FSSPX antwortet auf Graumann-Vorwürfe

Offener Brief von P. Franz Schmidberger an Dr. Dieter Graumann.
Erstellt von am 11. Oktober 2011 um 22:19 Uhr
P. Franz Schmidberger

Stuttgart (kathnews). Heute veröffentlichte Pater Franz Schmidberger FSSPX, der Distriktobere der Priesterbruderschaft St. Pius X. in Deutschland, einen Offenen Brief an den Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Dr. Dieter Graumann. Schmidbergers Offener Brief ist eine Antwort auf Graumanns abwertende Aussagen zur Piusbruderschaft, die er im Zusammenhang mit dem Deutschlandbesuch des Heiligen Vaters formulierte. Der Brief trägt das Datum des heutigen Dienstags, 11. Oktober 2011 und wurde am Sitz des deutschen Distrikts der Piusbruderschaft in Stuttgart unterzeichnet. Lesen Sie den Brief des FSSPX-Distriktsoberen auf kathnews.de im Wortlaut.

Der Brief von P. Schmidberger im Wortlaut

Sehr geehrter Herr Dr. Graumann,

Anlässlich Ihrer Begegnung mit Papst Benedikt XVI. bei seinem Deutschlandbesuch brachten Sie die Sprache auch auf die Piusbruderschaft.

Wörtlich sagten Sie:

„Das Thema Piusbrüder, die (nach) unserer Meinung nach wie vor für Fanatismus, Fundamentalismus, Rassismus, Antisemitismus, ja schlicht für finsterstes Mittelalter und für Unversöhnlichkeit pur stehen, schmerzt uns nach wie vor.“

Lassen Sie mich hierzu einige Anmerkungen machen.

Am 17. 9. 2011 stellte Ihnen die F.A.Z. nach Ablauf des ersten Jahres Ihrer neu angetretenen Aufgabe als Vorsitzender des Zentralrates einige Fragen. Unter anderem auch, ob es ihnen gelungen sei, eine neues „frisches, fröhliches Judentum“ zu zeigen, wie sie dies vor Ihrer Amtsübernahme angekündigt hatten.

Ihre Antwort war:

„Aber ja – und wie sogar! Denn wenn ich sehe, wie unglaublich positiv und kraftvoll sich das neue plurale Judentum in Deutschland entwickelt, ist meine Begeisterung nur ganz schwer zu bremsen.“

Was verstehen Sie, so lautet meine erste Frage, unter „pluralem Judentum“? Pluralismus steht im westlichen Wertekatalog für eine Vielfalt der Meinungen. Ist dieses plurale Judentum nur vielfältig nach innen? Heißt das, es gibt in ihrer Amtsführung eine Vielfalt, aber sie erstreckt sich allein auf die unterschiedlichen Strömungen innerhalb des Judentums?

Sie wissen so gut wie ich, Herr Dr. Graumann, dass Ihre Gemeinschaft nicht homogen ist. Am 10. März 2009 verbrannten orthodoxe Juden in Brooklyn (New York) die israelische Flagge. Ein orthodoxer Jude verlas dazu eine Erklärung:

„By burning the Israeli-Flag we are symbolically declaring that the Israeli State is not representative of the jewish people.“

In der Tat, Herr Dr. Graumann, hier ist ihr Pluralismus gefordert. Aber ist das neue Judentum, das sie verkünden, auch bereit, einen Pluralismus innerhalb der nichtjüdischen Welt anzuerkennen?

„Natürlich“, werden Sie sagen, oder mehr noch: Sie werden diese Frage mit Entrüstung zurückweisen. Der Zentralrat steht für Toleranz und Weltoffenheit, ja für freundschaftliche Beziehungen zu allen Menschen.

Anscheinend findet Ihr Pluralismus in Bezug auf die Piusbruderschaft eine Grenze. Mit der oben zitierten massierten Aufzählung von negativ konnotierten Schlagworten haben Sie klar und unmissverständlich die Grenzen Ihrer eigenen Toleranz abgesteckt.

In diesem Augenblick machen Sie sich zum Gegenpol des Papstes, der 2009 mehr Entgegenkommen gegenüber der Priesterbruderschaft St. Pius X. gefordert hat:

„Mit väterlichem Empfinden gegenüber den Betroffenen hat Papst Benedikt XVI. beschlossen, die kirchenrechtliche Situation der Bischöfe [der Piusbruderschaft] zu überdenken. Mit dieser Maßnahme möchte man die gegenseitigen vertrauensvollen Beziehungen stärken und die Verbindung zwischen der Bruderschaft St. Pius X. und dem Heiligen Stuhl festigen.“

Wer ist in diesem Augenblick der von Ihnen geforderten Pluralität der Meinungen näher: Papst Benedikt XVI. oder Sie, Herr Dr. Graumann?

Man könnte jetzt eingehen auf den Schlagwort-Katalog, mit dem Sie den Papst unpassender Weise konfrontierten. Man könnte beispielsweise fragen: Wie „fanatisch“, „fundamentalistisch“ und „antisemitisch“ es ist, wenn orthodoxe Juden – wie eingangs erwähnt – eine Israel-Flagge öffentlich verbrennen?

Doch das wäre zu einfach. Dann würden ich dort enden, wo Sie angefangen haben: Bei den inhaltsleeren Hülsen von Schlagworten, die deswegen so medienwirksam sind, weil sie ohne Reflexion nachgeplappert werden können. Sie haben in dem vorhin erwähnten Interview selber angekündigt, als neuer Vorsitzender des Zentralrates gerade nicht auf diesem Niveau verweilen zu wollen. Ihre Worte waren:

„Das Judentum darf nicht verengt werden auf Formeln wie Schoa plus Antisemitismus. Niemand muss mir sagen, dass diese Themen wichtig sind. Aber wir Juden dürfen uns doch von ihnen nicht dominieren lassen. Wir können nicht in der Vergangenheit und nicht in den uns widerfahrenen Katastrophen leben. Schon gar nicht dürfen diese unsere Identität ausmachen. Wir dürfen uns nicht auf den Status einer Opfergemeinschaft, die wir schon lange nicht mehr sind, reduzieren lassen und schon gar nicht immerzu chronisch melancholisch Trauer zelebrieren.“

Was sind Ihre Worte in der Gegenwart des Papstes anderes, als das gebetsmühlenartig Wiederholen der „Formeln wie Schoah plus Antisemitismus“, wie Sie es selbst ausdrücken? An jenem 22. September im Bundestag sind Sie Ihrem selbst gestellten Anspruch nicht gerecht geworden.

Um also dieser „Formeln“ endgültig zu überwinden frage ich Sie offen: Wie kommen Sie dazu, der Priesterbruderschaft St. Pius X. „Antisemitsmus“ vorzuwerfen?

Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Priesterbruderschaft St. Pius X. sich längst klar und unmissverständlich von den Verirrungen des Bischof Williamsons distanziert hat. Sie wissen so gut wie ich, dass Bischof Williamson wegen seiner verletzenden Äußerungen von seinem Amt als Leiter des Priesterseminars in La Reja (Argentinien) abberufen wurde, nicht zuletzt wegen des Schmerzes, den solche Worte all jenen zufügen, welche die sinnlose Verfolgung der Schoah selbst erlebet haben, ihre Nachkommen mit eingeschlossen.

Es ist also nicht glaubwürdig, wenn Sie ob der Äußerungen von Bischof Williamson die Piusbruderschaft als „antisemitisch“ bezeichnen wollten. Dann könnte man, um es in einem Vergleich zu sagen, auch die SPD als „Kinderschänderpartei“ bezeichnen, weil der ehemalige SPDBundestagsabgeordnete Jörg Tauss wegen des Besitzes von kinder- und jugendpornografischen Material rechtskräftig verurteilt wurde.

Nein, das ist es nicht. Wir wollen offen sprechen, Herr Dr. Graumann: Der Stein des Anstoßes ist nicht Williamson; auch nicht der Islam, oder eine an den Haaren herbeigezogene „Frauenfeindlichkeit“, wie Sie dies im Anschluss an Ihr Treffen in der ARD äußerten. Der Stein des Anstoßes ist einzig und allein die Frage: Ist Jesus Christus, der Sohn Mariens, der dem Judenvolk verheißene Erlöser oder nicht.

Schon Ihre Vorgängerin, Charlotte Knobloch, hat versucht, die Diskussion auf diesen Punkt zu bringen:

„Insbesondere die Karfreitagsfürbitte der tridentinischen Liturgie mit der Bitte um die Missionierung und Erleuchtung der Juden stellt für mich eine noch größere Diskriminierung dar als die Äußerungen des Herrn [Bischof] Williamson.“

Sie wissen so gut wie ich, dass die Priesterbruderschaft St. Pius X. hier nicht den Vorgaben einer nachkonziliaren „political correctness“ folgt.

Die stillschweigende, nachkonziliare Übereinkunft besteht darin, Jesus Christus wohl als den Erlöser für die Heiden, nicht jedoch für die Juden gelten zu lassen. Für das jüdische Volk gebe es, so lautet die neue Formel, einen „separaten Heilsweg“. Daher sei es nicht statthaft, für die „Bekehrung des jüdischen Volkes“ zu beten, wie dies die katholische Kirche 2000 Jahre lang getan hat, und Papst Benedikt in seiner erneuerten Karfreitagsfürbitte wieder betont.

Dieser selbstauferlegten Umdeutung des Heilsgeschehens können wir aus Gewissensgründen nicht folgen. Im Gegenteil: Wir weisen sie entschieden zurück.

Die Begründung ist klar und besonders für Sie als Juden evident: Es gibt keinen unterschiedlichen Heilsweg für Juden und Nichtjuden, weil Jesus Christus selber seiner Herkunft nach Jude ist.

Der Erlöser, an den wir glauben, ist geboren von einer jüdischen Mutter (Lk 1,26), ist aufgewachsen in einer jüdischen Familie (Mt 2,23), war einem jüdischen Stamme zugehörig (Haus David; Lk 2,4), hat sich an die jüdischen Gesetze gehalten (Lk 2,39), seine Jünger waren Juden (Lk 10,1), seine Kirche wurde zu allererst auferbaut auf Juden, nämlich den zwölf Aposteln (Mt 10,2). Ja, die Verwurzelung war so tief, dass zunächst nur jene Christen als „Vollchristen“ bezeichnet wurden, die zugleich jüdischer Abstammung waren (u.U. sogar beschnitten, vgl. Timotheus) und die Taufe empfangen hatten.

Die Spaltung kam allerdings schon zur Zeit Jesu. Die Oberpriester und Pharisäer waren nicht bereit, das Evangelium des Messias anzunehmen. Es erfüllte sich das Wort des Psalmisten: „Der Stein, den die Bauleute verwarfen, ist zum Eckstein geworden“ (Ps. 117,22). Baruch Rabinowitz fasst es in einem Satz zusammen: „Aus dem biblischen Judentum entstand das rabbinische Judentum.“

Wie kann man widerspruchsfrei behaupten: Es gibt einen jüdischen Messias – Jesus Christus – für die ganze Welt, nur für sein eigenes Volk, das Volk der Juden, sei er ohne jede Bedeutung? Wenn Jesus der Messias ist, dann ist er es gerade und besonders für das jüdische Volk, denn das ist das Volk seiner Herkunft.

Trotz ihrer, unserer Meinung nach, gehässigen Äußerungen anlässlich des Papstbesuches, steht die Priesterbruderschaft St. Pius X. nach wie vor voll und ganz zu den Worten des heiligen Paulus, der selber Jude war:

„Liebe Brüder, meines Herzens Wunsch ist und ich flehe auch zu Gott für sie [die Juden], dass sie gerettet werden.“ (Röm 10,1)

Ja, Herr Graumann, die Bischöfe und Priester der Priesterbruderschaft St. Pius X. haben eine Sehnsucht danach, dass auch das jüdische Volk Christus anerkennt als den „baruch ha ba’a b’schem haschem“ (Ps 117,26), den „Gepriesenen, der kommt im Namen des Herrn“. Diese Worte werden im lateinischen Messopfer nach dem dreimaligen Sanctus gebetet.

Im Namen Jesu gibt es keine Gewalt, wie dies Kirchenhasser unserer modernen Gesellschaft immer wieder zu behaupten suchen. Die ersten Christen haben ihren Glauben ausgebreitet, nicht weil sie Gewalt angewendet, sondern weil sie Gewalt in Liebe ertragen haben. Zu hunderttausenden wurden sie in den Arenen des römischen Imperiums getötet, während ein vom Blutrausch angestacheltes Volk grölte. Sie haben es ertragen, weil unser Messias ein gekreuzigter Messias ist.

Vielleicht lächeln sie über diesen gekreuzigten Messias, wie der bekannte jüdische Schriftsteller Heinrich Heine in seiner Dichtung „Deutschland. Ein Wintermärchen“, als er bei Paderborn ein Kreuz erblickt:

„Mit Wehmut erfüllt mich jedesmal Dein Anblick, mein armer Vetter, der Du die Welt erlösen gewollt, Du Narr, du Menschheitsretter!“

Was Heine an dieser Stelle – vielleicht ungewollt – bestätigt, ist heute aufs Neue die Stärke unserer Religion. In einer Zeit, da falsche Religionen weltweiten Terror verbreiten, da man sich erdreistet, Terror und Gewalt sogar in den christlichen Glauben zu projizieren, wie unlängst bei den Anschlägen in Norwegen, steht diese Aussage wie ein leuchtender Stern am Himmel: Christus hat im Gegensatz zu allen anderen Weltanschauungen die gewaltlose Bereitschaft gefordert, für die Wahrheit einzustehen. Also nicht „töten um des Glaubens willen“, sondern leiden um des Glaubens willen, wenn es sein muss unter Hingabe des eigenen Lebens. Das ist die eigentliche Symbolik des Kreuzes und die Lehre des Christentums.

Der Sohn Gottes mag am Kreuz machtlos erscheinen, seine Wahrheit aber ist voller Kraft und gleichzeitig Vorraussetzung für das Wirken des Heiligen Geistes. Das bringt den wahren Frieden auf Erden, nicht eine sich ewig wiederholende Gewaltspirale von „heiligem Krieg“ und „Vergeltungsschlag“, wie dies heute im Land Ihrer Väter praktiziert wird.

So will ich angesichts der von Ihnen öffentlich zitierten Schlagworte nicht aufs Neue Gräben des Hasses ausheben, sondern die Lösung zum Frieden auch und gerade für das Land der Verheißung zitieren, die aus dem Lukas-Evangelium stammt:

„Als Jesus die Stadt [Jeruschalaim] sah, weinte er und sprach: ‚Wenn doch auch du erkannt hättest, was dir zum Frieden dient“ (Lk 19,41)

Ich möchte schließen mit der Reminiszenz an die heilige, jüdische Ordensschwester, Dr. Edith Stein – Sr. Theresia Benedicta a Cruce. Das Schicksal dieser Frau ist zudem die Antwort auf Ihre völlig falsche Beurteilung von Pius XII, dessen Seligsprechung Sie in Ihrer Rede ablehnen.

Ihr Tod in Auschwitz ist der schmerzliche Beweis dafür, dass das Schweigen von Papst Pius XII. vielen Hundertausenden von Juden das Leben gerettet hat. Edith Stein wurde am 2. August 1942 aus dem Karmel von Echt (NL) deportiert als Racheakt auf ein offizielles Hirtenschreiben der holländischen Bischöfe. Pius XII. wusste, dass die Klöster in und um Rom zum Bersten gefüllt waren mit Juden, die man dort versteckte, um sie vor dem sicheren Tod zu bewahren. Was die holländischen Bischöfe durch ihr unkluges Schreiben verursacht haben, hat Pius XII. durch seine Klugheit verhindert: Jede Provokation hätte die Deportation aller „nichtarischen“ Klosterinsassen und damit den sicheren Tod für tausender Ihrer Vorfahren bedeutet. Die Kirche hat – das zu Ihrem geschichtsverfälschenden Vorwurf des „Schweigens“– bereits in der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ unter Pius XI. den Nationalsozialismus verurteilt, zu einer Zeit also, da England und andere europäische Länder noch mit Hitler paktierten.

Es war am letzten Tag vor ihrem Ordenseintritt in den Karmel. Es war Ediths Geburtstag und zugleich jüdischer Festtag, der Abschluss de Laubhüttenfestes. Auf dem fast einstündigen Heimweg von der Synagoge versucht die Mutter vergeblich, Edith Stein von ihrer Berufung als Ordensschwester zurückzuhalten. Die Worte dieser alten Frau bringen die gesamte theologische Auseinandersetzung auf einen Punkt:

„Warum hast du es [den katholischen Glauben] kennengelernt. Ich will nichts gegen ihn [Jesus Christus] sagen, er mag ein sehr guter Mensch gewesen sein. Aber warum hat er sich zu Gott gemacht?“

Wegen ihrer jüdischen Herkunft wird Sr. Maria Benedicta neun Jahre später von der Gestapo verhaftet. In einem Brief an ihre Ordensoberin schreibt sie:

„Bitte erlauben [Sie] mir, mich dem Herzen Jesu als Sühnopfer für den wahren Frieden anzubieten: Dass die Herrschaft des Antichristen wenn möglich ohne einen neuen Weltkrieg zusammenbricht und eine neue Ordnung aufgerichtet werden kann“

Mögen die Worte dieser heiligen Ordensfrau in Erfüllung gehen.

Pater Franz Schmidberger, Stuttgart

Foto: Pater Franz Schmidberger – Bildquelle: fsspx.info

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