Angefochten und doch lebenskräftig – „Volksmissale“ bereits 2022 in 4. Auflage erschienen

Eine Buchbesprechung von Clemens Victor Oldendorf.
Erstellt von Clemens Victor Oldendorf am 17. Oktober 2023 um 09:00 Uhr

Schon im Oktober vergangenen Jahres ist die mittlerweile bereits vierte Auflage des von Pater Martin Ramm FSSP (*1971) initiierten und verantworteten lateinisch-deutschen Volksmissale der Priesterbruderschaft St. Petrus erschienen. Das zeugt einmal von dem erfreulich lebhaften Interesse und der intensiven Nachfrage, auf die dieses neue, zweisprachige Messbuch für die überlieferte Römische Messliturgie und die ihr eigene Ordnung des Kirchenjahres seit seinem erstmaligen Erscheinen im Jahre 2015 bei den Gläubigen gestoßen ist, und die neue Auflage war außerdem wiederum Gelegenheit zu weiterer Präzisierung und Vervollkommnung der sprachlichen Formung und Ausdrucksweise bei der muttersprachlichen Wiedergabe des in Latein gehaltenen liturgischen Textes.

Insbesondere ist dabei ein Blick zu werfen auf den deutschen Wortlaut des eucharistischen Hochgebetes, des Canon Missae (vgl. S. 31*-41*), wie er das Herzstück des Messopfers in dessen historisch gewachsener, genuin römisch angelegter und ausgereifter Liturgie bildet. Vergleicht man ältere deutsche Kanonübersetzungen (übrigens auch den amtlichen deutschen Text des sogenannten Ersten Hochgebetes im reformierten Messbuch Pauls VI., insoweit dieses noch mit dem überlieferten Kanon übereinstimmt), fällt die Unentschiedenheit auf, mit der das wiederholt auftretende lateinische „oblatio“ regelrecht wankelmütig schwankend übersetzt wird. Dieser Mangel war bisher auch in der Übersetzung Ramm noch nicht überwunden, und so ist es in der vierten Auflage als deren größter Fortschritt hervorzuheben, dass nunmehr eine konsistente Einheitlichkeit in der Wiedergabe dieser opferterminologisch entscheidenden Vokabel im Hanc igitur und im Quam oblationem mit „Darbringung“ (vgl. in beiden Fällen S. 35*) erzielt worden ist.

Nachdem im Gebet Haec commixtio, das vor dem Agnus Dei den Gesamtzusammenhang des Kanongeschehens rekapituliert und im Vermischungsritus der beiden eucharistischen Spezies miteinander dessen Opferhandlung letztlich abschließt, der Terminus der „consecratio“ nicht länger unspezifisch als „Weihung“ erscheint, sondern ebenso naheliegend wie präzise endlich mit „Konsekration“ (vgl. S. 41*) wiedergegeben wird, bleibt hinsichtlich des engeren Themenkreises „Opfer“ in Ramms Kanonübersetzung eigentlich nur noch eine Anregung zur Verbesserung oder ein einziges Desiderat bestehen, nämlich, das lateinische „hostia“ in künftigen Auflagen nicht mehr allzu allgemein mit „Opfer“ (dreimal im Unde et memores) oder „Opfergabe“ (im Supra quae) ins Deutsche zu übertragen. Im Supra quae ergäbe sich so eine bekräftigende Steigerung oder Beteuerung: „ein heiliges Opfer [sacrificium], ein unbeflecktes Schlachtopfer [hostia]“.

Hostia als Signalwort im Eucharistiegebet Roms

Es ist auffallend und bezeichnend zugleich, dass „hostia“ im Kanontext als Wort für „Opfer“ – unmittelbar nach dem Einsetzungsbericht mit den Konsekrationsworten – im Unde et memores erstmals, dafür aber gleich in dreifacher Aufgipfelung auftritt: „hostiam puram, hostiam sanctam, hostiam immaculatam“(vgl. S. 37*), um dann im Supra quae unter Bezug auf das unblutige Opfer des Melchisedech (vgl. Mal 1, 11) als „sanctum sacrificium“ genannt zu werden, vor allem aber als „immaculatam hostiam“ wiederzukehren (vgl. a. a. O.). Hält man sich vor Augen, dass „hostia“ im Lateinischen ein Opfertier bezeichnet, insofern es durch Schlachtung geopfert wird (= Hingabe des Lebens an die Gottheit in den Tod), also ein „Schlachtopfer“, wäre es am besten, im Kanontext bei seiner Ãœbersetzung ins Deutsche ebenfalls und einheitlich „Schlachtopfer“ zu sagen. Direkt nach der Doppelkonsekration zum ersten Male verwendet, ist hostia/Schlachtopfer ein starkes Indiz für die frühe Ãœberzeugung und den ursprungsgemäßen Glauben der Kirche von Rom, dass die Herrenworte im Munde des Priesters effektiv die Wesenswandlung von Brot und Wein bewirken sowie in der Trennung der Gestalten das eine Opfer Christi jeweils eucharistisch vergegenwärtigen. In der Bezugnahme auf Melchisedech und dessen Opfer von Brot und Wein, das als Typos verstanden wird, dessen Antityp und Erfüllung die Eucharistie ist, wird die hostia, als die die Kirche Leib und Blut Christi darbringt (vgl. DH 1752) und als Kommunion gnadenhaft „ex hac altaris participatione“ empfängt (vgl. später im Supplices, S. 38*), als wahres Schlachtopfer und ebenso unmissverständlich als unblutig ausgewiesen.

Wegen dieses Verhältnisses von Vorbild und Erfüllung erschiene es als sinnvoll, würde man sich in der Übersetzung entschließen, im Unde et memores „hostiam immaculatam“ beziehungsweise im Supra quae vertauscht: „immaculatam hostiam“ bei beiden Nennungen übereinstimmend entweder mit „makelloses Schlachtopfer“ oder mit „unbeflecktes Schlachtopfer“ zu übersetzen. Die vertauschte Wortstellung lässt sich im Lateinischen als Chiasmus wahrnehmen, also als eine Überkreuzung im sprachlichen Ausdruck oder im Satzbau, die im Deutschen zugegebenermaßen an dieser Textstelle im Messkanon nur schwerlich sprachlich geschmeidig abgebildet werden könnte. Ohne die Interpretation dieser Beobachtung übermäßig strapazieren zu wollen, kann sie doch als zumindest subtile Anspielung auf den soeben erfolgten, sakramentalen Vollzug des Kreuzesopfers aufgefasst werden, beziehungsweise wenigstens unterschwellig als Bekenntnis zur Identität des Messopfers mit dem Kreuzesopfer. Das Bewusstsein davon sollte durch eine Übersetzung, die diesen Chiasmus nicht ohne Verletzung des deutschen Sprachgefühls oder nicht ohne Störung eines natürlichen Sprachflusses übernehmen könnte, beim Beter dennoch nicht ganz untergehen.

Das Mysterium des Glaubens auf dem Altar

Pater Odo Casel OSB (1886-1948) hat bekanntlich sein Liturgieverständnis fast zur Gänze auf der Bedeutung und Deutung des Terminus Mysterium aufgebaut. Er war überzeugt, damit den Sinn und das ursprüngliche Verständnis der Liturgie und ihrer Texte (und Riten) in der frühen Christenheit wiederentdeckt zu haben. Heute ist klar, dass er weithin eher eigene Theorien in die Frühzeit der Kirche projiziert hat, aber dennoch bemerkenswert ist, dass sich in der vierten Auflage des Volksmissale nunmehr eine Anregung erfüllt (vgl. S. 36*), die Casel vor beinahe hundert Jahren gegeben hat, das „Mysterium fidei“ im Kelchwort nicht mit „Geheimnis des Glaubens“ zu übersetzen, sondern die Prägung als „Mysterium des Glaubens“ wiederzugeben (vgl. Casel, O., Rezension des damals neuerschienenen Volksmeßbuches seines Mitbruders Pater Urbanus Bomm (1901-1982), in: Casel, Odo [Hrsg.], JLW (7) 1927, S. 173).

Der Begründung, die Casel damals gab, warum er diese Korrektur befürworten würde, muss man heute nicht mehr beipflichten oder folgen, weil sie allzu offensichtlich von seinem beherrschenden Vorurteil bestimmt war, das frühe Christentum sei in seiner ganzen liturgisch-kultischen Disposition analog zu den (heidnischen!) Mysterienkulten zu verstehen. Doch ist die Einbettung des „Mysterium fidei“ in die Kelchformel eine singuläre Besonderheit der römischen Messliturgie und zeigt, dass der liturgische Text nicht einfachhin Bibelzitat ist, sondern der biblischen Fassung vorausliegt oder aber relativ frei unter Rückgriff auf verschiedene biblische Quellen (unter Einschluss der Vetus Latina) für den gottesdienstlichen Gebrauch kombiniert worden ist. Im ursprünglichen Kontext ist das „Mysterium fidei“ aus 1 Tim 3, 9 geschöpft, wo es sich eigentlich auf die Diakone bezieht. In diesem Zusammenhang ist es eine Erwähnung wert, dass ja der Diakon im Leviten- und Pontifikalamt im Rahmen des Offertoriums bei der Darbringung des bereiteten Kelches auf enge Weise einbezogen und beteiligt ist: Er spricht das Opferungsgebet Offerimus tibi in gleicher Lautstärke wie dieser gemeinsam mit dem zelebrierenden Priester oder pontifizierenden Bischof und hält dabei seine eigene Rechte unter den Fuß des Kelches. Der Entschluss Ramms, der auch sonst das Wort „mysterium“ in der Übersetzung meist als solches belässt, jetzt auch an dieser signifikanten Stelle so zu verfahren, ist jedenfalls zu begrüßen.

Weitere Hinweise und Beobachtungen zur vierten Auflage von 2022

Außerhalb des Hochgebetes, dafür aber im Stufengebet und damit ebenfalls in nahezu jeder heiligen Messe vorkommend, ist sehr gelungen die Übersetzung, die im finalen Vers des Judicapsalmes für die Wendung „quoniam adhuc confitibor illi“ gefunden wurde: „Denn ich werde ihn noch preisen“, wobei ein bedauerlicher Satzfehler zu beseitigen wäre, denn es steht fälschlich „werden“ statt „werde“ (vgl. S. 3*).

In die vierte Auflage seines Volksmissale hat Ramm auch die Präfationen aufgenommen, die mit dem Dekret der damaligen Glaubenskongregation Quo magis vom 22. Februar 2020, veröffentlicht am 25. März 2020, für die Verwendung in Feiern nach dem MR1962 weltweit zur Verfügung gestellt wurden. Vier davon waren für die letzte Editio typica des tridentinischen Messbuches völlig neu, drei weitere mancherorts schon lange kraft Indultes etabliert. Merkwürdig an Quo magis war, dass gerade die Präfation für den Advent (vgl. S. 17*) als einer geprägten Zeit, die ebenfalls schon an vielen Orten lange gebräuchlich war, nicht auf den gesamten Erdkreis ausgeweitet wurde.

Einerseits ist Ramms Absicht, das Altarmessbuch möglichst vollständig den Gläubigen zu erschließen, anerkennenswert, andererseits scheint Quo magis infolge von Traditionis custodes obsolet geworden zu sein, was man auch deswegen vermuten kann, weil die im gemeinsam mit Quo magis erlassenen und veröffentlichten Dekret Cum sanctissima in Aussicht gestellten, zusätzlichen neuen Eigentexte (vgl. CS 5 und CS 6) für das MR1962 bezeichnenderweise bis heute auf sich warten lassen.

Wenn man die ad libitum damals eingeführten Präfationen aufnimmt, wären sie am besten in einem Anhang zusammengestellt worden, statt unterschiedslos in das Corpus Praefationum (vgl. S. 17*-30*) eingefügt zu werden, denn immerhin sollten sie vollständig fakultativ bleiben. Zumindest die neue Märtyrerpräfation (vgl. S. 26*f), die Engelpräfation (vgl. S. 25*f), die Eigenpräfation des heiligen Johannes Baptist (vgl. S. 26*) und die Präfation, die in der Brautmesse verwendet werden können sollte (vgl. S. 28*f), wären besser in einen solchen Anhang zu verweisen. Gewissermaßen aus Protest gegen Traditionis custodes sollten Zelebranten jedenfalls von den völlig neu hinzugekommenen vier Präfationen (die inzwischen womöglich ohnehin schon wieder als abgeschafft zu betrachten sind?) liturgisch keinerlei Gebrauch machen.

Im neu formulierten Vorwort zur vierten Auflage schreibt Pater Martin Ramm selbst: „Dass nun bereits die vierte Auflage des Volksmissale erscheint, ist gewiss ein gutes Zeichen, denn die Zahl jener, die den Wert des traditionellen Römischen Ritus schätzen, nimmt keineswegs ab. Da diese Form der Liturgie in der gegenwärtigen Zeit nicht unangefochten bleibt, ist es umso dringlicher, ihr nicht unreflektiert anzuhangen“ (vgl. S. 13f, hier: S. 13). Dieses Vorwort trägt das Datum des 19. März 2022, stand also schon unter dem Eindruck von Traditionis custodes vom 16. Juli 2021. Unzweifelhaft ist die zitierte Bemerkung sicherlich nicht nur an die traditionsverbundenen Gläubigen gerichtet, sondern vor allem an jenen adressiert, von dem die überlieferte Römische Liturgie angefochten wird. Der 19. März ist ja nicht nur das Fest des heiligen Joseph, sondern seit der Wahl von Papst Franziskus stets auch der Jahrestag von dessen Amtseinführung als Römischer Pontifex.

Die Messe kennen und lieben

Sich bewusst für die überlieferte Römische Liturgie zu entscheiden und in diese zu vertiefen, hilft positiv die sehr schöne Messerklärung, die zuerst in die Großdruckausgabe von 2017 Eingang gefunden hatte und jetzt standardmäßig im Volksmissale zu finden ist: „Die Messe verstehen – Die Messe lieben“ (vgl. S. 25-101). Darin werden immer wieder auch Passagen der Übersetzung zitiert. Leider entsprechen diese Zitate in der vierten Auflage noch dem vorrangegangenen Übersetzungsstadium, enthalten also noch nicht die hier positiv hervorgehobenen, weiteren Verbesserungen in der Version des Canon Missae in der vierten Auflage. Diese Aktualisierung ist unbedingt bei nächster Gelegenheit nachzuholen, damit der Wortlaut der Übersetzung im eigentlichen Text des Volksmissale und in besagter Messerklärung miteinander übereinstimmt.

Äußerlich gewonnen hat die vierte Auflage noch dadurch, dass die gleichbleibenden Teile der heiligen Messe durch einen schmalen roten Reiter an den betreffenden Seitenrändern deutlich und trotzdem dezent-elegant herausgehoben werden (vgl. S. 1*-51*). Leider war offenbar kein leicht getöntes Bibelpapier verfügbar, welches das Lesen für die Augen weit angenehmer macht. Hoffentlich kann man bei künftigen Auflagen wiederum auf Papier zurückgreifen, das nicht reinweiß ist.

Ansonsten ist die Ausstattung die schon bekannte und bewährte, also in schwarzes Leder gebunden, mit Goldschnitt und sechs Lesebändchen in drei verschiedenen Farben. Die vierte Auflage ist auf 2016 Seiten angewachsen und braucht man deswegen auch eine neue Reißverschlusshülle, die separat passend erhältlich ist.

Bibliographische Angaben und Bestellmöglichkeit: Petrusverlag

Foto: Pater Martin Ramm FSSP – Bildquelle: Pater Martin Ramm FSSP (Privatarchiv)

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