Unterwegs zu den Lübecker Märtyrern
Lübeck (kathnews). „In einer Münchner Gastwirtschaft gründeten am 5. Januar 1919 der Werkzeugschlosser Anton Drexler und der Journalist Karl Harrer eine „Deutsche Arbeiterpartei“. Die antimarxistische und antisemitische Vereinigung, entstanden als Ableger der obskuren völkischen Thule-Gesellschaft, war eine von vielen rechtsradikalen politischen Sekten. Im Spätsommer 1919 besuchte im Auftrag der Reichswehr der Gefreite Adolf Hitler eine Versammlung der Partei, erwärmte sich für deren Ziele, trat ein und wurde ihr Werbeobmann. Im politischen Klima Münchens gediehen nach dem ersten Weltkrieg extremistische Organisationen wie die Deutsche Arbeiterpartei, die seit Februar 1920 den Namen Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei führte. Zur ersten Massenversammlung der NSDAP waren am 24. Februar 1920 2.000 Menschen ins Münchner Hofbräuhaus geströmt. Sie spendeten Beifall, als die 25 Punkte des Parteiprogramms verkündet wurden, und man gewöhnte sich an Adolf Hitler, der sich bescheiden als „Trommler“ der Bewegung gab, jedoch die Parteigründer auf seinem Weg zum „Führer“ bald hinter sich ließ…“ (aus Wolfgang Benz, Geschichte des Dritten Reiches, München (dtv) 2003)
13 Jahre später wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt, und die NSDAP, nunmehr Regierungspartei, nutzte bald alle Möglichkeiten – auch Terror und Gewalt – um die Machtposition, die sie gerade erhalten hatte, zu stabilisieren und weiter auszubauen. Schon von Beginn an widmete das nationalsozialistische Regime dabei der Formierung der Gesellschaft ganz besondere Aufmerksamkeit. Juden und Zigeuner galten als „Artfremde“, ebenso die Kinder von schwarz-französischen Besatzungssoldaten im Rheinland und ethnische Gruppen, die auf deutschem Reichsgebiet lebten, wie etwa Sorben, Kaschuben und Polen. Auch andere Minderheiten wie beispielsweise Homosexuelle und „Asoziale“ waren Objekte der Ausgrenzung und Verfolgung. Bereits im Juli 1933 wurde das Erbgesundheitsgesetz zur Verhinderung „erbkranken Nachwuchses“ erlassen, das verhindern sollte, das sich sogenannte „Ballastexistenzen“ wie Fürsorgeempfänger, Langzeitarbeitslose, Alkoholiker, „Asoziale“, Geisteskranke und körperlich Behinderte unkontrolliert fortpflanzen können. Bis zum Ende des Dritten Reiches wurden nach diesem Gesetzt rund 400.000 Menschen zwangssterilisiert. Ärzte hatten zur damaligen Zeit die Pflicht zur Anzeige beim Gesundheitsamt, das dann nach einem Gutachten beim „Erbgesundheitsgericht“ die Sterilisation beantragte.
Ab 1939 folgten diesem makaberen Vorspiel dann letztendlich die staatlich veranlassten Morde an den Unerwünschten des eigenen Volkes, an den „Untermenschen“, den „Lebensunwerten“ und den „Minderwertigen“. Zu Propagandazwecken ließ die „Kanzlei des Führers“ zu diesem brisanten Thema den Kinofilm „Ich klage an“ in Auftrag geben. Dieser Film setzte sich mit dem Schicksal einer an Multipler Sklerose erkrankten Frau auseinander, die auf ihre Bitten hin von ihrem Ehemann den „Gnadentod“ erhielt. So sollten die tausendfachen Morde an kranken und behinderten Menschen als human und durchaus gerechtfertigt hingestellt werden.
Bereits währen der Dreharbeiten zu diesem Film begann der damalige Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, mitreißende Predigten zu halten, die sich gegen die massenhafte Tötung der kranken und geistig behinderten Menschen richteten – mit Erfolg: Die staatlichen Mordaktionen wurden zunächst eingestellt, und der Propagandafilm „Ich klage an“ wurde noch während der Dreharbeiten umgeschrieben und entschärft, indem man bestimmtes antireligiöses Propagandamaterial wieder herausschnitt. Das NS-Regime hütete sich wohlweislich, gegen den in seinem Bistum äußerst beliebten Bischof von Galen vorzugehen, denn seine Predigten hatten schon bald weit über die deutschen Grenzen hinaus Aufsehen erregt, und Hitler und Goebbels befürchteten, dass man durch eine von Himmler und „Reichskirchenminister“ Kerrl geforderte Hinrichtung des Bischofs das Volk in einen offenen Protest treiben würde.
Doch auch wenn die Machtinhaber dem Bischof vorerst nicht gefährlich werden konnten, bedeutete das nicht, dass sie andere Geistliche, die in aller Öffentlichkeit Kritik an den nationalsozialistischen Ideologien übten, folgenlos gewähren ließen. Dies sollten – unter anderem – bald auch drei junge katholische Kapläne und ein mit ihnen befreundeter evangelischer Pastor in aller Härte zu spüren bekommen: unsere vier Lübecker Märtyrer. Zusammen hatten sie ein gemeinsames Vorbild: den „Löwen von Münster“, dessen mutige Predigten sie als so sehr befreiend empfanden, da in ihnen endlich das ausgesprochen wurde, was auch sie und viele andere Menschen insgeheim dachten. So schrieben sie die Predigten von Galens ab und verbreiteten sie unter den Lübeckern. Das Ende dieser Geschichte ist – wenn man möchte – schnell erzählt, und lässt sich doch mit Tausenden von Worten nicht hinreichend beschreiben…
Wer und wie waren sie eigentlich, die Lübecker Märtyrer? Was trieb sie an, so zu handeln, wie sie es taten, trotz der Konsequenzen, die daraus folgten, und derer sie sich jederzeit bewusst waren? Wie erlebten sie die Zeit des Martyriums? Und was genau macht sie heute eigentlich zu Vorbildern für uns? Wir wollen uns in einer mehrteiligen Hintergrundinformation zum Leben, Wirken und Martyrium von Johannes Prassek, Eduard Müller, Hermann Lange und Karl Friedrich Stellbrink auf den Weg machen zu den vier Lübecker Märtyrern. Dieser Weg soll ein Gedenkweg sein, und uns gleichzeitig noch einmal ein Stück Geschichte der letzten Jahrzehnte ins Gedächtnis rufen – ein Stück Geschichte des Christentums, der katholischen Kirche, und nicht zuletzt auch der Ökumene, als deren Wegbereiter die Lübecker Märtyrer durch ihr schon damals konfessionsübergreifendes Handeln noch einmal eine besondere Stellung unter allen geistlichen Opfern des Nationalsozialismus einnehmen.
Teil 2: Das Haupt der Kapläne: Johannes Prassek