Das Neue ist eigentlich das Alte
Von Gero P. Weishaupt:
Es ist die Berufung der Laien, die Kirche in der Welt präsent zu machen. Das ist die Kernaussage von Artikel 33 von Lumen gentium. Die Sendung der Laien sehen die Konzilsväter verankert in ihrer Teilhabe am dreifachen Amt Christi, das bereits in dieser Reihe mehrmals angesprochen worden ist: das Priester- Propheten- und Hirtenamt, bzw. das Heiligungs-, Verkündigungs- und Leitungsamt. Dabei ist deutlich, dass die Weise der Teilhabe die Laie von den geweihten Amtsträgern unterscheidet. Dennoch betont das Konzil die Einheit in der Sendung und die Komplimentarität der verschiedenen Berufungen und Aufgaben zum Aufbau des Leibes Christi, der die Kirche ist.
Einheit und Verschiedenheit
In den folgenden drei Artikeln gehen die Konzilsväter auf die drei Ämter Christi und der Teilhabe der Getauften daran ein. Der gegenständliche Artikel 34 handelt über die Teilhabe am Priesteramt Christi. Bereits in Lumen gentium 10 wird auf das Verhältnis von gemeinsamem/allgemeinem Priestertum aller Getauften und dem besonderen/hierarchischen Priestertum der Geweihten hingewiesen und ausgesagt, dass beide Weisen der Teilhabe auf eineinander zugeordnet sind, wenngleich (licet) – so erinnern die Konzilsväter – dass hierarchische Priestertum sich nicht nur dem Grade (gradu), sondern auch dem Wesen nach (essentia) vom allgemeinen Priestertum unterscheidet.
Heilige Schrift und Kirchenväter
Im Rahmen ihrer Berufung hebt das Konzil in Artikel 34 hervor, dass die Laien durch Taufe (und Firmung) gewissermaßen „geweiht“ (dicati) und „gesalbt“ (uncti) sind, wodurch sie am Priestertum Christi auf ihre Weise teilnehmen. Diese Lehre hat ihre Wurzeln in der Heiligen Schrift und in den Schriften der Kirchenväter. Der Konzilstext zitiert den 1 Petrusbrief, wo es heißt: „So lasset auch ihr euch nun aufbauen als lebendige Steine zum geistlichen Hause, zum heiligen Priestertum, um geistliche Opfer zu opfern, die Gott angenehm sind durch Jesus Christus“ (1 Petr 2, 5). Etwas später heißt es im Petrusbrief: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk, ein Volk des Eigentums, damit ihr die Tugenden dessen verkündiget, der euch aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat“ (1 Petr 2, 9). Die Lehre vom gemeinsamen Priestertum aller Getauften ist in der nachtridentinisch antireformatorischen Theologie und Verkündigung in den Hintergrund getreten. Auf der Grundlage bibilischer und patristischer Studien haben die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils die alte Lehre wiederentdeckt. Was als neu (und irrtümlicherweise als Gedankengut der Reformation) verstanden wurde, ist eigentlich das Alte und Ursprüngliche.
Das Leben in das eucharistische Opfer Christi hineinnehmen
Die Konzilsväter führen sodann konkrete Beispiele an, wie die Laien das allgemeine Priestertum umsetzen: durch „ihre Werke, Gebete und apostolischen Unternehmungen, ihr Ehe- und Familienleben, die tägliche Arbeit, die geistige und körperliche Erholung, wenn sie im Geist getan werden, aber auch die Lasten des Lebens, wenn sie geduldig ertragen werden“, und indem sie dieses ihr Leben „(b)ei der Feier der Eucharistie … mit der Darbringung des Herrenleibes dem Vater in Ehrfurcht“ darbieten. „So weihen auch die Laien, überall Anbeter in heiligem Tun, die Welt selbst Gott.“
Das Opfer der Laien wird hineingenommen in das eucharistische Opfer. Hierin liegt der eigentliche und tiefste Sinn der tätigen Teilnahme der Gläubigen an der Feier des heiligen Messopfers. Denn im eucharistischen Kult verwirklichen sie in Gemeinschaft mit dem besonderen Priestertum des geweihten Amtsträgers ihr allgemeines/gemeinsames Priestertum. Auch das ist keine Erfindung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Es sind Aussagen, die bereits Papst Pius XII. in seiner Enzyklika Mediator Dei von 1947 theologisch ausgearbeitet und damit Anliegen der Liturgischen Bewegung, als „Zeichen der Zeit“ gedeutet, bereits lehramtlich bestätigt hat.
Konsequenz fĂĽr die Liturgie
Die Wiederentdeckung des gemeinsamen Priestertums der Getauften fĂĽhrte auch zur Erneuerung der Liturgie, die eine tätige Teilnahme ermöglichen soll. Vor diesem Hintergrund muss die Bestimmung der Liturgiekonstitution verstanden werden, dass „Texte und Riten so geordnet werden, dass sie das Heilige, dem sie als Zeichen dienen, deutlicher zum Ausdruck bringen, und so, dass das chistliche Volk sie möglichst leicht erfassen und in voller, tätiger und gemeinschaflticher Teilnahme mitfeiern kann“ (SC, Nr. 21). Auch der größere Raum, der der Muttersprache in den liturgischen Feiern zugebilligt wird, „vor allem in den Lesungen und Hinweisen und in einigen Orationen und Gesängen“ (SC, Nr 36 § 2), muss vor dem Hintergrund des gemeinsamen Priestertums und der daraus folgenden tätigen Teilnahme verstanden werden. Der erweiterte Gebrauch der Muttersprache findet darin seine Berechtigung. Allerdings besagt das nicht die Aufgabe der lateinischen Sprache, wie aus dem Wortlaut der Nr. 36 § 2 der Liturgiekonstitution folgt. Latein weiterhin als Sprache der Liturgie zu erhalten ist eine ausdrĂĽckliche Vorgabe des Zweiten Vatikanischen Konzils (vgl. SC 36 § 1). Das praktische Verschwinden der lateinischen Sprache aus der Liturgie in der nachkonzliaren Zeit ist Folge einer Bruchhermeneutik, von der Papst Benedikt XVI. in seiner Ansprache an die Römische Kurie von 22.12.2005 gesprochen hat. Die Folge dieses Bruches ist, dass  das Zweite Vatikanische Konzil auch in dieser Hinsicht nicht seinen Vorgaben entprechend umgesetzt worden ist. .
Text von Lumen gentium 34
Da der ewige Hohepriester Christus Jesus auch durch die Laien sein Zeugnis und seinen Dienst fortsetzen will, macht er sie durch seinen Geist lebendig und treibt sie unaufhörlich an zu jedem guten und vollkommenen Werk.
Denen nämlich, die er mit seinem Leben und seiner Sendung innigst verbindet, gibt er auch Anteil an seinem Priesteramt zur AusĂĽbung eines geistlichen Kultes zur Verherrlichung Gottes und zum Heil der Menschen. Deshalb sind die Laien Christus geweiht und mit dem Heiligen Geist gesalbt und dadurch wunderbar dazu berufen und ausgerĂĽstet, daĂź immer reichere FrĂĽchte des Geistes in ihnen hervorgebracht werden. Es sind nämlich alle ihre Werke, Gebete und apostolischen Unternehmungen, ihr Ehe- und Familienleben, die tägliche Arbeit, die geistige und körperliche Erholung, wenn sie im Geist getan werden, aber auch die Lasten des Lebens, wenn sie geduldig ertragen werden, „geistige Opfer, wohlgefällig vor Gott durch Jesus Christus“ (1 Petr 2,5). Bei der Feier der Eucharistie werden sie mit der Darbringung des Herrenleibes dem Vater in Ehrfurcht dargeboten. So weihen auch die Laien, ĂĽberall Anbeter in heiligem Tun, die Welt selbst Gott.
Foto: Kelch. Bildquelle – Bildquelle: C. Steindorf, kathnews