Die Rechte der unvordenklichen Tradition und die Schranken eines päpstlichen Rechtspositivismus – V. Teil

Hauptvortrag bei der diesjährigen Paix liturgique-Tagung im Augustinianum/Rom am 28. Oktober 2022 von Dr. Peter A. Kwasniewski. Übersetzung ins Deutsche von Clemens V. Oldendorf.
Erstellt von Clemens Victor Oldendorf am 22. November 2022 um 21:44 Uhr

V. Teil: Aufgeben oder Inspiration aus der unmittelbaren Nachkonzilszeit schöpfen?

Es ist eine enorme, krankhafte Verzerrung, den Glaubensschatz für den Test einer Schulklasse zu halten, in dem es nur darum geht, kanonistische Bestimmungen miteinander zu verknüpfen oder zu entscheiden, welche Autorität welche Beachtung verdient. Es geht nämlich um höhere Maßstäbe und Werte. So wie Philosophie und unser Menschenverstand vom Wissenschaftspositivismus nahezu erstickt worden sind, so ersticken Theologie und Glaube unter dem Einfluss des Rechtspositivismus. Ich sage das allen Katholiken weltweit, die die Tradition lieben und sich bereits jetzt ungerechten, belastendenden Einschränkungen gegenübersehen oder denen solche Restriktionen unmittelbar bevorstehen. In den USA wurden sie beispielsweise und mit besonderer Schärfe den Gläubigen in Washington D.C., in Arlington, in Chicago und Savannah auferlegt.

Ja, beten Sie für Ihre Bischöfe und für den Papst; beten Sie für Ihre Feinde und Verfolger. Fasten und beten wir, damit die Dämonen ausgetrieben werden und der Friede wiederhergestellt werde, aber setzen Sie Ihre Erlösung und Ihr Heil nicht der Gefahr aus, indem sie dem gehorchen, dem niemals gehorcht werden muss und darf, dem vielmehr immer Widerstand zu leisten ist, wenn Sie sich selber noch im Spiegel ins Gesicht schauen wollen, ohne vor sich selbst zurückzuschrecken, weil Sie mit Schauder erkennen, dass Sie das verleugnet und verraten haben, von dem Sie wissen, dass es richtig ist und wahr.

Resignation oder Depression?

In vielen Hinsichten ist unsere Situation ernüchternd. Wird es nicht Zeit, aufzugeben und endlich zu verschwinden? Natürlich nicht. Wir beten mehr denn je. Wir unterstützen die überlieferte lateinische Messe und die Priester, die sie lesen, mehr als jemals zuvor. Wir geben unsere Spenden nur für gute Initiativen. Wir zeigen Gesicht in der Öffentlichkeit bei Veranstaltungen zugunsten der Alten Messe und bei Protesten gegen Angriffe auf sie. Wir lernen von denen, die die Tradition vor uns geliebt haben und in den 1970er Jahren für sie eingetreten sind. Wir werden den Kampf niemals aufgeben. Unsere Inspiration ist das klare Denken der couragierten Priester der Jahrzehnte unmittelbar nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, die sich weigerten, bei dem mitzuwirken, von dem sie wussten, dass es zerstörerisch sein würde für das Leben der Kirche: etwa der brillante Father Bryan Houghton, der vorzügliche Pater Roger-Thomas Calmel, der Klostergründer Dom Gerard Clavet, der unerschocken frank und freie Abbé Georges de Nantes, Father Gommar dePauw, der Geistliche Yves Normandin, der aus Tirol gebürtige, aber schon als Kind in die USA ausgewanderte Redemptoristenpater Georg Kathrein, selbstverständlich Erzbischof Lefebvre und viele andere, einschließlich solcher Priester, die eine Zeitlang versucht hatten, mit der Neuen Messe zurechtzukommen, sie dann aber doch als hoffnungslosen Fall abhakten.

Wir schulden all diesen Priestern und auch einigen Bischöfen unermessliche Dankbarkeit dafür, dass sie die Flamme der Tradition am Brennen und in düsterer Zeit hell leuchtend erhalten haben, als es beinahe schien, als habe Hannibal schlussendlich Rom doch erobert. Ihretwegen können wir heute sagen, dass die liturgische Tradition der Römischen Kirche niemals vollständig und irreparabel unterbrochen worden ist, sie setzte sich fort, lebendig und lebenskräftig, neben einem anorganischen montinischen Ritus, der vergeblich versucht hatte, vollkommen den Platz dieser Tradition einzunehmen. Stets war es würdig und recht, Gott dankzusagen für die Helden, die dem Traditionsbruch widerstanden hatten, aber nach dem 16. Juli 2021, sollten wir unsere Dankbarkeit ihnen allen gegenübernoch viel mehr steigern und vertriefen. In diese Hommage möchte ich in einer speziellen Weise Michael Davies einbeziehen, der für mich eine immense persönliche Inspiration gewesen ist, die Arbeit in Angriff zu nehmen, der ich mich nun schon seit vielen Jahren widme.

In einem 1976 verfassten Brief an den damaligen Bischof von Fresno in Kalifornien, an Bischof Hugh Donohoe, schrieb Davies die folgenden Worte, die 46 Jahre danach eine neue Bedeutung erlangt haben: „Ein Gesetz kann aufhören zu verpflichten, ohne dass es vom Gesetzgeber widerrufen wird, wenn es nämlich klarerweise schädlich ist, unmöglich durchführbar oder irrational. Wenn das Verbot an gläubige Katholiken, Gott zu ehren, indem sie den Gottesdienst im verehrungswürdigsten und heiligsten Ritus der ganzen Christenheit feiern, diese Voraussetzungen nicht erfüllt, dann ist es kaum vorstellbar, irgendetwas zu finden, das sie erfüllt.“

Rückfall in die 1970er Jahre

Von einer so großen Wolke von Zeugen (vgl. Heb 12, 1) inspiriert, stellen wir uns auf eine Phase wie die frühen 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein, als diejenigen, die die Tradition liebten, sich, ganz entgegen ihrer eigenen instinktiven Neigungen und Wünsche, missbräuchlich agierenden Autoritäten der Institution Kirche entgegenstellen mussten, um das Erbe der Heiligen in seiner Fülle fortzuführen. Und diese Beharrlichkeit, welche die Disziplinarmaßnahmen einer missbräuchlich handelnden Obrigkeit standhaft ignorierte, war es, die letztlich zur Pax Benedictina geführt hat, will sagen: zu Summorum Pontificum, das immer noch Früchte trägt.

Um nochmals Michael Charliers Internetpräsenz zu zitieren, wo er in einem Eintrag vom 5. Juli 2022 bemerkt: „Falls Franziskus versucht, den authentischen römischen Ritus tatsächlich völlig aus der Kirche von Rom zu verdrängen und falls ein oder mehrere Nachfolger ihm darin folgen sollten, wird sich für diejenigen, die wissen, daß dieser Ritus nicht aufgegeben werden kann und darf, eher früher als später die Frage stellen, wie sie die Entstehung einer eigenständigen Rituskirche bewerkstelligen sollen. Auch wenn das große Schwierigkeiten, Gewissensnöte und die Verleumdung als ‚Schismatiker‘ mit sich bringen sollte. Die Anerkennung einer solchen Kirche des Ritus des hl. Papstes Gregor durch den Papst von Rom wird dann schon eines Tages folgen. Vielleicht ist der künftige Gregor XVII. schon Seminarist einer glaubenstreuen Gemeinschaft.”

Ganz von der Vorsehung Gottes abhängig und felsenfest auf sie bauend und vertrauend

Das ist es, was heute von uns verlangt wird, die wir ganz von der göttlichen Vorsehung abhängen, aber auch, wenn wir ihr wirklich vollkommen vertrauen wollen, dass wir nämlich nicht unseren Glauben und seine höchsten und edelsten Ausdrucksformen wegwerfen, nur weil ein Papst oder Bischof uns sagt, wir sollten das, weil es seinem eigenen Hass auf die Vergangenheit geschuldet sei, wobei diese doch letztendlich zu Gericht sitzen wird über die modernen Laster und Irrungen unserer Zeit. Vielmehr sollen wir treu festhalten an allem, was wahr, gut, schön und heilig ist und darauf vertrauen, dass Gott uns von unseren Feinden befreien wird, um unsere Schritte fest zu machen auf unserem Weg und das Werk unserer Hände erblühen zu lassen. Wenn wir tun, was an uns liegt, wird er unsere Treue segnen und in der Zukunft die Strukturen der Unterstützung und Anerkennung erstehen lassen, die uns zustehen und die wir ersehnen.

Die Frage, wie ganz genau wir uns bis dahin konkret verhalten sollen, kann freilich nicht ganz vermeiden, eine intellektuelle Herausforderung zu sein, weil wir nicht wissen, was die unmittelbare Zukunft bereithält. Das gilt sowohl für den Diözesanklerus als auch für die Institute, die auf der Grundlage von Ecclesia Die gegründet worden waren [und denen jetzt diese Existenz- und Rechtsgrundlage strenggenommen fehlt, Anm. des Übersetzers]. Ich bin aber der begründeten Meinung, dass im Endeffekt Traditionis Custodes revidiert werden wird und dass diese Gemeinschaften bis dahin aushalten werden und bestehenbleiben können. Allerdings ist der amtierende Papst zu jedem irrationalen Akt der Grausamkeit fähig, und, was Gott verhüten möge, sein Nachfolger könnte aus demselben Holz geschnitzt sein. Wir müssen also in längeren Zeiträumen denken.

Die naive und quasi magische Vorstellung der biederen Konservativen vom Papst

Die konservativen Apologeten scheinen zu meinen, dass ein Papst, der ein Schurke ist, ein Ding der Unmöglichkeit ist, weil andernfalls theologisch das gesamte katholische Denksystem widerlegt wäre. Wenn sie das wirklich glauben sollten, und es scheint so, dass sie sich intellektuell mit einer simplifizierten [und obendrein isolierten, Anm. des Übersetzers]Lektüre der Dokumente des Ersten Vatikanischen Konzils selbst in diese Ecke gedrängt haben, ist es verständlich, dass sie den Papst selbst dann in Schutz nehmen, wenn er gerade das zerstört, was er von Amts wegen verpflichtet ist, aufrechtzuerhalten und seinerseits zu schützen. Was einen Ausweg aus dieser nie dagewesenen Autoimmunstörung der Kirche anbelangt, denke ich, dass wir ehrlicherweise zugeben müssen, dass sich keine simple Lösung dieser Krise von selbst anbietet und dass sich womöglich für Jahre oder Jahrzehnte keine Lösung ergeben wird.

Wir müssen aber auch einräumen, dass der Katholizismus nicht unbegrenzt ohne einen Papst bestehen kann, der wirklich seinen Job macht oder der wenigstens nicht aktiv all seine Energie darein setzt, dass anzugreifen, was er eigentlich zu verteidigen hat. Aber mir will scheinen, dass ein solch dysfunktionales Papsttum ein langanhaltender Zustand im Organismus der Kirche sein kann. Wie lange? Es gibt keine Möglichkeit, darüber eine seriöse Aussage zu treffen. Indes gibt es Wahrheiten – lichtvoll, majestätisch, unvergänglich , durch und durch verlässlich – die wir sehr wohl wissen können, die wir verpflichtet sind zu kennen und auf die wir ein Recht haben, sie zu umfangen, wertzuschätzen, auf ihrer Grundlage zu handeln und sie weiterzugeben, wenn wir unser Leben auf dem Felsen der Wahrheit aufbauen. Father Kevin Cusick findet bewegende Worte dafür, die anrühren: „Wenn es überhaupt etwas gibt, das sich in seiner Katholizität niemals verringert und das, eben weil es katholisch ist, niemals zurückgenommen werden kann, dann ist das offizielle Gebet, geoffenbart durch unseren Herrn, im Gehorsam weitergegeben von seinen Aposteln, allzeit geheiligt durch den Heiligen Geist selbst während der Zeitläufte und dargebracht zu jeder Zeit, überall und von jedermann. Einzig eine Liturgie allein umfasst alle Gesichtspunkte dieser Definition und vereint sie in sich, es ist die überlieferte lateinische Messe.

Aus diesem Grunde ist die altehrwürdige Gestalt der Messe jetzt und stets sowohl Teil als auch Gesamtausdruck des katholischen Glaubens, und weil es sich so verhält, darf kein Mensch, sei es nun der Papst oder der bescheidenste Laie, die Gläubigen mit welchen Mitteln auch immer von diesem überaus heiligen Gefüge von Riten [Worten und Gesten, Anm. des Übersetzers] abbringen oder abhalten. Im Gegensatz dazu ist die Messe im neuen Ritus zu keinem Zeitpunkt von jedem in der Kirche angenommen worden, sondern war von Anfang an umstritten und ging mit Kontroversen einher, brachte weitverbreitet liturgische Zerrformen mit sich, Skandale und Sakrilegien – und einen Schwund des Glaubens. Die einzige Konstante, die in der neuen Messliturgie zuverlässiger Maßstab ist, ist ein sich kontinuierlich fortsetzender Rückgang des Kirchgangs oder der Teilnahme an der Messfeier. Man mag noch so sehr versuchen, sich der überlieferten Messe entgegenzustellen, wie man es schon versucht hat und damit gescheitert ist, aber die Messe aller Zeiten wird auf Erden niemals ausgerottet werden, weil der Glaube selbst niemals überall ganz ausgelöscht werden kann. Alles, was notwendig ist, ist die Beharrlichkeit einer gläubigen Seele. Solche Seelen sind aber Legion, die die Flamme des Glaubens in aller Welt lebendig erhalten, jetzt nicht anders als es immer gewesen ist.“

Die Gegner des liturgischen Erbes der Westkirche können poltern und wüten, uns Spottnamen geben und mit Fingern auf uns zeigen, sie können uns ghettoisieren und verteufeln, gängeln und unsere Messen und anderen Aktivitäten absagen, aussetzen und unterdrücken. All das können sie probieren. Vor Jahrzehnten haben es ihre Vorgänger schon versucht und sind damit gleich nach dem Konzil gescheitert, als sie genau dieselbe Taktik verfolgten. Unsere heutigen Gegner werden unausweichlich genauso scheitern, denn wir, die wir an der traditionellen Römischen Liturgie festhalten und zu ihr stehen und durch sie und mit ihr auch den traditionellen katholischen Glauben in toto hochhalten, tun dies aus Prinzip, nicht aus einer pragmatischen [oder rein ästhetisch-nostalgischen, Anm. des Übersetzers] Haltung, nach dem Motto: „Es ist schön, wenn wir die alte Liturgie haben, aber wenn nicht, ist sie auch entbehrlich.“ Außerdem nehmen wir immer mehr zu an Zahl und sind weit mehr als in den dunklen Zeiten der 1970er Jahre.

Unsere Gegner entlarven sich selbst

Darüberhinaus gehen unsere menschlichen Feinde heute weit weniger diplomatisch oder, anders betrachtet, wesentlich ungeschützter vor, was ihre Absichten anbelangt. Sie geben sich gar keine Mühe mehr, ihre modernistische Agenda zu verbergen. Sie machen es uns leicht, ihre fragwürdig-verdächtigen Beweggründe zu durchschauen und nichts als Verachtung für ihre unrechtmäßigen Aktionen zu haben. Einst mag es für manche möglich gewesen sein, sich vorzustellen, dass unsere Auseinandersetzungen nur um liturgische Kleinigkeiten kreisen würden, aber nun sehen wir, dass es tatsächlich um die Integrität und die Wahrheitsfülle des katholischen Glaubens sowie – die wechselnden Zeiten hindurch- um die Einheit der Kirche mit sich selbst geht und dass unser liturgisches Anliegen all dies miteinschließt. Es geht also um einen Kampf um den Glauben, und dies ist auch noch in keinem Stadium der Auseinandersetzung jemals anders gewesen.

Foto: Peter Kwasniewski – Bildquelle: Pro Missa Tridentina (PMT – Laienvereinigung für den klassischen römischen Ritus in der katholischen Kirche e.V.)

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