Der Tiber fließt in den Amazonas – Zur Heiligsprechung von John Henry Newman

Ein Kommentar von Clemens Victor Oldendorf.
Erstellt von Clemens Victor Oldendorf am 16. Oktober 2019 um 15:30 Uhr

Während sich die kühnsten Erwartungen und die schlimmsten Befürchtungen an die momentan in Rom tagende Amazonas-Synode knüpfen, hat unser Heiliger Vater, Papst Franziskus, den seligen John Henry Newman am Sonntag, den 13. Oktober 2019, heiliggesprochen. Es gab einmal (vielleicht gibt es sie noch?) die Sendung Zeugen des Jahrhunderts.

John Henry Newman (1801-1890) war für sein viktorianisches 19. Jahrhundert ein solcher Zeuge. Er war zugleich einer der vielleicht spekulativsten britischen Philosophen seiner Zeit. Ja, wahrscheinlich war er mehr Philosoph, als dass er Theologe gewesen wäre. Und das, obwohl sein eigenständiges Denken und Forschen auch die Theologie ungemein befruchtet hat und noch heute befruchten kann, besonders sein Zugang zur Geschichte der Kirche und zu den Kirchenvätern.

Ein Suchender

Newman war zeitlebens Suchender. Als solcher konvertierte er am 9. Oktober 1845 als anglikanischer Geistlicher zur römisch-katholischen Kirche. Er überschritt den Tiber und blieb dabei entschieden ein Englishman und ein Gentleman. Er wurde auch katholischer Priester und fühlte sich von einem der vielleicht römischsten Heiligen angezogen, wenn man von den römischen Märtyrern der ersten Jahrhunderte einmal absieht, vom heiligen Philipp Neri, dessen oratorianische Lebensform er in England beheimatete.

Der große Papst Leo XIII. erhob Newman 1879 in den  Kardinalsstand, der das Erste Vaticanum mit so viel kritischer Loyalität beobachtet und begleitet hatte, nicht nur was die Opportunität seiner Lehrverkündigung betraf. Leo war ganz und gar Thomist und machte diese Methode des Denkens ausdrücklich verpflichtend. Zugleich nahm er mit Newman einen Denker und Gläubigen ins Heilige Kollegium auf, der alles war, bloß kein (Neo-)Thomist. Als Newman 1890 starb, wartete Papst Leo noch ganze sechs Jahre mit Apostolicae curae ab.

Kein Papist, kein Modernist

Newmans Schrift On the Development of Christian Doctrine ist die vielleicht bekannteste in einem populären Sinne von Bekanntheit. Development hat für die einen betörenden Klang: Entwicklung, panta rhei, und macht ihn zum Wegbereiter des Zweiten Vatikanischen Konzils, für die anderen ist er damit einer der Urahnen des Modernismus und suspekt. Weder das eine, noch das andere trifft zu.

Ersteres nicht, weil er bereits das Vaticanum von 1869/70 kritisch betrachtete, ohne welches, formal und inhaltlich, das Vaticanum von 1962 bis 1965 wahrscheinlich so nie möglich geworden wäre. Das Erste Vaticanum ist es auch, das die Amtsführung ermöglicht, die von allen nachkonziliaren Päpsten Papst Franziskus jetzt am entschiedensten umsetzt.

Zweiteres, Modernist, ist Newman nicht, weil Development – wie er es versteht – von einer geradezu unumstößlichen Beharrungskraft ist, so dass man in einem bestimmten Sinne sagen könnte, Newmans Development finde in Ratzingers Kontinuität seine Entsprechung, wenn nicht Ratzinger diese Kontinuität doch stellenweise allzu dialektisch aufgefasst hätte.

Seligsprechung 2010 durch Papst Benedikt

Trotzdem, durchaus spannungsreich, kann man vermuten, dass es Papst Benedikt deshalb ein persönliches Anliegen war, als er Newman am 19. September 2010 seligsprach. Das Datum des Übertritts in die Katholische Kirche, der 9. Oktober, ist seitdem Newman im neuen liturgischen Kalender als sein Gedenktag zugewiesen. Mit der Heiligsprechung hat sich das nicht geändert, und doch ist mit der Heiligsprechung jetzt die ganze Kirche betroffen und angesprochen. So wird der heilige Kardinal Newman ein wirklich bedauerlicher Fall, wo ein Heiliger im Kalender der liturgischen Bücher von 1962 in Messe und Offizium nicht berücksichtigt werden kann, weil der 9. Oktober bereits ein Tag der dritten Rangstufe ist, wo das Formular nicht frei gewählt werden darf.

Glaube als Zustimmung zur Offenbarung – Newmans Glaubensweg

Newmans Buch über die Entfaltung der christlichen Lehre habe ich schon angesprochen. Es ist zweifellos wichtig, wurde aber im Laufe seiner Rezeption viel zu einseitig vereinnahmt und instrumentalisiert. Sosehr, dass man fast sicher davon ausgehen kann, dass die meisten, die dies taten, es nie gelesen haben.

Wer aber Newmans Glaubensweg und Glaubenshaltung wirklich treffend verstehen will, den möchte ich ohnehin weit mehr als auf das vermeintliche Schlüsselwort der Entwicklung auf seine Grammar of Assent, im Deutschen zumeist und nicht schlecht mit Zustimmungslehre übersetzt, verweisen. Newman war noch in einem anderen Sinne unmodern und unmodernistisch, er war weit mehr ein Mann der Doktrin als Pragmatiker.

Die Feier der Heiligsprechung Newmans am vergangenen Sonntag

Noch ein Rückblick auf den 13. Oktober 2019, den Tag der Heiligsprechung. Als diese in Rom stattfand, da begingen traditionsorientierte und traditionstreue Katholiken des Römischen Ritus weltweit den 18. Sonntag nach Pfingsten und hörten in der sehr kurzen Lesung aus dem 1. Korintherbrief die Apostelworte: „Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus. In ihm seid ihr an allem reich geworden, an jeglichem Wort und an jeder Erkenntnis, wie auch das Zeugnis Christi in euch gefestigt wurde, so dass euch nichts fehlt an jeglicher Gnade, indes ihr die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus erwartet“ (Übersetzung Ramm im Volksmissale).

Was könnte besser passen als Überschrift und Kommentar zu Newmans Lebensweg? Und im Evangelium aus Matthäus wurde Sündenvergebung und Heilung an einem Gelähmten, Vollmachtshandeln Christi, berichtet: So wie der Gelähmte zu gehen befähigt wurde, so wurde Newman zu der gesellschaftlich skandalösen Tat ermächtigt, als Engländer und Anglikaner den Tiber zu überschreiten und katholisch zu werden.

Die Hauptüberschrift dieses Beitrags spielt auf einen bekannten Buchtitel an, mit dem versucht wurde, den Hergang des Zweiten Vatikanischen Konzils und seine Folgen anhand der Einflussnahme deutscher und niederländischer Theologen und Konzilsväter zu rekonstruieren und zu verstehen.

Newman und die Amazonas-Synode

Newman war weder vor, noch erst recht nach seiner Konversion eines: Papist. Und so kritisierte er noch am Tage seiner Heiligsprechung Papst Franziskus, wenn dieser wirklich ein Verständnis von Synodalität haben sollte und dieses mit der Amazonas-Synode vorantreiben wollte, aus dem eine Kirche resultieren müsste, in der nahezu alles und zeitgleich das Gegenteil von allem möglich ist. Da ist insofern vielleicht ein Unterschied zwischen den sogenannten Reformen des Zweiten Vatikanums und den jetzigen Impulsen von Papst Franziskus. Jene wurden verpflichtend auferlegt, jetzt werden eventuell nur neue Möglichkeiten eröffnet, aber niemand dazu gezwungen, sie selbst zu nutzen.

Das galt schon für Amoris laetitia und wird auch jetzt gelten. Ganz sicher wird jedenfalls kein Bischof oder Priester, der zölibatär leben möchte, gezwungen werden, dass er heiratet. Es müssten sich ja auch erst einmal Damen finden, die dazu bereit wären.

Eine Kirche in Liquidation

Da Leute wie Newman die Church of England verließen und diese mittlerweile längst eine Kirche ist, in der alles und das Gegenteil von allem möglich ist, ist sie heute eine Kirche in Auflösung, eine Kirche, die auseinanderfällt und der die Mitglieder wegsterben, ohne dass eine neue Generation an deren Stelle tritt. Davor warnt Newman den Papst und Rom, aber auch die Amazonasindianer, wenn diese nicht überhaupt nur neokolonial instrumentalisiert und missbraucht werden für Zwecke, die nicht die ihren sind. Wie auch müssten sich die – ohnehin bescheiden wenigen – Konvertiten fühlen, die in den Personalordinariaten nach Anglicanorum Coetibus Einheit mit der Kirche Roms gefunden haben, wenn diese nur wenige Jahre später selbst ganz offen eine derartige Anglikanisierung vollzöge? Die Frauenordination kann ja nicht ihr einziges Motiv zur Konversion gewesen sein.

Newman warnt aber auch zumindest jene „Traditionalisten“, die sich um jeden Preis und beinahe ängstlich um ein Good-standing mit der Hierarchie und in den offiziellen Strukturen bemühen, nicht zu einer Art Roman Catholic High Church zu verkommen, der zwar eine Nische für ihre Spielereien zugewiesen wird, die aber gegen alle anderen Spielarten nichts mehr einwenden kann.

Alle traditionstreuen Katholiken aber sollten noch einmal in ihrem Schott oder Volksmissale den Introitus vom vergangenen Sonntag nachschlagen, die Amazonas-Synode nicht über Gebühr gewichten – sich beruhigen beziehungsweise gar nicht erst aufregen.

„Keep calm and remain catholic!“  Das ist zwar nicht der Introitus, auf den ich anspiele, aber mit diesem Motto wäre in einem ersten Schritt schon einmal auch Konservativen geholfen, die erst seit und durch Papst Franziskus sich beunruhigt fühlen.

Foto: John Henry Kardinal Newman – Bildquelle: Wikipedia – Maler: Sir John Everett Millais

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