Ein Ritter des Christk̦nigs РErinnerungen Pater Franz Schmidbergers erschienen

Eine Buchbesprechung von Clemens Victor Oldendorf.
Erstellt von Clemens Victor Oldendorf am 31. Oktober 2021 um 00:40 Uhr
P. Schmidberger (FSSPX)

Das Buch Erinnerungen. Vom Bauernbub zum Generaloberen, das im Bobinger Verlag Sarto erschienen ist, vermittelt ein anschauliches Lebenszeugnis – und ist zugleich trotz aller Knappheit des Umfangs ein inhaltlich monumentales Dokument jüngerer kirchlicher Zeitgeschichte. Pater Franz Schmidberger FSSPX (*1946) gibt darin Einblick in seinen biographischen Hintergrund und die Weggabelungen und Stationen seines Lebens, die engstens mit den Anfängen und Entwicklungen der 1969 entstandenen und ursprünglich 1970 kirchenrechtlich errichteten Priesterbruderschaft St. Pius‘ X. zusammenhängen beziehungsweise weitgehend parallel dazu verlaufen. Der Leser gewinnt dabei einen sogar noch weiter gefassten Eindruck von den ersten Motiven, Reaktionen und Versuchen, den Auswirkungen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) zu begegnen, die Ãœberlieferung des katholischen Glaubens zu verteidigen und zu bewahren, zunächst liturgisch verkörpert vor allem in der heiligen Messe des römisch-tridentinischen Ritus.

So begegnet man während der Lektüre vielen Namen von Priesterpersönlichkeiten und auch Laien, die sich für diese überlieferte Liturgie einsetzten und daran festhielten, als sie infolge der nachkonziliaren Liturgiereform verschwinden sollte. Ein Vorwort an den Leser[1] hat Schmidberger auf den 16. Juli 2021 datiert, nicht nur das Fest Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel, sondern auch überschattet vom Erscheinen des neuen Motu Proprio Traditionis Custodes, einem neuerlichen Anlauf oder Rückfall in die erbitterte Entschlossenheit, die liturgische Tradition im Sinne ihres organischen Werdens und Lebens abzubrechen und nunmehr endgültig zum Erlöschen zu bringen. Gerade darin zeigt sich die Aktualität des Anliegens und ebenso, dass es in den unmittelbaren Nachkonzilsjahren nicht etwa nur oder in erster Linie um ästhetisch-kulturelle Vorlieben oder liebgewonnene, vertraute Formen ging, um Beweggründe also, die letztlich über reine Gewohnheit, seichte Nostalgie oder fromme Sentimentalität nicht hinausgekommen wären.

Der Titel, der dieser Buchempfehlung gegeben wird, soll Pater Schmidberger nicht etwa ironisch als eine Art klerikalen Don Qujiote apostrophieren, sondern nimmt einerseits Bezug auf das Wappen der Familie Schmidberger, das gleich eingangs im Buch abgebildet ist und aus dessen Bildlegende man die historische Information erfährt, dass die Ahnherren des Autors einst ein österreichisch-vorarlbergisches Rittergeschlecht bildeten[2], andererseits die Christkönigsidee trefflich die ganzheitliche Motivlage der Traditionalisten der ersten Stunde beschreibt und verständlich macht, die Schmidberger prägte beziehungsweise zu denen er bis heute, nicht als stummer Zeitzeuge, sondern als unvermindert entschlossen-tatkräftiger Repräsentant der Anfänge gehört.

Deswegen auch sollte diese Buchbesprechung, dem traditionellen liturgischen Kalendarium folgend, am diesjährigen Christkönigssonntag veröffentlicht werden. Hinzu kommt noch, dass, wie wir noch sehen werden, eine ganz wichtige und frühe Episode und Entscheidung im Leben des Studenten Franz Schmidberger terminlich in das dichte Umfeld dieses Festes gefallen ist, was man oberflächlich oder nüchtern Zufall nennen mag, worin man mit den Augen des Glaubens indes mindestens ebensogut eine Fügung und, unterstrichen und bekräftigt vom Wissen aus der Rückschau, ein Schlüsselereignis des weiteren Lebensweges erkennen kann.

Kindheit und Jugend schildert Schmidberger geradezu malerisch eingebettet in eine vom praktizierten katholischen Glauben wie natürlich geprägte Familie und Dorfgemeinschaft seiner schwäbischen Heimat Göffingen. Ein Nebensatz illustriert dies fast lapidar: „abgesehen von einigen nach dem Zweiten Weltkrieg angesiedelten Protestanten und drei wenig gläubigen Bauern“[3].

Nach dem Abitur 1966 entschied er sich für ein Studium der Wirtschaftsmathematik. Während die Mutter sich schon um ein Studentenzimmer im nahen Tübingen bemüht hatte, konnte diese Studienrichtung erst im weiter entfernten München aufgenommen werden. So war diese Option ein erster Akt der Abnabelung und Verselbständigung, vor allem aber wohl auch ausschlaggebend für die Reifung einer priesterlichen Berufung und für die anschließende Entscheidung, ihr zu folgen: „Am 30. Oktober, es war das Christkönigsfest fuhr ich am Nachmittag mit dem Zug nach München, um mich tags darauf an der Ludwig-Maximilians-Universität zu immatrikulieren.“[4]

Während sich das Buch auf weite Strecken liest wie ein Almanach des frühen nachkonziliaren Traditionalismus in seinen sich schon damals abzeichnenden Schattierungen und unterschiedlichen Tendenzen, in dem man in dichter Folge den Namen und Persönlichkeiten begegnet, die dieses Milieu ausmachten, ist der Name eines Veterinärmediziners, „der in München studiert und sich dort niedergelassen hatte“[5], stets mit „Dr. H.“[6] nur abgekürzt und anonymisiert angegeben. Und doch kam diesem eine offenbar entscheidende Rolle zu, den jungen Schmidberger mit dem Kreis um den Philosophieprofessor und Fichte-Fachmann Reinhard Lauth in Berührung zu bringen: „Öfters kam es (…) zu Gesprächen zwischen Prof. Lauth und Dr. H., an denen auch ich teilnehmen konnte.

Dabei ging es vor allem um Fragen der kirchlichen Fehlentwicklungen, um verhängnisvolle Reformen, wie z.B. die Abschaffung des Lateins in der Liturgie. Mehr und mehr ersetzte in der Tat die Volkssprache diesen wertvollen Schatz, zum Teil sah man sich bereits selbstgebastelten Texten und Gesten in der Zelebration gegenüber. In der Theatinerkirche wurde noch jeden Sonntag ein lateinisches Amt mit hervorragendem Gesang gefeiert, freilich etwas ästhetisierend. So suchten wir weiter und fanden im Frühjahr 1968 die Kirche St. Benno, Stadtpfarrkirche der größten Pfarrei Münchens. Der dortige fast siebzigjährige Pfarrer Josef Maierhofer, eine wahre bayerische Eiche, zelebrierte jeden Sonntag ein lateinisches Amt mit wenigen abweichenden Details und war den Reformen gegenüber skeptisch.“[7]

Im geistigen Umkreis des Professor Lauth und in St. Benno beheimaten sich in weiterer Folge Franz Schmidberger und Klaus Wodsack, der später ebenfalls Lefebvrepriester wurde und wiederholt in Schmidbergers Schilderung vorkommt. Seinerzeit freilich gab es in München noch vereinzelte andere Kirchen, in denen verschiedene Geistliche der traditionellen Messe verbunden blieben. Die Damenstiftskirche, wo Pfarrer Wiesheu zelebrierte, gehörte schon damals dazu und tut es prinzipiell bis heute, wenn auch ihr Gewölbe derzeit einsturzgefährdet ist, was hoffentlich keine sinnbildliche Bedeutung hat. Professor Scheuermann, dessen außergewöhnlicher Vorname Adomar daher rührte, dass er eine Zeitlang dem Franziskanerorden angehört hatte, dann aber zum Diözesanklerus übergetreten war, dabei aber seinen Ordensnamen beibehielt, las seine Messe in der Münchner Heilig-Geist-Kirche. Schmidberger nennt in diesem Kontext auch die Stadtpfarrkirche St. Peter, wo jedoch meist ein konservativer, lateinischer Novus Ordo gefeiert worden sei.[8] Obwohl die Erinnerungen immer wieder durch Anekdoten aufgelockert werden, scheint man in St. Peter damals noch nicht so weit gewesen zu sein, dass in die Sakristei eintretende, durchreisende Priester vom Mesner gefragt worden wären: „Lateinisch oder deutsch, alt oder neu?“, wie das zumindest unter der Geltung und Atmosphäre von Summorum Pontificum kolportiert wurde. Wer weiß, ob es jetzt noch so ist?

Der Name eines weiteren späteren Mitbruders in der Priesterbruderschaft, Michael Wildfeuer, fällt ebenso wie der des Priesters Dr. Otto Katzer, und sie erweitern so das Who is who, das uns das Buch präsentiert[9], zu dem auch viele engagierte Laien zählen, darunter resolute Damen, etwa Frau Dr. Elisabeth Gerstner[10].

Schmidberger war offensichtlich sehr kontaktfreudig, knüpfte beispielsweise Verbindungen zum Pfarrer von Schondorf, Dr. Gehring, oder in der Benediktinerabtei St. Ottilien zum arrivierten Latinisten Pater Caelestis Eichenseer OSB an, die beide ebenfalls an der lateinischen Messe im überlieferten Ritus festhielten, welche Schmidberger gern besuchte; sonntags blieb tunlichst die Bindung an St. Benno und den dortigen Freundeskreis aufrecht.[11]

Der 8. Dezember und der Sonntag Gaudete als wiederkehrende Schlüsseltage

Die Entscheidung, Priester zu werden, war am 8. Dezember 1971 definitiv gefallen, wenig später über Professor Lauth der Kontakt zu Erzbischof Lefebvre und nach Ecône geknüpft worden.[12] Doch zuerst schloss Franz Schmidberger sein Mathematikstudium ab. Am 8. Dezember 1975 war die Priesterweihe in Ecône. Die Schilderung der Zwischenzeit ist sehr lebendig und konkret und macht deutlich, dass das Anliegen kein museales  oder prinzipiell stures war, ging man in den Anfangsjahren doch sogar die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils bis zum Stand und Stadium von 1965 mit, wenn auch Schmidberger damit von Anfang an nicht ganz glücklich war.[13] Wichtig scheint mir als Leser und Rezensent zu sein, dass man zwischen einer moderaten Reform, die sich tatsächlich auf den Auftrag des Konzils berufen konnte und einer radikalen Neuordnung unterscheiden muss, die zwar auf die Autorität Papst Pauls VI. gestützt war, jedoch aus dem natürlichen und organischen Werden eines Ritus ausgebrochen ist.

Genau dies muss man heute der Argumentation von Papst Franziskus in Traditionis Custodes und insbesondere im erläuternden Begleitschreiben energisch entgegenhalten. Das gilt freilich ähnlich für die liturgischen Bücher von 1962, die ab 1983 innerhalb der Priesterbruderschaft St. Pius‘ X. zur strikten Norm geworden waren.[14] Hier muss man Pater Schmidberger doch zu bedenken geben, dass Skepsis oder Ablehnung dieser Editio typica gegenüber nicht zwangsläufig einer sedisvakantistischen Position entspringen müssen und dass eine Liturgie, die, was sogar gerade von der rituellen Karwochenreform Pius‘ XII. gilt, gesamtkirchlich maximal zehn Jahre, eher weniger, in Kraft war, schlecht die gewachsene liturgische Tradition des Ritus Roms zum Ausdruck bringen kann, wenn er in vielen Punkten bereits erkennbar von jahrhundertealtem gottesdienstlichen Brauch abweicht.

Dieser Einwand bleibt selbst dann bestehen, falls durch diese ersten Reformschritte wirklich nicht direkt dem Glauben Abbruch getan oder geschadet worden sein sollte.[15] Dass Erzbischof Lefebvre 1983 verbindlich zu den liturgischen Büchern von 1962 überging, entsprang bekanntlich unter anderem einer diplomatischen, pragmatischen oder auch taktischen Überlegung, denn damals hörte man erste Andeutungen über ein bevorstehendes Altritus-Indult, das diese Ausgabe des tridentinischen Messbuchs zur Grundlage machen würde. 1984 kam es so und wollte der französische Prälat die Gesprächsbasis mit Rom günstig beeinflussen, indem in diesem Punkt keine liturgischen Differenzen zwischen der Bruderschaft und Rom bestehen würden. Doch wir greifen hier weit voraus und stellen bereits Anwendungen und Anregungen für die Situation 2021 und die weitere Zukunft in den Raum, was freilich daran liegt, dass sie wieder sehr den 1970er Jahren ähnelt und sogar hinter das erste weltkirchliche Indult von 1984 zurückfällt.

Nehmen wir den chronologischen Faden im Jahre 1973 wieder auf, ist der Name des Chinamissionars Bischof Blasius Kurz OFM zu nennen. Dieser war zeitweilig in den USA gewesen und hatte dort Katholiken um Father Gommar DePauw in ihrer Treue zur Überlieferung gestärkt. Da er formal noch einer Apostolischen Administratur vorstand, konnte er in diese Priester inkardinieren. 1970 hatte er den Schweizer Dr. Felix Jeker zum Priester geweiht und inkardiniert, am 21. September 1973 Dr. Günther Storck aus Schmidbergers Kreis um Professor Lauth. Bei einem ersten, frühen Deutschlandbesuch Lefebvres war in München eine Begegnung der beiden gleichgesinnten Bischöfe beabsichtigt gewesen. Bedauerlicherweise war der Franziskanerbischof tags zuvor verstorben.[16]

Dieses Beispiel zeigt jedoch schön, dass Lefebvre in jenen Jahren nicht ganz allein stand und auch kein Monopol beanspruchte in der Verteidigung und Fortführung der Tradition. Eine zweite Reise führte den Erzbischof im Jahr darauf erneut nach Deutschland. Diesmal konnte er in der Pfarrkirche von Schmidbergers Heimatort ein Hochamt zelebrieren. Etwas lustig in der Formulierung schreibt Schmidberger, er habe zu diesem Anlass, dem Sonntag Gaudete 1974, im Prämonstratenserkloster Obermarchtal „jenes Messgewand [erbeten], das Marie-Antoinette als Hochzeitskleid bei der Vermählung mit Ludwig XVI. in Paris getragen hatte“[17]. Sie wird kaum ein Messgewand als Hochzeitskleid getragen haben, vielmehr wird das Hochzeitskleid später zum Messgewand umgearbeitet worden sein.

Ende Mai 1975 unternahm Erzbischof Lefebvre mit seiner Bruderschaft die Heilig-Jahr-Wallfahrt nach Rom, und die Deutschen Schmidberger und Wodsack waren dabei: „In der Kirche Santa Maria Maggiore versuchten zwei Zeremoniare des Heiligtums, den Erzbischof zu zwingen, die neue Messe zu zelebrieren. Natürlich zelebrierte er die überlieferte Messe, so gut es eben unter den gegebenen Umständen ging. Wir wohnten wutentbrannt gegen die Apostel der Neuerungen der Feier bei. Und nichtsdestotrotz ermutigte uns diese Wallfahrt sehr.“[18] Der letzte Satz des Zitats zeigt, dass die skurrile Situation trotzdem nicht zu Verbitterung führen und die Tage in Rom nicht nachhaltig trüben konnte, im Rückblick mutet die Beschreibung sogar irgendwie amüsant an, um so mehr, wenn man weiß, wie verschmitzt Lefebvre sein und agieren konnte.

Für seine Priesterweihe am Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens 1975 hatte sich der Ordinandus in der Pfarrei Merazhofen eine Casel, deren Rückenteil die Übergabe des Rosenkranzes durch Maria an den heiligen Dominikus darstellt, ausgeliehen, die dem als Segenspfarrer bekannten Pfarrer August Hieber gehört hatte[19], mit dem Schmidberger sich schon bei Klärung der Berufungsfrage beraten hatte [20].

Die Primiz am 13. Dezember war eigentlich in der Basilika Birnau am Bodensee vorgesehen, doch buchstäblich im letzten Moment untersagte der Erzbischof von Freiburg im Breisgau sie. „Schließlich stellte der evangelische Markgraf von Baden den Campingplatz in Birnau-Maurach zu Verfügung“[21], wohin bis zu 1800 Gläubige[22] strömten. Von diesem Verbot in Mitleidenschaft gezogen, konnte die für den Sonntag Gaudete 1975 geplante Heimatprimiz gleichfalls nicht mehr in der Göffinger Pfarrkirche zum heiligen Nikolaus von Myra gefeiert werden, doch auf eine ungenannte Nachbarpfarrei konnte durch Vermittlung einer Ordensschwester ausgewichen werden. Am Tag darauf, „am Montagmorgen konnte ich mit Erlaubnis des Pfarrers das einzige Mal die hl. Messe in jener Kirche feiern, in der ich getauft wurde, wo ich die Erstkommunion empfangen und acht Jahre als Ministrant gedient hatte.“[23]

Eine Buchbesprechung soll zur Lektüre eines Buches anregen und anspornen, nicht diese erübrigen oder überflüssig machen. Deswegen soll die erste Arbeit als Neupriester, die sehr interessant ist und mit der Aufbauarbeit im deutschsprachigen Raum weitgehend übereinstimmt, nicht in allen Einzelhalten hier wiedergegeben werden.[24] Wichtig für die deutschsprachige Priesterausbildung war jedenfalls die Verlegung des Priesterseminars von Weissbad auf das Schloss Zaitzkofen im Bistum Regensburg[25], und der Hergang der Entwicklung ist fesselnd beschrieben. An dieser Stelle fallen auch die Namen der Patres Josef Bisig und Martin Reinicke[26]. Zwei Priester, die sich später von der Bruderschaft trennten; sei es, dass sie sich der Petrusbruderschaft anschlossen oder diese überhaupt erst aufbauten, wie eben Pater Bisig, sei es, dass sie individuelle Wege fanden, ihre priesterliche Tätigkeit fortzusetzen oder in ganz vereinzelten Fällen auch das Priestertum aufgaben. In der Regel erwähnt Schmidberger solche Abgänge nicht, verbindet sie folglich auch nicht mit Vorwürfen, was ihm hoch anzurechnen ist. Hierher gehört auch der Name Pater Paul Natterers[27], mit dem es vor seinem frühen Tod vor einigen Jahren gar eine Art Aussöhnung gegeben hat.

Operation Überleben – der 30. Juni 1988

Im Zusammenhang mit der Frage, ob die Bischofsweihen von 1988 opportun seien oder nicht, ist die Darstellung nicht immer so fair und vornehm von Pater Schmidberger gelöst. Auch Schmidberger wird nicht ernsthaft bestreiten können, dass die Entscheidung komplex und die Situation schwierig war, so dass man legitimerweise zu unterschiedlichen Einschätzungen der Lage und auch zu voneinander abweichenden Gewissensurteilen kommen konnte. Damit soll nicht behauptet werden, Erzbischof Lefebvre sei unüberlegt und leichtfertig zu den Bischofsweihen geschritten oder habe sich falsch entschieden. Gerade in der historischen Bewertung werden vielleicht sogar manche, die damals gegen Bischofsweihen waren, heute zugeben, dass die Handlungsweise des Erzbischofs wohlbegründet und sein beherztes Vorgehen gerechtfertigt war. Beispielsweise die Sätze: „Pater Baumann griff den Erzbischof wegen seiner Bemerkungen hinsichtlich einer möglichen Bischofskonsekration an, Pater Tissier de Mallerais wies ihn sofort zurecht. Dieser öffentliche Angriff auf unseren Gründer, hinter dem auch Pater Bisig stand, konnte unter keinen Umständen hingenommen werden.“[28] Das spricht möglicherweise für eine nachdrückliche Ausübung der internen Autorität und für die Disziplin innerhalb der Bruderschaft, nicht jedoch für eine ruhige und sachliche Diskussion vor einem gleichermaßen umstrittenen wie wichtigen Schritt. Auf dem gleichen Niveau bewegt sich schon vorher folgende Ausführung: „Eine neue Diskussion hob an wegen möglichen Bischofskonsekrationen, wobei sich Pater Bisig zu meinem Ärger der Haltung des Erzbischofs gegenüber kritisch äußerte.“[29] Ärger ist selten ein Zeichen für Sachlichkeit und die Ausgewogenheit des eigenen Standpunkts. Diese unumgängliche Kritik schmälert nicht den Wert und hochinteressanten Inhalt der Abschnitte, die dem unmittelbaren Vorfeld der Bischofsweihen ebenso gelten wie ihren direkten Nachwirkungen und die einige Informationen mitteilen oder andeuten, die so bisher noch nicht allgemein zur Verfügung gestanden haben.[30]

Unbedingt zuzustimmen ist einer Bemerkung zum Argument eines außergewöhnlichen Notstandes, die Schmidberger an anderer Stelle einfließen lässt: „Wie ernst wir dieses Argument des Notstandes nahmen und noch heute nehmen, und wie strikt es immer ausgelegt wurde, zeigt der Umstand, dass seit nunmehr 33 Jahren keine weitere Konsekration vorgenommen wurde – im Gegensatz zu all den sektiererischen Gruppen, bei denen es vor allem um Mitra und Bischofsstab geht.“[31] Durchaus überraschend ist es, dass Schmidberger die Frage gar nicht berührt, ob sowohl zeitlich als auch angesichts des fortgeschrittenen Alters der drei verbleibenden Auxiliarbischöfe der Bruderschaft sowie der inzwischen deutlich sich abzeichnenden Lage der Kirche nicht demnächst wieder Bischofsweihen angezeigt sein müssten.

Ebenso scheint er nicht wahrzunehmen, dass man mittlerweile und erst recht in den nächsten Jahren in Rom nicht mehr Personen sich gegenübersieht, die zumindest biographisch noch wissen, was die Bruderschaft meint und theologisch vertritt. Eine verglichen mit Erzbischof Lefebvre und gegenüber der Zeit etwa von 1970 bis 1990 vollkommen veränderte Situation. Das gilt übrigens ganz ähnlich für Katholiken, die heute zur Tradition und zur Piusbruderschaft dazustoßen, selbst für die eigenen, jüngeren (Priester-)Generationen, die nie eine normale, groß- oder volkskirchliche Situation erlebt haben. Das ist an dieser Stelle gar nicht als Kritik gemeint, sondern Hinweis auf eine erheblich fortgeschrittene, degenerierte Problematik.

Lange schon habe ich mich gefragt, ob die Konzeption der Priesterbruderschaft St. Pius‘ X. nach dem Vorbild der Missionsgesellschaften sich praktisch immer befriedigend verwirkliche. Ich hatte den Eindruck, oft wende man sich lediglich an jene Kreise, die aus eigenem Antrieb und Problembewusstsein Kontakt zur Bruderschaft aufnehmen. Auf diesen Einwand gibt Schmidberger eine erhellende Erklärung: „Eines Tages hatte der Erzbischof mir gesagt, wenn die Bruderschaft auf Europa beschränkt bleibe, erkenne er daran, dass sie nicht von Gott gewollt sei. (…) ‚Von überall her‘, fuhr er fort, müssten einige Zeugen der lebendigen Tradition der Kirche in unsere Seminare eintreten.‘“[32]

Und Schmidberger selbst gibt wenig später die Begründung dafür ab: „Wir haben nämlich keineswegs eine universale Jurisdiktion, einen umfassenden Rechtsanspruch, sondern können nur dort berechtigt wirken, wo geistige Not uns zur Hilfe ruft.“[33] Auch interessant ist die Ausdehnung der Bruderschaft über Europa hinaus. Oft wirft man den Missionaren klassischen Zuschnitts ja vor, mit dem Glauben eine europäisierende Vereinnahmung importiert zu haben, und außerdem ist die Deutung, die Lefebvre einem Beschränktbleiben seines Werkes auf Europa gegeben hätte, im Umkehrschluss ein schönes Indiz dafür, dass die Eigenschaft der Katholizität über den Erdkreis hin ein Anzeichen sein würde, dass die Bruderschaft ein von Gott gewolltes Werk der Kirche ist, die selbst katholisch ist.

Seit dem 16. September 1982[34] war Pater Schmidberger Generalvikar der Bruderschaft, mit dem Recht, Erzbischof Lefebvre als Generaloberer nachzufolgen. Diese Funktion übernahm er dann mit dem 29. Juni 1983, und hatte sie bis zum Generalkapitel, das zum ersten Mal Weihbischof Fellay zum Generaloberen wählte, 1994, inne.

Ab etwa 1990 werden Schmidbergers Erinnerungen loser. 1991 bringt das Ableben des Gründers mit sich. Diesen Einschnitt dokumentiert der Autor durch neuerlichen Abdruck der Predigt, die er damals beim Pontifikalrequiem anlässlich der Beisetzung von Monsigneur gehalten hat und die selbst beim bloßen Lesen nach wie vor ergreifend ist und zu Herzen geht.[35]

Der Christkönigsgedanke als Leitfaden einer Priesterberufung und eines Priesterlebens

Für die Zeit ab 2006 gibt Pater Schmidberger selbst an, dass er seine Erinnerungen im Wesentlichen abschließe.[36] Was noch folgt, sind mehr chronologische, ebenso knappe wie mehr allgemeine Kommentare, etwa über die Erwartungen und Erfahrungen an das und mit dem Pontifikat Benedikts XVI. Wer sich von dieser Rezension motivieren lässt, selbst zu Schmidbergers Buch zu greifen, kann sich darüber rasch und leicht einen Überblick verschaffen. Uns erlaubt das, noch einmal auf die Christkönigsidee zurückzukommen. Im Zusammenhang mit der Gründung der Katholischen Jugendbewegung schreibt Schmidberger den schönen Satz: „Das Epiphaniefest ist das alte Christkönigsfest.“[37] Demgegenüber ist das neuere Christkönigsfest vor einem konkreter politischen Hintergrund zu sehen, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Schmidberger eine sehr konkret politische Vision vorschwebt, die aber zugleich im mindestens gleichen Maße konkret realitätsfern ist.

Das sieht man am Rundbrief Nr. 45, den Schmidberger 1993 als Generaloberer dem Thema einer christlichen Gesellschaftsordnung gewidmet hat.[38] Was er dort skizziert, erinnert stark an die österreichische Maiverfassung von 1934 oder die Ideen der Action française. Es ist daran zu erinnern, dass Pius XI., der Quas primas geschrieben und das Christkönigsfest eingeführt hat, zugleich derjenige Papst war, der diese Bewegung im französischen Katholizismus verurteilt hat. Etwas allgemeiner kann man sagen, dass auch die Priesterbruderschaft St. Pius‘ X. nicht dagegen gefeit ist, dass sich in ihrer Mitte theologische (oder kirchenpolitische) Meinungen Geltung verschaffen, die dann die gesunde Lehre[39] überlagern oder an ihre Stelle zu treten drohen – oder weniger gravierend – dass nicht einfach jede Position, die Erzbischof Lefebvre vertreten hat oder die die Bruderschaft vertritt, automatisch mit der katholischen Wahrheit identifiziert werden kann, neben der keine andere Sichtweise möglich und im Spektrum des Katholischen gleichermaßen legitim und traditionstreu wäre.

Erwähnt seien noch die zahlreichen Fotos, die das Gelesene veranschaulichen und die Vorstellungskraft anregen, dazu gehören auch so originelle Abbildungen wie Franz Schmidberger als Knabe 1958 mit seiner damaligen Lieblingskuh Dani.[40]

Die Umschlaggestaltung verfolgt demgegenüber eine stärker theologische Botschaft. Sie zeigt Schmidberger bei der Erhebung des soeben zum kostbaren Blute Unseres Herrn Jesus Christus gewandelten eucharistischen Weines im Kelche. Dass damit eine programmatische Aussage getroffen wird, lässt sich nicht zuletzt aus einer mehr nebenbei gemachten Bemerkung gegen Ende schließen, der man entnehmen kann, dass der Autor die Arbeit am Manuskript seiner Erinnerungen am diesjährigen 1. Juli fertiggestellt hat, also nach traditionellem liturgischen Kalender am Feste des Kostbaren Blutes.[41]

Bibliographische Angaben und Bestellmöglichkeit: Sarto Verlag

[1]Vgl. Schmidberger, F., Erinnerungen. Vom Bauernbub zum Generaloberen, Bobingen 2021, S. 5.

[2]Vgl. ebd., S. 7.

[3]Ebd., S. 9.

[4]Ebd. S. 14.

[5]Ebd. S. 16.

[6]Ebd. a. a. O., passim.

[7]Ebd. S. 17.

[8]Vgl. ebd., S. 20.

[9]Vgl. ebd., S. 24.

[10]Vgl. ebd., S. 18.

[11]Vgl. ebd., S. 26.

[12]Vgl. ebd., S. 25.

[13]Vgl. ebd., S. 29f.

[14]Vgl. ebd., S. 52.

[15]Vgl. ebd., S. 66.

[16]Vgl. ebd., S. 33.

[17]Vgl. ebd., S. 34.

[18]Vgl. ebd., S. 39.

[19]Vgl. ebd., S. 42 .

[20]Vgl. ebd., S. 14.

[21]Ebd., S. 43.

[22]Vgl. ebd., a. a. O.

[23]S. 45.

[24]Vgl. S. 45-77.

[25]Vgl. S. 66-69.

[26]Vgl. S. 69.

[27]Vgl. ebd., S. 87. Dessen leiblicher Bruder Otto Natterer, der ebenfalls Priester der Bruderschaft wurde, gab das Priestertum vollständig auf. Er kommt in Schmidbergers Schilderung nicht vor.

[28]Ebd. S. 114.

[29]Ebd. S. 97.

[30]Vgl. S. 111-132.

[31]Vgl. S. 163.

[32]Ebd. S. 174. Bemerkenswert ist hier, dass der Erzbischof die Wendung „lebendige Tradition“ gebraucht, die dann 1988 in Ecclesia Dei afflicta Nr. 4 eine modernistische Bedeutung annahm und gegen ihn ins Feld geführt wurde.

[33]Ebd. a. a. O.

[34]Vgl. ebd., S. 79.

[35]Vgl. ebd., S. 150-162.

[36]Vgl.ebd., S. 193.

[37]Ebd., S. 59.

[38]Vgl. ebd., S. 166-172.

[39]Schmidberger nimmt diese Gefahr zu Recht in anderen traditionalistischen Strömungen wahr, vgl. ebd., S. 19.

[40]Vgl. ebd., S. 12.

[41]Vgl. ebd., S. 201.

Foto: P. Schmidberger (FSSPX) – Bildquelle: Kathnews

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