„Werde wach, und stärke was noch übrig ist, was schon im Sterben lag“ (Apk 3,2)

Die Frage nach einer offiziellen Anerkennung der Priesterbruderschaft St. Pius X. ist in eine entscheidende Phase getreten und viele gläubige Seelen erwarten mit großer Hoffnung einen positiven Ausgang, an dessen Ende die kanonische Errichtung der Priesterbruderschaft St. Pius X steht. Die unterstützende Hilfe der Gottesmutter scheint in dieser Angelegenheit gewiß, nachdem ihr in einem Rosenkranz-Kreuzzug ein enormer „Blumenstrauß“ überreicht wurde – ein Gebet, welches nach Unserer Lieben Frau von Fatima doch so vieles, ja beinahe alles erwirken kann. Doch nun liegt es auch am Menschlichen, der Gnade nicht zu widersagen und das Seinige dazuzutun, damit diese wirksam werden kann.
Wie in so vielen Bereichen müssen Gott und Mensch auch hier zusammenspielen. Gewiß, die gottgegebene menschliche Freiheit ist nach vielen Seiten hin geöffnet, aber nicht jede Antwort ist dadurch auch eine richtige. Auch eine falsche Antwort, selbst wenn sie durch die gottgegebene Freiheit ermöglicht ist, kann eine schwerlastende Sünde darstellen.
Cui bono?
Freilich kann man die Frage stellen, wem es denn nützen soll, wenn es zu einer Einigung kommen soll? Denn zumindest vom Praktischen her genießt die Bruderschaft einerseits eine hohe Autonomie, und andererseits würden viele Bischöfe und Priester diese ohnedies nicht kanonisch in die Kirche eingebunden wissen wollen. Warum also etwas ändern?
Nun, ganz so einfach ist es freilich nicht, da es nicht um Zufriedenheiten und Genügsamkeiten geht, sondern im Letzten das Seelenheil von Menschen auf dem Spiel steht.
Wir erleben langsam, wie wir in der Kirche in eine entscheidende Phase eintreten. Dies muß man gut vor Augen haben, und eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung wird vermutlich für die gesamte Kirche Auswirkungen haben. Es ist nämlich vielleicht gar nicht so sehr die Priesterbruderschaft, welche eines kanonischen Status bedarf (wenngleich eine ungeordnete Situation nicht als indifferent betrachtet werden darf), sondern es ist vielmehr der Rest der Kirche, welcher des „Elements Tradition“ bedarf.
Die Herausforderungen der Kirche in naher Zukunft
Bereits jetzt zeichnet sich ab, daß es in nächster Zukunft zu einer erneuten und vermutlich länger anhaltenden theologischen Debatte um das letzte Konzil, aber auch um das „Nach-Konzil“ kommen wird, und diese Debatte wird sehr kontrovers verlaufen, aber auch richtungsweisend für die Zukunft der Kirche sein. Zu offensichtlich sind die großteils negativen Auswirkungen vieler Neuerungen der letzten Jahrzehnte. So offensichtlich, daß mittlerweile niemand mehr den drastischen Glaubensschwund leugnet, welcher bezeichnenderweise gerade dort am stärksten ist, wo man sich am weitesten von der klassisch-traditionellen kirchlichen Lehre entfernt hat. Wir merken derzeit, wie nach und nach unter Theologen, darunter auch hochrangigen Prälaten, ein natürlicherer und offenerer Umgang mit dem zweiten Vaticanum möglich wird. Es gilt immer weniger als das einzig gültige Superdogma, sondern ein respektvolles, aber auch ehrliches Nachfragen bezüglich einzelner Passagen wird immer leichter möglich.
War es noch vor wenigen Jahren so, daß jedes kritische Wort gleich unter dem Verdacht schismatischer Tendenzen stand, so wird es langsam aber doch deutlich spürbar salonfähiger, gewisse Anfragen zu stellen, manche Punkte auch zu kritisieren und eine Korrektur der bisherigen Sichtweise anzuregen. Bei allem was auch noch im Argen liegen mag, muß man doch auch ehrlicher Weise zugeben, daß vieles sich zu lösen beginnt.
Nicht ausschließlich, aber besonders auch Theologen, welche das letzte Konzil nicht mehr bewußt selbst miterlebt haben sind in ihrer Sichtweise oftmals objektiver und unbefangener. Dies führt zu einer größeren Offenheit für eine durch theologische Argumente getragenen Debatte.
Man wird in nächster Zukunft die aktuell vorherrschende Theologie auf zwei Kriterien hin überprüfen: erstens ob das, was jeweils als gängige Lehrmeinung behauptet wird, tatsächlich dem Willen des Konzils entspricht, und zweitens ob die entsprechenden Konzilspassagen tatsächlich hinreichend die katholische Lehre widergeben, oder ob sie mißverständlich, zweideutig oder sonst mangelhaft sind.
Es wird, so zeichnet sich bereits leise ab, immer klarer hervortreten, daß das letzte Konzil mit so vielen anderen Konzilien eines gemeinsam hat: es ist in seinen verschiedenen Dokumenten und Aussagen differenzierter zu betrachten als dies bisher der Fall war, es gibt aber nicht nur „gaudium et spes“ in ihm zu finden, sondern auch „luctus et angor“.
Jedes der bislang 21 ökumenischen Konzilien der Kirchengeschichte weist dabei Passagen auf, welche heute, aus welchem Grund auch immer, so nicht mehr gesagt würden. Das zweite Vatikanum ist da sicher keine Ausnahme. Es ist schon allein von daher gewiß keine Ketzerei, manche Passagen des zweite Vatikanischen Konzils neu zu bedenken und gegebenenfalls auch durch angemessenere Lehren zu korrigieren, so wie dies bei so vielen vorangegangenen Konzilien auch bereits der Fall gewesen ist. Weshalb ausgerechnet das letzte Konzil da eine Ausnahme sein sollte, wäre rätselhaft.
Ein aufrichtiger Diskus ist nötig
Der öffentliche Schlagabtausch, welcher vor wenigen Wochen zwischen der Pius- und der Petrusbruderschaft erfolgte, hat einen gewissen Wert, zeigt er doch deutlich die Notwendigkeit eines aufrichtigen, aus der Tradition der Kirche kommenden theologischen Diskurses über zahlreiche Konzilspassagen.
Die Kritik der Piusbruderschaft ist nicht ganz unbegründet, und die Einwände der Petrusbruderschaft nicht ganz unberechtigt. Gerade daß es zwei traditionsverbundene Gemeinschaften sind welche sich hier Argumente und Gegenargumente lieferten zeigt uns, daß es hier noch Klärungsbedarf gibt und vieles unklar ist. Beiden Gemeinschaften kann man wirklich keinen Modernismus vorwerfen oder den Versuch der Verwässerung der Lehre – und dennoch kommt es zu unterschiedlichen Auffassungen. Lehrstreitigkeiten gab es immer, das ist in einem gewissen Rahmen auch natürlich und gehört zur Kirche. Gerade wenn diese Lehrstreitigkeiten, wie sie auch oft zwischen verschiedenen Orden stattgefunden haben, in einer aus der Tradition und dem kirchlichen Lehramt kommenden Theologie geführt wurden, ist schon oft viel Positives für die Kirche daraus entwachsen, da sie so im gemeinsamen Ringen um die Wahrheit Gottes über Richtig und Falsch nachdachte.
Dies könnte auch jetzt wieder der Fall sein, und es wird wohl so kommen. Die theologischen Debatten um das zweite Vatikanum der näheren Zukunft werden damit aber auch richtungsweisend sein, denn man diskutiert ein Konzil nicht zehnmal. Das bedeutet aber auch, daß es sich in den kommenden Jahren entscheiden wird, wie traditionell oder untraditionell die Kirche sein wird. Vieles wird dabei von der theologischen Qualität der Diskussionspartner abhängen, es werden sich manche Lehrmeinungen durchsetzen und andere werden verworfen werden, wie es so oft in der Theologiegeschichte der Fall gewesen ist.
Stark reformorientierte Strömungen werden sich gewiß einbringen, welche der kirchlichen Lehre gewiß nicht in allem guttun, sondern sich vielfach von der Lehre des Herrn entfernen. Deshalb wird es von entscheidender Bedeutung sein, was man diesen Kräften theologisch entgegenzusetzen hat.
Vieles hängt von der Entscheidung der Piusbruderschaft ab
Wie sich die Priesterbruderschaft St. Pius X nun entscheidet, wird einen nicht geringen Einfluß auf den künftigen Kurs der Kirche haben. Weniger durch den Einfluß den sie selbst direkt nehmen kann indem sie sich, so sie einen kanonischen Status innehat, an der theologischen Debatte konstruktiv beteiligt, sondern noch viel mehr dadurch, daß die Entscheidung der Bruderschaft im Letzten eine Entscheidung sein wird, welchen Stellenwert die Tradition in der Kirche haben wird.
Kommt es zu einer Einigung, wird dies die traditionsorientierte Theologen ungemein stärken. Kommt es zu keiner Einigung, so wird auch die traditionelle Theologie als solche stark geschwächt. Salopp gesagt liegt es nun an der Priesterbruderschaft St. Pius X. zu entscheiden, wie salonfähig die Tradition in der Gesamtkirche sein wird.
Denn wenn die Einigung zustande kommt, so kann keiner sagen, deren theologischen Positionen wären unhaltbar, schismatisch oder kirchentrennend. Kommt die Einigung hingegen nicht zustande, so wird dies automatisch damit gleichgesetzt, daß die Tradition keinen Platz in der Kirche hat. Man wird argumentieren, daß die eine oder andere Position doch mit jener der Piusbruderschaft ident sei, die Bruderschaft hingegen nicht kirchlich voll anerkannt ist, und somit auch die einzelne theologische Position obsolet sei.
Aus diesem Grund ist es weniger die Priesterbruderschaft welche der Einigung bedarf, sondern die Gesamtkirche bedarf der Einigung, weil sich an Einigung oder Nicht-Einigung letztlich auch die Frage nach Tradition oder Nicht-Tradition entscheiden wird. Nichts ist für die Bruderschaft verloren wenn sie sich einigt – alles kann verloren sein wenn sie es nicht tut.
Die Bruderschaft entscheidet deshalb nicht so sehr über ihr eigenes Fortbestehen, sondern über die gesamte Kirche. Denn nur wenn die Einigung zustande kommt werden sich bestimmte Positionen durchsetzen können.
Dies ist um so wichtiger, als daß es im Sinne der Neuevangelisierung zu einer umfassenden Vertiefung des Glaubens kommen muß, welche nicht anders als mit der Liturgie verbunden sein kann. Und in diesem Bereich hat die Priesterbruderschaft viel zu bieten – vertut sie die Einigung jedoch, werden andere gerne ihren Platz einnehmen.
Freilich kann man sich nicht erwarten, daß es von heute auf morgen zu einer Heilung von Lehre und Praxis kommt. Es wird eine Entwicklung sein. Doch ob diese Entwicklung einsetzt oder nicht, ob eine Gesundung der Lehre einsetzen kann oder nicht, hängt zu einem Gutteil von der erwarteten Entscheidung ab. Gerade im Hinblick auf ungebührliche Reformströmungen, welche die innersten Fundamente der Kirche anzugreifen drohen, muß man die Kräfte Bündeln und alle Anstrengungen unternehmen, damit das Bleibende des Glaubens nicht Schaden nimmt bzw. damit bereits genommener Schaden wieder geheilt werden kann.
Deshalb darf die Bruderschaft nicht nur an sich denken, sondern muß um das Wohl der Gesamtkirche besorgt sein, indem sie die anstehenden Debatten um das letzte Konzil nicht so sehr direkt, als noch viel mehr indirekt beeinflußt, indem sie durch ihre Einigung der vielfach vergessenen Tradition in der Kirche wieder Aufschwung und Kraft verleiht, und so den weiteren Kurs entscheidend mit beeinflußt.
Foto: Heilige Messe bei der FSSPX –Â Bildquelle: fsspx.info