Weltjugendtage, Medjugorje und kirchliche Großereignisse – II. Teil

Chefredakteur Benjamin Greschner im Sommergespräch mit Mag. Michael Gurtner.
Erstellt von am 29. August 2011 um 18:58 Uhr

Benjamin Greschner: eine kurze Zwischenfrage: was bedeutet das für Wallfahrten?

Mag. Michael Gurtner: Die Position des Apostolischen Stuhles ist diejenige, daß man sich aus frommen Gründen an diesen Ort begeben kann, aber erstens: es dürfen keine offiziell kirchlich angebotene oder organisierte Wallfahrten sein sondern ausschließlich private Reisen, und zweitens dürfen diese Reisen nicht der Art sein, daß sie einer Anerkennung gleichkommen. Hierzu ist das Urteil des Apostolischen Stuhles abzuwarten.

Man kann sich aber, strikt privat wohlgemerkt, nach Medjugorje begeben, um etwa die dort angebotenen Seelsorgeeinrichtungen zu nutzen.
Zum Terminus „private Reise“ ist vielleicht noch zu sagen, daß das nicht bedeutet daß man alleine dorthin fahren muß, es kann auch eine Gruppe sein, aber es darf eben keine wie auch immer geartete Institution oder (offizielles) kirchliches Organ sein welche zu dieser Reise animiert.
Sehr wohl aber kann diese Gruppe einen Geistlichen mitnehmen.

Das ist die derzeitige Lage. Allerdings denke ich nicht, daß das ein Dauerzustand sein kann. Es ist eine Übergangslösung. Irgendwann wird man, nach einer genauen vorangehenden Überprüfung, wohlgemerkt, jedoch ein Urteil zu diesen Fällen abgeben müssen, die Menschen erwarten sich eine Sicherheit die durch die kompetente Stelle, den Heiligen Stuhl, gedeckt ist, der aber seinerseits wiederum nicht die erste Instanz ist. Doch die untergeordneten Instanzen sind letztlich doch noch zu wenig, man möchte dessen Urteil, je nachdem, abgesichert oder abgeändert wissen. Es ist von daher eine Situation der Unsicherheit derzeit, weil die Urteilsfindung, wenn sie wissenschaftlich fundiert sein will, ein sehr komplexer, langwieriger und heikler Prozeß ist, um so mehr nachdem sich dort bereits ein teils auch sehr emotionsgeladener Kult entwickelt hat und es sich mittlerweile um einen der größten Pilgerorte handelt. Das erschwert die Sache ungemein.

Der Präsident der derzeitigen internationalen Untersuchungskommission welche der Apostolische Stuhl am 17 März 2010 eingesetzt hat, Seine Eminenz Camillo Cardinale Ruini, hat im Juni erst am Rande einer Buchpräsentation gesagt, daß man noch weit davon entfernt ist, endgültig entscheiden zu können ob die Erscheinungen echt sind oder nicht.  Es ist ja auch nicht die einzige heikle Frage in dieser Angelegenheit: es ist ja auch noch die weitere, bereits vorhin angesprochene Thematik nach dem pastoralen Umgang mit Medjugorje zu bedenken. Was kann man vertreten, was nicht? Was ist schon zu viel, was geht noch? Man muß auf jeden Fall falsche Eindrücke vermeiden und darf auch nicht das persönliche Anerkennen oder nicht-Anerkennen der Erscheinungen zum Kriterium machen, Medjugorje darf also kein kirchenpolitisches Element, etwa in Personalentscheidungen werden, zumindest nicht solange es um das rein persönliche Fürwahrhalten geht. Das ist einfach eine Frage der klugen Vorsicht, welche hier geboten ist.

Benjamin Greschner: was bedeutet das dann für die Praxis? Wie sollte sich ein Pfarrer etwa verhalten?

Mag. Michael Gurtner: ich würde meinen, keines Falls sollte eine Pfarrei oder eine andere kirchliche Institution, oder auch eine wie auch immer geartete Einrichtung die dezidiert als katholisch auftritt, das Phänomen zum derzeitigen Zeitpunkt fördern. Die Gefahr besteht freilich sehr greifbar, daß man einem gewissen Druck der durch die Erwartung einer an sich sehr frommen und kirchlich gesinnten Gruppe von Menschen nachgibt und dann „Ausreden“ sucht oder die Texte so interpretiert oder formuliert, daß sie der eigentlichen Intention nicht mehr gerecht zu werden vermögen, etwa indem man Fahrten nach Medjugorje zwar als privat deklariert, aber sie letztlich dann doch einen öffentlichen oder pfarrlichen Charakter haben. Besonders Priester sollten sehr vorsichtig sein was Medjugorje anbelangt, da sie eine besondere Verantwortung für die Seelen tragen und viele ihrer Schäfchen auch den Schluß ziehen: wenn Hochwürden X nach Medjugorje fährt oder immer wieder die Botschaften zitiert oder Veranstaltungen bewirbt, welche vielleicht gar nichts mit den angeblichen Erscheinungen selbst zu tun haben, aber dennoch mit dem Ort in Verbindung stehen, dann wird das alles schon stimmen. Das ist wirklich eine große Gefahr vor der man sich hüten sollte, einfach weil die Möglichkeit eines negativen Urteils noch offen ist und in solch einem Falle der Schaden und auch die Gefahr sehr groß sind. Man tut den Seelen nichts Gutes wenn man hier etwas riskiert was noch nicht klar ist.

Dasselbe gilt im übrigen auch, wenn nicht sogar noch mehr für Einrichtungen in welchen man die Teilnehmer nicht alle persönlich kennt, etwa für Fernsehstationen, Radiosender, auch für alles was irgendwie publizistisch ist, sei es im Printbereich, sei es aber auch im Bereich des Internets. Eine gewisse Nüchternheit ist also gefordert, einfach aus einer Sorge für und um die Seelen der Menschen. Solange nicht eine kirchlich abgesicherte Sicherheit da ist, sollte man also nichts riskieren, man hilft niemandem wenn man den Eindruck einer Echtheit der Ereignisse erweckt solange diese nicht bestätigt ist.

Benjamin Greschner: Und was ist in dieser Hinsicht auf die vielen Berichte von Bekehrungen, auf die zahlreichen Beichten und die Pilgerströme zu sagen, welche ja beinahe schon als Massenereignis angesehen werden können?

Mag. Michael Gurtner: Hierbei beobachtet man oftmals eine Vermischung zweier Dinge: die Tatsache daß viel gebeichtet wird oder daß viele Menschen ihre Bekehrung Medjugorje zuschreiben ist nicht zu verwechseln mit einem Beweis der Echtheit. Das sind zwei getrennte Bereiche, man kann keinen Rückschluß vom einen aufs andere ziehen. Natürlich ist es eine positive Sache wenn man sieht: ich bin im Glauben nicht alleine, es gibt noch so viele andere Menschen welche ebenso zur Heiligen Beichte gehen, welche ebenso sich um ein Leben gemäß dem Glauben der Kirche und ein Leben aus dem Sakramentenschatz der Kirche heraus bemühen. Das kann eine große Motivation sein auch damit zu beginnen oder weiterzumachen. Aber an sich genügt es nicht um Rückschlüsse auf das Bestehen oder Nicht-Bestehen einer Erscheinung zu schließen.

Benjamin Greschner: Kommen wir vielleicht nochmals auf das Thema Massenereignisse der katholischen Kirche zurück: Sie selber sagten es sei nichts für Sie, Teil einer großen Menschenmasse zu sein. Aber wie bewerten Sie das „Phänomen Masse“ allgemein? Soll man das fördern oder lieber einzudämmen suchen?

Mag. Michael Gurtner: Nun, ich würde sagen „Kirche“ und „Masse“ läßt sich durchaus zusammenführen. Denken wir nur an die Speisung der 4000 und der 5000 Männer plus der Frauen plus der Kinder. Das war für damalige Zeiten auch eine riesen Menschenmasse. Also es ist ganz nichts Prinzipielles dagegen einzuwenden. Allerdings ist es auch nicht die „Kernkategorie“ des Katholizismus. Damit will ich sagen: einerseits muß man bei verschiedenen Veranstaltungen sicher den Menschenmassen Rechnung tragen, aber umgekehrt darf man nicht der Versuchung erliegen möglichst hohe Zahlen zu erzielen auf Kosten der jeweiligen Veranstaltung. Also: lieber eine Heilige Messe in einer Kathedrale als auf einem Sportplatz und anschließend eine Katechese am Sportplatz für alle usw. Aber das muß man je nach Ort wahrscheinlich entscheiden. Jedenfalls hat auch der Heilige Vater selbst viele Messen wieder viele Messen vom Sagrato in die Petersbasilika verlegt.

Wo ich aber auf jeden Fall einen Handlungsbedarf sehe den man gut studieren muß ist die Handhabung der Volkskommunion bei Messen mit einer großen Zahl an Gläubigen: der Schutz des Sakramentes muß an erster Stelle stehen. Man darf im Kern des katholischen Glaubens, dem eucharistischen Glauben, nichts riskieren. Unser Glaube und was uns die heiligste Eucharistie Wert ist muß man auch am Umgang mit ihr erkennen, auch als einer, der, sagen wir, noch nie etwas vom Katholizismus gehört hat. Würde er etwa zufällig im Fernsehen eine Papstmesse sehen und die Kommunionausteilung auch an die Gläubigen, so müßte er spontan feststellen können: Das ist es, worum es im Katholizismus geht!

Von daher würde ich meinen: die Handhabung der Kommunionpraxis bei Messen mit einer Vielzahl von Gläubigen gehört unbedingt neu überdacht. Entweder man verzichtet in diesen Ausnahmesituationen zugunsten des allerheiligsten Sakramentes auf die allgemeine Kommunionspendung, oder man sagt: die Messen zelebriert man vorher in kleinen Gruppen, und für alle gibt es danach eine fromme Andacht. Aber die Austeilung der Herrenleibes über 3 Köpfe hinweg, in einem Gedränge an den Sektorenrändern, das kann nicht dem liturgischen Anspruch des Sakramentes entsprechen, das schafft auch einen falschen Eindruck und riskiert daß Hostien, auch aus Versehen, zu Boden fallen. Das ist unausweichlich und absehbar, denke ich.

Ein zweiter Punkt wo ich unbedingt Handlungsbedarf sehe ist die Massenkonzelebration. Ich denke mit der heutigen Praxis der unbegrenzten Konzelebration haben wir uns schon zu weit von dem wegbewegt was der Charakter der Messe als Kalvarienopfers am Altar eigentlich fordert. Man muß bei Massenmessen doch sehr aufpassen, daß man nicht unbewußt das banalisiert, was man eigentlich heilighalten und ins Zentrum stellen möchte. Intention und Wirkung kann hier mitunter weit auseinander gehen. Es sind also zwei Ebenen hier zu bedenken: was ist vom sakramententheologischen Standpunkt her gefordert, und welche Wirkung hat die Form bzw. welche Wirkung kann sie auf den Glauben der Menschen haben. Von daher würde ich sagen: die Masse ist  nicht so sehr das Problem, im Gegenteil, aber man muß sich doch auch der Frage stellen wie man damit recht umgehen soll. Und hier sehe ich eben bei diesen zwei Punkten einen dringenden Handlungsbedarf: Die Frage der Kommunionspendung und die Frage der Massenkonzelebration.

Benjamin Greschner: Herr Magister, ich danke Ihnen recht herzlich für dieses Sommerinterview und dafür daß Sie sich Zeit genommen haben die Fragen so ausführlich zu beantworten.

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