Erzbischof von Utrecht: „Wir brauchen ein Lehrschreiben über Gender“

Kardinal Willem Jacobus Eijk, Erzbischof von Utrecht, hat keine Zweifel: Es "braucht dringend" ein Dokument des römischen Lehramts zur Gendertheorie.
Erstellt von kathnews-Redaktion am 10. März 2017 um 13:40 Uhr
Petersdom

Von Andrea Gagliarducci:

Utrecht (kathnews/CNA Deutsch). Nicht, weil sich die Kirche nicht zum Thema geäußert hätte, sondern weil ein verständliches Dokument nötig sei, das diesem gewidmet ist, um den Menschen die Sicht der Kirche grundlegend zu erklären, erklärte der niederländische Kardinal. Ein Dokument, dass dem Druck entgegenwirken kann, der zu diesem Thema von den großen internationalen Organisationen kommt.

In einem Interview haben Sie gesagt, es würde eine Enzyklika zur Gendertheorie brauchen. Denken Sie das immer noch?

Im November wurde ich in einem Interview gefragt, ob nicht ein Dokument des römischen Lehramtes zur Gendertheorie  nützlich wäre. Ich habe sofort Ja gesagt. Ich würde nicht sagen, dass es unbedingt eine Enzyklika sein muss. Es kann auch eine andere Art von Dokument sein, wie eine Instruktion von Seiten der Kongregation für die Glaubenslehre. Wichtig ist jedoch, dass es ein maßgebendes Dokument der Kirche zu dieser Theorie ist. Denn wir beobachten, dass internationale Organisationen viel Druck ausüben, diese Theorie einzuführen, vor allem auf dem Gebiet der Erziehung.

Glauben Sie, dass die Kirche das Thema der Gendertheorie unterschätzt hat?

Die Kirche hat sich viele Male zur Gendertheorie  geäußert. Der Heilige Vater, beispielsweise, unter Nummer 151 in der Enzyklika Laudato Si und auch im nachsynodalen apostolischen Schreiben Amoris Laetitia – aber nicht als zentrales Thema. Angemessen wäre hingegen ein Dokument, das sich auf das Thema der Gendertheorie  konzentriert. Die Leute brauchen das, denn sie hören davon in den Medien, in der Politik, in den Schulen, überall. Die Kirche ist vor allem auch gerufen, ihre Sicht darzubieten.

Was sind, ihrer Meinung nach, die Themen, die in einem eventuellen Lehramtsdokument hervogehoben werden sollten?

Man muss den Leuten klar machen, warum die Kirche die Gendertheorie  nicht akzeptiert. Gender bezeichnet eine soziale sexuelle Rolle der Frau und des Mannes. Diese Rollen werden in gewisser Weise als „austauschbar“ betrachtet und als abhängig von Kultur und Geschichte. Man kann über die Veränderung der sozialen Rolle von Mann und Frau diskutieren. Der Punkt ist jedoch, dass die Gendertheorie  impliziert, dass die Rolle des Mannes und der Frau komplett vom biologischen Geschlecht gelöst sei. Das ist unvereinbar mit der Sicht der Kirche zum Menschen, mit der Heiligen Schrift, die die Grundlage der Lehre ist.

Was ist die Sichtweise der Kirche?

Die Gendertheorie  basiert auf einer dualistischen Anthropologie, die die menschliche Person auf das menschliche Bewusstsein reduziert, bei der das Zentrum der rationalen Tätigkeit, der autonomen Entscheidungen und der typische menschlichen sozialen Fähigkeit im Gehirn liegt. Die Gendertheorie sieht den Körper als etwas Sekundäres an, als etwas der menschlichen Natur „Außerliches“, der nicht teilhat an der Würde der Person als solche. Sie sieht ihn nicht als intrinsischen Wert der Person. Die grundlegende Frage ist: Welchen Wert hat für mich der menschliche Körper? Eine Frage, die eine andere mit sich bringt: Welchen Wert hat das biologische Geschlecht? Für die Kirche ist das biologische Geschlecht in Einklang mit dem menschlichen Körper der menschlichen Natur intrinsisch. Es ist offensichtlich, dass die Gendertheorie  so der Sichtweise der katholischen Kirche entgegengesetzt ist. Die Sicht der Kirche kann man übrigens auch verstehen, wenn man sich auf die rein menschliche Vernunft gründet, mit philosophischen Argumenten, auch ohne Bezug auf die Offenbarung zu nehmen.

Worauf basiert die katholische Sichtweise?

Sie gründet in erster Linie auf der Heiligen Schrift. Gemäß der Schrift gehört der menschliche Leib wesentlich zum Menschen, er hat auch teil an der Würde der menschlichen Person. Wie Gaudium und Spes sagt: Wir sind „corpore ed anima unus.“ Wir besitzen eine materielle und eine spirituelle Dimension und beide sind für uns als menschliche Wesen essentiell. Darin können wir die Gendertheorie nicht akzeptieren. Wenn der Leib für die menschliche Person wesentlich ist, dann betrifft das auch das biologische Geschlecht.

Die Loslösung des Leibes von der menschlichen Person ist etwas, das man auch in den Forderungen der Befürworter von Abtreibung und Euthanasie beobachtet. Gibt es eine Eskalation bei diesem Thema?

Da die Sicht der aktuellen Welt den Körper als etwas der menschlichen Person Extrinsisches ansieht und folglich als reines Mittel, das Wert hat je nach dem wie er ihm von der menschlichen Person beigemessen wird, wird dem Menschen das Recht gegeben, über den Leib in beträchtlicher Weise zu verfügen. Vielleicht in totaler Weise. Und die drastischste, radikalste Weise, über den Körper zu verfügen, sind die Euthanasie, die sogenannte Sterbehilfe, und die Beendigung des Lebens ohne Aufforderung durch die betroffene Person. Dabei verfügt man auf radikale Weise sogar über Leben und Tod.

Ist es daher dringend, diese Themen anzugehen?

Diese dualistische Anthropologie durchzieht die ganze Gesellschaft, sie hat Einfluss auf fast alle Bereiche des Denkens, einschließlich der medizinischen Ethik, und verändert die Art und Weise sich selbst zu sehen und wahrzunehmen. Daher ist er mehr als dringlich, die wahre Sicht des Menschen in dieser Welt darzustellen. Ansonsten werden wir den Weg verfehlen.

Es scheint, als würde die Kirche bei diesem Thema nicht wirklich gehört werden…

Ich möchte der Kirche oder dem Lehramt nichts vorwerfen, denn das römische Lehramt hat viele Dokumente veröffentlicht, es gibt viele wichtige Reden. Auch die Bischöfe tun das, was möglich ist. Auch die Priester. Aber die Medien nehmen den Geschichtspunkt der Kirche nicht auf. Es gibt eher eine gewisse Tendenz, sich auf Skandale zu konzentrieren. Die negativen Nachrichten ziehen die ganze Aufmerksamkeit an sich, und der Grund dafür ist in der heutigen Mentalität zu finden. Sobald, beispielsweise, ein Politiker etwas Negatives tut, auch wenn es eine kleine Sache ist, wird das als ein Skandal gewertet und es kann ihn seinen Sitz im Parlament oder in der Regierung kosten. Wir leben in dieser Situation, die sehr angespannt ist und daher dazu führen kann, dass die Objektivität der Nachrichten in den Medien abhanden kommt.

Welche Verantwortung haben die Medien?

DieMedien haben die große Verantwortung, zu informieren. Wir hören viele Skandalnachrichten, wenig gute Nachrichten. Und die gibt es. Wenn wir uns nur von den Massenmedien leiten lassen, bekommen wir die Idee einer apokalyptischen Situation. Das ist nicht vernünftig. Von vielen negativen Nachrichten ist am nächsten Tag nichts mehr zu merken. Man muss die Nachrichten selektiv auswählen. Der größte Teil der Gesellschaft denkt, er sei autonom, aber letztendlich ist er das nicht. Die Soziologen sagen, dass es einen Konformismus in der Welt gibt, wie man ihn in der Vergangenheit nie gesehen hat.

Wie kann die Kirche also diese Schlacht gewinnen?

Es ist wichtig, dass die Kirche ihre eigenen Medien betreibt. In Holland, beispielsweise, sind die katholischen Zeitungen in den 60ern verschwunden, die Abonnentenzahlen waren ungenügend. Man muss klare Entscheidungen treffen und die katholischen Medien, die es noch gibt, unterstützen. Auch die Diözesen müssen attraktive Websites unterhalten, die up to date sind. Das ist nicht leicht, aber es ist möglich. Die Menschen, die noch glauben, suchen die Nachrichten, die von den Bischofskonferenzen und den Diözesen veröffentlicht werden.

Ist es wichtiger, die Wahrheit zu verbreiten, als konkret den Armen zu helfen,um zu evangelisieren?

Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen. Diejenigen, die nicht materiell arm sind, können spirituell sehr arm sein. Und wir müssen auch an jene denken, die spirituell arm sind, weil sie nie die Wahrheit gehört haben. Wir müssn versuchen, den Glauben an Christus so viel wie möglich zu verkünden. Das ist heute schwierig, denn die Kirche hat immer weniger Kräfte: weniger Priester, weniger Diakone, weniger Freiwillige als in der Vergangenheit. Aber durch die digitalen Medien gibt es auch mehr Möglichkeiten, die Menschen zu erreichen, als in Vergangenheit.

Foto: Petersdom – Bildquelle: Radomil, CC

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