Bundesverwaltungsgericht Leipzig „spielt Ball zurück“

Was das Urteil vom 26. September 2012 theologisch und kirchenrechtlich bedeutet. Ein Kommentar von Clemens Victor Oldendorf.
Erstellt von Clemens Victor Oldendorf am 27. September 2012 um 20:38 Uhr
Banknoten

Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes Leipzig ist ein teilweiser Kirchenaustritt aus einer Religionsgemeinschaft, die in der Bundesrepublik Deutschland den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts genießt, staatskirchenrechtlich nicht möglich. Das heißt, dass es nicht möglich ist, eine solche Religionsgemeinschaft nur in ihrer Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechtes zu verlassen, ihr aber als Glaubensgemeinschaft weiterhin anzugehören.

Der aufschlussreichste Satz der Urteilsbegründung lautet: „Die Erklärung (des  Kirchenaustritts auf dem Standesamt, Anm. d. Verf.) bezieht sich nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt nicht auf eine von der Glaubensgemeinschaft getrennte Körperschaft des öffentlichen Rechts, sondern auf die Glaubensgemeinschaft der römisch-katholischen Kirche in der Form, wie sie im Geltungsbereich des Kirchensteuergesetzes besteht.“ Wiederum in diesem Satz sind die Worte: „die Glaubensgemeinschaft der römisch-katholischen Kirche in der Form, wie sie im Geltungsbereich des Kirchensteuergesetzes besteht“ der Kern, den wir beachten müssen. Wer einen theologischen Sinn für Humor hat, der kann sich ausmalen, dass dieser Satz, wäre er in Latein verfasst, möglicherweise die Formulierung „subsistit in“ aus LG 8 übernehmen würde.

Ein staatskirchenrechtlich konsequentes „subsistit in“

Zunächst: Staatskirchenrechtlich ist das Urteil nicht zu beanstanden. Es ist sogar sehr stringent und logisch. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund der Argumentation des Gerichtes, das vom Grundgesetz garantierte Grundrecht auf Religionsfreiheit schließe auch das Recht ein, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören und keinen Glauben zu haben, beziehungsweise das Recht, eine bestehende Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft zu beenden. Sodann ergibt sich aus dem Urteil, dass die Glaubensgemeinschaft der römisch-katholischen Kirche im Geltungsbereich des Kirchensteuergesetzes aus staatskirchenrechtlicher Perspektive ausschließlich als Körperschaft des öffentlichen Rechtes existiert beziehungsweise besteht, oder sollen wir unsere humoristische Anspielung aufgreifen und: „subsistiert“ schreiben?

Die Deutschen Bischöfe werten das Urteil als Bestätigung ihrer Rechtsauffassung, auch und gerade vor dem Hintergrund des jüngsten Allgemeinen Dekretes der DBK zum Kirchenaustritt vom 20. September 2012. Es fragt sich, ob sie dieses Urteil aus taktischen Gründen als Erfolg verkaufen, oder ob sie es tatsächlich für einen Erfolg halten. Denn, was staatskirchenrechtlich gilt, ist noch lange nicht theologisch oder kirchenrechtlich maßgeblich. Theologisch können es die Deutschen Bischöfe doch wohl nicht für adäquat und zutreffend halten, zu behaupten, die Sichtbarkeit der Kirche sei in Deutschland ausschließlich und erschöpfend diejenige, die einer Religionsgemeinschaft zukommt, wenn und insofern sie staatlich anerkannte Körperschaft des öffentlichen Rechtes ist.

Verhältnis von Orts- und Weltkirche und Sichtbarkeit der Kirche als theologische Größe

Auf der theologischen Ebene wird damit wieder das an die Bischöfe gerichtete Schreiben der Glaubenskongregation Communionis notio vom 28. Mai 1992  relevant, in dem der damalige Präfekt der Glaubenskongregation Joseph Kardinal Ratzinger lehramtlich unterstrich, dass es ontisch eine Priorität der Universalkirche vor der Ortskirche gebe. Daran schloss sich damals ein als „Disput der Kardinäle“ bekanntgewordener theologischer Schlagabtausch zwischen Walter Kasper und Joseph Ratzinger an. Obgleich damals Ratzinger zugestand, dass es chronologisch schwieriger sei, zu klären, was zuerst dagewesen sei: Orts- oder Weltkirche?, so ist doch seine Position, die mit Communionis notio zu derjenigen des kirchlichen Lehramts geworden ist, wahrscheinlich folgendermaßen am besten auf den Punkt zu bringen: Die Kirche Jesu Christi ist ihrem Wesen nach Weltkirche. Freilich wurde sie einst an einem Ort erstmals als Gemeinde gegründet. In dieser ersten Ortskirche besaß die Kirche bereits den Charakter der Weltkirche und die Anlage und Bestimmung, sich weltweit in vielen Ortskirchen auszudehnen. Auch wenn die Kirche eines Tages wieder nur an einem Ort bestünde, wäre und bliebe sie prinzipiell wesenhaft Universal- und Weltkirche. Das macht den Kern der Katholizität der Kirche aus.

Weiter müssen die Deutschen Bischöfe zugeben, dass Ortskirche theologisch nicht Nationalkirche meint, dass also die katholische Kirche theologisch und kirchenrechtlich in Deutschland nicht als die „Katholische Kirche in Deutschland“ Ortskirche ist. Ortskirche meint theologisch vor allem bischöflich verfasste Ortskirche, also die Diözese. Hier ist es wichtig, zu vermerken, dass die einzelne Diözese Ortskirche ist, auch nicht die etwa in einer Bischofskonferenz zusammengeschlossenen Bistümer, dieser Zusammenschluss könnte in einem bestimmten Sinn höchstens als Teilkirche bezeichnet werden. Wir können also theologisch und kirchenrechtlich vollwertig nur beispielsweise von der „Kirche von Köln“ sprechen oder von der „Katholischen Kirche in Köln“, nicht aber von einer „römisch-katholischen Kirche in Deutschland“. In abgeleiteter, aber nur uneigentlicher Form sind auch Pfarreien einer Diözese gewissermaßen Ortskirchen.

Die Zugehörigkeit zu einer Diözese oder Pfarrei ergibt sich nur durch den gemeldeten Haupt- und gegebenenfalls Nebenwohnsitz, unter Umständen auch nur durch den tatsächlichen ständigen oder überwiegenden Aufenthalt im Sinne des Lebensmittelpunktes. Trotzdem wird man durch die Taufe nicht Mitglied einer Gemeinde, einer Pfarrei oder eines Bistums, sondern immer in die Kirche als Universalkirche hineingetauft.

Konsequenzen für die Deutschen Bischöfe

Aus diesem Grund ergibt sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes Leipzig für die Deutschen Bischöfe folgendes: Die Totalidentifikation von Kirchensteuerleistung mit der Beitragsleistung gemäß can. 222 § 1 ist unvereinbar mit der authentischen Erklärung des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte vom 13. März  2006. Mit den allgemeinen Grundsätzen und Bestimmungen des Kirchenrechtes kann eine faktische Loslösung der Rechtsfolgen einer festgestellten oder verhängten Exkommunikation  von einer solchen Exkommunikation nicht in Einklang gebracht werden. Das geschieht aber im Allgemeinen Dekret der DBK vom 20. September 2012 in Punkt II. 1-5, obwohl der staatlich erklärte Kirchenaustritt gemäß der römischen Erklärung vom 13. März 2006 für sich genommen, nämlich ohne die Vervollständigung durch eine Erklärung des Kirchenaustritts vor Ortsbischof oder Pfarrer und einer Annahme dieser Erklärung durch diese zuständige kirchliche Autorität, kein qualifizierter Actus formalis defectionis ab Ecclesia Catholica sein, folglich nicht zum Eintritt einer Tatstrafe führen kann. Das Dekret der DBK bestimmt aber, dass die „Mitgliedsrechte“ (ein völlig untheologischer und auch wenig kanonistischer Begriff, es müsste korrekt Gliedschaftsrechte heißen) bereits mit dem Kirchenaustritt auf dem Standesamt verlorengehen. Diesen isolierten Schritt meinen die Bischöfe dadurch wieder zum Akt des Schisma stilisieren zu können, mit dem dann irgendwie doch die Tatstrafe der Exkommunikation verbunden wäre, indem sie neben der Kirchensteuerleistung keine alternativen Möglichkeiten akzeptieren, der Beitragspflicht aus can. 222 § 1 nachzukommen.

Staatlicher Kirchenaustritt: Theoretischer Anlass für eine Exkommunikation als Spruchstrafe?

Nach gegenwärtiger Rechtslage könnten zwar die Deutschen Bischöfe den isolierten staatlichen Kirchenaustritt zum Anlass nehmen, einen kirchlichen Strafprozess gegen Ausgetretene einzuleiten, der dann gegebenenfalls mit der Spruchstrafe der Exkommunikation wegen Schisma enden könnte. Aber eine solche Spruchstrafe kann nicht rückwirkend gelten, sondern erst ab dem Zeitpunkt, mit dem sie per Dekret oder Urteil verhängt und dieses Dekret/Urteil rechtskräftig geworden ist.

Doch was diese theoretische Möglichkeit anbelangt, ist zu bedenken, dass sie selbst auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen ist, dahingehend, ob es zulässig ist, nur eine Variante zu gestatten, can. 222 § 1 zu genügen. Die jetzige Situation eines Erlöschens von „Mitgliedsrechten“ schon mit dem staatlichen Kirchenaustritt allein, ist jedenfalls nicht kirchenrechtskonform, weil nach der authentischen Erklärung des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte die Tatstrafe der Exkommunikation nicht auf dem Standesamt eintreten kann, sondern frühestens auf dem Pfarramt und zwar nur dann, wenn der Ausgetretene prinzipiell erklärt, can. 222 § 1 in keiner Weise und in keinem Fall genügen zu wollen oder, wenn er vor seinem Pfarrer oder Bischof (zusätzlich) einen Akt der Häresie oder der Apostasie verwirklicht. Außerdem müsste auch eine Tatstrafe zuerst per Dekret festgestellt und dieses Dekret rechtskräftig geworden sein, um im äußeren Bereich Rechtsfolgen zu entfalten, beispielsweise den Verlust von „Mitgliedsrechten“, wie Dr. Weishaupt an anderer Stelle in einem kathnews-Beitrag erläutert hat.

„Die Katholische Kirche in Deutschland“ ist nicht „Ortskirche“ im theologischen Wortsinn

Denken wir konsequent weiter und nehmen die Möglichkeit an, dass es aufgrund der jetzigen Totalidentifikation von Kirchensteuer- mit Beitragsleistung gemäß can. 222 § 1 zu einem kirchlichen Strafprozess käme und an dessen Ende die Spruchstrafe der Exkommunikation wegen Schisma stünde, der „Exkommunizierte“ aber prinzipiell bereit wäre, Beiträge gemäß can. 222 § 1 zu leisten oder dass er dies faktisch sogar bereits tun würde: Wäre er dann nur innerhalb des Geltungsbereichs des deutschen Kirchensteuergesetzes exkommuniziert? Diese ironische Frage ist im Horizont einer Theologie der Ortskirche in voller Konsequenz zu stellen und zeigt einmal mehr, dass Rom es nicht akzeptieren kann, wenn die Deutsche Bischofskonferenz neben der Kirchensteuerleistung keinerlei Alternativen gelten lässt, der Verpflichtung aus can. 222 § 1 nachzukommen. Sonst wäre der nächste, konsequente Schritt eine deutsch-katholische Nationalkirche. Der Ball liegt beim FC Vaticano Roma.

Foto: Banknoten

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

Datenschutzerklärung