern den Glauben vorleben und sie darin unterweisen, sie beten lehren und anleiten, am heiligen Messopfer innig teilzunehmen. Ebenso ist den Jugendlichen die unverfälschte Wahrheit des Glaubens zu verkünden und sie sind zum Tugendleben anzuspornen. Viele Jugendliche fühlten sich außerdem von einer schönen und heiligen Liturgie sehr angezogen, „einer Liturgie, die mit der dem heiligen Messopfer angemessenen Würde gefeiert wird.“ (78) Die Zelebration der heiligen Messe müsse daher von Transzendenz und Frömmigkeit geprägt sein, damit erkennbar werde, „dass wir dem Herrn zugewandt sind und dass das Opfer von Golgotha erneuert wird.“ (78)

Nach Burke besteht ein unbedingter Schritt der Erneuerung in der Rückkehr der Kirche zur theozentrischen Perspektive, die sich in einer Wiederentdeckung der heiligen Messe als Geschenk Gottes äußert. (79) Während also das Wirken Christi in der heiligen Messe erkennbar und erfahrbar werden müsse, dürfe man in der Liturgie auf keinen Fall den Menschen in den Mittelpunkt stellen. (81) Eine Schwierigkeit liege allerdings in der schwerwiegenden Fehlinterpretation der von den Konzilsvätern gewünschten liturgischen Vertiefung. Das Ergebnis der Liturgiereform stelle daher eine deutliche Abweichung von der Absicht der Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils dar. (82)

Wie es im vierten Teil deutlich wird, geht dem Kardinal das Thema Lebensschutz zunächst deshalb zu Herzen, weil er selbst durch die entschiedene Haltung seiner Eltern, die dem Rat des Arztes, eine Abtreibung durchzuführen, nicht folgten, gerettet wurde. In dieser Zeit waren Abtreibungen zwar selten, begannen aber mehr und mehr gesellschaftlich akzeptiert zu werden. Mit dieser Entwicklung sei auch der Anstieg der grundsätzlichen Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft verbunden, die sich analog dazu auch in der Diskussion um Euthanasie äußert. (92) Dringend heilsam sei daher die Kenntnis der kirchlichen Lehre, die durch die Enzykliken Evangelium vitae und Humanae vitae verdeutlicht wurde. Der Kardinal weist in diesem Zusammenhang auch auf die Korrelation von Empfängnisverhütung und Abtreibung sowie auf die Tragweite der verheerenden Trennung von Sexualakt und Weitergabe des Lebens hin. (93)

Als Antwort auf Gruppierungen, die sich für das uneingeschränkte Selbstbestimmungsrecht der Frau einsetzten, gibt der Kardinal das Wort des heiligen Paulus wieder, wonach immer Zeugnis abzulegen sei – gelegen oder ungelegen. Und Burke ergänzt: „Dort, wo der Widerstand am heftigsten ist, muss auch das mutigste Zeugnis abgelegt werden.“ (97) Man dürfe also nicht der Versuchung nachgegeben zu schweigen, sondern müsse der Pflicht nachkommen, den Kleinsten beizustehen. Im Umgang mit Frauen, die eine Abtreibung vornehmen ließen, ist nach Burke unbedingt auf das Geheimnis der Sündenvergebung hinzuweisen, ohne aber die Schuld an sich zu verharmlosen. Hier gilt es, diesen Menschen zuzuhören, ihnen Mut zuzusprechen und den Weg aus ihrer Krise heraus und hinein in die göttliche Barmherzigkeit zu weisen. (98-100)

So ermutigt der frühere Präfekt der Apostolischen Signatur alle Gläubigen, der reichen Geschichte des Christentums und Europas eingedenk, Zeugnis für die nicht verhandelbaren Grundwerte des unbedingten Lebensschutzes, die naturgegebene Familienstruktur und den Schutz des Elternrechtes auf Erziehung ihrer Kinder abzulegen. (103-104) Dabei sei zu bedenken: „Immer muss das Zeugnis gelassen und stark sein: Das trägt Früchte.“ (107)

Kardinal Burke wird im fünften Teil des Interviews gefragt, wie er „Liebe“ definieren würde, was denn das Wesen der Liebe ausmacht. Die Antwort lässt den tiefen Glauben und die feste christliche Überzeugung des Kardinals erkennen: „Die Liebe ist das Geschenk meiner selbst an den anderen, das Opfer meiner selbst, die uneigennützige Hingabe, bei der mir, unabhängig von meinem persönlichen Interesse, immer am Wohl der anderen gelegen ist.“ (115) Diese Haltung entspringt nicht nur der kirchlichen Lehre, die ihr Vorbild an Jesus Christus nimmt, sondern ist auch die Voraussetzung für ein gelungenes christliches Leben. Darum weist Burke auch darauf hin, dass diese Liebe nicht mit der oberflächlichen emotionsgeprägten Anziehung von Mann und Frau verwechselt werden darf. Vielmehr verweist er im Zusammenhang mit Ehe, Familie und Nächstenliebe wiederholt auf den Ursprung dieser Liebe im Heiligsten Herzen Jesu, weil der Gläubige darin die totale Hingabe aus Liebe finde. (115-117)

Seine Ausführungen bleiben aber keinesfalls bei theologischen Reflexionen stehen, die zwar richtig und erhaben sind, aber für den konkreten Alltag abstrakt und nicht greifbar – im Gegenteil: Burke beschreibt ein alltagstaugliches geistliches Leben der Familie, die auf der Basis der Herz-Jesu-Weihe diese Hingabe in die Praxis überführt, indem sie gemeinsam betet, vor allem den Rosenkranz, geistliche Gespräche führt, die durch die Heiligen des Tages und vor allem die Jungfrau Maria inspiriert werden sollen. Solche Unterhaltungen dürfen wie selbstverständlich in das tägliche Leben einfließen. Dies könne aber nur dann verwirklicht werden, wenn die Familienmitglieder durch eine passende Zeiteinteilung, die ermöglicht, dass man gemeinsam isst, regelmäßig auch die Möglichkeit zum Gespräch finden. So entstehe nicht nur ein intensiver Austausch, sondern auch die eingehendere Kenntnis des anderen, dem man letztlich zutiefst in Christus begegnen müsse. (117, vgl. 149-151)

Im sechsten Teil erklärt Burke, dass Mission und Erneuerung beim persönlichen Gebet und gelebter Frömmigkeit beginnt. Das geistliche Leben sei schließlich nicht nur die Basis, sondern unabdingliche Voraussetzung für die Mission, die „vor der Haustür“ beginnt (157). Dabei sollen die Priester den Laien helfen, um gute Missionare zu sein, und zwar auch dort, wo der Priester nicht sein kann. Als ein solches Feld, auf dem die Laien gute und wichtige Arbeit für das Königtum Christi leisten können, nennt Burke den großherzigen und bereitwilligen Einsatz in der Politik. Wenn auch dabei gewisse Gefahren bestehen, so darf man sich doch der politischen Verantwortung nicht entziehen, sondern müsse vielmehr „ohne Falsch sein wie die Tauben und klug wie die Schlangen.“ (160)

Erneuerung bedeute auch die Herausführung aus der wahren Armut, die im Mangel an sittlichem Leben besteht. Diese Wende im Leben des Menschen wird durch die Hinführung zur Anbetung Gottes und zum Empfang der Sakramente ermöglicht; so gelangt er zum Reichtum des Glaubens. (161-163)

Am Ende des Interviews wird der Kardinal nach seiner Hoffnung für die Kirche gefragt, worauf er eine Antwort gibt, die seine tiefe Kirchlichkeit ausdrückt: „Meine Hoffnung ist, dass die Kirche ihr Wesen als Braut Christi immer treuer verwirklicht: In ihrer Lehre, in ihrer Liturgie, in ihrem Gebet, in ihrer Frömmigkeit und in ihrem sittlichen Leben.“ (174-175)

Wer kurze, aber treffende Skizzen der kirchlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte, verbunden mit tragfähigen Antworten, die von tiefer Liebe zur Kirche und zum Heil der Seelen durchdrungen sind, sucht, greift mit „Hoffnung der Welt“ zu einem Buch, das seine Erwartungen vollauf erfüllen wird. So führen die biographischen Eckdaten nicht nur einen Zeitzeugen vor Augen, der die jüngste Entwicklung in Gesellschaft und Kirche miterlebte, sondern auch einen kompetenten Theologen, tiefgläubigen Bischof und nüchternen Kanonisten, dessen Statements überzeugen, weil sie von echter Katholizität geprägt sind.

Wenn auch Interviews ein Phänomen der neuen Medien sind, decken sie doch meist ein breiteres Themenspektrum ab, so dass nicht nur die persönliche Überzeugung, sondern auch sachliche Ausführungen ihren Platz haben. Wenn Burke auch über Positionen spricht, die selbst unter Theologen und Bischöfen umstritten sind, so zeigt er stets eine ruhige Ausgeglichenheit, die einerseits frei ist von jeder Art Polemik, andererseits aber seine Überzeugung deutlich erkennbar macht.

Die bleibende Aktualität des Interviews zeigt sich in der Themenwahl, die nicht nur ausgebreitet, sondern auch von der exzellenten Kenntnis der Situation von Kirche und Gesellschaft zeugt. Daher kann das Interviewbuch allen ans Herz gelegt werden, die die heutige Mentalität und die aktuellen Probleme bezüglich Glaube und Kirche tiefer begreifen wollen und zugleich profilierte und geistdurchdrungene Antworten suchen.

P. Stefan Würges SJM

Bibliographische Angaben:
„Hoffnung der Welt“
Ein Gespräch mit Guillaume d’Alançon
Raymond Leo Kardinal Burke / Guillaume d’Alançon:
Renovamen-Verlag
Bad Schmiedeberg, 2020
ISBN: 978-3956211409
EUR 14,00

Foto: Hoffnung der Welt (Buchcover) – Bildquelle: Renovamen-Verlag

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