„Wenn wir heute Karl den Großen feiern, dann verneigen wir uns vor den geistlichen Wurzeln Euro­pas“

Kardinal Dominik Duka, Erzbischof von Prag, feierte am vergangenen Sonntag, dem 28. Januar 2018, das Festhochamt zum Karlsfest im Aachener Dom.
Erstellt von Gero P. Weishaupt am 1. Februar 2018 um 14:52 Uhr
Kaiserthron im Aachener Dom

Aachen/Prag (kathnews). „Wenn wir heute Karl den Großen feiern, dann verneigen wir uns vor den geistlichen Wurzeln Euro­pas, wir verneigen uns vor dem christli­chen Glau­ben und den europäischen Werten, die daraus erwachsen sind – und nicht vor der fundamenta­listischen Laizität und ihren neomarxisti­schen Hel­fern.“ So Dominik Kardinal Duka, Erzbischof von Prag, in seiner Predigt am Karlsfest im Aachener Dom. Kathnews dokumentiert die Predigt in ihrem Wortlaut:

Liebe Freunde, liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Dies ist mein dritter Besuch in dieser alten und berühmten Stadt Aachen. Die Bedeutung dieser Stadt ist eng mit der Gestalt Karls des Großen verbunden, den man den Vater Euro­pas nennt.

Ich komme aus einem Land und aus einem Milieu, wo alles, was mit Karl dem Großen und mit seinem Werk zusammenhängt, verschwiegen oder bestritten worden ist, und zwar aufgrund des Nationalismus und später aufgrund der marxistischen-kommunistischen Ideologie.

Bekanntermaßen wird über die Gläubigkeit und die Heiligkeit dieses Herrschers ausgiebig diskutiert. Manche Episoden aus seinem Leben würden von der heutigen Kongregation für die Selig- und Heiligspre­chungsprozesse sicher nicht gutgeheißen. Auch wenn ich diese einzelnen Momente seines Lebens nicht eigens erwähne: Es ist wie mit einem histo­rischen Film: Wenn ein solcher Film das Leben Karls des Großen treu nachzeichnen würde, würden viele Zu­schauer verle­gen weg­schauen. Vielleicht wäre es ein guter Thriller, aber es wäre sehr fraglich, ob er die Gestalt Karls wirklich verstehen hilft. Wenn es ein Film wäre, der das Leben und Werk Karls begreifen lassen will, ein Film, der aus der Tiefe den Glauben dieses Menschen zeigen möchte, der ja ein Kind seiner Zeit war, der zeigt, wie in Karl ein neues Europa zur Welt kam, dieser Film würde zu der Diskussion führen, was historische Tatsächlichkeit und was die Wahr­heit die­ses Menschen und Herrschers ist.

Ein Skeptiker wird vielleicht fragen: Was ist also die Wahrheit? Ich möchte mit einem bekannten Spruch antworten: „Vox populi, vox Dei.“ – „Die Stimme des Volkes ist die Stim­me Got­tes.“ Über die Heiligen der ersten Jahrhunderte hat die Tradition, das Gedächtnis des Volkes entschieden. Dieses Gedächtnis des Volkes wurde später zum Bewahrer des Werkes, das aus der Herrschaft und den Taten Karls des Gro­ßen entstanden ist. Im Evangelium haben wir über das Licht gehört, das auf einen Leuchter gestellt wird, damit alle, die ein­treten, es leuchten sehen. Auch wir treten in einen Raum unseres Kontinents Europa ein, wenn Karl der Große denjenigen auf den Leuchter stellt, in dessen Licht er herrschen will. Dieses Licht ist niemand anders als Christus, der Pantokrator, der Weltenherrscher, im himmlischen Jeru­salem, zu dem der gekrönte Herrscher von seinem aus den Steinen des Heiligen Grabes in Jerusalem gebauten Thron aufsieht. Karl der Große lehrt uns den Blick auf das Licht Christi, das die Welt hell machen möchte, so wie die Lichter auf dem Barbarossaleuchter das Oktogon dieses Domes beleuchten.

Bei dieser Aufgabe ist Karl nicht allein. Neben ihm steht ein außerordentlicher und gelehrter Mann, der aus Eng­land stamm­t, der Diakon Alkuin. Die Bedeutung dieses Mannes ist unschätzbar. Ich sehe hier eine Ähnlich­keit mit Karl IV. und dem ersten Prager Erzbischof Ernst von Pardu­bitz.

Es ist kein Zufall, dass wir als erste Lesung einen Abschnitt aus dem Buch Jesus Sirach gehört haben. Es ist eine Ode an die Weisheit und an die Bil­dung. Aus ihnen erwächst eine Freude, wie sie das Kind auf Armen seiner Mutter erlebt und der Mann in den Ar­men sei­ner Frau. Das gemeinsame Werk die­ser beiden Män­ner – das Oktogon des Aachener Doms, wo wir die heutige Litur­gie feiern, und die von Alkuin geführ­te Akademie, deutet den zu­künfti­gen Grund der christli­chen Zivilisation an, die wir die westli­che Zivi­lisation nennen.

Diese Zivilisati­on ist dann später, im 13. Jahr­hundert, in dem Jahrhundert der Kathedralen und Universitä­ten, ent­standen.  Aber das war nur des­halb möglich, weil die Bibel (Vulgata) fest erfasst wurde und die antike Bil­dung respektiert wurde. Das Europa der Klöster ist ein Werk des heili­gen Be­nedikt und der Iroschotten, wie eben des Abtes Al­kuin aus der Benediktinerabtei St. Martin zu Tours.

Ich finde die Worte von Jacques Le Goff genial. Sie sollten zur Legenda aurea unserer Tage werden, und zu einer Grund­lage für die nötige Reform der Euro­päischen Union. Nach seinen Worten hat die Taufe des neuen Europa ihre Vorläuferin in der Tau­fe des Franken­kö­nigs Chlod­wig. Und dieses Europa wurde durch das Werk Karls des Gro­ßen bestätigt, wir können auch sagen: ge­firmt.

Diese Firmung müs­sen wir in der theolo­gischen Vision des Alkuin verstehen: Der Firmpate legte als Zei­chen seiner Unterstüt­zung seine Hand auf die rechte Schul­ter des Firm­lings – und zwar in dem Moment, als der Bischof dem Firmling einen angedeu­teten Ba­ckenst­reich gab als Sym­bol der Stär­kung. Ein weniger bekann­ter Brauch im Rahmen der Firmzeremo­nie war ein Fußtritt durch den Paten, der wohl als Mittel zur `Gedächtnis­stärkung´ zu deuten ist, damit im Fall eines größeren Ba­ckenst­reichs der Firmling nicht zu Fall käme.

Den christlichen Kampf im Fränki­schen Reich, im neuen Europa, sieht Alkuin auf dem Hintergrund des Anneh­mens eines Kämp­fers zu den Männern als Beschützer des Stammes.Von daher fällt auch ein neues Licht auf die auch im heutigen Europa wichtige Frage der Gleich­berech­ti­gung zwi­schen Frau­en und Män­nern. Denn Taufe und Fir­mung demonstrieren seit Anfang an diese Gleichbe­rechti­gung.

Das zeigt auch eine Diskus­sion auf ei­nem regio­nalen Kon­zil im Süden Gal­liens, das sich gegen einige Män­ner ge­wandt hat, die behaupteten, die Seele sei le­diglich dem Mann eingehaucht worden. Es waren Mön­che und die kirchliche Hierar­chie, die die gleiche Würde von Mann und Frau verteidi­gt haben. Schon auf den ersten Sei­ten der Bibel lesen wir, dass Gott den Men­schen als Mann und Frau ge­schaf­fen hat.

Heute ist es üblich, dass für die Frauen der Staatsmänner bei offiziellen Besuchen ein caritativ-kul­turelles Programm vorberei­tet wird. Heißt es, dass die Poli­tik nichts Gemein­sames mit Kultur und Caritas hat?

Ver­ste­hen wir so wirklich die Bedeu­tung des Nachlasses Karls als Vater Europas? So, wie der Firm­ling sein geist­liches und morali­sches Potenti­al entfalten muss, richteten sich auch die Schrit­te Karls des Großen in die nächs­ten Jahrhunderte. An sie knüp­ften nach dem Zwei­ten Welt­krieg auch die be­rühmten drei Väter der Euro­päi­schen Gemein­s­chaft an: Konrad Adenauer, Char­les de Gaulle und Alci­de de Gaspe­ri.

Wenn wir den Le­benslauf Karls des Großen lesen, erfahren wir, dass es große innere Kämpfe in dem nicht konsolidierten Euro­pa gab, das nach und nach ver­wandelt und christiani­siert wurde. Das römische Reich war zerfal­len aufgrund der Umsied­lung der Eth­nien von Hun­nen, Kel­ten, Ger­ma­nen und Slawen.

Die Karoli­ngische Renaissance hat eigent­lich die Worte des heili­gen Au­gusti­nus voll­endet. Als die anderen Bischöfe gerufen haben: „Augustinus, das ist das Ende der Welt“, hat er in der von den Vandalen eingekes­selten Stadt Hippo geantwortet: „Brüder, dort, unter dem Wall, wird eine neue Welt geboren.“

Die soldati­schen Züge Karls des Großen sind im Kon­text der Zeit be­greif­lich und man sollte auf alle Anachro­nismen ver­zichten, mit denen Ideolo­gen ope­rie­ren, manchmal auch in Ge­stalt von Histo­rikern.

Für diesen Herrscher gelten die Worte des Apostel Paulus, die wir in der Zweiten Lesung gehört ha­ben: „Der Gnade Gottes entsprechend, die mir geschenkt wurde, habe ich wie ein guter Baumeister den Grund gelegt: ein anderer baut darauf weiter. Aber jeder soll darauf achten, wie er weiterbaut.  Denn einen ande­ren Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus.“ (1 Kor 3,10-11).

Die Bedeutung Karls des Großen für die Geschichte unseres Kontinentes zeigt sich auch in der Etymolo­gie. Er wurde zum Prototyp des Herr­schers; sein Name bezeichnet die Königswürde: auf Tsche­chisch král, auf Polnisch król, auf Ungarisch király, auf turkisch  kral.

Wenn wir sagen, dass der Grund Europas die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl war, dann werden die Mittel mit dem Ziel verwechselt. Der Streit um diese zwei strategisch wichtigen Stoffe war oft ein Grund für den Krieg, aber das Ziel Euro­pas muss der Frie­den sein.

Wenn wir heute Karl den Großen feiern, dann verneigen wir uns vor den geistlichen Wurzeln Euro­pas, wir verneigen uns vor dem christli­chen Glau­ben und den europäischen Werten, die daraus erwachsen sind – und nicht vor der fundamenta­listischen Laizität und ihren neomarxisti­schen Hel­fern.

Zum Schluss er­wäh­ne ich die Worte Char­les de Gaulles: „Die Ge­schichte Frank­reichs beginnt mit Chlod­wig, der zum König der Franken ge­wählt wurde. Ent­scheidend ist, dass Chlodwig der erste König war, der sich taufen ließ. Meine Erde ist eine christliche Erde und ich rechne die Geschichte der Franken seit dem Moment, als auf den Thron ein christ­licher Kö­nig stieg.“

Ich schließe mit den Worten, die wir aus dem Zweiten Korintherbrief gehört haben: „Ob aber jemand auf dem Grund mit Gold, Silber, kostbaren Steinen, mit Holz, Heu oder Stroh weiterbaut: das Werk eines jeden wird offenbar werden; … Hält das, was er aufgebaut hat, stand, so empfängt er Lohn.“ (1 Kor 3,12 -14)

+Dominik kardinal Duka

(Quelle: http://www.dominikduka.cz/de)

Foto: Karls- und Reichsthron im Aachener Dom – Bildquelle: German Wikipedia user Holger Weinandt

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