Weltjugendtage, Medjugorje und kirchliche Großereignisse – I. Teil

Chefredakteur Benjamin Greschner im Sommergespräch mit Mag. Michael Gurtner.
Erstellt von am 27. August 2011 um 17:57 Uhr

Benjamin Greschner: Herr Magister, gerade ist ein gesamtkirchliches Großereignis zu Ende gegangen, der Weltjugendtag mit Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI in Madrid. Sind Sie hingefahren und welche Bedeutung haben diese Weltjugendtage für die heutige Gesellschaft?

Mag. Gurtner: Ich habe nicht daran teilgenommen, einfach weil ich nicht der Typ bin der im Freien unter tausenden anderen Jugendlichen auf einer Wiese auf einer Isomatte nächtigt, und ich auch nicht derjenige bin, der ausgelassen feiert und in Jubel ausbricht wenn das Papamobil mit Seiner Heiligkeit dem Papst vorbeifährt. Da bin ich ehrlichgesagt zu nüchtern dazu. Ich bevorzuge eher, von zu Hause aus die Ereignisse mitzuverfolgen.

Aber ich denke das ist auch eine Sache der persönlichen Veranlagung, es ist eher eine Sache der äußeren Umstände. Und ich denke auch, ganz generell gesagt jetzt, man sollte die Jugendlichen nicht in die Kategorien einteilen „hat teilgenommen, ist daher für den Papst“ und „hat nicht teilgenommen, suspekt suspekt…“. Das ist zwar sicher nicht die Regel daß das so geschieht, aber vereinzelt kommt das auch schon vor. Aber eben nur sehr vereinzelt wie gesagt. Jedenfalls wollte ich damit sagen: man sollte weder in die eine noch in die andere Richtung etwas aus einer Teilnahme oder Nicht-Teilnahme ableiten. Das nur allgemein noch dazu. Was die globale Bedeutung anbelangt so würde ich meinen, daß es sicher zu einer fixen, regelmäßigen Institution geworden ist welche einfach zum Weltenrhythmus dazugehört wie auch andere regelmäßige Großveranstaltungen. Nur daß es eben keine Sportveranstaltung ist wie die olympischen Spiele oder eine kulturelle Großveranstaltung wie etwa die Filmfestspiele in Venedig, sondern daß es sich um eine Großveranstaltung handelt mit dezidiert katholischen Inhalten.

Von daher sind Parallelen sicher gegeben, aber man muß andere Maßstäbe anlegen. Im Konkreten bedeutet dies, daß es bei den Weltjugendtagen nicht darum geht, bloß eine unterhaltsame Sache zu machen, es geht nicht um ein bloßes Gemeinschaftsgefühl, sondern es geht um viel mehr: Ziel ist es, die Jugend der Welt zu einem Leben ganz im Glauben zu motivieren. Das Moment des Gemeinschaftserlebnisses ist also nicht das Eigentliche, nicht das Zentrum, sondern ein hilfreiches Mittel, denn die Jugendlichen sehen plötzlich: es gibt ja noch eine ganze Menge anderer junger Leute die sich um den Glauben mühen, welche zum Stellvertreter Christi auf Erden kommen um sich von ihm zu Christus weiterführen zu lassen, und sie sehen: der Glaube ist (auch) für andere etwas ganz –im positivsten Sinne gemeint- „normales“ und alltägliches, und das sind Erfahrungen, welche gerade für Jugendliche aus Gebieten in welchen der gelebte Glaube nicht mehr selbstverständlich ist, eine enorm wichtige Motivation sein können.

Aber eben, das Ziel ist eine Stärkung des Glaubens der Jugendlichen, nicht eine katholische Megaparty. Wäre es allein das, dann wäre der ganze Aufwand in keinster Weise gerechtfertigt. Es geht auch nicht darum, ein bloßes Gefühl hervorzurufen, denn das wird sehr schnell wieder vergehen. Sind diese Weltjugendtage aber Mittel zum Zweck, und das sind sie ja auch, dann ist es durchaus eine fördernswerte Sache.

Benjamin Greschner: Aber spiegeln diese Weltjugendtage auch die Wirklichkeit des Alltags in den Pfarren wieder? Irgendwie ist ja doch eine gewisse Spannung zwischen einer Euphorie der Weltjugendtage und einer Resignation in den Bistümern und Pfarren festzustellen, in denen mitunter so gar nichts von einer Weltjugendtags-Euphorie zu spüren ist.

Mag. Michael Gurtner: Ja, es ist klar, daß dies außergewöhnliche Momente des Glaubenslebens sind, nicht das Tägliche. Daß es immer wieder Außergewöhnliches gibt ist wichtig als Motor für den Alltag, aber es bleibt eben die Ausnahme, auch dessen muß man sich bewußt sein. Man muß nicht nach jeder Vesper die man betet oder nach jeder Heiligen Messe einen Endorphinschub haben, das wäre zuviel verlangt. Das Glaubensleben kann oft sehr nüchtern und ernüchternd sein. Aber eben, solche außergewöhnliche Ereignisse können dem Gesamt des Glaubenslebens eine gewisse Freude geben weil in ihnen daß eine oder andere Glaubensmysterium besonders festlich und glanzvoll hervorleuchtet, so wie auch das Kirchenjahr nicht nur aus Osternächten besteht, aber ein Kirchenjahr ohne die großen Feierlichkeiten einer Hochliturgie an Festen viel ärmer, ja vielleicht sogar zu arm wäre. Es braucht das Schöne und das Besondere, um auch dem Normalen dann seinen rechten Platz geben zu können.

Und so ist das auch mit den Weltjugendtagen: das Außergewöhnliche soll nicht bloß ein punktuelles Ereignis bleiben das sich periodisch wiederholt, sondern es soll eine Bestärkung für die normalen Zeiten dazwischen sein. Was die angesprochene Diskrepanz zwischen Euphorie und Resignation anbelangt so denke ich, daß der Eindruck insofern täuschen kann als zu diesen Ereignissen eben gerade jene Leute kommen, welche Interesse am Glauben der Kirche und an dieser selbst haben. Es kommen an diesen Ereignissen also etwas „komprimiert“ jene (wenigen) zusammen, welche zu Hause vielleicht auch mittlerweile zur Minderheit der glaubenden und praktizierenden Katholiken gehören und die ansonsten vielleicht genauso eifrig sind, nur eben in der Masse der Lauheit nicht so recht wahrgenommen werden. Wenn die wenigen aber erst einmal zusammenkommen, dann sieht man auch: es gibt ja doch noch so und so viele andere die ebenso wie ich zur Kirche stehen, den Glauben praktizieren und so weiter. Und das ist eben eine wichtige Sache und ein großer Verdienst der Weltjugendtage denke ich: man sieht: die Kirche ist keine Nationalkirche sondern eine Weltkirche, und es gibt eine ganze Reihe anderer junger Leute welche ebenso um ein Glaubensleben bemüht sind, und man kommt sich dann vielleicht etwas weniger exotisch vor in einer neuheidnischen Welt wie die unsere.

Alleine glauben zu müssen kann etwas schwierig sein und man kann auch selbst erkalten, die Umwelt kann sozusagen auf einen abfärben, das ist eine ganz reale Gefahr im Glaubensleben. Aber auch das Umgekehrte gilt, und das muß man sich zu Nutzen machen: ein gläubiges Umfeld kann sich auch positiv auf das eigene Glaubensleben auswirken, kann, um im Bilde zu bleiben, die Temperatur anheben. Deshalb können solche zumindest punktuellen Ereignisse durchaus förderlich für den einzelnen sein. Anstatt sich einem ungläubigen Umfeld anzupassen sollte man eben zusehen, die Gläubigen gut zu organisieren, so daß auch das umgekehrte geschehen kann und man sich einem gläubigen Umfeld anpaßt. Man wird sozusagen durch die anderen ein wenig „mitgerissen“ und man hält leichter durch wenn Zeiten kommen die etwas trockener sind.

Benjamin Greschner: Sie haben gerade etwas angesprochen was ich auf ein anderes Phänomen umlegen möchte, auch wenn uns das jetzt etwas vom Thema Weltjugendtag wegführt. Sie sagten eben, dieses „geballte Glaubensleben“ ist eine außerordentliche Sache, nicht der Alltag, es kann aber das Glaubensleben sozusagen beflügeln. Dabei denke ich automatisch auch an Medjugorje. Ist das nicht auch dort so daß es eine Art „ständiger Weltjugendtag“ ist, nur eben nicht auf die Jugend beschränkt?

Mag. Michael Gurtner: Nun, gewisse Parallelen gibt es sicher. Was beim Weltjugendtag zeitlich geballt ist, ist in Medjugorje sicher örtlich geballt. Das eine ist selten hinsichtlich der Zeit, das andere hinsichtlich des Ortes. Bei allen Unterschieden gibt auch große Gemeinsamkeiten, etwa in Bezug auf ein „gebetsfreudiges Umfeld“, welches das eigene Gebetsleben eben wie gesagt sehr fördern kann, auch die Beichtpraxis und so weiter.

Dennoch sollte man nüchtern bleiben und vor allem nicht den Fehler begehen, welcher leider so oft begangen wird: man schließt von der Quantität der Gläubigen die nach Medjugorje kommen und dort vielleicht auch beichten, den heiligen Rosenkranz beten und so weiter, alles gute Sachen, auf die Echtheit der angeblichen Erscheinungen. Beides muß man aber ganz klar und strikt trennen: eine starke Frequentierung, eine starke Sakramentenpraxis ist noch kein Beweis für die Echtheit der Erscheinungen. Das wird leider oft vermischt indem man sagt: wenn die Erscheinungen nicht echt wären, wenn der Teufel seine Hand im Spiel hätte, dann könnten doch nicht diese guten Früchte dabei rauskommen, das hätte die Gottesmutter doch niemals zugelassen. Das ist aber ein unzulässiger Schluß.

Benjamin Greschner: Es ist also denkbar, daß trotz des Zustromes an Menschen dort keine Erscheinungen stattfinden?

Mag. Michael Gurtner: Ja. Wir haben viele Phänomene, auch außerhalb der Kirche, welche Massen von Menschen anziehen und welche dort eine entsprechende Religiosität ausüben, welche diesen Orten eine Bekehrung zu welcher Religion auch immer zuschreiben etc. Beinahe jede Religion hat ihre besonderen Pilgerstätten, und dennoch sind nicht alle Religionen gleich wahr, das wäre ja ein Widerspruch par excellence. Es geht immer um die Frage: wahr oder nicht wahr? Sowohl was die Religionen an sich anbelangt, als auch was die Fragen innerhalb der katholischen Kirche anbelangt.

Und da ist die erste Anlaufstelle sicher einmal die Dogmatik und nicht die Statistik. Eine solche Urteilsfindung ist eine hochkomplexe Angelegenheit wenn sie auf einer wissenschaftlich-theologischen Ebene betrieben wird, welche zu einem endgültigen Urteil führen soll: Ärzte, Historiker, Theologen, Psychologen, und Fachkräfte anderer Disziplinen sind notwendiger Weise daran beteiligt. Das Befürworten oder Ablehnen einer Masse oder einer wie auch immer gearteten Autorität ändert nichts an der Echtheit oder Unechtheit einer vermeintlichen Erscheinung bzw. Privatoffenbarung. Diese hat stattgefunden oder nicht stattgefunden unabhängig davon, was eine Menge, eine Mehrheit oder eine Institution oder auch Privatpersonen dazu meinen. Erinnern wir uns nur daran, wie weit die Meinungen bei Pater Pio auseinandergegangen sind: und auch wenn man im nachhinein weiß daß einzelne, auch hochrangige Kirchenmänner anfänglich geirrt hatten was zu auch kanonischen Einschränkungen führte, so muß man im gesamt doch sagen: besser so, besser eine vorübergehende Übervorsicht als eine Leichtgläubigkeit in einer Angelegenheit, welche sich vielleicht einmal als doch nicht wahr herausstellen könnte. Ein solcher Schaden, besonders auch für die Seelen der Gläubigen, wäre wirklich enorm. Man kann also die Echtheit oder Unechtheit nicht herbeireden oder wegdiskutieren, sondern es ist eine ganz nüchterne Tatsachenfeststellung.

Benjamin Greschner: Aber angesichts der gewaltigen Menschenmassen die jährlich nach Medjugorje pilgern: könnte die Kirche da noch ein negatives Urteil fällen?

Mag. Michael Gurtner: Sollte man zu dem Ergebnis kommen, daß die Erscheinungen nicht echt sind, müßte dies die Kirche sogar tun. Ein solches Urteil aber, auch wenn es der Wahrheit entspricht, würde unweigerlich gewaltige Probleme mit sich bringen: ich denke es würde in manchen Kreisen zu einer Art innerlicher Abspaltung kommen, ein solches kirchliches Urteil, auch wenn es der Wahrheit entspricht, würde von vielen nicht angenommen werden. Und ein weiteres Problem wäre zu erwarten, welches besonders auch pastoraler Natur ist: würde die Kirche ein negatives Urteil fällen, so würde das doch auch nicht wenige Menschen in eine gewisse Glaubenskrise stürzen, weil es doch auch etliche Leute gibt, deren Glaube auf den Geschehnissen um Medjugorje aufgebaut ist. Vor einiger Zeit sagte mir jemand: „meinen Glauben habe ich allein der Muttergottes von Medjugorje zu verdanken, allein dadurch konnte ich zum Glauben kommen“. Selbstverständlich kann man eine solche Aussage unter verschiedenen hermeneutischen Aspekten verstehen, man soll sowas auch nicht überbewerten, keinesfalls, aber eine Grundlinie ist schon erkennbar. Viele jener Menschen, welche ihren Glauben oder eine Bekehrung oder eine sonstige Gnade der Gospa zuordnen, würden dann ins Wanken kommen: wenn die Ereignisse dort nicht echt sind, dann ist auch der Glaube nicht wahr. Das wäre eine Gefahr eines eventuellen negativen Urteils.

Von daher wird doch auch ein gewisser Druck, wenn auch unbewußt, aufgebaut. Um ein angemessenes Urteil fällen zu können, bedarf es einer gewissen gelassenen Freiheit. Aus genau diesem Grund besteht auch die Regel –daß sie mitunter nicht eingehalten wird ist eine andere Sache, aber prinzipiell besteht sie und ist auch richtig- daß für die Zeit eines Seligsprechungsprozesses kein Kult für die betreffende Person stattfinden darf. Das hat genau denselben Grund: ein Kult würde die nötige innere Freiheit einschränken, welche für ein gediegenes Urteil notwendig ist. Dasselbe gilt auch für andere Dinge welche eng mit der Übernatur verbunden sind, etwa die Bewertung möglicher Privatoffenbarungen.
Die Kirche könnte also durchaus ein negatives Urteil fällen wenn sie zu der Erkenntnis gelangt: die berichteten Vorkommnisse in Medjugorje entsprechen nicht der Realität, sie müßte es in solch einem Falle sogar, aber sie würde sich erstens schwerer tun damit und zweitens wären die „Kollateralschäden“ für die Gläubigen um so schwerwiegender.

Benjamin Greschner: Wie ist eigentlich die Haltung des Heiligen Stuhles in dieser Angelegenheit? Gibt es Weisungen? Und ist nicht gerade eine Untersuchungskommision mit genau dieser Frage beschäftigt?

Mag. Michael Gurtner: Zunächst einmal: Der Heilige Stuhl hat sich bislang –und ich spreche allein von den offiziellen Noten- nicht definitiv geäußert was die Echtheit der Erscheinungen anbelangt, aber sehr wohl was die pastorale Ebene anbelangt. Was die Echtheit der Erscheinungen anbelangt so die derzeitige Haltung eine indifferente: man hat weder eine Echtheit noch eine Unechtheit konstatiert bzw. konstatieren können. Eine Echtheit könnte ja erst nach dem Ende angenommener Erscheinungen konstatiert werden, eine Unechtheit allenfalls schon vorher.

Lesen Sie am Montag den II. Teil des großen Sommergesprächs zwischen kathnews-Chefredakteur Benjamin Greschner und Magister Michael Gurtner.

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