„Der Kampf um die Kirche“
Die geistliche Landschaft in Deutschland wird immer dürrer und macht immer mehr Gläubigen zu schaffen. Umso dankbarer darf man auf die Oasen heutiger Zeit blicken, Aufbrüche, die das lebendige Wasser den Dürstenden wieder zugänglich machen. Auf akademische und doch lebensnahe Weise geschah dies beim dritten digitalen Studientag des Arbeitskreises „Christliche Anthropologie“ am 7. November zum Thema „Der Kampf um die Kirche.“ Aus Anlass der bedenklichen Entwicklungen auf dem Synodalen Weg brachten sich fünf Referenten auf je verschiedene Weise ein mit Beiträgen zur Bestandsaufnahme, persönlichen Einblicken in die Synodalversammlungen und konkreten Alternativen für eine echte Erneuerung der Kirche. Die Veranstaltung wurde wie zuvor von Dr. Dominik Klenk, Publizist und Leiter des Fontis Verlags, moderiert.
Weder gusseiserne Natur noch willkürliche Kultur
Den Anfang machte Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz mit dem Vortrag „Liebe, Leib und Lust“. Lassen sich „Natur“ und „Person“ in der Liebe wirklich trennen? Auf prägnante Weise entwarf sie ein Koordinatensystem mit den Achsen „Natur“, „Person“ und „Kultur“ entgegen einer Auseinanderentwicklung dieser drei Größen. Sie entkräftete einerseits den „Unmut der Natur“ (Judith Butler) und die maßlose Überschätzung des menschlichen Willens in Losgelöstheit von Natur und Kultur. Andererseits erklärte sie die schädlichen Konsequenzen einer Losgelöstheit der Natur oder der Kultur vom Rest, auch die Losgelöstheit von einem höheren Ziel. In diesem Zusammenhang definierte sie auch den Personbegriff, der sich gleichermaßen zusammensetzt aus Autonomie und Selbsttranszendierung auf ein Gegenüber.
Diese terminologischen und philosophischen Absteckungen liefen darauf hinaus, den Menschen in seiner Gottgewolltheit und Geschöpflichkeit entgegen aller Perversionen und Verzerrungen zu rekonstruieren, gewiss nicht ohne seine Zerbrochenheit durch die Erbsünde zu benennen. Insbesondere die Zweigeschlechtlichkeit wurde in Abgrenzung zum platonischen Einwand eines Fehlers als pures Glück bezeichnet. In dem Zusammenhang erklärte Gerl-Falkovitz auch die leibliche Dimension des Menschen, da seine Hingabe insbesondere über die Leiblichkeit geschehe. Letztendlich kann die Kirche nur als leibfreundlich bezeichnet werden, wie sie mit dem tertullianischen Grundsatz caro salutis est cardo zum Ausdruck gebracht hat: Das Fleisch ist der Angelpunkt des Heils, sonst wäre Gottes Menschwerdung überflüssig gewesen. Die Auferstehung ist eine Auferstehung des Leibes und Grund zur Freude. Gerl-Falkovitz schloss ihren Vortrag mit dem Fazit: „Leib, Liebe und Lust müssen einheitlich sein, angenommen werden, geheiligt werden und geheilt werden.“
Solist oder Delegant?
Es schloss sich ein Vortrag Kardinal Kaspers an, der aus Rom dazugeschaltet wurde. Der Titel lautete „Die Macht, Ohnmacht und Vollmacht eines Bischofs“ Was darf ein Bischof delegieren?“ Er fand deutliche Worte gegen das erste Synodalforum und das im Vorfeld erarbeitete Arbeitspapier, dessen Titel bereits erahnen lässt, dass es sich mehr von politologischen und soziologischen Fragestellungen leiten lasse als von theologischen. Er räumte den Bestrebungen einer Demokratisierung ein berechtigtes Anliegen ein, das aber die Grenze übersteige, sobald es die Wesenseigenschaften der Kirche berühre. Ausgehend von einer solchen Problematisierung machte er das Selbstverständnis der Kirche bei grundlegenden Fragen deutlich wie z.B. als Gottesvolk, das nicht zusammenkommt, um den eigenen Willen durchzusetzen, sondern zu hören, was Gott zu sagen hat. Er stellte zudem klar, was es mit dem Begriff des Priestertums auf sich habe. Dabei differenzierte er sauber, was das gemeinsame Priestertum im Gegensatz zum Weihepriestertum bedeute. Er entfaltete vor allem das Amt des Bischofs als „Aufseher“ von den Grundlagen der Apostel her und reicherte die Erklärungen mit seinen persönlichen Erfahrungen als Bischof an. Sie „haben Sorge zu tragen, dass die Verkündigung des Evangeliums nicht verstummt und nicht durch Falschlehre verkehrt und verkürzt wird.“ Da die Evangelisierung und Bewahrung des Evangeliums höchste Priorität haben sollte, verfehlten die deutschen Bischöfe ihren ureigenen Auftrag beim Synodalen Weg, wenn dort die Evangelisierung ausdrücklich abgelehnt werde. Dass auch der Papst zur Evangelisierung angemahnt habe und die Synodalen dies dennoch nicht beachtet hätten, bezeichnete Kasper als „Ursünde des Synodalen Wegs.“
Der Bischof sei kein Solist, könne vieles delegieren, so Kasper. Seine ihm verliehene Macht sei eine sacra potestas. Seine Aufgabe sei, bei allen delegierten Aufgaben insbesondere des administrativen und wirtschaftlichen Bereichs zu achten, dass alles vom Evangelium her geschieht und diesem nicht zuwiderlaufe. Am Beispiel des hl. Martin von Tours, dessen Gedenktag wir heute begehen, zeigte Kasper auf, wie das Aufseheramt des Bischofs konkret aussehen müsse und dass „leiten“ nicht zu verwechseln mit „kommandieren“ sei.
Von einer Ekklesiozentrik zu einer Christozentrik
Der dritte Vortrag von Pfarrer Bodo Windolf mit dem Titel „Meine Vision von einer erneuerten Kirche. Ein Münchner Pfarrer wird konkret.“ legte einen praktischen Schwerpunkt, bei dem ein Weg der evangeliumsgetreuen Erneuerung aufgezeigt wurde. Pfarrer Windolf knüpfte an die Ausführungen Kardinal Kaspers an, dass die Streichung der Evangelisierung auf dem Synodalen Weg ein großer Fehler sei. Synode heiße „gemeinsamer Weg“, doch jener Dialogprozess sei in Wirklichkeit ein Weg der Spaltung. Ausgehend vom ignatianischen Prinzip „Jeder gute Christ muss mehr bereit sein, eine Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verdammen“ entfaltete er ein Plädoyer für Geduld, statt Beliebigkeit, Klarheit in der Lehre und der Moral, aber auch eine ganz große Weite in der Begegnung mit den Menschen. Vertiefend verglich er den deutschen Synodalen Weg mit dem weltweiten Synodalprozess, bei dem eben keine neue Kirche, sondern ein neuer Stil des Zuhörens geschaffen werden solle. Bei seinem Erfahrungsbericht, in dem er zahlreiche eigene Evangelisierungsprojekte mit dem Auditorium geteilt hat, stellte er heraus, dass eine den Menschen als Person fordernde Moral wieder an Strahlkraft zurückgewinne und unpopular opinions nicht einfach glattgebügelt werden dürften. Auf dem Synodalen Weg offenbare sich eine ungesunde Ekklesiozentrik, wobei echte Reform durch eine radikale Christozentrik herbeigeführt werden müsse. Dies konkretisierte er am Beispiel der Sakramentsvorbereitung in seinem Wirkungsbereich sowie anhand von Kursangeboten (Alpha-Kurs, Kath-Kurs).
Ecclesia semper reformanda – aber nicht genmanipuliert
Mit dem Vortrag von Dorothea Schmidt wurde der Zuhörerschaft ein tiefer Einblick in die Synodalversammlungen gewährt. Der Titel lautete „Im Dschungel der synodalen Strategien. Erfahrungen mit der Kirchenpolitik in der Synodalen Vollversammlung.“ Auch sie kritisiert zutiefst die Antastung der „DNA der Kirche“ und den missverstandenen Grundsatz einer ecclesia semper reformanda. Sie schloss sich mit ihren Aussagen ihren Vorrednern an, die eine vom hl. Geist geleitete Kirche und christuszentrierte Reformbestrebung befürworteten. Die Machtinteressen, die sich auf schmerzliche Weise auf dem Synodalen Weg entladen würden, gingen an diesem Kern vorbei. Sie berichtete aus erster Hand von Sticheleien und regelrechtem Mobbing gegen die Minderheitsmeinungen und kritisierte unter anderem die unrechtmäßige Verwendung eines Kartensystems ganz nach den Vorgehensweisen der Jugendverbände. Auf dem Synodalen Weg herrsche keine Einmütigkeit, sondern eine „schwierige Dialogkultur“. Zudem würden „grüne Allüren“, theologisch „unterbelichtete“ Forderungen einer neuen kirchlichen Lehre, viel zu kurze Redezeiten und viele Vorurteile gegenüber der Kirche einen echten Reformprozess erschweren. Schmidt entfaltete stattdessen einen fruchtbaren Weg der Erneuerung ausgehend von einer „to-do-Liste“, in der viele Aspekte ihrer Vorredner genannt wurden und desweiteren die Sakralität und Würde des menschlichen Lebens sowie die Einheit mit Rom aufgeführt worden sind.
Der Synodale Weg als Revolution mit stumpfen Schwertern
Ein letzter Zugang zum Motto des dritten Studientages „Kampf um die Kirche“ erfolgte auf kirchenrechtlicher Ebene. Prof. Stefan Mückl setzte sich mit der Frage auseinander: „Wie verbindlich sind die ‚verbindlichen Beschlüsse‘ des Synodalen Wegs?“ Zunächst brachte er das Auditorium auf einen terminologisch gemeinsamen Nenner: Was ist Synode und Synodalität? Was unterscheidet die seit dem Zweiten Vaticanum bestehende Bischofssynode vom ökumenischen Konzil und wie ist in diesem Zusammenhang der Synodale Weg einzuordnen?  Der Synodale Weg unterscheide sich grundsätzlich vom Rest. Er könne als „institutionalisierte Modalität des innerkirchlichen Petitionsrechts“ bezeichnet werden. Seine Satzung beinhalte ein gleiches Stimmrecht für alle, also nicht nur der Bischöfe, wenn auch eine doppelte 2/3-Mehrheit bei der Abstimmung von Beschlüssen vorausgesetzt werde, also eine 2/3-Mehrheit der Bischöfe innerhalb der 2/3-Mehrheit der Anwesenden, die zu einer Beschlussfähigkeit notwendig ist. Die Satzung gebe her, dass die Beschlüsse des Synodalen Wegs nicht rechtskräftig seien, sondern ihre Umsetzung der jeweiligen kirchlichen Autorität vorbehalten werde. Mückl erinnerte an den Grundsatz, nach dem geltenden Kirchenrecht kein untergeordneter Gesetzgeber ein Gesetz beschließen dürfe, das dem höheren Recht widerspreche. Er konkretisierte dies anhand von Beispielen wie dem Versuch der Zölibatslockerung oder der Frauenweihe. Dabei erinnerte er an einen Brief des Präfekten er Bischofskongregation an den ehemaligen Vorsitzenden der DBK, in dem klar gesagt wurde, dass die Themen des Synodalen Wegs „mit wenigen Ausnahmen nicht Gegenstand von Beschlüssen und Entscheidungen einer Teilkirche sein [könnten], ohne gegen die Einschätzung des hl. Vaters zu verstoßen.“ Selbst der Papst könne nicht grenzenlos handeln. Er unterstehe in seinem Jurisdiktionsprimat dem göttlichen Gesetz und könne nichts verabschieden, was diesem widerspreche. Zusammenfassend könne man also sagen, dass der Synodale Weg keine verbindlichen Beschlüsse vornehme und kein bei besprochenen Themen die Befugnis einer Umsetzung habe. Bei Zuwiderhandlung ziehe er sich die Exkommunikation zu. Letztendlich sei der Synodale Weg eben kein Reformprozess im Sinne einer ecclesia semper reformanda, sondern eine Revolution, eine Umkehrung der bisherigen Lehre, mithilfe einer stumpfen Waffe – einer Satzung, die ins kirchenrechtliche Nirgendwo führt.
Insgesamt kann man als Teilnehmer an dem Studientag ehrlicherweise schlussfolgern: Man hat an diesem Nachmittag mehr über Erneuerung und echte Reform gelernt als in den vergangenen zwei Jahren des Synodalen Wegs. Es bleibt zu hoffen, dass die wichtigen Impulse auf einen fruchtbaren Boden fallen und konkrete Folgen nach sich ziehen: Auf eine exakte Diagnosizierung der Krankheit muss eine Therapie erfolgen, sonst kommt es nicht zur Gesundung.
Foto: Margarete Strauss – Bildquelle: Margarete Strauss (Privatarchiv)