„Wir brauchen heilige Familien!“
MĂŒnchen (kathnews/KIN). Am 9. Februar feiert Litauen den 20. Jahrestag seines UnabhĂ€ngigkeitsreferendums. Im GesprĂ€ch mit dem weltweiten katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“ berichtet der Bischof des nordlitauischen Bistums Ć iauliai, Eugenijus Bartulis, wie sich die Gesellschaft des Baltenstaates seitdem entwickelt hat und welchen Herausforderungen sich die katholische Kirche im Land gegenĂŒbersieht. Das Interview fĂŒhrte Volker Niggewöhner
Herr Bischof, welche Entwicklung seit der UnabhÀngigkeit freut Sie besonders?
Das Wichtigste ist die wieder gewonnene Freiheit. Die Grenzen sind offen, es gibt Reisefreiheit, und so können wir z.B. ins Heilige Land reisen oder den Papst in Rom treffen. Als katholische Kirche freuen wir uns, dass katholische Priester jetzt an UniversitĂ€ten unterrichten dĂŒrfen, dass es in den Schulen Religionsunterricht gibt, dass wir Kinder fĂŒr die Erstkommunion und Erwachsene auf das Ehesakrament vorbereiten dĂŒrfen. Alles Dinge, die unter den Kommunisten nicht möglich waren.
Die litauische Gesellschaft ist stark vom katholischen Glauben geprÀgt. Inwieweit hat sie sich in den vergangenen zwanzig Jahren gewandelt?
Die Ă€ltere Generation erfuhr ihre religiöse Ausbildung in den Familien, und zwar nicht nur in Wort, sondern auch durch die Tat. Die Eltern und GroĂeltern von heute sind bereits in einer atheistischen Umgebung aufgewachsen. Es fehlen dadurch das religiöse Fundament und die Vorbilder. Viele Menschen denken heute sehr materalistisch und interessieren sich kaum noch fĂŒr geistliche Belange. Vor allem die Jugend ĂŒbernimmt das, was aus dem Westen kommt, meistens kritiklos.
Was bereitet Ihnen die meisten Sorgen?
Der Alkoholkonsum und die Selbstmordrate, vor allem unter jungen Leuten. Das beweist leider, dass unsere Menschen keinen festen Glaubensgrund haben, auf dem sie ein krĂ€ftiges Glaubenshaus bauen könnten. AuĂerdem ist der Schutz von Jugendlichen, besonders der MinderjĂ€hrigen, vor einer sexualisierten Gesellschaft von gröĂter Bedeutung.
Die EU sieht das offenbar anders. Das Europaparlament hat Litauen 2009 in einer Resolution scharf verurteilt, weil Ihr Land in seinem Jugendschutzgesetz die öffentliche Werbung fĂŒr HomosexualitĂ€t verboten hat.
Homosexuelle werden in Litauen nicht verfolgt, sie werden akzeptiert. Aber sie machen oft mit ihren öffentlichen Demonstrationen Werbung. Ihr Ziel ist es, allen zu zeigen, dass sie „diskriminiert“ sind. Das ruft in der Gesellschaft starke Gegenreaktionen hervor, besonders im Internet. Um diese feindliche Stimmung einzudĂ€mmen, hat die litauische Regierung dieses Gesetz erlassen. Leider hat das Europaparlament nur dieses Gesetz gerĂŒgt, aber nichts gegen die ungezĂŒgelte Sexwerbung unternommen oder etwas fĂŒr die Familien getan.
Eine der schwerwiegendsten gesellschaftlichen Entwicklungen in Mitteleuropa in den vergangenen 40 Jahren ist der Zerfall der Familien. Wie ist das in Litauen?
Der Verfall der Ehen ist im heutigen Litauen ein schmerzhaftes Problem. Jede zweite Ehe wird geschieden. Leider wird die Ehe von europĂ€ischen und auch litauischen Politikern nicht ausreichend geschĂŒtzt. Kinder werden als Hindernis fĂŒr ein vergnĂŒgungsvolles Leben gesehen. Die Folgen sind verheerend.
Welche Anliegen liegen Ihnen als Bischof besonders am Herzen?
Familien, Familien, Familien! Wir brauchen gute, heilige Familien. Denn dann werden wir gute Priester erhalten, eine wunderbare Jugend und eine goldene Zukunft unseres Volkes.
Viele Staaten hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang haben einen beinahe nahtlosen Wandel von Kommunismus zu Konsumismus durchlebt. Wie ist das zu erklÀren?
Der Wandel der Werte ist Teil der postkommunistischen MentalitĂ€t. Wenn es an den ewigen Werten mangelt, dann sucht man nur noch nach „Brot und Spielen“. Die dĂŒsteren Zeiten der Besatzung haben uns gelehrt, gegen die UnterdrĂŒckung zu protestieren, aber sie haben uns nicht darauf vorbereitet, in der Freiheit die richtige Wahl zu treffen
Der litauische Widerstand gegen die sowjetischen Besatzer war ein wichtiger Faktor fĂŒr den Fall des Kommunismus und die Wende in Europa. Wie konnte er gelingen?
Der gewaltlose litauische Widerstand gegen die sowjetischen Besatzer war erfĂŒllt von geistlicher Kraft. Gebet und Patriotismus halfen ĂŒber Jahrzehnte im Kampf gegen materialistische und atheistische Propaganda. Ich glaube, dass uns diese Erfahrung auch im Kampf mit dem Liberalismus helfen wird. Die Politiker Europas sollten auch verstehen, was uns der Liberalismus gebracht hat.
Der in Ihrer Diözese gelegene „Berg der Kreuze“ ist vielleicht das bekannteste Symbol des litauischen Widerstands. Wie wichtig ist den Litauern dieses geschichtliche Erbe heute noch?
Der Berg der Kreuze, der 1993 auch vom Heiligen Vater Johannes Paul II. besucht wurde, ist von besonderem historischen Wert. Er ist ein Kulturerbe, das von Pilgern aus der ganzen Welt besucht wird. FrischvermĂ€hlte Paare gehen nach ihrer Trauung oft hierhin, um zu beten und um Gottes Gnade fĂŒr ihre Ehe zu erflehen. Viele SchĂŒler stellen aus Dank fĂŒr eine gute Note hier ein Kreuz auf. Am Berg der Kreuze wird jedes Jahr am letzten Julisonntag eine Hl. Messe gefeiert, an der sich alle Bischöfe Litauens sowie viele Priester, Mönche und GlĂ€ubige jeden Alters beteiligen. Anfang September ist die Wallfahrt vom Berg der Kreuze nach Siluva, an der immer ĂŒber 1.000 junge Pilger aus ganz Litauen teilnehmen. Die Tradition lebt also weiter. Der Berg der Kreuze ist fĂŒr uns noch immer ein Ort der Besinnlichkeit und der geistlichen StĂ€rke, ein Ort, wo man die besondere Anziehungskraft des Glaubens spĂŒrt.
Auch die katholische Kirche muss sich der Herausforderung einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft stellen. Ist sie denn fĂŒr das Nebeneinanderbestehen verschiedener Religionen oder Wertvorstellungen gerĂŒstet?
Die letzten 20 Jahre haben uns Priester und Laien geschenkt, die ihre theologische Ausbildung in Rom, in Litauen oder anderswo abgeschlossen haben, die fertig und bereit sind fĂŒr die Diskussionen mit Andersdenkenden. Die Kirche ist aktiv, z.B. auch in den Medien. Unsere Sendungen auf Radio Maria kann man bereits in ganz Litauen hören. Sie sind eine sehr groĂe Hilfe in der Krankenpastoral und auch eine Quelle des geistlichen Lebens. Aber wir vergessen auch nicht, dass der wahre Sieg unserem Herrn gehört. Unser gröĂter Wunsch ist es, solch tĂŒchtige und fleiĂige Arbeiter im Weinberg des Herrn zu haben wie am Anfang des Christentums.
Ist der Trend zur SĂ€kularisierung und zur „Diktatur des Relativismus“, wie Papst Benedikt XVI. es nennt, nicht unvermeidlich oder sehen Sie auch neue AufbrĂŒche im Glauben?
SĂ€kularisation und Diktatur des Relativismus sind Tatsachen, in Westeuropa noch mehr als bei uns in Litauen. In der Verfassung der EU und den europĂ€ischen Debatten muss es einen Platz fĂŒr Gott und seine Liebe geben. Wenn nicht, dann gehen wir den Weg der Selbstvernichtung. Das ist schon mit anderen dekadenten Zivilisationen passiert, deren Ruinen heute von den ArchĂ€ologen erforscht werden. Trotzdem bleiben wir in der Hoffnung, dass die Menschen die wahre Orientierung finden und aus ihren Fehlern lernen werden. Diese Hoffnungen sind insbesondere mit den Laien verbunden, deren fromme und tĂŒchtige Dienste dem Nutzen der Kirche gewidmet sind. Die Bedeutung des Christentums ist von der GröĂe der Liebe der Christen abhĂ€ngig. Es ist sehr wichtig, die BrĂŒcken zu den anderen christlichen Gemeinden und auch zu anderen Lebensansichten zu bauen, eine Sprache mit ihnen zu sprechen, die alle verstehen. Man muss auch eigene Fehler eingestehen. Europa kann „bunt“ sein, aber â liebend.