Benedikt XVI. (1927-2022): Ein Memento und Sicherinnern zum ersten Jahrestag seines Heimgangs
Ein Jahr ist nun vergangen, seit Joseph Ratzinger, von 2005 bis 2013 amtierender Papst Benedikt XVI., ein langes und reiches Leben beschlossen hat. Als Katholiken ist uns bewusst, dass der Tod normalerweise nicht den sofortigen Übergang hin zur unmittelbaren Anschauung Gottes, in die visio beatifica, erschließt. Deswegen nehmen wir die Verstorbenen, die uns in Glaube und Liebe verbunden sind und im Leben unsere Hoffnung auf jenseitige Verheißung und auf deren Erfüllung geteilt haben, mit hinein in das eucharistische Opfer unserer Altäre.
„Vielleicht ist es nützlich, hier daran zu erinnern, dass in dem Wort ‚Orthodoxie‘ die Worthälfte ‚doxa‘ nicht ‚Meinung‘, sondern ‚Herrlichkeit‘ bedeutet. Es geht nicht um die richtige ‚Meinung‘ über Gott, sondern um die rechte Weise, ihn zu verherrlichen, auf ihn zu antworten. Denn das ist die Grundfrage des Menschen, der anfängt, sich selbst recht zu verstehen: Wie muss ich Gott begegnen? So ist das Lernen der rechten Weise der Anbetung – der Orthodoxie – das, was uns vom Glauben vor allem geschenkt wird.“[1] Dieses Wort Ratzingers, von ihm zum Geleit seinen liturgischen Schriften im Gesamtwerk vorangestellt, trifft aber nicht etwa bloß eine liturgiewissenschaftliche Aussage. Als Liturgiewissenschaftler verstand er sich auch nie eigentlich, sondern als Liturgietheologen, als einen Theologen, der von der Liturgie ausgeht. Dabei geht es um Gottesbegegnung und um die rechte Weise dieser Begegnung. Im Zitat wird deutlich, wie existentiell Ratzinger die gestellte Frage versteht und wie zutiefst anthropologisch sie gestellt ist. Mit der damit verbundenen Ernsthaftigkeit und Endscheidung teilt Liturgie also das, was im Tod geschehen oder eröffnet werden soll; Gottesbegegnung.
Das erste Jahrgedächtnis des emeritierten Papstes und wortmächtigen Theologen wird mit vielen Würdigungen einhergehen. Sein wesentliches Vermächtnis, auch das, was von seinem Pontifikat bleibt und nicht ungeschehen zu machen ist, weil es zuletzt gerade nicht aus Joseph Ratzingers Genialität stammt oder von Benedikts (zurückgenommener) Autorität als Papst sich allein herleitet, ist die ‚doxa‘ in der Gottesverehrung und Gottesbegegnung – die Verherrlichung und Herrlichkeit. Deswegen verkannten ihn auch alle, die in ihm als Präfekten der Glaubenskongregation den Panzerkardinal sahen, der zum Selbstzweck die Häresie, verstanden als irrige Meinung (und Lehre) über Gott, verfolgt hätte. Er wollte hinführen zur Herrlichkeit, zu jener Herrlichkeit, von der wir weiterhin für ihn beten und bitten, dass er in der Gottesbegegnung des Himmels zu ihr hingeführt werde. Requiescat in pace!
[1] Ratzinger, J., Theologie der Liturgie [= Gerhard Ludwig Müller (Hrsg.), GSJR, Bd. 11], Freiburg im Breisgau 42014, S. 6
Foto: Papst Benedikt XVI. – Bildquelle: David Bohrer, White House