Eine Erinnerung an den Ahnvater der deutschsprachigen Liturgiewissenschaft zum 200. Geburtstag Valentin Thalhofers

Von Clemens Victor Oldendorf.
Erstellt von Clemens Victor Oldendorf am 25. Januar 2025 um 11:14 Uhr

Am 21. Januar 1825 wurde im damals 89 HĂ€user umfassenden und circa 520 Einwohner zĂ€hlenden Dorfe Unterroth bei Illertissen, nicht weit entfernt von Ulm, Valentin Thalhofer (1825-1891) geboren. Vor wenigen Tagen also hĂ€tte er seinen 200. Geburtstag gefeiert. Wenn in der Welt der klassischen Musik Wien und ganz Österreich 2025 des 200. Geburtstages des Komponisten Johann Strauss (1825-1899) gedenkt, so ist es aus dem entsprechenden Anlass vollauf berechtigt, in Kirche und Theologie im deutschen Sprachraum, besonders im Fachbereich der Liturgiewissenschaft, das Jahr 2025 als 200. Geburts- und JubilĂ€umsjahr zum Andenken an Valentin Thalhofer anzusehen.

Bei ihm handelt sich um den Priester und Theologieprofessor, der im 19. Jahrhundert die Liturgiewissenschaft in Deutschland möglicherweise am markantesten und nachhaltigsten geprĂ€gt hat. Dabei war es sein Verdienst, sie nicht bloß als reine Rubrizistik betrachtet und betrieben zu haben, die den angehenden Geistlichen das RĂŒstzeug und die Kenntnisse vermittelt, um die amtlich vorgeschriebene Liturgie in ihren Ă€ußerlichen AblĂ€ufen formal korrekt durchfĂŒhren zu können. Vielmehr war sein Blick auf den kirchlichen Gottesdienst, auf seine Sakramente und Opferfeier einerseits von geschichtlichem, andererseits von systematisch-dogmatischem Interesse angetrieben und geleitet. So wird er denn auch gerne als VorlĂ€ufer heutiger Liturgiewissenschaft in Anspruch genommen, und doch gilt das zunehmend höchstens noch fĂŒr die historische Ausrichtung des Fachs.

Valentin Thalhofers Lebensthema

Oftmals beobachtet man bei Wissenschaftlern aller Disziplinen und bei Professoren und akademischen Lehrern im weiteren Sinne Themen, die sie schon wĂ€hrend der eigenen Studienjahre beschĂ€ftigt und fasziniert haben und dann ein Leben lang nicht mehr loslassen. In den gĂŒnstigsten FĂ€llen gelingt es ihnen, ihre Begeisterung fĂŒr eine Fragestellung an kommende Generationen von Studenten weiterzugeben, und es prĂ€gt sie selbst das Interesse daran nicht nur wissenschaftlich-abstrakt, sondern ganz konkret und persönlich-individuell. Auf Valentin Thalhofer trifft dies in ausgesprochenem Maße und sogar auffallend zu. Die große Faszination seines Lebens als Priester und seiner Überzeugung als Theologe war dabei der Gesamtradius der Thematik des Opfers, insbesondere der Vorbildcharakter der Opfer des jĂŒdischen Tempels zu Jerusalem wĂ€hrend des Alten Testamentes und zur Zeit Jesu, die im Kreuzestod Jesu Christi, als dem einen welterlösenden Kreuzesopfer, ein fĂŒr allemal ihre reale ErfĂŒllung fanden.

Ein Spezifikum des Thalhofer’schen Zugangs ist dabei die SchlĂŒsselrolle, die der HebrĂ€erbrief und das Opfer des jĂŒdischen Hohepriesters am Versöhnungstag, am Jom Kippur, fĂŒr das VerstĂ€ndnis und die ErklĂ€rung der heiligen Messe als des eucharistischen Opfers spielen. Die Kernstelle bildet dabei fĂŒr ihn Kapitel 8 und darin die Verse 1-4.

Dieses thematische Kontinuum bei Thalhofer zeigt sich in der Genese seiner hauptsĂ€chlichen Publikationen. Seine theologische Dissertation von 1848 fasste „Die unblutigen Opfer des mosaischen Cultes: ihre Liturgie, ihre symbolisch-typische und dogmatische Bedeutung“ ins Auge, 1855 gefolgt von der Schrift „Die Opferlehre des HebrĂ€erbriefes und die katholische Lehre vom hl. Meßopfer“. 1870 erschien „Das Opfer des alten und des neuen Bundes mit besonderer RĂŒcksicht auf den HebrĂ€erbrief und die katholische Meßopferlehre exegetisch-dogmatisch gewĂŒrdiget“, ein Buch das eigentlich als das ausgereifte, endgĂŒltige Stadium von Thalhofers OpferverstĂ€ndnis und seiner Anwendung auf die Messe und auf deren Liturgie angesehen werden könnte. Gleichwohl muss zusĂ€tzlich sein „Handbuch der katholischen Liturgik“ in dessen erster Auflage und insbesondere in dessen Band I von 1883 ebenfalls noch hinzugezogen, mit den zuvor genannten Veröffentlichungen in eine Reihe der Chronologie wie der gedanklichen Entwicklung gestellt werden, denn darin geht Valentin Thalhofer auf EinwĂ€nde ein, die seiner Auslegung des HebrĂ€erbriefs und seiner daraus entwickelten Messopfertheorie besonders nach 1870 begegnet waren.

Das Bestreben, die ZurĂŒckweisungen seines Ansatzes zu entkrĂ€ften und möglichst zu widerlegen beziehungsweise, die Überzeugungskraft der eigenen Interpretation nachzuweisen, fĂŒhrt in Band I seiner Liturgik zu einer beeindruckend konzisen Darstellung des Viererschritts: Opfer des Versöhnungstages im Tempel zu Jerusalem; Kreuzestod Jesu Christi als voll- und endgĂŒltiges Erlösungsopfer; das himmlische Opfer gemĂ€ĂŸ HebrĂ€erbrief; der Opfercharakter der Messe auf Erden.

Band II der Liturgik trĂ€gt zwar merkwĂŒrdigerweise das Erscheinungsjahr 1890, war aber tatsĂ€chlich erst seit 1893 verfĂŒgbar und teils aus nachgelassenen Aufzeichnungen soweit möglich vervollstĂ€ndigt worden, dennoch Fragment geblieben, war doch Professor Thalhofer bereits am 17. September 1891 wĂ€hrend eines lĂ€ngeren Erholungsurlaubes im heimatlichen Unterroth verstorben.

Biblische Opferlehre als bleibender theologischer Quell der BeschÀftigung

Thalhofers originĂ€re und auf weite Strecken unbestreitbar geniale Messopfertheorie verdient es, nicht nur theologiegeschichtlich weiterhin beachtet, sondern systematisch-spekulativ fruchtbar gemacht zu werden. Denn trotz aller Auseinandersetzung mit Thalhofers These und trotz der ReibeflĂ€che, die vorrangig zeitgenössische Dogmatiker darin erblickten, blieb ihre konstruktive Aufnahme bisher weitestgehend aus, obwohl sie in wirklich einzigartiger Weise die IdentitĂ€t von Kreuzesopfer und Messopfer hinsichtlich von Opfergabe und Opferpriester betont sowie den SĂŒhnemoment jedes Opfers herausstellt und zudem spezifisch auf einer PrĂ€senz und IdentitĂ€t des Opferaktes im Kreuzes- und in jedem Messopfer besteht.

VerstĂ€ndnisschwierigkeiten ĂŒberwinden

Oft wird gesagt, unter den Theologen bestehe die Schwierigkeit, Thalhofers These in die nachtridentinischen Grundkategorien der Destruktionstheorie gegenĂŒber der Oblationstheorie einzuordnen oder sie kĂ€men dabei zu widersprĂŒchlichen EinschĂ€tzungen; seien sich im Ergebnis uneinig. Dies allein schon deutet wohl darauf hin, dass Thalhofers Aussagen nie konsequent im Zusammenhang ihrer Entwicklungsstufen und in ihrem letztgĂŒltigen Ergebnis zutreffend aufgefasst worden sind. Das mag dadurch erschwert worden sein, dass Thalhofer sich von 1847/1848 an praktisch bis zu seinem Tod mit der Thematik auseinandergesetzt hat.

Gerade Priester und Theologen, die heute der Tradition in Theologie und Liturgie verbunden sind, sollten Valentin Thalhofer in dessen 200. Geburtsjahr neu entdecken und wĂŒrdigen, denn so können sie unter Beweis stellen, dass Überlieferungstreue nicht einem mechanischen Ritualismus frönt. Sie ist auch nicht ein verĂ€ußerlichter Triumphalismus oder Anachronismus. Sie muss theologisch fundiert und begrĂŒndet sein und vor allem aufzeigen, wie und warum die Eucharistie Opfer ist und dabei in AbhĂ€ngigkeit von der Einmaligkeit des Kreuzesopfers steht, ohne zu dieser Einmaligkeit und VollgĂŒltigkeit in Konkurrenz oder Widerspruch zu treten.

Ein JubilĂ€umsjahr fĂŒr den Heimatort Thalhofers

In Unterroth, dem Geburts- und Sterbeort Valentin Thalhofers, sollte das Jahr 2025 bewusst unter dem Motto: „200 Jahre Valentin Thalhofer“ stehen. Eine schöne Möglichkeit, dauerhaft daran zu erinnern, wĂ€re es, wĂ€hrend des JubilĂ€ums eine Straße oder einen Platz etwa im Neubaugebiet nach Thalhofer zu benennen, an einem zentralen, geeigneten Ort eine Stehle mit seiner BĂŒste aufzustellen, die vielleicht auch als Brunnen gestaltet werden könnte. Wenigstens sollte das Geburtshaus in der MĂŒhlbachstraße 11 (eine frĂŒhere Hausnummer war 42, das Anwesen trĂ€gt den alten Hausnamen Beim Studer) wieder mit einer Gedenktafel ausgestattet werden, die bereits einmal vorhanden war, im Zuge von Modernisierungs- und Renovierungsarbeiten heute aber leider verschollen ist. Eine neu angebrachte Inschrift wĂŒrde sicherlich das Geschichtsbewusstsein der heutigen Bewohner und der ganzen Ortsgemeinde wecken und wachzuhalten helfen. Vor allem der Pfarrgemeinde sollte es ein Anliegen sein, dem Leben und Werk Valentin Thalhofers in Zukunft wieder dankbare Anerkennung zu zollen und mit berechtigtem Heimatstolz die gebĂŒhrende WertschĂ€tzung  fĂŒr seine Leistungen zu zeigen.

Foto: Geburtshaus von Valentin Thalhofer – Bildquelle: Archiv Oldendorf

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