Die Gottesmutterschaft Mariens

Am 1. Januar, dem Oktavtag von Weihnachten, feiert die Kirche im neuen Ordo der Messe das Hochfest der Gottesmutter Maria. Vom 11. Jahrhundert an hatte sich das Fest der Beschneidung des Herrn von Spanien und Gallien kommend in Rom herausgebildet, allerdings, wie die Texte im alten Ordo zeigen, mit stark marianischem Charakter. Die nachkonziliare Liturgie hat den ursprĂŒnglich rein marianischen Charakter des Oktavtages, an dem auch der Beschneidung und der Namensgebung Jesu gedacht wird (siehe Evangelium), wiederhergestellt. Konsequenterweise war damit auch eine Ănderung des Introitus verbunden gewesen. Der Oktavtag von Weihnachten wird ânicht mehr intoniert mit dem Introitusvers âPuer natus est nobisââ – wie am Weihnachtstag â âsondern âSalve sancta Parensâ (âGruĂ dir, heilige Mutterâ)â (Alex Stock, 48).
Die liturgischen Texte gedenken an diesem Hochfest, das die Festoktav von Weihnachten zum Abschluss fĂŒhrt, an erster Stelle der Gottesmutterschaft Mariens (Theotokos/Deiparens), die das Konzil von Ephesus 431 feierlich als Dogma verkĂŒndet hat. Die Tagesoration (Collecta), die dem Sacramentarium Gregorianum aus dem 9. Jahrhundert entnommen, ist im lateinischen Original mit dem Tagesgebet des klassischen Messordo identisch (siehe unten).
Fruchtbare JungfrÀulichkeit
Im lateinischen Text fĂ€llt das Paradoxon virginitas fecunda auf: âfruchtbare JungfrĂ€ulichkeitâ, die leider in der offiziellen deutschen Ăbersetzung der Deutschen Bischofskonferenz nicht zu finden ist, wĂ€hrend die private Ăbersetzung von Pater Martin Ramm FSSP fĂŒr das Lateinisch-Deutsche Volkmissale, das fĂŒr die Messfeier im klassische Messritus vorgesehen ist, sie sehr wohl in gröĂerer Treue zum lateinischen Text berĂŒcksichtigt. Und das zu Recht. Hebt doch das Paradoxon die Glaubenswahrheit der Geburt des Gottessohnes aus der Jungfrau Maria sprachlich hervor. Der Ursprung der menschlichen Natur des Gottessohnes geht zurĂŒck auf Gott selber, auf ein Wirken des Heiligen Geistes, nicht auf das Wirken eines Mannes. Darum ist das Paradoxon im lateinischen Text mehr als ein rhetorisches Stilmittel. Das lateinische Original betont: âDie Fortsetzung des Lebens der menschlichen Gattung geschieht sexuell, der Neuanfang soll virginitate fecunda geschehen, âdurch die fruchtbare Jungfrauschaftââ (Alex Stock, 48). In der deutschen Ăbersetzung erscheint Maria, âabweichend vom lateinischen Text, als âgnadenvolle Mutterâ, die gewagte Rede der frĂŒhmittelalterlichen Oration von der virginitas fecunda, der âfruchtbaren Jungfrauenschaftâ, wird zurĂŒckgenommen auf das gĂ€ngigere âGeburt aus der Jungfrau Mariaââ (Alex Stock, 50). Von den dem Verfasser dieses Beitrages vorliegenden Ăbersetzungen anderer Bischofkonferenzen bleibt lediglich die italienische Version dem lateinischen Text treu. Dort ist die Rede von der verginita feconda (fruchtbare JungfrĂ€ulichkeit). Der amtliche französische Text der Oration spricht zumindest noch von der maternitĂ© virginale (jungfrĂ€uliche Mutterschaft), wĂ€hrend der niederlĂ€ndische es bei der bloĂen moederschap (Mutterschaft) belĂ€Ăt unter Verzicht auf jedwedes Epitheton, das auf die JungfrĂ€ulichkeit der Mutterschaft Marien hinweist.
Maria empfĂ€ngt den Urheber des Lebens durch das Wirken des Heiligen Geistes. Einzig die dritte Person in Gott macht Maria fruchtbar. Das ist der Glaube der Kirche, der in der (lateinischen) Oration ungekĂŒrzt zum Ausdruck kommt. Hier zeigt sich beispielhaft wie die lex credendi und die lex orandi einander bedingen. Was die Kriche glaubt, formuliert sie im Gebet, und im Gebet bezeugt sie ihren Glauben. Die dritte Person in Gott, der Heilige Geist, schafft im jungfrĂ€ulichen SchoĂ Mariens den Sohn Gottes der Menschennatur nach und lĂ€sst die jungfrĂ€uliche Herrlichkeit der Gottesmutter dabei unversehrt.
Als die jungfrĂ€uliche Gottesmutter hat Maria darum eine besondere Stellung im Heilsplan Gotts. Sie ist FĂŒrsprecherin, und die Kirche ruft sie (am ersten Tag des neuen Jahres) an, damit sie als Gottesmutter fĂŒr uns das ewige Leben  vermittelt, dessen Urheber durch seine Menschwerdung, durch seinen Tod und seine Auferstehung ihr Sohn ist.
Tagesgebet (Collecta)
Deutsches Messbuch
Barmherziger Gott, durch die Geburt deines Sohnes aus der Jungfrau Maria hast du der Menschheit das ewige Heil geschenkt. Lass uns immer und ĂŒberall die FĂŒrbitte der gnadenvollen Mutter erfahren, die uns den Urheber des Lebens geboren hat, Jesus Christus âŠ
Lateinischer Originaltext
Deus, qui salutis aeternae beatae Mariae virginiate fecunda humano generi praemia praestitisti, tribue, quaesumus, ut ipsum pro nobis intercedere sentiamus, per quam meruimus Filium tuum auctorem vitae suscipere. Qui tecum vivit.
Römisches Messbuch von 1962 (Ăbersetzung: Pater Martin Ramm FSSP)
Gott, der du durch die fruchtbare JungfrĂ€ulichkeit der seligsten Jungfrau Maria dem Menschengeschlecht die GĂŒter des ewigen Heils geschenkt hast, gewĂ€hre, so bitten wir, dass wir erfahren, wie jene fĂŒr uns eintritt, durch die wir den Urheber des Lebens empfangen durften, unseren Herrn Jesus Christus, Deinen Sohn..
Lateinischer Originaltext
Deus, qui salutis aeternae beatae Mariae virginitate fecunda humano generi praemia praestitisti, tribue, quaesumus, ut ipsam pro nobis interecedre sentiamus, per quam meruimus auctorem vitae suscipere. Dominum Nostrum Iesum Chrisus Filium tuum.