Fünf Jahre nach Kriegsende: Die erste Verleihung des Karlspreises in Aachen

Ziel des Karlspreises ist der Einheit Europas und der Friede. Eine kurz Geschichte des „Internationalen Karlspreises zu Aachen". Von Prof. Dr. Walter Eversheim.
Erstellt von Gero P. Weishaupt am 8. Mai 2015 um 14:26 Uhr
Kaiser Karl der Große

Am Himmelfahrtstag 1950, fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg, verlieh die Stadt Aachen zum ersten Mal den Internationale Karlspreis im Krönungssaal des historischen Rathause der Kaiserstadt. Der Karlspreis ist nicht nur die erste politische Auszeichnung der neugegründeten Bundesrepublik Deutschland, sondern auch die renommierteste Ehrung von Persönlichkeiten, die sich für die Einheit Europas Verdienste erworben haben.

Anlässlich der bevorstehenden Karlspreisverleihung an Martin Schulz, den Präsidenten des Europaparlamentes, am kommenden Donnderstag, Himmelfahrtstag 2015, 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, veröffentlicht Kathnews im folgenden eine Geschichte des Aachener Karlspreises von Prof. Dr. Walter Eversheim, der von 1997 bis 2009 Sprecher des Direktoriums der Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen gewesen ist.

Von Prof. Dr. Walter Eversheim

Aachen (kathnews/Stadt Aachen). „Wir erlauben uns nun, den Vorschlag zu unterbreiten, einen jährlich zu verleihenden internationalen Preis zu stiften für den wertvollsten Beitrag im Dienste westeuropäischer Verständigung und Gemeinschaftsarbeit und im Dienste der Humanität und des Weltfriedens. Der Beitrag kann auf literarischem, wissenschaftlichem, wirtschaftlichem und politischem Gebiet geleistet sein.“ Als Dr. Kurt Pfeiffer vor über 50 Jahren diese Anregung „in bescheidener Zurückhaltung der Öffentlichkeit“ übergab, hätte wohl niemand vorherzusagen gewagt, dass sich der Internationale Karlspreis zur wichtigsten und renommiertesten europäischen Auszeichnung für Verdienste um Europa und die europäische Einigung entwickeln würde.

Die „Proklamation von Weihnachten 1949“. Ankündigung eines Preises für Europa fiel mit der Ankündigung eine Heiligen Jahres zusammen

Versetzen wir uns zwei Generationen nach der Stiftung des Karlspreises in die Lage seiner Initiatoren zurück. Der vom Deutschen Reich entfesselte Zweite Weltkrieg hatte zu großen Zerstörungen in Europa geführt. Aachen, die erste von den alliierten Streitkräften befreite deutsche Stadt, war nicht nur wochenlang Kriegsschauplatz, sondern sie war auch die einzige Großstadt, die zwangsevakuiert und ausgeplündert wurde. Zur materiellen Not der Bevölkerung, der Auflösung ihrer sozialen Beziehungen und vertrauten Lebenswelt, kam die geistig-moralische Desorientierung hinzu, die wenig Raum für einen zukunftsweisenden Wiederaufbau zuließ.

Der Aachener Kaufmann Dr. Kurt Pfeiffer teilte die Wissbegierde weiter Bevölkerungskreise nach Jahren geistiger Manipulation und Indoktrination. Dies veranlasste ihn und seine Freunde, schon im Jahre 1946 einen kleinen Lesekreis mit wichtigen Persönlichkeiten aus der Stadt, die „Corona Legentium Aquensis“, zu gründen. Mit Pfeiffers finanzieller Unterstützung konnte dieser in Aachen zunehmend an Bedeutung und Einfluss gewinnende Kreis Ausstellungen und Vortragsreihen mit Politikern, Wissenschaftlern und Kulturschaffenden aus ganz Europa durchführen. Die Diskussionen in der Corona regten Pfeiffer an, darüber nachzudenken, ob es ausreicht, neuen Gedanken und Ideen ein Podium zu geben, oder ob man nicht vielmehr aktiv und öffentlichkeitswirksam den nach den beiden Weltkriegen als bedrohlich empfundenen Ost-West-Konflikt beeinflussen sollte. Der Kaufmann suchte nach einer Möglichkeit, Einfluss auf das politische Geschehen in Europa zu gewinnen und bei einer friedlichen Gestaltung der Zukunft mitzuwirken, ohne die langwierigen Entscheidungsprozesse politischer Parteien oder Parlamente beschreiten zu müssen.

Die Ausgangsbedingungen für eine europapolitische Initiative waren im Winter 1949 denkbar gut. Die westeuropäischen Integrationsbemühungen waren in eine tiefe Krise geraten, als die Briten im September 1948 ihre Verhandlungen mit der französischen Regierung über eine gemeinsame Zollunion aufgaben und im November 1949 den Ausbau des Europarats zu einer europäischen Institution stoppten. Daraufhin folgte die amerikanische Aufforderung an den französischen Außenminister Robert Schuman, die Führung bei der Integration Westdeutschlands in ein supranationales Europa zu übernehmen. Dass diese deutliche Ermunterung von französischer Seite freilich lange Zeit unbeantwortet blieb, bildete einen geeigneten Nährboden für europapolitische Initiativen, zumal die voranschreitende Blockbildung in Europa und die zunehmende Vehemenz des Kalten Krieges die Angst vor einer neuen militärischen Auseinandersetzung auf dem alten Kontinent schürten.

Kurt Pfeiffer erkannte offenbar diese einmalige Gelegenheit. Geschickt wählte er das bevorstehende Weihnachtsfest und das von Papst Pius XII. angekündigte Heilige Jahr, um am 19. Dezember 1949 auf einem Treffen der Corona seine Idee für die Stiftung eines „Aachener Preises“ für Verdienste um die westeuropäische Einigung, um den Weltfrieden und die Humanität der Öffentlichkeit vorzustellen. Seine Initiative fand einen außerordentlich positiven Widerhall – sowohl bei der Presse als auch bei wichtigen Persönlichkeiten. Dies ermutigte ihn, seine Pläne energisch voranzutreiben.

Innerhalb weniger Tage versammelte Kurt Pfeiffer hohe Repräsentanten aus der Stadtverwaltung, der Technischen Hochschule, der katholischen Kirche, der städtischen Politik sowie der Wirtschaft, und sie veröffentlichten die sogenannte „Proklamation von Weihnachten 1949“, die auch heute noch das geistige Fundament des Karlspreises bildet.

Aachen war Mittelpunkt des ersten europäischen Reiches

Vonseiten der Stadt beteiligten sich Oberbürgermeister Dr. Albert Maas, Oberstadtdirektor Albert Servais und Bürgermeister Ludwig Kuhnen. Mit dem Preis sahen sie die Möglichkeit, die halb vergessene europäische Vergangenheit der Stadt wiederzubeleben, den Blick der europäisch Interessierten wieder auf Aachen zu lenken und damit den Namen der Kaiserstadt über die eigenen Grenzen hinaus bekannt zu machen. Denn Aachen war einstmals Mittelpunkt des ersten europäischen Reiches unter Karl dem Großen, wiederholt Ort wichtiger europäischer Friedenskongresse, lange Zeit Fürstenbad und bekannt durch die alle sieben Jahre stattfindende Heiligtumsfahrt, worauf man zurecht stolz sein konnte.

Idee des christlichen Abendlandes

Pfeiffer selbst regte daher an, der Auszeichnung den Namen „Karlspreis der Stadt Aachen“ zu geben und damit eine Brücke zwischen europäischer Vergangenheit und Gegenwart zu bauen. Karl der Große war jedoch mehr als nur ein Namensgeber und Werbeträger, er war auch Programm für den Stifterkreis, der die Keimzelle der späteren Karlspreisgesellschaft bildete. Mit dem Namen des bedeutendsten Frankenkönigs fand auch die Idee des christlichen Abendlandes Eingang in die Proklamation. Ob nun Bischof Dr. Johannes Josef van der Velden als Hüter der Grabeskirche des „Vaters Europas“, wie Karl der Große in einer zeitgenössischen Quelle bezeichnet wurde, oder aber beispielsweise der Professor für Philosophie Dr. Peter Mennicken hierfür verantwortlich waren, bleibt aufgrund der lückenhaften Überlieferung ungeklärt. Jedenfalls dominiert diese „abendländische Idee“ in der von den Stiftern des Karlspreises zu Weihnachten 1949 veröffentlichten Proklamation, die in verschiedenen Formulierungen immer wieder formelhaft verwendet wurde – zunächst symbolisch rückblickend auf das karolingische Reich Karls des Großen als Sinnbild für ein europäisches Reich und für Einheitlichkeit in Regeln, Wertordnung, Sprache, Währung, Verwaltung, Religion und Kultur, aber auch programmatisch zukunftsweisend als Leitbild für die anstehende Aufgabe einer wirtschaftlichen und politischen Einigung Europas.

Dauerhafter Friede als Ziel des Karlspreises

Die Forderung in der Proklamation, die wirtschaftliche Einigung solle Priorität genießen und sei als Vorstufe für den Zusammenschluss Westeuropas dringend erforderlich, gehörte schon lange zum europapolitischen Gedankengut Pfeiffers und dürfte insbesondere bei den Vertretern der Wirtschaft im Stifterkreis große Unterstützung gefunden haben. Zu ihnen zählten der Präsident der Handelskammer und spätere Oberbürgermeister Hermann Heusch, der Generaldirektor der Vereinigten Glaswerke Dr. Jean Louis Schrader und der Niederländer Carel Nieuwenhuysen, Direktor der Philipswerke. Gerade durch die Beteiligung der beiden hochrangigen ausländischen Wirtschaftsvertreter wird das Ziel des Preises veranschaulicht, ungeachtet aller Nationalismen auf der Grundlage eines großen grenzen- und zollfreien Wirtschaftraumes einen dauerhaften Frieden in Europa zu schaffen. Dies belegt, dass der Karlspreis schon in der Entstehungsphase international angelegt war, sowohl in seiner Zielsetzung als auch in der Zusammensetzung seiner Gründungsmitglieder.

Es ist nicht verwunderlich, dass der Aachener Tuchfabrikant Erasmus Schlapp zum Kreis der Preisstifter zählte; denn er war der Vorsitzende der Europa-Union, die den europäischen Einigungsgedanken vertrat. Für seine Initiative konnte Pfeiffer auch die Unterstützung der Aachener Wissenschaft gewinnen; mit Rektor Dr. Wilhelm Müller, Dr. Franz Krauß und Dr. Mennicken unterzeichneten gleich drei Hochschulprofessoren die Proklamation. Damit war das traditionelle Bildungsbürgertum der Stadt unter den zwölf Gründungsmitgliedern fast genauso stark vertreten wie der Kreis der Unternehmer.

Die drei Wirkungsebenen des Karlspreises

Der von Kurt Pfeiffer angeregte Internationale Karlspreis der Stadt Aachen sollte auf drei Ebenen wirken:

Auf europäischer Ebene:

Nicht nur die Deutschen, sondern auch die europäischen Nachbarn sollten durch den Symbolgehalt der jährlichen Preisverleihung für den westeuropäischen Integrationsprozess gewonnen werden. Der Karlspreis sollte gleichsam ein europäisches Forum und Instrument bilden, um fördernd aber auch mahnend den Stand der Einigungsbemühungen ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit zu bringen. Damit war und ist die Auszeichnung ein Symbol europäischen Einigungswillens und gleichzeitig ein Medium, politische Botschaften zu übermitteln.

Auf Bundesebene:

Der Karlspreis wurde der erste politische Preis der noch jungen Bundesrepublik Deutschland – freilich kein Staatspreis. Im Vergleich zu der an Symbolen armen Weimarer Republik schuf die Auszeichnung Identifikationsmöglichkeiten. Sie sollte einen Beitrag leisten, um auch in Deutschland den Grundstein für ein europäisches Bewusstsein auf der Grundlage der Völkerverständigung zu legen.

Auf städtischer Ebene:

Die alte Kaiserstadt war aufgrund ihrer Grenzlage und ihrer europäischen Geschichte besonders gut geeignet, versöhnend und über alle Grenzen hinweg zu wirken. Darüber hinaus würde die Preisverleihung die Stadt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit stellen und damit das Ansehen Aachens über seine Grenzen hinaus mehren.

Schon drei Monate nach der Proklamation wurde die „Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises der Stadt Aachen“ am 14. März 1950 gegründet, die alle mit der Preisverleihung verbundenen Aufgaben erledigen sollte. Der Preis, der aus einer Ehrenurkunde, einer Medaille und einer Dotation von 5.000,- DM (heute: 5.000,- EUR) bestand, sollte jährlich an eine Persönlichkeit vergeben werden, die sich um Europa verdient gemacht hatte.

Erste Karlspreisverleihung 1950

Mit welcher Energie die Stifter ans Werk gingen, zeigt, dass schon fünf Monate nach der Proklamation der Preis am Christi Himmelfahrtstage 1950 an Dr. Richard Graf Coudenhove-Kalergi, den Begründer der paneuropäischen Bewegung und Vorkämpfer der europäischen Einigungsidee, verliehen wurde. Die erste Mitgliederliste der Karlspreisgesellschaft liest sich wie ein „Who is who“ Aachens. 100 Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kirche, Hochschule und Stadtverwaltung fanden Aufnahme in den Verein.

Von besonderer Bedeutung für den Karlspreis ist das Direktorium der Karlspreisgesellschaft, das den Karlspreisträger auswählt und in seiner Grundstruktur praktisch auch heute noch den Stifterkreis von 1949 widerspiegelt. Das erste Direktorium der Karlspreisgesellschaft war identisch mit den Unterzeichnern der Proklamation von 1949, und als sein erster Sprecher fungierte Dr. Kurt Pfeiffer.

Festakt im Krönungssaal des historischen Rathauses von Aachen

Der Festakt im Krönungssaal anlässlich der ersten Preisverleihung an Graf Coudenhove-Kalergi hinterließ einen bleibenden Eindruck. Das Rathaus war erstmals nach dem Kriege Schauplatz einer bedeutenden städtischen und gleichzeitig europäischen Feierstunde. Wiewohl die Stadt noch deutlich von den Kriegsspuren gezeichnet war, die Festgäste gar durch das löchrige Rathausdach direkt in den Himmel schauen konnten, fand die feierliche Zeremonie der Preisverleihung breite Beachtung. Und so spornte das positive Medienecho im In- und Ausland das Direktorium an, noch kühner am europäischen Einigungsprozess teilzunehmen. Die Preisverleihung an den italienischen Ministerpräsidenten Alcide de Gasperi, in dessen Vorzimmer Kurt Pfeiffer eine Woche lang ausgeharrt hatte, um ihm die Auszeichnung anzutragen, brachte im Jahre 1952 den internationalen Durchbruch.

Auszeichung der berühmtesten Politiker des politischen Nachkriegs-Europas

Die führenden Politiker der 50er Jahre, Konrad Adenauer, Robert Schuman, Jean Monnet, Winston Churchill und viele mehr folgten dem Italiener und wurden in Aachen für ihre Verdienste um die europäische Einigung geehrt. Damit erhielt die Auszeichnung politisches Gewicht und internationales Prestige. Karlspreisträger Paul Henri Spaak kommentierte die Reihe der Ausgezeichneten in seiner Dankesrede im Krönungssaal im Jahre 1957 zurecht mit den Worten: „Es handelt sich hier um die berühmtesten Namen des politischen Nachkriegs-Europas“.

Seit der Verleihung an de Gasperi entwickelte sich der Karlspreis immer mehr zu einer vornehmlich politischen Auszeichnung. Aus diesem Grund dominieren Politiker die lange Liste der Preisträger. Denn gewählte Staatsvertreter, Minister und Präsidenten stehen in der ersten Reihe derer, die sich um den europäischen Einigungsprozess bemühen und über die durch den Karlspreis politischer Einfluss ausgeübt werden kann. Demgegenüber wurde mit der Auszeichnung späterer Preisträger wie beispielsweise Don Salvador de Madariaga, Frère Roger und György Konrád die geistig-kulturelle Dimension der europäischen Einheit betont.

Renommierteste und begehrteste  europäische Auszeichnung

Der Karlspreis hat sich rasch zur renommiertesten und begehrtesten Auszeichnung für besondere Verdienste um die europäische Einigung entwickelt. Auch durch die herausragende Bedeutung der Ausgezeichneten erwarb die Ehrung im Laufe der Zeit besonderes politisches und moralisches Eigengewicht.

Im Jahre 1962 konnte die Auszeichnung zum zweiten Mal in ihrer Geschichte nicht verliehen werden, was bis heute zehn Mal vorgekommen ist.

Die Preisverleihung im Jahre 1963 an Sir Edward Heath, der später britischer Premierminister werden sollte, markierte einen Wendepunkt in der Geschichte des Karlspreises, denn Heath repräsentierte ein beitrittswilliges Land. Wenige Tage nach dem Scheitern des britischen EG-Beitrittsgesuchs am französischen Veto sollte mit diesem mutigen Signal ein Zeichen für eine gemeinsame Zukunft gesetzt werden.

Eine Zäsur anderer Art folgte im Jahre 1968, in dem der Initiator und „Vater“ des Karlspreises Kurt Pfeiffer sein Sprecheramt im Karlspreisdirektorium an Dr. Jean Louis Schrader abgab, der ebenfalls zum Kreis der Unterzeichner der Proklamation von 1949 zählte. Für seine Verdienste erhielt Dr. Pfeiffer die Ehrenbürgerschaft der Stadt Aachen. Zu diesem Anlass charakterisierte er die Ziele seines Lebenswerkes wie folgt: „Der Karlspreis wirkt in die Zukunft, er birgt gleichsam eine Verpflichtung in sich, aber eine Verpflichtung von höchstem ethischem Gehalt. Sie zielt auf den nicht erzwungenen, freiwilligen Zusammenschluss der europäischen Völker, um in neu gewonnener Stärke die höchsten irdischen Güter – Freiheit, Menschlichkeit und Frieden – zu verteidigen und die Zukunft der Kinder und Enkel zu sichern.“

Diese Botschaft der Völkerverständigung ist seither von Sprecher zu Sprecher weitergegeben worden und bildet das entscheidende Kriterium im Direktorium für die Auswahl eines Preisträgers.

Inhaltlich führte Schrader die Arbeit des Karlspreis-Initiators fort. Für Kontinuität stand auch der damalige Oberbürgermeister Hermann Heusch, der mehr als 20 Jahre dem Direktorium angehörte. Als erster Bürger der Stadt war er der Hausherr im Rathaus, in dem er jährlich im Rahmen eines Festaktes die Auszeichnung übergab.

In den 70er und 80er Jahren waren mit der Preisverleihung an Vertreter der jungen Demokratien in Griechenland und Spanien wichtige Signale verbunden, um die demokratischen Kräfte zu stärken und die Staaten an die Europäische Gemeinschaft heranzuführen. 1981 wurde mit Simone Veil die erste Frau und erste Präsidentin des von den Bürgern Europas direkt gewählten Europäischen Parlaments ausgezeichnet.

Mit S.M. dem König von Spanien Juan Carlos I. wurde 1982 zum ersten Mal ein gekröntes Haupt geehrt. Den Vorschlag für diese Würdigung hatte der neue Sprecher, Konsul Hugo Cadenbach, dem Direktorium unterbreitet, was Kurt Pfeiffer zu der Bemerkung veranlasste: „Jetzt haben wir Sie gerade zum Sprecher gewählt, und nun kommen Sie gleich mit Königen!“ Der scherzhafte Kommentar des väterlichen Freundes war indes wohlwollend gemeint, denn der Vorschlag erhielt die ungeteilte Zustimmung aller Juroren.

Die Wahl zum Sprecher des Karlspreisdirektoriums nach dem unerwarteten Tod von Jean Louis Schrader im Jahre 1980 kam für Hugo Cadenbach überraschend. Doch wuchs er schnell in seine neue Rolle hinein, zumal er in Oberbürgermeister Kurt Malangré wertvolle Unterstützung fand. Sprecher und Oberbürgermeister verstanden sich in ihrer Zusammenarbeit gut. Diese wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Arbeit im Karlspreisdirektorium hat sich gleichsam als unverzichtbare Tradition bis heute hin fortgesetzt.

Am 30. Januar 1987 verstarb der Initiator des Karlspreises Dr. Kurt Pfeiffer, der bis zum Ende seines Lebens regen Anteil an der Entwicklung der Auszeichnung genommen und sämtliche Texte für Urkunden und Medaillen entworfen hatte.

Würdigung der transatlantischen Beziehungen

Sein letzter Kandidatenvorschlag, der ehemalige amerikanische Außenminister und Friedensnobelpreisträger Henry Kissinger, war für den Sprecher des Direktoriums Vermächtnis und Auftrag zugleich. Pfeiffer wollte die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen bekräftigen, trug die atlantische Gemeinschaft doch entscheidend zum Schutz der westeuropäischen Staaten bei. Die kontroverse Debatte um diese Nominierung gab den Anstoß für eine kritische Auseinandersetzung mit den Zielen des Karlspreises. Die Karlspreisgesellschaft nahm dies zum Anlass, durch eine Namensänderung der Auszeichnung in „Internationaler Karlspreis zu Aachen“ den Charakter der Würdigung als Aachener Bürgerpreis zu unterstreichen.

Die politischen Umbrüche in de 80er Jahren

Die Umbrüche in Mittel- und Osteuropa und die Ereignisse im Jahre 1989, die in der deutschen Wiedervereinigung gipfelten, gaben Anlass zu einer Neubesinnung des Preises, die in Form einer Erklärung die Proklamation von 1949 ergänzte und aktualisierte. Die gemeinsame „Erklärung des Rates der Stadt Aachen und der Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen e.V.“ vom 14. November 1990 rief, auf die historische Bedeutung des Jahres 1989 hinweisend, zu einem „umfassenden Zusammenschluss“ der europäischen Staaten auf. Zudem wurde die Bedeutung des Vereinten Europas beim angestrebten Ausgleich des Nord-Süd-Gegensatzes und beim Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen betont – wichtige neue Herausforderungen, die sich im Jahre 1949 noch nicht stellten, 40 Jahre später freilich zum Selbstverständnis der politisch handelnden Menschen zählten.

Die Auszeichnungen der 90er Jahre standen denn auch ganz im Zeichen des „umfassenden Zusammenschlusses“ Europas; so erhielten insbesondere Vertreter nord- und mittelosteuropäischer Staaten den Karlspreis. Aus Herkunftsländern stammend, die noch nicht zur Europäischen Union gehörten, verkörperten sie allesamt die Hoffnung auf eine möglichst weitreichende europäische Einigung. Die Ehrungen sollten ein positives Signal setzen und die jeweiligen Preisträger ermutigen, ihr Land in die Union zu führen. Gleichzeitig sollte die mit dem Karlspreis verbundene internationale Reputation die innenpolitische Stellung der Geehrten und das Ansehen ihrer Länder stärken.

Würdigung der Vereinigten Staaten von Amerika

Mit der Auszeichnung des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton im Jahr 2000 wurde 50 Jahre nach der ersten Verleihung des Internationalen Karlspreises der Repräsentant eines Volkes gewürdigt, das den freien Völkern Europas über fünf Jahrzehnte hinweg ein stets verlässlicher Partner war.

Nicht nur Politiker

Durch die Ehrung eines herausragenden Vertreters der europäischen Literatur, des ungarischen Schriftstellers und Soziologen György Konrád, lenkte das Direktorium im darauffolgenden Jahr 2001 den Blick auf den wertvollen Beitrag, den die Kultur und die Kulturschaffenden für die Integration unseres Kontinents leisten.

Nachdem im Jahre 2002 mit dem EURO, getragen durch die Europäische Zentralbank und ihren Präsidenten Wim Duisenberg, erstmals ein Objekt mit dem Karlspreis ausgezeichnet worden war, setzte das Direktorium mit seinen nachfolgenden Entscheidungen für den Präsidenten des Konvents, Valéry Giscard d’Estaing (2003), und für den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Pat Cox (2004), weithin sichtbare Akzente für eine Vertiefung des Integrationsprozesses und für eine Stärkung des parlamentarischen, demokratischen Elements der Union.

Mit dem italienischen Staatsoberhaupt Dr. Dr. Carlo Azeglio Ciampi folgte … 2005 … ein ruheloser Mentor des Einigungsprozesses, der in herausragender Weise die klassischen Werte und Maßstäbe, die Europa ausmachen, vertritt.

Karlspreis für den heiligen Papst Johannes Paul II.

Zu Beginn des neuen Jahrhunderts sind wir uns dessen bewusst, dass ein großer Teil der Wegstrecke zum Vereinten Europa noch zurückgelegt werden muss. Ein weiterer Meilenstein auf diesem Weg wurde vor gut zwei Jahren erreicht. Als am 1. Mai 2004 zehn neue Mitgliedsstaaten der Union beitraten, ist ein neues Zeitalter des europäischen Integrationsprozesses angebrochen. Die Nachkriegsgeschichte, die von Kaltem Krieg und der Teilung Europas geprägt war, gehört damit endgültig der Vergangenheit an.

Die Entwicklung zu diesem umfassenden Zusammenschluss der europäischen Völkerfamilie ist untrennbar mit der Persönlichkeit und dem Lebenswerk von Papst Johannes Paul II., verbunden. Sein über 25-jähriges Pontifikat wird als ein Zeitraum in die Geschichte eingehen, in dem das Fundament für eine dauerhafte Friedens- und Freiheitsordnung und für Stabilität und Wohlstand für zukünftige Generationen auf dem ganzen Kontinent geschaffen wurde. In Würdigung eines herausragenden Lebenswerkes im Dienste europäischer Verständigung und Gemeinschaftsarbeit, im Dienste der Humanität und des Weltfriedens war es den Karlspreis-Verantwortlichen daher eine Ehre, Papst Johannes Paul II. mit dem Außerordentlichen Karlspreis auszeichnen zu dürfen. Die Preisverleihung erfolgte einmalig und in außergewöhnlicher Weise am 24. März 2004 in Rom.

… (M)it dem Premierminister des Großherzogtums Luxemburg, S.E. Dr. Jean-Claude Juncker, (wird) ein herausragender Europäer geehrt, der als Vermittler, Brückenbauer und entscheidender Akteur an nahezu allen Integrationsfortschritten der vergangenen zwei Jahrzehnte beteiligt gewesen ist und dem es wie nur wenigen anderen gelingt, die Menschen für das Einigungswerk zu begeistern.

Fortführung der Aufgabe

Das Karlspreisdirektorium und die Gesellschaft fühlen sich verpflichtet, die von Kurt Pfeiffer vor über fünfeinhalb Jahrzehnten begonnene Arbeit fortzuführen; denn zu Völkerverständigung und europäischer Integration gibt es, auch um Frieden, Freiheit und Wohlstand in Europa zu schaffen und zu sichern, keine Alternative. Unterstützung erfahren wir dabei von der im Jahre 1997 ins Leben gerufenen „Stiftung Internationaler Karlspreis zu Aachen“, in der europäische Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft vertreten sind. Durch ihre Veranstaltungen will die Karlspreisstiftung dem Einigungsprozess neue Impulse geben und dazu beitragen, dass die Bürger und die jungen Menschen für Europa interessiert und gewonnen werden können.

In ihrem Bemühen, den Karlspreis zu fördern, seine Unabhängigkeit zu sichern und ihm ein Netzwerk europäischer Persönlichkeiten zu schaffen, haben die Stiftungsverantwortlichen in den vergangenen Jahren bereits große Fortschritte erzielt. Es verleiht der Stiftung und vor allem der dem Karlspreis zugrundeliegenden Idee der europäischen Einigung eine noch deutlich größere Wirkung, dass mit S.M. dem König von Spanien Juan Carlos I., S.M. dem König der Belgier Albert II., S.K.H. Großherzog Henri von Luxemburg, S.E. dem Bundespräsidenten der Republik Österreich Dr. Heinz Fischer und dem Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland Dr. Horst Köhler fünf europäische Staatsoberhäupter uns die Ehre geben, die Schirmherrschaft über die Stiftung wahrzunehmen. In einem für die europäische Einigung eminent wichtigen Zeitraum wird hierdurch ein deutlich sichtbares und dauerhaft ausstrahlendes Signal für den Fortgang des Integrationsprozesses gesetzt.

Foto: Karl der Große – Bildquelle: Kathnews

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