Zu Besuch bei Nigerias lebendiger Kirche
Im Mai 2010 besuchte Meggy Kantert einen Begegnungstag des weltweiten katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“ zum Thema Nigeria. Was sie dort hörte, begeisterte sie. Und so folgte sie der Einladung von Monsignore Obiora Ike aus Enugu, ihn doch einmal in seinem Heimatland Nigeria zu besuchen. Eine Reise, die sie tief berĂŒhrte. Im Folgenden dokumentieren wir AuszĂŒge aus ihrem Reisebericht.
Ankunft
Nach einem langen Flug, viel Chaos an den FlughĂ€fen und einer abenteuerlichen Ăberlandfahrt mit dem Auto kommen wir endlich in Enugu im so genannten Peace House an. Obiora ist da und freut sich sehr ĂŒber meine gute Reise. Wir essen zusammen – ich bin jetzt wirklich sehr hungrig – und es gibt Yamwurzel mit scharfer SoĂe. Dann fahren wir zum schönen Ofu Obi Africa Conference Centre. Hier soll ich einige Workshops und Trainings abhalten. Es ist wunderschön, grĂŒn, ruhig und groĂzĂŒgig angelegt.
Die Mitarbeiter begrĂŒĂen mich herzlich und zeigen mir stolz ihr schönes Zentrum, die gut ausgestatteten Zimmer und den groĂen Trainingsraum. Leider ist die Kapelle noch nicht fertig und so entscheide ich mich fĂŒr das Peace House als Unterkunft, die Dreifaltigkeitskirche ist gleich gegenĂŒber. Dort finden tĂ€glich mindestens zwei Heilige Messen statt: morgens und abends jeweils um 06:00 Uhr – beide sind sehr gut besucht.
Das Waisenhaus
An einem der nĂ€chsten Tage zeigt mir Obiora das Waisenhaus. Die Kinder stĂŒrzen sich sofort auf ihn, hier ist er offensichtlich ein geliebter Gast. Alle Kinder sind in einem einzigen Raum untergebracht, dort verbringen sie Tag und Nacht. Es gibt keinen Spielplatz, sie sind stĂ€ndig dort, wo geschlafen, gegessen, gespielt, versorgt und betreut wird. Es sind weit mehr hungrige MĂ€uler als vorgesehen, da kein auf der Schwelle abgelegtes Kind abgewiesen werden soll. Dadurch ist natĂŒrlich auch der Platz fĂŒr Besucher und Zeit fĂŒr Projekte wie Weiterbildung und Betreuung der MĂŒtter begrenzt.
Die Kinder machten einen ausgeglichenen, normalen Eindruck auf mich. Sie reagieren positiv und fröhlich auf unseren Ăberraschungsbesuch. Das GesprĂ€ch mit den betreuenden Schwestern bestĂ€rkt meinen Eindruck, dass hier christliche NĂ€chstenliebe gelebt, gelehrt und das Beste aus der Ăberbelegung und den gegebenen Bedingungen gemacht wird. Meiner Meinung nach kann hier noch mehr und nachhaltiger geholfen werden, wenn sich die Bedingungen verbessern, mehr RĂ€umlichkeiten zur VerfĂŒgung stehen oder das AuĂengelĂ€nde genutzt werden kann. Sicherlich wird mit zunehmendem Wachstum der Millionenstadt Enugu die Nachfrage nach freien PlĂ€tzen steigen. Die Kinder leben unter armseligen Bedingungen, aber seht mal, wie fröhlich sie sind! Hier gibt es sehr viel zu tun, die Schwestern schlafen auf dem Boden und da mit harten Mitteln gegen Krankheiten und Ungeziefer geputzt wird, atmen sie die Gifte ein. Es gibt keinen Spielplatz und Spielzeug habe ich auch keines gesehen.
Ein Ort der Einkehr
Heute fahren wir zum CIDJAP (Katholisches Institut fĂŒr Entwicklung, Gerechtigkeit und Frieden). Dort gibt es heute keinen Strom, so wird halt im Halbdunkel gearbeitet. Monsignore ist sehr beschĂ€ftigt, manchmal erinnert er mich an den RattenfĂ€nger von Hameln – stĂ€ndig eine Rotte von Leuten, die irgendetwas von ihm wollen, was nur er entscheiden kann. Er ist fĂŒr so viele Projekte zustĂ€ndig, zum Beispiel fĂŒr die Baustelle des Ofu Obi Afrika Centers. Dort ist eine ganz wunderbare englische Schwester zustĂ€ndig, die schon 45 Jahre hier lebt und sich ihren ganz eigenen englischen Humor bewahrt hat. Obiora zeigt mir, wo er die Kapelle geplant hat und die weiteren Meeting- und SchlafrĂ€ume. Dieses Zentrum dient unter anderem fĂŒr Einkehr- und Besinnungstage, aber auch zur Weiterbildung. Ich wĂŒrde mir eine so schöne TagungsstĂ€tte in Deutschland wĂŒnschen (ohne die Moskitos natĂŒrlich).
Christen aus ganz Nigeria halten hier Tagungen und Veranstaltungen ab, Laien wie Kleriker. Ein Fluss flieĂt durch das GelĂ€nde, dort soll demnĂ€chst eine Bank zur Betrachtung einladen. Es gibt einen Bereich mit Busch, aber auch liebevoll gepflegte GrĂŒnanlagen, fĂŒr die Monsignore oft neue Blumenzwiebeln und Strauchsetzlinge mitbringt, damit es noch schöner wird. Einen Baum hat er eigenhĂ€ndig gepflanzt und der spendet jetzt angenehmen Schatten vor dem Tagungshaus. Hier können sich GĂ€ste sicher aufgehoben fĂŒhlen, es ist eine Oase des Friedens und der Ruhe in diesem krisengeschĂŒttelten Land und besonders in dieser lauten, unruhigen, schnell wachsenden Metropole Enugu.
Besondere AnlÀsse
Heute fahren wir nach Owerri zu einer Ewigen Profess. Auf dem Weg dorthin gibt es vor uns einen Unfall. Ein Mann zieht an uns vorbei, der eine Kiste Bier trĂ€gt und sich auch gleich schon eine Flasche aufgemacht hat. Mitten im Busch! Wir erfahren, dass ein mit Bier beladener LKW einen Unfall hatte und nun ein groĂes Palaver begonnen hat. Alle wollen etwas von der Ladung abhaben und niemand kĂŒmmert sich um die gesperrte StraĂe oder die wartenden Autos. Wir drehen um und nehmen einen Umweg von vielen Kilometern in Kauf, denn das Palaver kann lange dauern. Wir kommen eine halbe Stunde zu spĂ€t, doch wir sind nicht die einzigen. Die Kathedrale von Owerri fasst etwa 3000 Menschen und so viele sind auch da. Elf Nonnen feiern Ewige Profess und es sind etwa 100 Priester dabei, die zwischen den GlĂ€ubigen sitzen, da es nicht genug Platz fĂŒr sie gibt am Altar. Die Feier ist sehr bewegend und dauert vier Stunden.
Die Familien der Nonnen sind angereist und feiern ihre Töchter im wahrsten Sinne des Wortes mit Pauken und Trompeten: Es ist ein WahnsinnslĂ€rm! Auf der RĂŒckfahrt nehmen wir eine „AbkĂŒrzung“ durch den Busch. Das Land ist wunderschön. Palmen, wohin man schaut. ZurĂŒck in Enugu stehen an der StraĂe ein paar MĂ€nner im „Adamsanzug“, wie Monsignore so schön sagt, herum. Daran gewöhne ich mich nicht so schnell, aber auch das ist Afrika. An diesem Tag findet in Enugu eine christliche Veranstaltung mit 30.000 Menschen statt. Ich wollte es kaum glauben, doch wir haben Hunderte gesehen, die dahin strömten. Anbetung, Lobpreis und Tanz von 20:00 Uhr bis 05:00 Uhr morgens, jede Woche. Unglaublich, der Glaube lebt und stĂŒtzt die Christen hier in Gemeinschaft â wunderbar!
Seminaristen in Not
Vor der Kirche halten mich heute zwei Jungs an: Sie wollen ins Priesterseminar, aber ihre Familien haben kein Geld. Ob ich ihnen helfen könnte? Sie sind schon lange Messdiener und besuchen immer den Katechismusunterricht. TatsĂ€chlich gibt es zurzeit 15.000 Seminaristen in Nigeria, aber viele mĂŒssen abgewiesen werden, da nicht genug Geld und Platz vorhanden ist. Die Seminaristen leben und lernen zum Teil unter einfachsten Bedingungen, mehrere teilen sich eine Bibel und die UnterkĂŒnfte kennt man ja aus den Beschreibungen von „Kirche in Not“. Eine liebe Spenderin habe ich schon gefunden und so ist zumindest einer der beiden jetzt schon glĂŒcklich im Knabenseminar.
Das GefÀngnis
Schon zwei Wochen bin ich hier! Heute und morgen ist Feiertag, das hat die Regierung am vergangenen Montag plötzlich beschlossen und bekanntgegeben und alle freuen sich auf zwei freie Tage! Im Katholischen Institut fĂŒr Entwicklung, Gerechtigkeit und Frieden geht das Konzept vieler Projekte unter einem Dach völlig auf. Alle Hilfesuchenden werden in ihrer jeweiligen Lebenssituation kompetent unterstĂŒtzt.
Besonders die AnwĂ€ltin, die fĂŒr die Gefangenen zustĂ€ndig ist, hat mich tief beeindruckt. Die Christen im GefĂ€ngnis von Enugu haben sich zu einer Gemeinde zusammengefunden und werden von Monsignore Obiora Ike und einem weiteren GefĂ€ngnisseelsorger betreut. Katechese und regelmĂ€Ăige Gebetszeiten sind etabliert, einige besitzen einen (Plastik-)Rosenkranz. Ich besuchte einen Gottesdienst innerhalb des GefĂ€ngnisses und durfte erleben, wie viel Hoffnung die Christen durch ihren Glauben, die Gebete und die UnterstĂŒtzung der Seelsorger erhalten. Hoffnung ist greifbar und es war bewegend, den wirklich tollen Chor, unterstĂŒtzt von ein paar Instrumenten, zu hören und intensiv miteinander zu beten. AnschlieĂend hatte ich die Gelegenheit, bei einigen GesprĂ€chen dabei zu sein.
Einer der Insassen hĂ€lt Katechese und kĂŒmmert sich um die Christen der kleinen Gemeinde. Er sorgte auch fĂŒr Ordnung, da natĂŒrlich alle gerne mit Monsignore sprechen wollten, um ihren Fall persönlich vorzutragen und Hilfe zu erhalten. Also wurden die hĂ€rtesten FĂ€lle ausgewĂ€hlt und diese bekamen die Gelegenheit zum persönlichen GesprĂ€ch. Die Geschichten dieser Menschen sind ergreifend. Viele sind seit Jahren in Untersuchungshaft â ohne Prozess. Ich konnte nicht allen GesprĂ€chen folgen, aber unschwer von den Gesichtern ablesen, wie schwer das Leben innerhalb dieser Mauern ist. Ich wurde mehrfach um einfache Dinge wie Seife angebettelt. Die Menschen leben unter kaum vorstellbaren VerhĂ€ltnissen â kein flieĂendes Wasser, keine Moskitonetze, schlechte oder keine medizinische Versorgung, wenig und schlechte Nahrung, Krankheiten und zum Teil Kleidung, die wir hier nicht mehr in die Sammlung geben wĂŒrden. Dazu kommt, dass viel zu viele Menschen in zu wenigen und zu kleinen RĂ€umen untergebracht sind. Es gibt kaum asphaltierte Stellen, man watet durch den Morast, wenn es, wie zur Regenzeit tĂ€glich, regnet. Alle sind auf einem GelĂ€nde untergebracht â wir begegneten Jugendlichen, Kleinkriminellen, Verbrechern, sowie bereits Verurteilten.
Ich konnte aber auch die FrĂŒchte der UnterstĂŒtzung der Christen von „drauĂen“ erkennen – Lebensmittelspenden der Gemeinde vor Ort, das Gebet der Christen in Nigeria und finanzielle UnterstĂŒtzung helfen diesen Christen, ihren Glauben zu bewahren und ihn gerade dort zu finden – viele werden im GefĂ€ngnis getauft oder finden wieder zu Gott. So verbessert sich die Situation innerhalb der GefĂ€ngnismauern, da diese Menschen ihren Glauben weitertragen und ihre Situation mit Hoffnung und Zusammenhalt annehmen. Leider stehen zu geringe Mittel zur VerfĂŒgung und es kann nicht allen auch nur mit dem Nötigsten geholfen werden. Letzte Woche erfuhr ich, dass durch unsere Spende 5 Menschen Weihnachten zuhause feiern konnten, die ansonsten noch unberechtigt Jahre im GefĂ€ngnis zugebracht hĂ€tten.
Abschied
Sister Cecilia bringt mir zum Abschied zwei selbstgemachte RosenkrĂ€nze vorbei. Einen fĂŒr mich und einen fĂŒr meine Mutter. Beide sind so kitschig, dass Obiora sehr breit lĂ€chelt, als er sie segnet. Am Abend bekomme ich zum Schluss noch einen afrikanischen Namen: Ngossi Ijeoma. Das bedeutet: Ein Segen, eine Gute.