Die Rechte der unvordenklichen Tradition und die Schranken eines päpstlichen Rechtspositivismus – IV. Teil

Hauptvortrag bei der diesjährigen Paix liturgique-Tagung im Augustinianum/Rom am 28. Oktober 2022 von Dr. Peter A. Kwasniewski. Übersetzung ins Deutsche von Clemens V. Oldendorf.
Erstellt von Clemens Victor Oldendorf am 19. November 2022 um 23:08 Uhr

IV. Teil: Missverständnis der päpstlichen Vollmacht

Alle weiteren Denkstrukturen, die von einer irrigen Auffassung von der päpstlichen Vollmacht ausgehen [und sich in kirchenrechtlichen Regelungen niederschlagen, Anm. des Übersetzers], sind gleichermaßen unbegründet und unwirksam. Beim Umgang mit den Auswirkungen dieser Dokumente ist es uns zweifelsohne erlaubt, nach Matt 10, 16 klug wie die Schlangen und unschuldig wie Tauben vorzugehen, mit anderen Worten, pragmatische Arbeitsgrundlagen und vorübergehende Kompromisse zu finden, solange wir niemals vergessen, dass es Fragen gibt, bei denen die Wahrheit auf dem Spiel steht. Wegen bloßer Zweckmäßigkeit und um unserer Bequemlichkeit willen solche Fragen zu kompromittieren, wäre feige und des Einen, dem wir zu dienen wünschen und den die Komplet den Deus veritatis nennt, unwürdig. Gabriel Marcel beobachtet zutreffend, dass Mut in keiner Weise darin besteht, sich über eine Situation, der man ausgesetzt ist, Illusionen hinzugeben. Mut schwinge sich im Gegenteil da zu seinem Gipfel auf, wo die Situation in voller Klarheit gesehen und richtig eingeschätzt werde. Lassen Sie uns unsere Situation klar und deutlich erkennen und realistisch einschätzen, damit wir mutig handeln!

Missbrauch dieses Missverständnisses gegenüber Katholiken

Vergessen wir nie, die Schlägertruppe, mit der wir es zu tun haben, benutzt das Recht als Waffe und Gehorsam als einen Boxring psychologischer Manipulation. Motuproprien und dergleichen sind für sie nützliche Nebelwerfer, um die wahren Absichten ihres Handelns zu verschleiern. Sie kümmern sich nicht um eine logische Schlüssigkeit ihrer Argumentation und scheren sich nicht um die Regeln, die sie selbst aufgestellt haben, wie wir immer wieder sehen können, wenn Franziskus Bischöfe, die ihm nicht gefallen, ihres Amtes enthebt und sich weigert, die dabei vom Kirchenrecht vorgesehene Vorgehensweise einzuhalten und so gerade die Regeln verletzt, die er selbst approbiert hat. Es geht ihnen auch nicht um Einheit oder das, was gut für die Seelen ist und ihnen zum Heil gereicht. Was für sie zählt, ist Macht über Leute, und sie werden diese Macht einsetzen, um einen modernisierten Neokatholizismus zu erreichen.

Ein kanadischer Kommentator weist richtig darauf hin: ,Leute, die solche Dinge tun – dieser Papst und seine Mitarbeiter – haben sich niemals in ihrem Leben vom Buchstaben irgendeines Gesetzes beeindrucken lassen, sei es nun ein bürgerliches oder weltliches Gesetz, ein moralischer Grundsatz oder ein göttliches Gebot oder eine Vorschrift sogar, die sie selber geschrieben haben. Der Schlüssel, den wir verstehen müssen, ist, dass sie ganz genau wissen, dass den Leuten, die sie angreifen, Gesetz und Rechtmäßigkeit wichtig sind, und gerade deswegen richten sie das Gesetz als Waffe gegen die verbleibenden Gläubigen. Aber sie selbst kümmern sich nicht um das Recht und verstehen es auch nicht, denn sie haben davon eine vollständig präskriptive, deterministische und positivistische Sicht. Die Rechtsauffassung eines Tyrannen ist die eines sechsjährigen Kindes: weil er es niedergeschrieben hat, müssen wir ihm gehorchen. Es gibt da keinen Platz für ein höheres Recht oder ein Konzept von Zielen, denen das Gesetz dient oder Grundsätze, die es leiten und lenken. So haben sie Spaß daran, solche Gesetze zu verkünden, weil sie es sind, die solche Monstren von Gesetzen erlassen können. Keiner von ihnen hat je verstanden, dass Gesetze einem höheren Gut dienen. Für sie ist Recht die Gleichsetzung von Gesetz und Macht.‘

Wenn uns bewusst ist, dass unsere Kirchenführer ihre Autorität missbrauchen und das Kirchenrecht zur Waffe umschmieden, dann wissen wir auch, dass die Grundsätze unseres Widerstandes nichts damit zu tun haben, dass wir ungehorsam wären. Wir betteln nicht, schmeicheln nicht und rechtfertigen uns auch nicht, denn unser Gehorsam gründet sich immer auf die Vernunft und auf den Sensus fidei fidelium. Der Gehorsam kann nie in Widerspruch treten zur Vernunft und auch nicht zum Glaubensinn der Gläubigen oder Vernunft und Glaubenssinn außer Kraft setzen oder auf ihnen herumtrampeln. Unser Denken und Handeln muss in wahren Prinzipien verwurzelt sein, sodass wir der Falle entgehen, zu der ein übertriebener, spirituell übermäßig überhöhter und auch zum Fetisch gemachter Gehorsam werden kann, oder damit es uns gelingt, sollten wir schon in sie geraten sein, aus dieser Falle doch wieder zu entkommen, die sich so leicht aus einem blinden Kadavergehorsam ergibt, wie das jesuitische Verständnis des geistlichen Lebens ihn fördert.

Dank und Weckruf an die Priester der früheren Ecclesia-Dei-Gemeinschaften

Ihr wertgeschätzten Priester, die Ihr die Alte Messe feiert und die Sakramente nach den alten Riten spendet, die Ihr nach dem Rituale Romanum weiht und segnet und das Breviarium Romanum betet, Ihr, die Ihr wisst, was der Usus antiquior in sich selbst bedeutet und was er für Euch ganz persönlich bedeutet und für die Gläubigen, denen Ihr seelsorglich dient! Ihr könnt nicht teilnahmslos danebenstehen, und zu Erfüllungsgehilfen der Tyrannei werden. Euer dem Bischof gegebenes Gehorsamsversprechen darf niemals zum Blankoscheck der modernistischen Übernahme der Kirche werden, denn genau diese ist es, wovon wir Zeugen werden. Es ist nicht die Kirche oder der Bischof, die Euch gebieten, zu widerrufen, was immer edel, groß, schön, heilig, wahr und nährend ist für Euch und für Eure Gläubigen. Noch ist es Jesus Christus, der über uns ausgegossen hat ein zweitausend Jahre altes Erbe oder seine unbefleckte Braut, die Kirche, die solches von Euch verlangen, und kein Hirte würde es tun, der in den Fußstapfen des Herrn wandelt und der Christi Braut liebt.

Nein, es sind die Gefängniswächter, die die Tradition einkerkern wollen, die Custodes traditionis, das heißt die Progressiven, die Liberalen und Modernisten, die in hohe Positionen aufgestiegen sind, es ist die klerikale Schwulenmafia, die mit Drohung, Erpressung oder Bestechung arbeitet, die jetzt über Euch das Sagen hat, und es sind diese Leute, die die Bischöfe, die in der Stufenleiter des Einflusses niedriger stehen, dazu bestimmen, die Weisheit Benedikts XVI. wegzuwerfen und mit ihr Eure Messbücher und die wollen, dass Ihr Eure Gemeinden im Stich lasst, denn die Erlaubnis, um die Ihr betteln sollt, werden sie selbstverständlich geflissentlich verweigern. Solche Leute sähen lieber eine sterbende Kirche, die mit einer sterbenden modernen Zivilisation verbandelt ist, denn eine lebendige Kirche, die die Freude ihrer Jugend wiederentdeckt. Sich an solche Typen zu binden, bedeutet, sich selbst dem Tod auszuliefern und jedes Aufblühen des geistlichen und kirchlichen Lebens abzustreifen.

Wir wissen, dass die Liberalen, die Progressiven und Modernisten mit dem, was sie sagen und tun, gerade deshalb falschliegen, weil es nicht katholisch ist und sich gegen alles richtet, was katholisch ist.

Auch die Konservativen irren sich

Es sind die Traditionalisten, die Lebenswillen besitzen und für das kämpfen, was immer katholisch gewesen ist und katholisch bleibt. Lassen wir die Konservativen nicht damit durchkommen, zu insinuieren, es gäbe so etwas wie eine Gemeinsamkeit zwischen jenen, die beispielsweise von Humanae Vitae abweichen und uns, wenn wir nicht bereit sind, die bittere Pille von Traditionis Custodes zu schlucken.

In der Tat gibt es keine Parallele, weder in der Logik noch im praktischen Handeln, sondern die Situation ist vollkommen entgegengesetzt, weil wir Humanae Vitae aus demselben Grund gehorchen, aus dem wir Traditionis Custodes zurückweisen: In beiden Fällen hangen wir nämlich der ständigen Lehre und Praxis der Kirche an, die immer gegen [kursiv hier und gleich anschließend zur Verdeutlichung durch den Übersetzer] Empfängnisverhütung gewesen ist und immer für die liturgische Tradition. Es gibt in der Kirche eine Mentalität des Rechtspositivismus, und dieser muss überwunden werden, wenn der Katholizismus wieder gedeihen soll.

Foto: Peter Kwasniewski – Bildquelle: Pro Missa Tridentina (PMT – Laienvereinigung für den klassischen römischen Ritus in der katholischen Kirche e.V.)

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