Der Nonkonformist, der Katholik ist – eine Reportage
Die Betrachtung der katholischen Kirche in Deutschland deprimiert. Fast tĂ€glich liest man von Verunstaltungen von Kirchen durch Ă€sthetisch fragwĂŒrdige Raumgestaltungskonzepte, die meist sogar die UmbaumaĂnahmen im Zuge der Liturgiereform an Geschmacklosigkeit weit ĂŒbertreffen. Einige Zeilen weiter wird vom Abriss einer Kirche mangels GlĂ€ubigen berichtet. An anderer Stelle glĂ€nzen kirchliche WĂŒrdentrĂ€ger durch Aussagen, die â euphemistisch ausgedrĂŒckt â selbst eine Herausforderung fĂŒr die eingefleischtesten Kritiker darstellen. Manchmal versteht man sie auch ĂŒberhaupt nicht, denn sie klingen zu sehr nach Corporate-Social-Responsibility-BroschĂŒre eines beliebigen Dax-Unternehmens â hohl und leer. Und nicht selten fragt man sich einfach nach den GrĂŒnden fĂŒr die Vielzahl von Hirten, denen ihr Priestertum sichtlich unangenehm ist und die eigentlich lieber politikerartige Wesen oder irgendetwas anderes wie NGO-Pressesprecher wĂ€ren.
Kircheninternes Abstellgleis
Erfreulicherweise gibt es auch einige Ausnahmen. Eine von ihnen ist PrÀlat Wilhelm Imkamp, Jahrgang 1951, der Direktor des schwÀbischen Wallfahrtsorts Maria Vesperbild.
Man kann mit Recht behaupten, dass es niemandem im deutschsprachigen Raum gibt, der ihm gleichen wĂŒrde. Der 63-jĂ€hrige, der schon vor ĂŒber 25 Jahren durch die Ernennung zum Wallfahrtsdirektor von Maria Vesperbild, ein Amt, das als kircheninternes Abstellgleis gilt, âunschĂ€dlichâ gemacht wurde, ist das, was man von einem katholischen Priester erwartet: katholisch. Bei seinen Fernsehauftritten erscheint er stets als Priester gekleidet, er vertritt katholische Positionen ohne sich hinter einem GerĂŒst aus unverbindlichen und allgemeingĂŒltigen Phrasen zu verstecken und seinen BĂŒchern könnte man das PrĂ€dikat âorthodoxâ verleihen.
An sich sollte dies bekanntlich eine SelbstverstĂ€ndlichkeit sein, aber wir leben in einer Zeit, in der man so etwas explizit betonen muss. Interessanterweise schafft PrĂ€lat Imkamp es dabei immer geistreich, originell und â in nicht inflationĂ€r gebrauchter Weise â authentisch zu wirken; alles Eigenschaften, die progressive Katholiken vermutlich nur durch ihre Positionen oder durch einen schicken Drewermann-GedĂ€chtnis-Pullover glauben erwerben zu können.
Vor einigen Wochen hatte nun ein halbes Dutzend MĂŒnchner KJBler die Gelegenheit PrĂ€lat Imkamp bei einer Vorstellung seines 2013 erschienen Buches âSei kein SpieĂer, sei katholisch!â live zu erleben. Die PrĂ€sentation fand ironischerweise in den RĂ€umlichkeiten der katholischen Studentenverbindung KDStV Aenania in MĂŒnchen statt.
Warum ironisch? Katholische Verbindungen wurden im 19. Jahrhundert als Alternative zu herkömmliche Studentenverbindungen bspw. den stark politisch ausgerichteten Burschenschaften, die schlagend waren und sind, d.h. man schlĂ€gt Mensuren (spezielle Form von Fechtkampf), was nach frĂŒheren kirchlichen Recht verboten war (im CIC von 1983 ist die Mensur nicht mehr explizit erwĂ€hnt), gegrĂŒndet. Damals waren katholische Studentenverbindungen unter ânormalenâ Studentenverbindungen als ultramontan verschrien; zum Teil werden sie noch heute belĂ€chelt. Katholiken wie Clemens August Kardinal Graf von Galen oder der Selige Pater Rupert Mayer S.J (ĂŒbrigens ein Aenane) waren Mitglieder katholischer Verbindungen.
Heutzutage haben katholische Studentenverbindungen in der Regel genauso viel mit Katholizismus gemein wie die CDU. Allerdings gibt es auch einige löbliche Ausnahmen, wie beispielsweise der Gastgeber des Abends, die KDStV Aenania.
Die wahren SpieĂer
Von PrĂ€lat Imkamps BuchprĂ€sentation hatte ich erst sehr kurzfristig und zufĂ€llig erfahren. In der U-Bahn, auf dem Weg zum Verbindungshaus, dachte ich noch darĂŒber nach, was mich wohl erwarten wĂŒrde. Ich hatte hier und dort am Rande etwas ĂŒber ihn gelesen, das ein oder andere Plakat von Maria Vesperbild, das gar nicht so abschreckend war â im Vergleich zu anderen Plakaten die in der Diözese MĂŒnchen-Freising aushĂ€ngen, gesehen. Vor einigen Jahren, so fiel mir ein, hatte es sogar ein lĂ€ngeres Interview im Magazin der SĂŒddeutschen Zeitung mit dem âPR-Mann Gottes, so wurde der PrĂ€lat dort genannt, gegeben, aber ich erinnerte mich nur noch dunkel an den Inhalt. Es blieb also spannend. Um 20:00 Uhr sollte die Veranstaltung beginnen, einige Minuten nach acht erscheint ein hagerer Mann, PrĂ€lat Imkamp, im Clergy Man mit einer sehr schönen, sprich gut verarbeiteten, Aktentasche. DrauĂen stĂŒrmt es.
Er stellt sich an das Rednerpult, setzt die Aktentasche rechts neben sich ab und beginnt frei zu den Anwesenden, die an halbkreisförmig angeordneten runden Tischen sitzen, zu sprechen. Seine schwarzen, vermutlich aus poliertem Onyx bestehenden, Manschettenknöpfe, blitzen. PrĂ€lat Imkamp legt gleich los. ZunĂ€chst einmal kritisiert er, anlĂ€sslich der einige Tage zuvor abgeschlossenen dritten AuĂerordentliche Generalversammlung der Bischofssynode zum Thema Familie, die deutschen KardinĂ€le, die sich seit Monaten Ă€uĂerst energisch fĂŒr den Kommunionempfang Wiederverheiratet-Geschiedener einsetzen.
Den Gesichtern der anderen Anwesenden und nicht nur der, der anderen MĂŒnchner KJBler nach zu urteilen bin ich nicht die einzige, die die klaren und harten Worte des Monseigneur verwundern. Habe ich mich verhört? Ist das Ironie? Ein âAmtskirchlerâ, der andere âAmtskirchlerâ so treffend kritisiert? Wie er angesetzt hat, so fĂ€hrt er bei seinem Impulsvortrag, der aus einer Ansammlung von Anekdoten, mit zum Teil kritischer Botschaft, besteht, fort. Er stellt fest, dass der Katholik, der seinen Glauben ernst nimmt und dem Zeitgeist widersteht, kein SpieĂer, sondern viel mehr ein Nonkonformist, im wahrsten Sinne des Wortes, ist. Die wahren SpieĂer sind, seinen AusfĂŒhrungen folgend, all die aufgeklĂ€rten Geister unserer Zeit, seien es verklemmte BildungsbĂŒrger oder Radikalfeministinnen. Nach wenigen Minuten lachen nicht wenige ĂŒber seine geistreichen Pointen, es gibt spontane Beifallsbekundungen. Sogar Papst Innozenz III, dessen Schrift De miseria humanae conditionis dem ein oder anderen bekannt sein dĂŒrfte, findet an diesem Abend einige Male ErwĂ€hnung â PrĂ€lat Imkamp wurde an der Gregoriana mit einer Arbeit ĂŒber dessen Kirchenbild zum Doctor Theologiae promoviert
Im Anschluss zu seinem Vortrag besteht die Möglichkeit, Fragen zu stellen.
Eine Frau, mittleren Alters, die den Vortrag wohl als nicht sonderlich unterhaltsam empfunden hat, meldet sich zu Wort. Ich besitze leider ein sehr schlechtes GedĂ€chtnis fĂŒr die wortwörtliche Wiedergabe von Gesprochenem, doch zusammenfassend kann man sagen, dass diese Frau, eine exquisite Auslese der klischeehaftesten Argumente gegen die katholische Glaubenslehre und insbesondere der Morallehre Ă la âDie katholische Glaubens-/Morallehre muss a) im historischen Kontext gesehen werden, ist b) fĂŒr die Masse der Menschen nicht ansatzweise umsetzbar und c) durch den Geist des 2. Vatikanischen Konzils revidiert wordenâ, prĂ€sentiert, die man sich vorstellen kann. Bilderbuchhaft. Viele hĂ€tten angesichts dieser Frau kalte FĂŒĂe bekomme, man weiĂ zwar, dass derartige Argumente ziemlich billig sind, doch um sie zu widerlegen, mĂŒsste man Klartext reden und das ist heutzutage unangenehm..
PrĂ€lat Imkamp allerdings ist ĂŒber diese Wortmeldung sichtlich erfreut, was er auch zugleich zugibt, denn so könne er das, was er soeben âgepredigtâ habe, vorfĂŒhren. In der Tat, er antwortet ihr ohne Umschweife; das, was er sagt, ist sogar sehr gewandt. Die Leute lachen. Die Frau lacht nicht, sie hakt nach, stellt sich als Theologin vor, bemĂŒht die Biographien ihrer Bekannten um bspw. das Engagement deutscher Bischöfe fĂŒr die Zulassung Wiederverheiratet-Geschiedener zur Kommunion zu rechtfertigen und wird wiederum entlarvt.
Weitere, eher unspektakulĂ€re, Fragen folgen und werden tadellos katholisch beantwortet. SchlieĂlich wird die Diskussion beendet. Auf dem Tischchen vor dem Vortragsraum hatte PrĂ€lat Imkamp Andachtsbildchen und den Wallfahrtskalender von Maria Vesperbild ausgelegt; vielleicht war er deswegen leicht verspĂ€tetet am Rednerpult angekommen.
Auf meinem Heimweg resĂŒmiere ich den Abend. Es war ein auĂergewöhnlicher Vortrag gewesen, geistreich, unterhaltsam, katholisch und eloquent; eine Kombination, die man leider Ă€uĂerst selten antrifft. PrĂ€lat Imkamps Direktheit ist beeindruckend. Seine take-home-message lautet âKatholizismus ist Nonkonformismusâ â ich vergleiche das schwarz-graue Strickkleid, das ich trage, mit den Jeans der anderen FahrgĂ€ste und nicke. Ich steige aus, eile die Stufen zur OberflĂ€che hoch. DrauĂen ist es windstill.
LÀhmende Betroffenheitslyrik und Empörungsrhetorik
Einige Tage spĂ€ter fiel mir durch eine glĂŒckliche FĂŒgung Monseigneur Imkamps schon erwĂ€hntes Buch, âSei kein SpieĂer, sei katholisch!â in die HĂ€nde. Da es nicht sonderlich dick ist, las ich es innerhalb kurzer Zeit durch. Es erinnert ein wenig an G. K. Chestertons Werke und auch entfernt an den spĂ€ten Gerd-Klaus Kaltenbrunner, einen leider viel zu unbekannten österreichischen Privatgelehrten und Philosophen. Der Inhalt per se mĂŒsste dem praktizierenden Katholiken, der sich ein wenig mit seinem Glauben beschĂ€ftigt, gelĂ€ufig sein.
Monseigneur Imkamp beginnt mit konkreten VorschlĂ€gen fĂŒr das Jahr des Glaubens (Stichwort: Reform beginnt mit der Beichte), dem Erscheinungsjahr des Werkes, kritisiert SpieĂer und den deutschen Akademie- und RĂ€tekatholizismus, klĂ€rt ĂŒber die verbreitetsten IrrtĂŒmer ĂŒber die Marienverehrung und die katholischen Mystik auf und plĂ€diert fĂŒr einen selbstbewussten Katholizismus. Denn der Katholik brauche sich weder fĂŒr die vielen Errungenschaften der Kirche, seien sie auf kultureller oder zivilisatorischer Ebene noch fĂŒr ihre, vom SpieĂern verkannten, Lebensfreude, die allein schon durch die Vielzahl von kirchlichen Festen bewiesen wird, zu verstecken.
SelbstverstĂ€ndlich beinhaltet das Buch auch eine Passage zum, von ihm geprĂ€gten, Begriff der âClerical Correctnessâ, die im kirchlichen Kontext analog zur âPolitical Correctnessâ aufgefasst werden kann. AuĂerdem empfiehlt er des Ăfteren Marienwallfahrten bspw. nach Maria Vesperbild.
Wirklich lesenswert ist das Buch aus zwei GrĂŒnden: einerseits durch PrĂ€lat Imkamps Sprache und anderseits durch das Kapitel mit dem Titel âDer aufgeklĂ€rte SpieĂerâ.
Seine Formulierungen sind wirklich auĂergewöhnlich. So beschreibt er zum Beispiel die Kirchenlandschaft in Deutschland folgendermaĂen: âIn der kirchlichen Landschaft heute ĂŒberwiegt allerdings eine Mischung aus pubertĂ€ren Ăbermut und prĂ€seniler Weinerlichkeit, verbunden mit einer geradezu penetranten emotionalen Inkontinenz, die sich in lĂ€hmender Betroffenheitslyrik und Empörungsrhetorik erschöpft.â. Grandios. Im Kontext der OriginalitĂ€t der heutigen HĂ€retiker schreibt er von der âHĂ€resieproduktion als Nostalgiebetriebâ und ĂŒber den Charme des Magnificats kann man lesen, dass nicht einmal das âSĂ€urebad [der] historisch- kritischen Exegeseâ es vermocht hat, es aufzulösen.
Das Kapitel âDer aufgeklĂ€rte SpieĂerâ kann als eine Art kurze Genealogie des aufgeklĂ€rten SpieĂertums, beginnend mit dem Humanismus der Renaissance, gelesen werden.
PrĂ€lat Imkamp stellt hierbei die katholische Kirche als Alternative zum engstirnigen aufgeklĂ€rten SpieĂertum vor, was er anhand mannigfacher historischer Beispiele, die von der AktualitĂ€t einer Schrift des Theatinerpaters Antonio Diana aus den 17. Jahrhundert zum Thema der Steuergerechtigkeit bis zur Konversion des Dadaisten Hugo Balls zum Katholizismus reichen, untermauert. Dieses Kapitel ist in seiner KĂŒrze und in seinem Facettenreichtum bei der Auswahl der Beispiele wahrhaftig auĂergewöhnlich.
Alles in allem ein lesenswertes Werk, das um einiges tiefgrĂŒndiger ist, als es sein Titel vermuten lĂ€sst, ohne jedoch zu einer kryptischen Abhandlung auszuarten. Ein Buch, das je nach Leser unterhĂ€lt und/oder zum Weiterdenken anregt.
Champagner und Katholizismus
Bevor nun alle Freunde unterhaltsamer Apologetik dieses Buch kaufen, möchte ich darauf hinweisen, dass es von einem Hermeneutiker der KontinuitĂ€t, der gleichzeitig Konsultor der Selig- und Heiligsprechungskongregation ist, verfasst wurde, d.h., es existieren durchaus kritische Passagen ĂŒber Hermeneutiker des Bruchs und prominente Selig- und Heiligsprechungen der jĂŒngsten Zeit werden aus historischer Sicht gesehen und so zum Teil, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, auf diese Weise begrĂŒndet.
Wie man sieht, sind PrĂ€lat Imkamps AusfĂŒhrungen bezĂŒglich dieses Punktes weder sachlich falsch noch unĂŒberlegt, sondern ganz im Gegenteil, seine Position ist sehr kohĂ€rent, davon abgesehen, welche Meinung man persönlich vertritt.
Ich möchte mit dem letzten Satz von âSei kein SpieĂer, sei katholisch!â schlieĂen: âDas katholische LebensgefĂŒhl ist menschenfreundlich. Der Champagner wurde im Benediktinerkloster erfunden. Von einem preuĂischen Staatschef kam die Sektsteuer.â. Die Interpretation dieses Satzes sei jedem Leser selbst ĂŒberlassen. Cin Cin.
Die Autorin ist Studentin an der jesuitischen âHochschule fĂŒr Philosophie MĂŒnchen“.
Foto: Sei kein SpieĂer, sei katholisch! – Bildquelle: Kösel Verlag