Vatikanum II: Die Seele der Ökumenischen Bewegung
Von Gero P. Weishaupt:
Die Seele der ökumenischen Bewegung ist die Bekehrung der Herzen und die Heiligkeit des Lebens in Verbindung mit dem privaten und öffentlichen Gebet für die Einheit, sagen die Konzilsväter in Artikel 8 des Ökumenismusdekretes.
Weil es auch außerhalb der Kirche Christi, die in ihrer Fülle in der Katholischen Kirche besteht, ja mit ihr identisch ist, kirchliche Elemente gibt, ist bereits eine Gemeinschaft im geistlichen Tun (communicatio in spiritualibus) möglich. Diese äußert sich im gemeinsamen Gebet um die Einheit, aber auch im Gebrauch der gemeinsamen Dinge oder Orte. Nähere Ausführungen und Bestimmung dazu finden sich im Kirchenrecht (d.h. im Codex Iuris Canonici von 1983 und im Direktorium für die Ökumene von 1993, beide Texte sind auf meiner Homepage abrufbar.). Ein konkretes Beispiel einer solchen „Gemeinschaft im geistlichen Tun“ ist die Möglichkeit, dass eine evangelische Kirchengemeinde vor Ort in einer katholischen Kirchegeäude ihren Gottesdienst halten darf, wenn ihr eigenes Gotteshaus für längere Zeit nicht für den Gottesdienst zur Verfügung steht (z.B. wegen Restaurationsarbeiten). Der Ortsordinarius (Ortsoberhirte) kann dazu dem Rektor des katholischen Kirchengebäudes (z.B. dem Pfarrer) die Erlaubnis erteilen, der evangelischen Kirchengemeinde für ihre Gottesdienste das katholische Kirchengebäude zur Verfügung zu stellen.
Gottesdienstgemeinschaft ist kein Mittel zur Wiederherstellung der Einheit der Christen
Diese Gemeinschaft im geistlichen Tun ist zu unterscheiden von der Gottesdienstgemeinschaft (communicatio in sacris). Diese findet statt, wenn jemand an einem liturgischen Gottesdienst oder gar an den Sakramenten einer anderen Kirche (z.B. einer Ostkirche) bzw. kirchlichen Gemeinschaft (z. B. bei evangelischen Christen) teilnimmt. Diese Gemeinschaft beim Gottesdienst darf allerdings nach Aussage der Konzilsväter „nicht als ein allgemein und ohne Unterscheidung gültiges Mittel zur Wiederherstellung der Einheit der Christen angesehen werden.
Sakramente bezeugen die Einheit und sind Gnadenmittel
Bei der Gottesdienstgemeinschaft sind zwei Aspekte der Sakramente zu unterscheiden: Zum einen sind Sakramente immer  Bezeugung der Einheit der Kirche – das gilt vor allem für die heiige Eucharistie –, zum anderen sind Sakremante Heils- und Gnadenmittel. Darum lehrt das Zweite Vatikanische Konzil: „Die Bezeugung der Einheit verbietet in den meisten Fällen die Gottesdienstgemeinschaft, die Sorge um die Gnade empfiehlt sie indessen in manchen Fällen“.
Mit den Christen der Ostkirchen ist eine Gottesdienstgemeinschaft in stärkerem Maße möglich, da auch sie das Bischofsamt und die sieben Sakramente kennen. Mit den kirchlichen Gemeinschaften, die aus der Reformation des 16. Jahrhunderts hervorgegangen sind, ist eine Gottesdienstgemeinschaft bislang nicht möglich, da ihnen die beiden genannten Elemente fehlen. Darum ist nur im Hinblick auf die Heils- und Gnadendimension der Sakramente ist in außerordentlichen Notsituationen eine Gottesdienstgemeinschaft möglich, d.h. die Teilnahme an den Sakramenten der Buße, der Krankensalbung und der heiligen Kommunion. Zu beachten sind dabei die Vorgaben des geltenden Kanonischen Rechtes (can. 840 § 4)  iVm dem Direktorium für die Ökumene von 1993.
 Aus der Enzyklika Ecclesia de Eucharistia (2003) des heiligen Johannes Pauls II.
Papst Johannes Paul II. ist in seiner letzten Enyzklika, die dem Geheimnis der Eucharistie gewidmet ist, auf die communicatio in sacris, auf die Gottesdienstgemeinschaft im Rahmen der ökumenischen Bewegung, eingegangen. Der betreffende Text soll hier in Erinnerung gerufen werden. Er gilt als eine authentische Interpretation des Artikels 8 des Ökumenismusdekretes, der weiter unten integral wiedergegeben wird.
„Weil die Einheit der Kirche, welche die Eucharistie durch das Opfer und den Empfang des Leibes und Blutes des Herrn verwirklicht, unter dem unabdingbaren Anspruch der vollen Gemeinschaft durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und des kirchlichen Leitungsamtes steht, ist es nicht möglich, die eucharistische Liturgie gemeinsam zu feiern, bevor diese Bande in ihrer Unversehrtheit nicht wiederhergestellt sind. Eine derartige Konzelebration wäre kein gültiges Mittel, sondern könnte sich sogar als ein Hindernis für das Erreichen der vollen Gemeinschaft erweisen. Sie würde den Sinn dafür abschwächen, wie weit das Ziel entfernt ist, und eine zweideutige Auffassung über die eine oder andere Glaubenswahrheit mit sich bringen und fördern. Der Weg zur vollen Einheit kann nur in der Wahrheit beschritten werden. Das Verbot durch das kirchliche Gesetz läßt in dieser Frage keinen Raum für Unklarheiten92 und folgt in Treue der vom Zweiten Vatikanischen Konzil verkündeten moralischen Norm.
Ich möchte aber bekräftigen, was ich in der Enzyklika Ut unum sint ausführte, nachdem ich die Unmöglichkeit der gegenseitigen Eucharistiegemeinschaft festgestellt habe: »Doch haben wir den sehnlichen Wunsch, gemeinsam die Eucharistie des Herrn zu feiern, und dieser Wunsch wird schon zu einem gemeinsamen Lob, zu ein und demselben Bittgebet. Gemeinsam wenden wir uns an den Vater und tun das zunehmend „mit nur einem Herzen“.
Wenn die volle Gemeinschaft fehlt, ist die Konzelebration in keinem Fall statthaft. Dies gilt nicht für die Spendung der Eucharistie unter besonderen Umständen und an einzelne Personen, die zu Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften gehören, die nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen. In diesem Fall geht es nämlich darum, einem schwerwiegenden geistlichen Bedürfnis einzelner Gläubiger im Hinblick auf das ewige Heil entgegenzukommen, nicht aber um die Praxis einer Interkommunion, die nicht möglich ist, solange die sichtbaren Bande der kirchlichen Gemeinschaft nicht vollständig geknüpft sind.
In diesem Sinn hat sich das Zweite Vatikanische Konzil geäußert, indem es die Praxis bestimmte, die gegenüber den orientalischen Christen einzuhalten ist, die in gutem Glauben von der katholischen Kirche getrennt leben, spontan um den Empfang der Eucharistie aus der Hand eines katholischen Amtsträgers bitten und in rechter Weise darauf vorbereitet sind.95 Diese Verhaltensweise ist von beiden Gesetzbüchern bestätigt worden, die mit den entsprechenden Anpassungen auch den Fall der anderen nicht orientalischen Christen berücksichtigen, die nicht in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen.
In der Enzyklika Ut unum sint habe ich selbst meine Wertschätzung für diese Norm zum Ausdruck gebracht, die es gestattet, für das Heil der Seelen mit dem gebotenen Unterscheidungsvermögen Sorge zu tragen: »Ein Grund zur Freude ist in diesem Zusammenhang, daran zu erinnern, daß die katholischen Priester in bestimmten Einzelfällen die Sakramente der Eucharistie, der Buße und der Krankensalbung anderen Christen spenden können, die zwar noch nicht in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, aber sehnlich den Empfang der Sakramente wünschen, von sich aus darum bitten und den Glauben bezeugen, den die katholische Kirche in diesen Sakramenten bekennt. Umgekehrt können sich in bestimmten Fällen und unter besonderen Umständen auch die Katholiken zum Empfang derselben Sakramente an die Geistlichen jener Kirchen wenden, in denen sie gültig gespendet werden«.
Es ist notwendig, diese Bedingungen genau zu befolgen. Sie sind unumgänglich, auch wenn es sich um begrenzte Einzelfälle handelt. Die Ablehnung einer oder mehrerer Glaubenswahrheiten über diese Sakramente, etwa die Leugnung der Wahrheit bezüglich der Notwendigkeit des Weihepriestertums zur gültigen Spendung dieser Sakramente, hat zur Folge, daß der Bittsteller nicht für ihren rechtmäßigen Empfang disponiert ist. Und umgekehrt kann ein katholischer Gläubiger nicht die Kommunion in einer Gemeinschaft empfangen, der das gültige Sakrament der Weihe fehlt.
Die getreue Einhaltung aller in dieser Materie festgelegten Normen ist Ausdruck und zugleich Garantie der Liebe zu Jesus Christus im heiligsten Sakrament, zu den Brüdern und Schwestern anderer christlicher Konfessionen, denen wir das Zeugnis der Wahrheit schulden, wie auch zum Auftrag, die Einheit zu fördern.“
Text Unitatis redintegratio. Artikel 8
„Diese Bekehrung des Herzens und die Heiligkeit des Lebens ist in Verbindung mit dem privaten und öffentlichen Gebet für die Einheit der Christen als die Seele der ganzen ökumenischen Bewegung anzusehen; sie kann mit Recht geistlicher Ökumenismus genannt werden.
Es ist unter Katholiken schon üblich geworden, daß sie häufig zu diesem Gebet für die Einheit der Kirche zusammenkommen, die der Heiland selbst am Vorabend seines Todes vom Vater inständig erfleht hat: „Daß alle eins seien“ (Joh 17,21).
Bei besonderen Anlässen, zum Beispiel bei Gebeten, die „für die Einheit“ verrichtet werden, und bei ökumenischen Versammlungen, ist es erlaubt und auch erwünscht, daß sich die Katholiken mit den getrennten Brüdern im Gebet zusammenfinden. Solche gemeinsamen Gebete sind ein höchst wirksames Mittel, um die Gnade der Einheit zu erflehen, und ein echter Ausdruck der Gemeinsamkeit, in der die Katholiken mit den getrennten Brüdern immer noch verbunden sind: „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20).
Man darf jedoch die Gemeinschaft beim Gottesdienst (communicatio in sacris) nicht als ein allgemein und ohne Unterscheidung gültiges Mittel zur Wiederherstellung der Einheit der Christen ansehen. Hier sind hauptsächlich zwei Prinzipien maßgebend: die Bezeugung der Einheit der Kirche und die Teilnahme an den Mitteln der Gnade. Die Bezeugung der Einheit verbietet in den meisten Fällen die Gottesdienstgemeinschaft, die Sorge um die Gnade empfiehlt sie indessen in manchen Fällen. Wie man sich hier konkret zu verhalten hat, soll unter Berücksichtigung aller Umstände der Zeit, des Ortes und der Personen die örtliche bischöfliche Autorität in klugem Ermessen entscheiden, soweit nicht etwas anderes von der Bischofskonferenz nach Maßgabe ihrer eigenen Statuten oder vom Heiligen Stuhl bestimmt ist.“
Foto. Konzilsväter. Bildquelle: Peter Geymayer / Wikipedia