Der Untergang des Konservatismus in Deutschland

Eine Buchbesprechung von Martin BĂĽrger.
Erstellt von Martin Bürger am 2. März 2020 um 23:50 Uhr

Die Christdemokratie in Deutschland befindet sich in ihrer größten Krise seit sie nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Anfang nahm. Spannend zu lesen ist vor diesem Hintergrund das Buch „Geistig-moralische Wende“ von Thomas Biebricher, das laut Untertitel „Die Erschöpfung des deutschen Konservatismus“ behandelt. Obwohl schon 2019 erschienen, liefert das Werk wichtige Informationen und Erkenntnisse zur Geschichte der CDU, speziell seit der Ära Kohl, als der Begriff der geistig-moralischen Wende als Reaktion auf die Revolte von 1968 geprägt wurde.

Biebricher schreibt: „Deutet man das Projekt der Wende als eine konservative Reaktion auf 1968, dann kann die geistig-moralische Apostrophierung jener Wende vor dem Hintergrund der gramscianischen Lesart vonseiten des Konservatismus nicht überraschen: 1968 muss dort bekämpft werden, wo es die Vorherrschaft schon erlangt hat, nämlich auf der Ebene der Tugenden, Werte und Orientierungen, kurz: der kulturellen Hegemonie.“

Doch dazu sollte es nie kommen. Das Buch erzählt die tragische Geschichte eines Konservatismus, der sich im Laufe der Zeit immer nur dazu durchringen konnte, einen mehr oder minder willkürlich gewählten Zeitpunkt in der Vergangenheit als status quo zu behandeln. Leider wird dieser Zeitpunkt immer wieder neu bestimmt, sodass der Konservatismus in Deutschland, wie er im Buch beschrieben wird, der Gegenwart immer um ein paar Jahre hinterherhechelt, anstatt auf „ewigen“ Prinzipien zu beharren.

Man denke an Jens Spahn, der auf Kritik an seiner Homosexualität mit der Aussage reagierte: „Wenn Gott die Homosexualität nicht gewollt hätte, dann gäbe es sie auch nicht.“ Biebricher kommentiert: „Es bedarf eigentlich keiner Erwähnung, dass gemäß dieser erschreckend einfach gestrickten Logik dasselbe auch für Schwangerschaftsabbrüche gelten würde – wie überhaupt die mindestens 2000 Jahre währende theologisch-philosophische Diskussion, wie ein Gott – falls er existiert – angesichts der Vollkommenheit der Schöpfung Leiden und Böses dulden kann, dadurch einfach gegenstandslos würde.“

Wenn das die intellektuellen Kapazitäten der jüngeren Generation des Konservatismus sind, dann gute Nacht. In inhaltlicher Hinsicht habe sich der deutsche Konservatismus „bei allen gelegentlichen symbolpolitischen Maßnahmen daher weitgehend erschöpft“, so Biebricher. Einzige Ausnahme sei die Haushaltspolitik, wobei man sich auch hier fragen darf, ob die „schwarze Null“ konservativ ist, wenn für allen möglichen Unsinn trotzdem Geld ausgegeben wird.

Mitunter ist es nicht ganz leicht, den AusfĂĽhrungen des Autors zu folgen, der ein solides Wissen um die politische Entwicklung seit der Ă„ra Kohl vorauszusetzen scheint. Ansonsten bietet das Buch indes einen guten Ăśberblick, der gleichzeitig die Bedeutungslosigkeit der CDU fĂĽr Christen und Konservative unterstreicht, ohne selbst ausdrĂĽcklich konservativ zu argumentieren.

Martin BĂĽrger

Geistig-moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen Konservatismus
Thomas Biebricher
320 Seiten
Hardcover gebunden mit Schutzumschlag
Erschienen: 2018
ISBN: 978-3-95757-608-8
Matthes & Seitz Berlin
Preis: 28,00 €

Foto: Geistig-moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen Konservatismus (Buchcover) – Bildquelle: Matthes & Seitz Berlin

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